Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 19. Dezember 2005
Aktenzeichen: 1 L 1586/05

(VG Köln: Beschluss v. 19.12.2005, Az.: 1 L 1586/05)

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin. Der Streitwert wird auf 25.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag,

im Wege der einstweiligen Anordnung die Antragsgegnerin zu verpflich- ten, die von der Antragstellerin mit Schreiben vom 17./23.02.2005 - Anlage 1 (Preisliste) - für die Überlassung des Zugangs zur Teilnehmeranschlusslei- tung und den Zugang am Kabelverzweiger in den Varianten CuDA 2Dr und CuDA 2DR hochbitratig hilfsweise beantragten monatlichen Überlassungs- entgelte i.H.v. 11,22 EUR bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Kla- ge der Antragstellerin (1 K 3138/05) vorläufig zu genehmigen,

ist zulässig, aber unbegründet.

Der Antrag ist statthaft. Zwar sieht § 35 Abs. 5 S. 2 TKG im Verfahren nach § 123 VwGO die Anordnung der vorläufigen Zahlung eines beantragten höheren Entgeltes durch das Gericht selbst vor, wenn überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Anspruch auf die Genehmigung des höheren Entgeltes besteht. Die Kammer legt die Bestimmung jedoch - entgegen ihrer Entscheidung vom 18.05.2005 im Verfahren 1 L 3263/04, an der sie nicht weiter festhält - einschränkend dahingehend aus, dass keine Anordnung einer Zahlung durch das Gericht selbst erfolgen darf, sondern lediglich eine Verpflichtung der Regu- lierungsbehörde zur Erteilung einer vorläufigen höheren Entgeltgenehmigung in Be- tracht kommt. Zur weiteren Begründung dieser Interpretation der Vorschrift wird auf die den Beteiligten bekannten Ausführungen im Beschluss vom 31.10.2005 im vor- liegenden Verfahren verwiesen, mit dem Beiladungsanträge mehrerer Wettbewerber der Antragstellerin abgelehnt worden sind.

Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf Genehmigung des geforderten höheren Entgeltes zusteht. Von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ist dann auszugehen, wenn eine höhe- re Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines derartigen Anspruchs spricht, als für das Nichtbestehen des Anspruchs.

Vgl. hierzu Beschluss der Kammer vom 18.05.2005 - 1 L 3263/04 -.

Das Bestehen eines Anspruchs der Antragstellerin auf Genehmigung des von ihr beanspruchten höheren monatlichen Entgeltes für die Überlassung des Zugangs zur Teilnehmeranschlussleitung in Höhe von 11,22 EUR (statt der genehmigten 10,64 EUR) ist nicht wahrscheinlicher als das Nichtbestehen dieses Anspruchs. Es ist viel- mehr offen, ob ein derartiger Anspruch besteht. Die Antragstellerin hat zur Begründung des Anspruchs auf Genehmigung des ge- nannten höheren Entgeltes ausschließlich geltend gemacht, dass die Regulierungs- behörde in ihrem Bescheid vom 28.04.2005 bei der Berechnung des kalkulatorischen Zinssatzes zu Unrecht eine Eigenkapitalrendite von 18,45 % vor Steuern zugrunde- gelegt habe. Richtigerweise müsse von einer Eigenkapitalrendite von 21,19% aus- gegangen werden. Letzteres zugrundegelegt, ergibt sich bei einem Eigenkapitalanteil von 35,19%, einem Fremdkapitalanteil von 39,73% und einer Fremdkapitalrendite von 4,63%, die sämtlich zwischen den Beteiligten nicht umstritten sind, ein nominaler kalkulatorischer Zinssatz von

21,19% (statt 18,45%) x 35,19% + 4,63% x 39,73% = 9,29% (statt 8,35%).

Bei Ansatz dieses korrigierten Zinssatzes aufgrund der auf Seite 13 der Antrags- schrift dargestellten unstreitigen Annuitätenformel ergeben sich Kapitalkosten je Teil- nehmeranschlussleitung von 87,27 EUR jährlich bzw. 7,27 EUR (statt 6,75 EUR) monatlich. Bei Hinzurechnung der monatlichen Miet- und Betriebkosten (1,58 EUR), Einzelkosten Entstörung (0,51 EUR), Kosten für Fakturierung (0,73 EUR) und Einzelkosten Produktmanagement (0,06 EUR), die vorliegend ebenfalls unstreitig sind, belaufen sich die monatlichen Einzelkosten auf 10,15 EUR, woraus sich bei Beaufschlagung dieses Betrages mit dem von der Regulierungsbehörde zugrundegelegten Gemeinkostenanteil von 11,11% ein Gesamtkostenbetrag je Teilnehmeranschlussleitung (CuDA 2Dr) von 11,22 EUR monatlich ergibt, der dem nach Auffassung der Antragstellerin zu genehmigenden Entgelt entspricht.

