Oberlandesgericht Stuttgart:
Beschluss vom 30. Mai 2008
Aktenzeichen: 5 - 2 StE 2/05

(OLG Stuttgart: Beschluss v. 30.05.2008, Az.: 5 - 2 StE 2/05)

Der nach § 68 b StPO einem Zeugen für die Dauer der Vernehmung beigeordnete Rechtsanwalt erhält in der Regel die Gebühr für eine Einzeltätigkeit entsprechend Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG.

Tenor

Die Erinnerung des Zeugenbeistandes gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Oberlandesgerichts - Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle - Stuttgart vom 17. September 2007 wird als unbegründet

z u r ü c k g e w i e s e n .

Das Verfahren über die Erinnerung ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 RVG).

Gründe

I.

Mit Verfügung der Senatsvorsitzenden vom 31. Juli 2007 wurde Rechtsanwalt V. - auf seinen Antrag - dem Zeugen F. für die Dauer der Vernehmung in der Hauptverhandlung gegen A. am 31. Juli 2007 vor dem Strafsenat als Zeugenbeistand gemäß § 68 b StPO beigeordnet. In der sich unmittelbar anschließenden, etwa zehnminütigen Vernehmung berief sich der Zeuge im Hinblick auf die damals gegen ihn laufende Hauptverhandlung vor dem Oberlandesgericht München, in der er sich zur Sache nicht eingelassen hatte, auf sein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO.

Der Zeugenbeistand beantragte zunächst die Festsetzung seiner Vergütung i.H.v. 746,13 EUR, wobei sich dieser Betrag zusammensetzte aus einer Terminsgebühr für die Hauptverhandlung mit Haftzuschlag nach Nr. 4121 VV RVG (434 EUR), der Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG (20 EUR), Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG (138 EUR), Tage- und Abwesenheitsgeld nach Nr. 7005 VV RVG (35 EUR) sowie 19 % Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV RVG (119,13 EUR). Nach Anhörung der Bezirksrevisorin setzte die Rechtspflegerin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit Beschluss vom 17. September 2007 die Vergütung auf 429,59 EUR fest, wobei sie statt der Terminsgebühr für die Hauptverhandlung nur eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4301 Ziff.4 VV RVG (168 EUR) ansetzte und die Umsatzsteuer entsprechend reduzierte.

Hiergegen hat der Zeugenbeistand Erinnerung eingelegt und mit dieser - in Verbindung mit dem die weiteren Beträge konkret aufschlüsselnden Schriftsatz vom 19. Dezember 2007 - die zusätzliche Festsetzung einer Grundgebühr mit Haftzuschlag nach Nr. 4101 VV RVG (162 EUR) sowie einer Verfahrensgebühr mit Haftzuschlag nach Nr. 4119 VV RVG (322 EUR), somit die Festsetzung einer Vergütung von nunmehr - einschließlich der entsprechend erhöhten Umsatzsteuer - 1.322,09 EUR beantragt.

Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Die Vertreterin der Staatskasse beantragt, die Erinnerung insgesamt, d.h. auch hinsichtlich der nachträglichen Antragserweiterung, zurückzuweisen.

Die Erinnerung, die gemäß §§ 56 Abs.2, 33 Abs.8 Satz 2 RVG vom Einzelrichter dem Senat zur Entscheidung übertragen worden ist, hat in der Sache keinen Erfolg.

II.

1. Nach der (amtlichen) Vorbemerkung 4 Abs.1 zu Teil 4 des Vergütungsverzeichnisses (VV) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) sind die Vorschriften des Teiles 4, der die Gebühren für die Tätigkeiten eines Rechtsanwaltes in Strafsachen regelt, auf z.B. den Beistand eines Zeugen entsprechend anzuwenden.

Welche Bedeutung diese Vorbemerkung für die Vergütung des dem Zeugen nach § 68 b StPO beigeordneten Rechtsanwaltes hat, ist in der Rechtsprechung der Obergerichte auch aktuell noch sehr umstritten. Insoweit werden - soweit ersichtlich - im Wesentlichen folgende Auffassungen vertreten:

