Verwaltungsgericht München:
Urteil vom 22. April 2010
Aktenzeichen: M 12 K 09.3303

(VG München: Urteil v. 22.04.2010, Az.: M 12 K 09.3303)

Tenor

I. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger auf Dauer eine Ermäßigung der Beitragspflicht auf den Grundbeitrag (§ 19 Abs. 1 Satz 4 der Satzung der Beklagten) zu gewähren.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Höhe der von ihm verlangten Beiträge zur beklagten Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung (BayRStV). Hilfsweise erstrebt er eine Befreiung von der Mitgliedschaft.

Der im Jahr 1967 geborene Kläger nahm im März 1999 in Münster eine Tätigkeit als selbständiger Steuerberater auf und wurde damit Mitglied der Steuerberaterkammer Westfalen/Lippe.

Das Land Nordrhein-Westfalen hatte kurz zuvor, mit Gesetz vom 10. November 1998 (GVBl NRW S. 661), das am 8. Dezember 1998 in Kraft trat, ein berufsständisches Versorgungswerk für Steuerberater (StBV NW) errichtet, in dem grundsätzlich Pflichtmitgliedschaft bestand. Die Satzung des StBV NW wurde am 13. Januar 1999 beschlossen und trat am 30. April 1999 in Kraft. Sie enthielt in § 45 Abs. 8 i. V. m. § 45 Abs. 3 Nr. 3 die Übergangsregelung, dass Steuerberater, die - wie der Kläger - in der Zeit zwischen dem Inkrafttreten des Gesetzes und dem Inkrafttreten der Satzung Mitglied einer Steuerberaterkammer in Nordrhein-Westfalen geworden sind und zum Zeitpunkt ihrer Bestellung zum Steuerberater noch nicht 40 Jahre alt waren, auf Antrag von der Mitgliedschaft oder von der Beitragspflicht ganz oder teilweise zu befreien waren, wenn sie über eine bestimmten Voraussetzungen genügende private Kapital- oder Rentenversicherung verfügten.

Der Kläger hatte bereits im Jahr 1996 bei der € eine bis zum Jahr 2031 laufende Lebensversicherung abgeschlossen. Mit Wirkung zum 1. Juli 1999 schloss er bei der € eine weitere Lebensversicherung (Ablauf 2032) und eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ab.

Im Oktober 1999 stellte der Kläger beim StBV NW den Antrag, seine Beitragspflicht wegen seiner privaten Vorsorgeverträge auf 2/10 des Regelpflichtbeitrags zu ermäßigen. Das StBV NW entsprach diesem Antrag. Es stellte mit Beitragsbescheid vom 4. November 1999 fest, dass der Kläger Mitglied im Versorgungswerk sei und sein monatlicher Beitrag gemäß § 45 Abs. 3 der Satzung auf 2/10 des Regelpflichtbeitrags (damals 331,50 DM) festgesetzt werde. Diesen ermäßigten Beitragssatz billigte das StBV NW dem Kläger auch in den Folgejahren zu. Er schloss in der Folge weitere private Altersvorsorge-Versicherungen ab.

Mit Wirkung zum 1. Mai 2008 ließ sich der Kläger in München als selbständiger Steuerberater nieder.

Am 28. Mai 2008 kam es zwischen dem Kläger und der Sachbearbeiterin der Beklagten zu einem Telefonat über die Höhe der vom Kläger an die Beklagte zu entrichtenden Beiträge. Der Kläger erklärte, er habe seine Altersvorsorge darauf ausgerichtet, dass er auf Dauer nur den Grundbeitrag zahlen müsse. Die Beklagte wollte ihm diese Möglichkeit entsprechend ihrer für Berufsanfänger geltenden Regelung in § 20 Abs. 1 der Satzung der Beklagten nur für das Jahr 2008 und die folgenden 4 Kalenderjahre zugestehen.

Der Kläger beantragte daraufhin mit Schreiben vom 28. Mai 2008, ihn in sinngemäßer Anwendung von § 47a der Satzung der Beklagten mit einem Beitrag von 2/10 zu führen.