Indes ist nach Auffassung der Kammer nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin einen Anspruch auf Zugrundelegung einer Eigenkapitalrendite von 21,19% oder einer über 18,45% hinausgehenden Eigenkapitalrendite hat.

Nach § 35 Abs. 3 TKG sind Entgelte, die - wie hier - der Genehmigungspflicht nach 30 Abs. 1 S. 1 TKG unterliegen, genehmigungsfähig, wenn sie den Anforderungen der §§ 28 und 31 TKG entsprechen und keine Versagungsgründe nach Satz 2 oder 3 vorliegen. Zu den nach § 31 Abs. 1 S. 1 TKG maßgeblichen Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung gehört nach § 31 Abs. 2 S. 1 TKG u.a. auch eine angemessene Verzinsung des eingesetzten Kapitals. Bei der Festlegung der angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals hat die Regulierungsbehörde gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 1 bis 4 TKG insbesondere zu berücksichtigen

- die Kapitalstruktur des regulierten Unternehmens (Nr. 1),

- die Verhältnisse auf den nationalen und internationalen Kapitalmärkten und die Bewertung des regulierten Unternehmens auf diesen Märkten (Nr. 2),

- die Erfordernisse hinsichtlich der Rendite für das eingesetzte Eigenkapital, wobei auch die leistungsspezifischen Risiken des eingesetzten Eigenkapitals gewürdigt werden können (Nr. 3) und

- die langfristige Stabilität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, auch im Hinblick auf die Wettbewerbssituation auf den Telekommunikationsmärkten (Nr. 4).

Ob der Regulierungsbehörde bei der Bestimmung des "angemessenen" Zinses dar- über hinaus ein Beurteilungsfreiraum zusteht, wie die Kammer dies bei der Festle- gung des kalkulatorischen Zinssatzes nach dem TKG a.F. bzw. § 3 Abs. 2 TEntgV angenommen hat,

vgl. Urteil vom 13.02.2003 - 1 K 8003/98 -,

kann im vorliegenden, auf summarische Überprüfung gerichteten Verfahren nicht abschließend entschieden werden. Allerdings spricht viel für einen derartigen Beur- teilungsspielraum. Zunächst entspricht § 31 Abs. 2 TKG wörtlich der bisherigen Kos- tenbestimmung in § 3 Abs. 2 TEntgV, weshalb die Übertragbarkeit der zu dieser Be- stimmung ergangenen Rechtssprechung der Kammer naheliegend erscheint. Soweit der Regulierungsbehörde in § 31 Abs. 4 TKG nunmehr ausdrücklich die Berücksich- tigung verschiedener Kriterien auferlegt worden ist, steht dies der Annahme eines Beurteilungsspielraumes nicht entgegen. Vielmehr sprechen Entstehungsgeschichte und Wortlaut des § 31 Abs. 4 TKG gerade dafür, dass der Gesetzgeber der Regulie- rungsbehörde bei der Bestimmung der angemessenen Verzinsung kein fest umris- senes, abschließendes Prüfungsprogramm auferlegen, sondern ihr einen Entschei- dungsfreiraum einräumen wollte. Während in § 29 Abs. 4 des Gesetzesentwurfes (dem späteren § 31 Abs. 4 TKG) ursprünglich die Formulierung enthalten war, bei der Festlegung der angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals "prüft die Regulierungsbehörde..." (die unter § 29 Abs. 4 Nr. 1 bis 4 des Entwurfes des TKG aufgeführten Gesichtspunkte),