a) Nach der Meinung einiger Oberlandesgerichte ist der Zeugenbeistand nahezu uneingeschränkt wie ein Verteidiger, nämlich nach Teil 4 Abschnitt 1 (Gebühren des Verteidigers) zu vergüten. Ihm stünden somit die in diesem Abschnitt geregelten Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühren zu (so etwa OLG Koblenz, B.v. 11.4.2006, NStZ-RR 2006, 254; OLG Schleswig, B.v. 3.11.06, NStZ-RR 2007, 126; OLG Hamm, B.v. 7.11.2007, 2 Ws 289/07, unter Hinweis auf divergierende Entscheidungen anderer Strafsenate des OLG; OLG Düsseldorf, B.v. 7.11.07 und 7.12.07, 2 Ws 256/07 bzw. 4 Ws 671/07; OLG München, B.v.23.3.07 und vom 25.3.08, 1 Ws 325/07 bzw. 4 Ws 27/08). Ein etwaiges Missverhältnis zwischen der jeweiligen Leistung und Vergütung eines Verteidigers und eines nach § 68 b StPO beigeordneten Zeugenbeistandes durch die nach den Gesetzesmaterialien (vgl. BT-Drucks. 15/1971) vom Gesetzgeber gewollte Gleichstellung sei als durch das System aufwandsunabhängiger Festgebühren für beigeordnete Rechtsanwälte bedingt hinzunehmen (so etwa OLG Koblenz a.a.O. und OLG Hamm a.a.O.). Allenfalls in engen Ausnahmefällen, etwa der Beiordnung eines Rechtsanwaltes vom Gerichtsflur weg (OLG Koblenz a.a.O.) komme eine Vergütung lediglich für eine Einzeltätigkeit nach Nr. 4301 VV RVG in Betracht.

b) Nach anderer Ansicht stehen dem Zeugenbeistand zwar entsprechend dem Verteidiger die Grundgebühr und die Terminsgebühr zu, nicht jedoch - wegen der insoweit nicht vergleichbaren Stellung und Tätigkeit - die Verfahrensgebühr des Rechtszuges (OLG Dresden, 2. Strafsen., B.v. 6.11.2007, 2 Ws 495/06; KG Berlin, 5. Strafsen., B.v. 15.3.2006, 5 Ws 506/05). Teilweise wird gleichwohl ein Anspruch des Zeugenbeistandes auf die Verfahrensgebühr bejaht, wenn dieser vorträgt oder aktenkundig oder gerichtsbekannt ist, dass er auch in diesem Bereich eine dem Verteidiger vergleichbare Tätigkeit entfaltet hat (OLG Stuttgart, 1. Strafsenat, B.v. 14.11.2006, NStZ 2007, 343).

c) Nach einer 3. Auffassung steht dem nach § 68 b StPO einem Zeugen zur Beistandsleistung für die Dauer seiner Vernehmung beigeordneten Rechtsanwalt lediglich eine Verfahrensgebühr für eine Einzeltätigkeit entsprechend Nr. 4301 Ziff. 4 VV RVG zu ( so etwa - beschränkt auf neuere Entscheidungen aus 2007/2008 - KG Berlin, 1. Strafsen., B.v. 18.1.2007, 1 Ws 2/07; OLG Celle, B.v. 21.5.2007, 1 Ws 195/07; OLG Oldenburg, B.v. 21.3.2007, 1 Ws 101/07; OLG Frankfurt, B.v. 26.2.2007, 5-1 BJs 322185-2-31/05 sowie vom 14.2.2008, 2 Ws 11/08; OLG Hamm, B.v. 23.10.2007, 1 Ws 711/07; OLG Dresden, 3. Strafsen., B.v. 17.12.2007, 3 Ws 84/07; OLG Zweibrücken, B.v. 19.2.2008, 1 Ws 346/07; OLG Bamberg, B.v. 14.4.2008, 1 Ws 157/08, sämtlich - das gilt ebenso für ohne nähere Fundstelle zu a) und b) zit. Entscheidungen - zit. nach www.burhoff.de - RVG Entscheidungen, Vorbem. 4 Abs. 1 VV).

2. Der Senat schließt sich weitgehend der zuletzt genannten Auffassung an.

Die eingangs zitierte Vorbemerkung 4 Abs.1 zu Teil 4 VV RVG bestimmt gerade nicht, dass auf den Beistand eines Zeugen die Vorschriften für einen Verteidiger, also etwa die des Abschnittes 1 (Gebühren des Verteidigers), entsprechend anzuwenden sind, sondern die Vorschriften, also die des 4. Teiles, somit auch die des Abschnittes 3 (Einzeltätigkeiten), der auch für Tätigkeiten eines Rechtsanwaltes in Strafsachen gilt, dem nicht die Verteidigung oder volle Vertretung für das Verfahren übertragen worden ist (vgl. OLG Oldenburg a.a.O.).