Die Beklagte antwortete ihm mit Schreiben vom 17. Juni 2008. Nach dem seit dem 1. Januar 2006 geltenden Satzungsrecht der Beklagten sei eine Befreiung zugunsten einer weiteren freiwilligen Mitgliedschaft im StBV NW nicht mehr möglich. Der Kläger sei ab 1. Mai 2008 Pflichtmitglied bei der Beklagten. Sein Antrag auf Zahlung nur des Grundbeitrags auf Dauer entsprechend § 47a Abs. 3 Satz 1 der Satzung müsse auch abgelehnt werden. § 47a der Satzung sei nur für Personen einschlägig, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das öffentliche Versorgungswesen (VersoG) vom 16. Dezember 1999 Mitglied einer Steuerberaterkammer in Bayern gewesen seien. Wie dem Kläger bereits telefonisch erläutert, müsse er ab 2013 einkommensabhängige Beiträge zahlen. Der Kläger solle, damit Mitgliedschaft und Beitragspflicht förmlich festgestellt werden könnten, den Erhebungsbogen ausfüllen. Er erhalte dann einen Mitglieds- und Beitragsbescheid, gegen den er Rechtmittel einlegen könne.

Der Kläger füllte anschließend den Erhebungsbogen aus, wobei er nochmals beantragte, nach § 47a Abs. 3 Satz 1 der Satzung der Beklagten und Art. 3 GG auf Dauer mit einem 1/5 Beitrag geführt zu werden.

Mit Bescheid vom 23. Juli 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er sei bei ihr seit dem 1. Mai 2008 gemäß § 30 Abs. 1 VersoG und § 15 der Satzung der Beklagten Pflichtmitglied. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war nicht beigefügt.

Mit Beitragsbescheid vom 23. Juli 2008 wurde vom Kläger der Grundbeitrag verlangt. Als Beitragsschlüssel ist im Bescheid u. a. die Kennzahl €57€ vermerkt und erläutert (€Grundbeitrag (2/10 Höchstbeitrag) in den ersten 5 Kalenderjahren der selbständigen Tätigkeit (gilt ab 01.01.1999)€.

Der Bescheid enthielt den €Hinweis zum Rechtsbehelf€, dass der Rechtsweg zum €örtlich zuständigen Verwaltungsgericht€ offen stehe.

Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 23. Juli 2009, das am selben Tag bei Gericht einging, erhob der Kläger Klage mit dem Hauptantrag,

die Beklagte zu verpflichten, den Kläger unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide als Gründungsmitglied gemäß § 47a der Satzung der Beklagten anzuerkennen und die Beitragspflicht auf Dauer unter Beachtung des besonderen Beitrags für Gründungsmitglieder gemäß § 47a Abs. 3 der Satzung neu zu berechnen.

Hilfsweise wurde beantragt,

unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide festzustellen, dass der Kläger von der Mitgliedschaft bei der Beklagten befreit ist.

Der Kläger macht geltend, die Regelung in § 47a der Satzung der Beklagten sei wegen Fehlens einer allgemeinen Härtefallklausel für den Anfangsbestand anderer Versorgungswerke sowie wegen Verstoßes gegen Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG unverhältnismäßig und nichtig. Es sei inzwischen, insbesondere nach Einarbeitung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71, unabdingbar, eine allgemeine Härtefallklausel in der Satzung der Beklagten zu verankern, die im Rahmen einer Ermessensentscheidung im Einzelfall auch eine Beachtung des Anfangsbestandes von Mitgliedern außerbayerischer Steuerberaterkammern ermögliche. Es verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn die Einforderung von Beiträgen das Mitglied zu einer unzumutbaren Überversorgung verpflichte. Die bestehende Stundungsmöglichkeit oder der zeitweilig ermäßigte Beitrag werde dem Schutz vor einer unzumutbaren Überversorgung nicht mehr gerecht.