vgl. hierzu Deutscher Bundestag, Drucksache 15/2316, S. 17

wurde diese Formulierung auf Empfehlung des Vermittlungsausschusses,

vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 15/3063, Anlage S. 2,

durch den jetzigen Wortlaut, "berücksichtigt die Regulierungsbehörde insbesondere" ersetzt, der die Existenz eines außerhalb der in § 31 Abs. 4 Nr. 1 bis 4 TKG genannten Prüfungspunkte liegenden Entscheidungsspielraumes voraussetzt. Dass dies auch der gesetzgeberischen Intention entsprach, wird durch die Ausführungen unter Ziffer 8 des Ergebnisprotokolls der Sitzung der "Arbeitsgruppe Vermittlungsausschuss TKG" vom 03.05.2004 ausdrücklich bestätigt, in der es u.a. heißt, durch die Einfügung des Wortes "insbesondere" werde der Entscheidungsspielraum der RegTP vergrößert. Schließlich spricht auch der Umstand, dass der Regulierungsbehörde in § 31 Abs. 4 Nr. 1 bis 4 TKG seinem Sinn und Zweck nach abverlangt wird, teilweise gegenläufige Kriterien - z.B die Bewertung des regulierten Unternehmens auf den Kapitalmärkten (Nr. 2) und die Berücksichtigung der leistungsspezifischen Risiken bei der Eigenkapi- talrenditebestimmung (Nr. 3) einerseits und die langfristige Stabilität der wirtschaftli- chen Rahmenbedingungen (Nr. 4) andererseits - abwägend in Ausgleich zu bringen, für die Existenz eines Beurteilungsspielraumes.

Hiervon ausgehend muss der Antrag ohne Erfolg bleiben. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist im vorliegenden Eilverfahren nicht abklärbar und daher offen, ob die Regulierungsbehörde die Grenzen des ihr eingeräumten Beurteilungsspielraumes bei der Festlegung der Eigenkapitalrendite (auf 18,45%) überschritten hat. Erst recht ist deshalb eine Reduzierung des Beurteilungsspielraumes der Regulierungsbehörde "auf Null" dahingehend, dass die Regulierungsbehörde verpflichtet wäre, bei der Bestimmung des kalkulatorischen Zinssatzes eine Eigenkapitalrendite von 21,19% oder von mehr als 18,45% zugrundezulegen, nicht überwiegend wahrscheinlich.

Bei der Überprüfung der Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraumes legt die Kammer die im Urteil vom 13.02.2003 im Verfahren 1 K 8003/98 genannten Grenzziehungskriterien zugrunde, wonach vom Verwaltungsgericht lediglich über- prüft werden kann, ob die Regulierungsbehörde

- etwaige Verfahrensbestimmungen eingehalten hat,

- von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist,

- sich an allgemeingültige Bewertungsgrundsätze und -maßstäbe gehalten hat,

- bei ihrer Entscheidung die Renditeerwartungen des Marktbeherrschers einer- seits und das Interesse an der baldigen Herstellung eines funktionsfähigen Wettbewerbs nicht krass fehlgewichtet hat,

- objektive Kriterien angelegt und das Willkürverbot nicht verletzt hat,

- schließlich die Beurteilung ausreichend begründet hat.