Somit können grundsätzlich für die Vergütung eines Zeugenbeistandes sowohl die Vorschriften des 1. als auch die des 3. Abschnittes des Teiles 4 herangezogen werden. Dafür kommt es maßgebend auf den Beiordnungsbeschluss (siehe auch § 48 Abs.1 RVG) und die von dem beigeordneten Rechtsanwalt entsprechend entfaltete Tätigkeit an. Die Beiordnung nach § 68 b StPO, um die allein es hier geht, unterscheidet sich hinsichtlich der Tätigkeit des Beistandes und dessen verfahrensrechtlichen Mitwirkungs- und Gestaltungsrechten deutlich von dem einem Zeugen, der zugleich Verletzter oder Nebenkläger ist, beigeordneten oder von einem gewählten Beistand. Nach der engen gesetzlichen Fassung des § 68 b StPO für die Dauer der Vernehmung stellt sich die zu erbringende Beistandsleistung als Einzeltätigkeit dar. Dem entspricht auch der hier zu Grunde liegende Sachverhalt (siehe oben Abschnitt I. 1. Absatz).

Diese Tätigkeit erscheint ohne weiteres vergleichbar mit dem im 3. Abschnitt (Einzeltätigkeiten) unter Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG erfassten Sachverhalt, nämlich der Beistandsleistung eines Rechtsanwaltes, dem nicht die Verteidigung oder die Vertretung für das Verfahren übertragen worden ist, für den Beschuldigten bei einer richterlichen Vernehmung, einer Vernehmung durch den Staatsanwalt oder eine andere Strafverfolgungsbehörde oder in einer Hauptverhandlung ..... Dass sowohl bei dieser Beistandsleistung des Rechtsanwaltes für den Beschuldigten wie auch der des nach § 68 b StPO beigeordneten Zeugenbeistandes eine Information über den Verfahrensgegenstand und/oder ein Vorgespräch mit dem Beschuldigten/Zeugen erforderlich sind, liegt auf der Hand, weil eine sachdienliche anwaltliche Tätigkeit sonst nicht möglich ist. Gleichwohl hat der Gesetzgeber für den Bereich der Einzeltätigkeiten keine Grundgebühr nach Nr. 4100 VV RVG, die im Unterabschnitt 1 zu Abschnitt 1 geregelt ist und die für den Bereich des Abschnittes 3 nicht gilt (Hartmann, Kostengesetze, 38. Aufl., Rn. 2 zu Nr. 4100/4101 VV RVG), für die Einarbeitung in die Sache vorgesehen.

Weder der Wortlaut der Vorbemerkung 4 Abs.1 zu Teil 4 VV RVG noch Sinn und Zweck der herangezogenen Vorschrift stehen somit der hier vertretenen entsprechenden Anwendung auf den nach § 68 b StPO beigeordneten Rechtsanwalt entgegen.

Die Subsidiaritätsklausel des Absatzes 1 der Vorbemerkung zu Teil 4 Abschnitt 3 (Einzeltätigkeiten) VV RVG, nach der die Gebühren des Abschnittes 3 nur entstehen, wenn dem Rechtsanwalt nicht die Verteidigung oder Vertretung übertragen ist, greift hier nicht ein, weil dem Erinnerungsführer eine umfassende Vertretung des Zeugen für das gesamte Verfahren, wie etwa beim Verletztenbeistand oder möglicherweise beim gewählten Beistand, jedenfalls vom beiordnenden Gericht nicht übertragen wurde.