Im Falle des Klägers zeige sich die Notwendigkeit einer allgemeinen Härtefallklausel. Der Kläger habe schon 1996 eine €-Lebensversicherung und 1999 eine €-Lebensversicherung mit €Berufsunfähigkeit€, einen Fidelity-Fond mit gleichbleibenden Einzahlungen sowie eine weitere €-Lebensversicherung €mit Berufsunfähigkeit€ mit dynamischen Beiträgen abgeschlossen. Der Kläger habe daraufhin als Gründungsmitglied in NRW nur den ermäßigten Beitrag in Höhe von 2/10 des Regelpflichtbeitrags zahlen müssen wegen des nachgewiesenen Bestehens privater Kapital- und Rentenversicherungen. In der Folge habe der Kläger im Jahr 2001 einen €-Fond mit gleichbleibenden Einzahlungen, eine €-Lebensversicherung mit €Berufsunfähigkeit€ mit dynamisiertem Beitrag abgeschlossen. Im Jahr 2003 habe der Kläger zusätzlich eine €-Rentenversicherung, im Jahr 2004 eine €-€-Fonds-Rentenversicherung mit dynamisierten Beiträgen abgeschlossen. Jährlich würden beim Kläger Beiträge für private Altersvorsorge in Höhe von 18.199,98 Euro anfallen. Im Bestreitensfall könne der Kläger die vollständigen Verträge unverzüglich vorlegen. Zusammen mit dem ermäßigten Pflichtbeitrag in NRW habe der Kläger bis 2008 jährlich 20.000 Euro für die Altersvorsorge aufgewendet.

Infolge unvorhersehbarer Umstände sei der Kläger im Jahr 2008 nach München gekommen. Auch im Jahr 2009 entrichte der Kläger zusammen mit dem derzeit ermäßigten Grundbeitrag 20.000 Euro jährlich für die Alters- und Berufsunfähigkeitsvorsorge. Die doppelte Belastung des Klägers durch Beiträge für private Versicherungen und den Pflichtbeitrag zur Beklagten sei wirtschaftlich nicht mehr vertretbar. Die private Altersvorsorge des Klägers müsse auch bei der Beklagten eine entsprechende Beitragsermäßigung zur Folge haben. Die in § 47a der Satzung vorgesehen Beschränkung der Beitragsermäßigung auf den Anfangsbestand allein bayerischer Mitglieder sei eine mit dem Sinn und Zweck der Koordinierung berufsständischer Versorgungssysteme mit anderen Systemen der sozialen Sicherheit in Europa sowie der Koordinierung für inländische berufständische Versorgungssysteme nicht vereinbare Regelung.

Der streitgegenständliche Beitragsbescheid verletze den Kläger in seinen Rechten aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Der Kläger habe durch seine Einzahlungen in private Versicherungen anwartschaftsgleiche Vermögenspositionen im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG erworben. Eine beitragsfreie Fortführung oder Kündigung sei mit Renditeeinbußen verbunden, so dass ein Eingriff in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vorliege. Die in § 47a der Satzung vorgesehene Beitragsermäßigung nur für bayerische Gründungsmitglieder sei mit Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Die Pflichtmitgliedschaft des Klägers ohne Beitragsermäßigung sei darüber hinaus unverhältnismäßig und verstoße daher gegen Art. 2 Abs. 1 GG.

Mit Schriftsatz vom 14. Januar 2010 wurde gerügt, dass der Bescheid der Beklagten und die zugrunde liegende Satzung gegen verschiedene Vorschriften des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14. August 2006 (BGBl S. 1897 ff.) verstoße.

Die Beklagte beantragte,

die Klage abzuweisen.

Sie wandte ein, dem Kläger sei bei seiner beruflichen Niederlassung in Bayern am 1. Mai 2008 bekannt gewesen, dass dort ein Versorgungswerk bestehe. Ein schutzwürdiges Vertrauen auf Befreiung bzw. Beitragsermäßigung bestehe deshalb nicht. In diesem Zusammenhang werde auch auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts München vom 21. Januar 2002 (M 3 K 01.2944) verwiesen.

Der Kläger gehöre nicht zu dem von § 47a Abs. 1 der Satzung erfassten Personenkreis. Er habe auch keinen Anspruch darauf, als Mitglied des Anfangsbestandes des Versorgungswerkes in NRW dem Anfangsbestand in Bayern gleichgestellt zu werden. Die Regelung in § 47 a der Satzung verstoße nicht gegen Art. 14, Art. 12, Art. 3 Abs. 1 und 2 und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 GG, indem die Beklagte keine Regelungen über eine Befreiung oder Ermäßigung für solche Berufsangehörige vorsehe, die nach Inkrafttreten des VersoG-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1999 durch einen Zulassungswechsel aus einem anderen Bundesland Mitglied einer bayerischen Steuerberaterkammer werden. Eine unbillige Härte sei für den Kläger nicht zu erkennen.