Ob die Regulierungsbehörde bei der Bestimmung der Eigenkapitalrendite diese Vorgaben eingehalten hat, kann im vorliegenden Eilverfahren nicht eindeutig entschieden werden. Die Antragstellerin hat einen Verstoß gegen allgemeine Bewertungsmaßstäbe bzw. das Willkürverbot gerügt. Sie hat, ausgehend von der von der Regulierungsbehörde vorgenommenen Ermittlung der Eigenkapitalkosten, anhand historischer Kapital- marktdaten, d.h. anhand einer Betrachtung der DAX-Renditen der letzten 49 Jahre, beanstandet, dass die Regulierungsbehörde bei der Bestimmung der Eigenkapital- rendite (von 18,45% vor Steuern) nicht das arithmetische Mittel der nominalen Rendi- te des Portefeuilles aller Aktien der letzten 49 Jahre (vor Einkommensteuern) in Hö- he von 12,96%, sondern den Durchschnitt zwischen arithmetischem und geometri- schem Mittel in Höhe von 9,6%, also einen Wert von ((12,96 + 9,6) : 2=) 11,28% in die Berechnung eingestellt hat. Diese Vorgehensweise der Regulierungsbehörde - so die Antragstellerin - beruhe nicht auf wissenschaftlich fundierter Praxis bzw. be- triebswirtschaftlich anerkannten Methoden, sondern auf eigenem Gutdünken. Die Regulierungsbehörde hätte - so die Antragstellerin - statt dessen auf einen von Blume entwickelten Schätzer zurückgreifen müssen, der in der betriebswirtschaftli- chen Lehre einhellig anerkannt sei und mit dessen Hilfe das gewichtete Mittel aus arithmetischem und geometrischem Mittel der nominalen Rendite aller Aktien errech- net werde. Der hierbei verwendete Gewichtungsfaktor € bestimme, in welchem Um- fang das arithmetische und in welchem Umfang das geometrische Mittel jeweils zum Tragen komme und hänge von der Länge des Beobachtungszeitraums (Anzahl der Jahresrenditen) und dem durchschnittlichen Anlagezeitraum (Haltedauer) ab. Indem die Regulierungsbehörde den Mittelwert aus arithmetischem und geometrischem Mit- tel gebildet habe, sei sie bei Zugrundelegung des Blume-Ansatzes von einem Ge- wichtungsfaktor € = 0,5 ausgegangen. Hieraus ergebe sich bezogen auf den Beo- bachtungszeitraum von 49 Jahren unter Verwendung der Formel 16 des Gutachtens von Prof. L. , dass die Regulierungsbehörde eine durchschnittliche Haltedauer von 25 Jahren unterstellt habe. Diese Haltedauer entspreche jedoch nicht der Realität. Aus Tabelle 4 des Gutachtens ergebe sich eine mittlere Haltedauer der Aktien der E. von nur einem Jahr. Setze man diesen Wert in die Gleichung 16 des Gutachtens ein, ergebe sich ein Gewichtungsfaktor € = 1. Für diesen Wert entspreche der Blume-Schätzer jedoch exakt dem arithmetischen Mittel, d.h., das geometrische Mittel komme nicht zur Anwendung.

Aufgrund dieser Argumentation der Antragstellerin erscheint ein Verstoß gegen allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe oder gegen das Willkürverbot nicht überwie- gend wahrscheinlich. Ob ein derartiger Verstoß vorliegt, ist vielmehr offen.

Die Kammer vermag im vorliegenden, auf summarische Überprüfung beschränkten Verfahren nicht zu entscheiden, ob die Verwendung des Blume- Schätzers das in der betriebswirtschaftlichen Lehre einzig anerkannte Verfahren zur Bestimmung der Eigenkapitalrendite darstellt und die von der Regulierungsbehörde vertretene Mittelwertbildung zwischen arithmetischem und geometrischem Mittel - die nach den Ausführungen von Prof. C. auch als "Gesamtwürdigung der zur Schätzung der erwarteten Eigenkapitalrendite vertretenen Literatur" aufgefasst werden könne - wissenschaftlich schlechterdings unvertretbar ist. Diese Frage muss vielmehr im Hauptsacheverfahren - gegebenenfalls durch gerichtliche Einholung eines Sachverständigengutachtens - geklärt werden.

Darüber hinaus erscheint zweifelhaft, ob die von der Antragstellerin bzw. ihrem Gutachter auf der Grundlage des Blume-Ansatzes angenommene durchschnittliche Haltedauer von nur einem Jahr der vorliegend in Rede stehenden Renditeberechnung im Rahmen einer Entgeltregulierung ohne weiteres zugrundegelegt werden kann. Insoweit hat die Antragsgegnerin in der Antragserwiderung zu Recht ausgeführt, dass in die so ermittelte durchschnittliche Haltedauer auch das Verhalten von Maklern und Spekulanten einfließt, die ihre Aktien oft nur wenige Tage oder gar Stunden halten und dass dieses Verhalten nicht Anknüpfungspunkt für Entgeltgenehmigungen sein kann, für deren Erteilung angesichts der gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 4 TKG auch mit zu berücksichtigenden langfristigen Stabilität der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wohl eher auf die Renditeerwartungen langfristiger Kapitalanleger abzustellen sein dürfte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG, wobei die Hälfte des in Hauptsacheverfahren auf Erteilung einer Entgeltgenehmigung nach der Rechtsprechung der Kammer anzusetzenden Wertes zugrundegelegt worden ist.

Dieser Beschluss ist nach § 137 Abs. 3 S. 1 TKG unanfechtbar.






VG Köln:
Beschluss v. 19.12.2005
Az: 1 L 1586/05


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