Ob in bestimmten Fällen, in denen zwar nicht nach dem engen, vom Wortlaut des § 68 b StPO vorgegebenen Beiordnungsbeschluss, aber nach Art der übertragenen und tatsächlich ausgeübten Tätigkeit des Beistandes von einer faktisch umfassenden Vertretung des Zeugen mit der Folge der Verneinung einer bloßen Einzeltätigkeit gesprochen werden kann, muss der Senat hier nicht abschließend entscheiden. Zu denken wäre etwa an den Rechtsanwalt, der einem im Zeugenschutzprogramm lebenden sog. Kronzeugen, der im selben Sachverhaltskomplex immer wieder von Strafverfolgungsbehörden und Gerichten vernommen wird, beigeordnet ist. Denn dessen Tätigkeit ist erfahrungsgemäß weit über die Vernehmungstermine hinaus durch die begleitende Betreuung und die - auch organisatorische - Vorbereitung und Besprechung der Vernehmungen geprägt. Da die von der Vorbemerkung 4 Abs.1 zu Teil 4 VV RVG geforderte entsprechende Anwendung der Vorschriften sich nach der Ansicht des Senats auf alle Vorschriften des 4. Teiles erstreckt, ist auch die Heranziehung der Gebührenvorschriften des 1. Abschnitts grundsätzlich möglich. Eine entsprechende Anwendung der Gebührenvorschriften des 4. Teiles muss sich nach der erfolgten Beiordnung und der erbrachten Tätigkeit richten.

Schließlich stehen der hier vertretenen Auffassung auch die insoweit nicht eindeutigen Gesetzesmaterialien zu Teil 4 VV RVG (Begründung im Gesetzentwurf KostRModG, BT-Drucks. 15/1971, S. 219 f.), auf die sich die oben zu 1. a) zitierte Ansicht überwiegend stützt, nicht entgegen. Allerdings spricht die Entwurfsbegründung davon, dass der Beistand für einen Zeugen die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhalten soll, weshalb auch die in § 95 BRAGO bisher vorgesehene Begrenzung auf die Hälfte der Gebühren für den Beistand oder Vertreter des Verletzten entfalle. Gleichwohl wird aber zugleich ausgeführt, dass nach Abs.1 der Vorbemerkung zu Teil 4 die Vorschriften dieses Teiles, also nicht nur die des 1. Abschnittes, entsprechend anwendbar sein sollen. Allein aus dem Wort Verteidiger die Konsequenz zu ziehen, dass die Vorschriften des 3. Abschnittes auch dann nicht anwendbar sein sollen, wenn der Zeugenbeistand ohne Übertragung der vollen Vertretung des Zeugen nur in einer Einzeltätigkeit i.S. dieses Abschnittes tätig wird, erscheint eher fernliegend. Dies wäre auch mit der weiteren Ausführung in der Entwurfsbegründung nicht vereinbar, dass die Gleichstellung mit dem Verteidiger deshalb sachgerecht sei, weil die Gebührenrahmen ausreichenden Spielraum bieten, dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwaltes Rechnung zu tragen. Demnach soll auch nach der Intention des Gesetzgebers, der offenbar den gewählten Zeugenbeistand im Auge hatte, da es für den beigeordneten Rechtsanwalt keinen Gebührenrahmen gibt, die Vergütung sich an der erbrachten Leistung orientieren. Dem würde es gerade nicht entsprechen, wenn der nach § 68 b StPO beigeordnete Rechtsanwalt stets, auch wenn er nur für kurze Zeit und mit überschaubarem Aufwand tätig war, dieselben Gebühren erhielte wie ein die Last der Verteidigung im gesamten Verfahren tragender Rechtsanwalt (vgl. zum Vorstehenden OLG Oldenburg, B.v. 21.3.2007 a.a.O.; KG Berlin, B.v. 18.1.2007 a.a.O.; OLG Zweibrücken, B.v.19.2.2008 a.a.O.; OLG Bamberg, B.v. 14.4.2008 a.a.O.).

Soweit die Vergütung des nach § 68 b StPO beigeordneten Zeugenbeistandes mit einer Verfahrensgebühr nach Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG im Einzelfall, z.B. wegen langer Vernehmungsdauer oder aufwendiger Vorbereitung, dem von ihm erbrachten Zeit- und Arbeitsaufwand nicht gerecht wird und sich als unzumutbar darstellt, kann der Rechtsanwalt eine Pauschgebühr nach § 51 Abs.1 Satz 1 RVG beanspruchen.

In vorliegender Sache sind solche Umstände - ungeachtet des Fehlens eines Antrages nach § 51 RVG - nicht ersichtlich.

3. Somit hat die Rechtspflegerin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zutreffend lediglich eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4301 Ziffer 4 VV RVG im Betrag von 168 EUR angesetzt. Da auch die Auslagen und die Mehrwertsteuer richtig berechnet worden sind, verbleibt es bei der festgesetzten Vergütung von 429,59 EUR.






OLG Stuttgart:
Beschluss v. 30.05.2008
Az: 5 - 2 StE 2/05


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