Die Satzung enthalte zwar eine Ungleichbehandlung zu Lasten des Klägers, dafür gebe es aber sachliche Gründe, die dies rechtfertigen würden. Die Regelung für den bayerischen Anfangsbestand diene dem Vertrauensschutz. Sie nehme darauf Rücksicht, dass die in Bayern tätigen Berufsangehörigen bis zum 16. Dezember 1999 mangels Bestehen eines Versorgungswerks zu einer eigenen Altersversorgung veranlasst gewesen seien. Bei einer Einbeziehung dieser Gruppe von Berufsangehörigen würde nachträglich und ohne eigenes Zutun oder eigene Entscheidung zur Veränderung des Lebenssachverhalts die Notwendigkeit für diese Absicherung genommen. Der Satzungsgeber handele nicht willkürlich, wenn er dieser Gruppe einen weitergehenden Schutz gewähre als solchen Steuerberatern, die nach Inkrafttreten des Änderungsgesetzes infolge einer Übersiedlung nach Bayern Mitglied einer bayerischen Steuerberaterkammer würden. Letztere bräuchten nicht in gleicher Weise geschützt werden, wie das BVerwG für einen vergleichbaren Fall entschieden habe (BVerwG vom 12.05.1993, 1 B 95/92). Es fehle insoweit an einer vergleichbaren Vertrauensgrundlage. Dem Satzungsgeber stehe bei der Fassung von Befreiungstatbeständen ein besonders weiter Gestaltungsspielraum zu.

Die Pflichtmitgliedschaft des Klägers belaste diesen nicht unverhältnismäßig. Er müsse erforderlichenfalls seine bisherige Versorgungsplanung anpassen. Sein privater Versicherungsschutz sei zwar infolge Doppelversorgung überflüssig. Das sei aber kein unzulässiger Eingriff in Art. 14, Art. 12, Art. 2 Abs. 1 GG. Die privaten Versicherungen blieben für den Kläger weiterhin nutzbar. Die Belastungen würden für den Kläger nicht zuletzt dadurch abgemildert, dass er vom Beginn der Mitgliedschaft an und in den folgenden vier Kalenderjahren nur den Grundbeitrag entrichten müsste. Es bleibe dem Kläger unbenommen, seine private Versorgung anzupassen. Im Übrigen sei die berufsständische Altersversorgung mittlerweile flächendeckend in der Bundesrepublik Deutschland etabliert, so dass der Kläger damit rechnen musste, bei einem Zuständigkeitswechsel seine Versorgung anpassen zu müssen.

Die unterschiedliche Umsetzung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 bei der Beklagten und außerbayerischen Versorgungswerken sowie die Kündigung der bisherigen Überleitungsabkommen mit noch ausstehendem Abschluss neuer Überleitungsabkommen verstoße nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Ein Verstoß würde auch nicht zur Befreiung des Klägers von der Pflichtmitgliedschaft führen. Wenn Überleitungsabkommen geschlossen worden wären, hätte der Kläger ggf. nur die Möglichkeit, Beitragszahlungen in NRW an die Beklagte überzuleiten. Eine Befreiung von der Mitgliedschaft oder eine Ermäßigung der Beitragspflicht ergebe sich daraus nicht.

Das Gleichbehandlungsgebot richte sich nur an den konkreten Satzungsgeber. Eine unterschiedliche Behandlung durch außerbayerische Versorgungswerke begründe keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Art. 30 Abs. 1 VersoG und § 15 Abs. 1 Nr. 1 der Satzung der Beklagten würden eine Pflichtmitgliedschaft für alle nicht berufsunfähigen Mitglieder der Rechtsanwalts- und Steuerberaterkammern in Bayern begründen. Art. 30 Abs. 2 VersoG räume dem Satzungsgeber Ermessen ein, ob er Ausnahmen und Befreiungen von der Mitgliedschaft beispielsweise für Mitglieder anderer berufsständischer Versorgungswerke vorsehe. Eine Verpflichtung bestehe hierzu nicht. Das Ermessen müsse zwar nach allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen pflichtgemäß ausgeübt werden. Nach der Rechtsprechung bestehe insoweit aber ein weites Ermessen, dessen Grenzen erst bei willkürlicher Diskriminierung oder Privilegierung erreicht seien. Diese Grenzen seien im vorliegenden Fall nicht überschritten. Eine auf dem Solidaritätsprinzip beruhende leistungsfähige Versorgung sei nur durchführbar, wenn grundsätzlich alle Berufsangehörigen einbezogen würden. Die Versorgungswerke dürften daher bei der Normierung von Ausnahmen und Befreiungen Zurückhaltung üben. Es widerspreche daher nicht dem Gleichheitsgrundsatz, wenn zwar Pflichtmitglieder anderer Versorgungswerke, nicht aber freiwillige Mitglieder anderer Versorgungswerke befreit würden.

In der vor dem 1. Januar 2006 geltenden Fassung der Satzung hätten zwar Personen, die bei Zulassungswechsel als freiwillige Mitglieder im bisherigen Versorgungswerk geblieben seien, ein Befreiungsrecht gegenüber der Beklagten gehabt. Dieses Befreiungsrecht sei im Zuge der Satzungsänderung zum 1. Januar 2006 und der Umsetzung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 beseitigt worden. Diese Verordnung regele die Migration in Europa. Sie zwinge den Satzungsgeber nicht unmittelbar, die gleichen Regelungen für die innerdeutsche Migration festzuschreiben. Dem Satzungsgeber stehe aber die Möglichkeit offen, eine Angleichung vorzunehmen, was er getan habe. Ein Anspruch darauf, bei einem Zulassungswechsel weiterhin beim bisherigen Versorgungswerk bleiben zu können, sei im Hinblick auf die landesrechtliche Gesetzesgrundlage verfassungsrechtlich bedenklich.

Die unterschiedliche Umsetzung der Verordnung (EWG) 1408/71 in nationales Recht auf der Ebene der Versorgungswerke sei Ausfluss der Satzungsautonomie. Die Rechtsprechung sehe es nicht als ermessensfehlerhaft an, wenn für vergleichbare Sachverhalte in anderen Bundesländern großzügigere Regelungen bestünden.

Eine dauerhafte einkommensunabhängige Beitragsermäßigung auf ein Fünftel des Höchstbetrags wie in NRW oder hilfsweise die Befreiung von der Mitgliedschaft komme auch aus anderen höherrangigen Gründen nicht in Frage. Der vom Kläger geltend gemachte Verstoß gegen das AGG liege nicht vor.

Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist im Hauptantrag zulässig und begründet.

1. Der Hauptantrag ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger die Verpflichtung der Beklagten erstrebt, ihm auf Dauer eine Ermäßigung der Beitragspflicht auf den Grundbeitrag, d. h. ein Fünftel des Höchstbeitrags (§ 19 Abs. 1 Satz 4 der Satzung der Beklagten), zu gewähren.

Aus der Formulierung des Hauptantrags geht hervor, dass der Kläger diese Vergünstigung erstrebt, weil er im Hauptantrag auf die Regelung in § 47a Abs. 3 der Satzung Bezug genommen hat, nach der diese Beitragsreduzierung auf Antrag zu gewähren ist. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung auch erklärt, er wäre damit einverstanden, wenn er auf Dauer den Grundbeitrag bezahlen müsste. Die Kammer geht ferner davon aus, dass die Formulierung im Hauptantrag, der Kläger müsse von der Beklagten als Gründungsmitglied anerkannt werden, kein eigenständiges Klageziel darstellt, sondern nur als Begründung für sein Anliegen, die vorgenannte Beitragsreduzierung auf den Grundbeitrag zu erhalten, aufgeführt wurde.

2. Die zulässige Klage ist begründet.

a) Die Regelungen in der Satzung der Beklagten vom 6. Dezember 1996 (StAnz. Nr. 51/52, ber. 1997 Nr. 3) in der Fassung der 9. Änderungssatzung vom 7. Dezember 2009 (StAnz. Nr. 51) sehen zwar die vom Kläger begehrte dauerhafte Beitragsermäßigung nicht vor.

aa) Der Kläger ist, indem er Mitglied der Steuerberaterkammer München wurde, zugleich Pflichtmitglied bei der Beklagten geworden (Art. 38 Abs. 1 Nr. 1 VersoG; § 15 Abs. 1 Nr. 1 der Satzung der Beklagten). Soweit die Beklagte von der ihr nach § 30 Abs. 2 VersoG eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, in der Satzung Ausnahmen und Befreiungen von der Pflichtmitgliedschaft vorzusehen, wird der Kläger von keinem Ausnahme- oder Befreiungstatbestand erfasst. Insbesondere ist § 16 Abs. 1 Nr. 7 der Satzung der Beklagten nicht einschlägig, weil seit dem Wechsel nach Bayern jedenfalls keine - wie von der Vorschrift gefordert - Pflichtmitglied in einer anderen öffentlich-rechtlichen berufsständischen Versorgungseinrichtung fortbestand. Der Kläger verlor mit dem Wechsel nach München die Zugehörigkeit zur Steuerberaterkammer Westfalen/Lippe mit der Folge, dass eine etwaige Weiterführung der Mitgliedschaft im StBV NW nach § 12 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 der Satzung des StBV NW höchstens noch auf freiwilliger Basis in Betracht kam, unabhängig davon, wie die mitgliedschaftsrechtliche Stellung des Klägers im StBV NW vor dem Wechsel nach Bayern einzuordnen ist.

bb) Aufgrund seiner Pflichtmitgliedschaft muss der Kläger an die Beklagte Beiträge entrichten, die grundsätzlich einkommensabhängig sind (§ 19 Abs. 1 der Satzung). Eine dauerhafte Beitragsermäßigung auf den Grundbeitrag wegen der Sondersituation des Klägers sieht die Satzung nicht vor. Die - dem Kläger gegenwärtig noch gewährte - Vergünstigung nach § 20 Abs. 1 der Satzung ist zeitlich begrenzt auf das Jahr des Beginns der Berufszugehörigkeit bzw. der Kanzleieröffnung und die nachfolgenden vier Kalenderjahre. § 20 Abs. 2 der Satzung ist nicht einschlägig, weil der Kläger keinen der darin aufgeführten Tatbestände erfüllt.

Schließlich kann sich der Kläger auch nicht unmittelbar auf die Übergangsregelung in § 47a der Satzung stützen, weil diese nach dem eindeutigen Wortlaut des § 47a Abs. 1 der Satzung nur Steuerberater erfasst, die bei Inkrafttreten des VersoG-Änderungsgesetzes vom 16. Dezember 1999 (GVBl. S. 519), also am 22. Dezember 1999 (§ 4 dieses Gesetzes), Mitglied einer Steuerberaterkammer in Bayern waren, was auf den Kläger nicht zutrifft.

b) Die satzungsmäßige Regelung der Beklagten, die dem Kläger eine Beitragsermäßigung auf den Grundbetrag auf Dauer versagt, sondern nur vorübergehend bis Ende des Jahres 2012 zugesteht, ist jedoch mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes nicht zu vereinbaren.

In Bezug auf die Höhe der Beitragspflicht gebieten diese Grundsätze, auf schwerwiegende Besonderheiten und unbillige Härten, insbesondere auf die wirtschaftliche Belastbarkeit des Mitglieds, Rücksicht zu nehmen und bei bereits zuvor anderweitig versorgten Mitgliedern eine unzumutbare Überversorgung zu vermeiden (BVerwG v. 29.01.1991 - 1 C 11.89 = BVerwGE 87, 324/330; vgl. auch BVerwG v. 23.12.1992 - 1 B 57.92 <juris>; BVerwG v. 12.05.1993 - 1 B 95.92 <juris>).

Im Falle des Klägers ist von einer ganz erheblichen Überversorgung auszugehen, wenn er ab 2013 einkommensabhängige Beiträge an die Beklagte entrichten muss. Der Kläger wendet nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung etwa 20.000 Euro jährlich für seine private Altersversorgung auf, während der an die Beklagte bei Erzielung eines entsprechenden Einkommens nach dem Stand Januar 2010 derzeit zu entrichtende Höchstbetrag bei jährlich 13.134 Euro (monatlich 1.094,50 Euro) läge (vgl. Beitragsrundschreiben der Beklagten vom Januar 2010, zugänglich über die Website der Beklagten).

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat insoweit in einer Fallgestaltung, die einen Rechtsanwalt betraf, der von der Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte in Berlin befreit worden und später nach Bayern gewechselt war, bereits in seiner Entscheidung vom 18. September 2002 (9 ZB 02.115) auf die Unzulänglichkeit der Satzung der Beklagten hingewiesen und ausgeführt, dass es die durch Grundrechte gesicherte Freizügigkeit und Berufsfreiheit (Art. 11 und 12 Abs. 1 GG) nicht zulässt, die bei einem sog. Altbestand regelmäßig oder jedenfalls häufig bestehende private Absicherung nur deshalb unberücksichtigt zu lassen, weil es sich um einen aus einem anderen Bundesland €zugewanderten Altbestand€ handelt. Dass der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner damaligen Entscheidung im Ergebnis dennoch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der zugrunde liegenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts (Urteil vom 21.01.2002 - M 3 K 01.2944) gesehen hat, lässt nicht den Schluss zu, dass es im vorliegenden Fall mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist, dem Kläger die dauerhafte Ermäßigung des Pflichtbeitrags vorzuenthalten. Zum einen war mit der dortigen Klage ausschließlich eine Befreiung von der Mitgliedschaft geltend gemacht worden, während hier im Hauptantrag eine Beitragsermäßigung im Raum steht, in der der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich eine Möglichkeit gesehen hat, eine unzumutbare Belastung und eine übermäßige Versorgung zu vermeiden. Zweitens standen im dortigen Fall nur private Beiträge von monatlich 422,53 Euro im Raum, also etwa 5.000 Euro jährlich, während der Kläger des vorliegenden Verfahrens nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung mit derzeit etwa 20.000 Euro das Vierfache dessen aufwendet. Drittens kommt insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes hinzu, dass in dem der VGH-Entscheidung zugrunde liegenden Verfahren dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (M 3 K 01.1944) zufolge der dortige Kläger schon weniger als sechs Monate nach der Befreiung von der Mitgliedschaft im € nach Bayern gewechselt war, während im vorliegenden Fall zwischen der Beitragsermäßigung in Nordrhein-Westfalen (Bescheid vom 4. November 1999) und dem Wechsel nach Bayern (1. Mai 2008) etwa achteinhalb Jahre liegen. Der Kläger hat sich also bereits über eine deutlich längere Zeitspanne hinweg auf eine überwiegend private Altersvorsorge eingestellt und entsprechende Beiträge entrichtet.

Zu berücksichtigen ist zwar ferner, dass von einem Steuerberater bei einem Wechsel in ein anderes Bundesland grundsätzlich verlangt werden kann, dass er seine bisherige Versorgungsplanung der neuen Lage ggf. anpasst (vgl. BVerwG v. 12.05.1993 a. a. O.). Im vorliegenden Fall ist dies dem Kläger aber angesichts der bisherigen Dauer und Höhe seiner privaten Altersversorgung nicht zuzumuten, weil man davon ausgehen muss, dass dies nicht unerhebliche finanzielle Nachteile zur Folge hat. Schließlich ist umgekehrt zu bedenken, dass die Höhe der Versorgungsleistungen der Beklagten von der Höhe der geleisteten Beiträge abhängt. Der Kläger wird somit im Versorgungsfall keine zu Lasten der Solidargemeinschaft gehenden Leistungen erhalten, die nicht seinen Beiträgen entsprechen. Es ist auch nicht zu erwarten, dass die Gruppe derjenigen Steuerberater und Rechtsanwälte, die in einem anderen Bundesland wegen einer hinreichenden privaten Alterversorgung von der Pflichtmitgliedschaft befreit sind oder nur ermäßigte Beiträge zahlen und später nach Bayern €zuwandern€, so groß ist, dass die Leistungsfähigkeit der Solidargemeinschaft der Beklagten beeinträchtigt wird, wenn dieser Personenkreis keine einkommensabhängigen Beiträge entrichten muss. Die Pflichtversorgung ist, wie die Beklagte selbst ausführt, in Deutschland inzwischen €flächendeckend€ eingeführt. Es handelt sich daher um eine Übergangsproblematik, die einen immer kleiner werdenden Personenkreis betrifft.

Insgesamt ist die Kammer im vorliegenden Einzelfall deshalb zu der Überzeugung gelangt, dass es den Kläger unverhältnismäßig und unzumutbar trifft, wenn ihm nicht auf Dauer eine Beitragsermäßigung auf den Grundbeitrag gewährt wird. In entsprechender Anwendung von § 47a Abs. 3 Satz 1 der Satzung der Beklagten ist ihm diese Ermäßigung somit zu gewähren, weil nur so ein verfassungsmäßiger Zustand hergestellt werden kann.

3. Über den Hilfsantrag war wegen des Erfolgs des Hauptantrags nicht mehr zu befinden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf EUR 15.000,00 festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).






VG München:
Urteil v. 22.04.2010
Az: M 12 K 09.3303


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