Bundespatentgericht:
Urteil vom 14. Januar 2003
Aktenzeichen: 3 Ni 28/01

(BPatG: Urteil v. 14.01.2003, Az.: 3 Ni 28/01)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 24. August 1994 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 4337777 vom 5. November 1993 angemeldeten und mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in der Verfahrenssprache Deutsch erteilten europäischen Patents 0 652 187 (Streitpatent). Das Streitpatent betrifft einen Putzmörtel mit hoher Wärmedämmfähigkeit und umfasst 8 Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet:

1. Putzmörtel mit hoher Wärmedämmfähigkeit, insbesondere als Trockenmörtel für das maschinelle Fördern und/ oder Putzen auf der Basis von Schaumglasgranulat, gekennzeichnet durch folgende Zusammensetzung von Ausgangsstoffen in Gew.-% bezogen auf deren Trocken-Gesamtgewicht:

-25 bis 55 Gew.-% Schaumglasgranulat, -10 bis 25 Gew.-% Kalkhydrat, -15 bis 50 Gew.-% hydraulisch erhärtende Bindemittel, zuzüglich weiterer mineralischer Zuschlagsstoffe und chemischer Zusatzmittel zur Erreichung der gewünschten Verund Bearbeitbarkeit, zur Plastifizierung, zur Einstellung des Wasserrückhaltevermögens, zur Sicherstellung der Thixotropie und/oder Hydrophobierung.

Wegen des Wortlaut der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Zur Begründung bezieht sich die Klägerin auf folgende Dokumente:

NK1 EP0144965B1, NK2 DE2221678A1, NK3 FR2307092A1, NK4 DE3930458C2, NK 5 "Schall.Wärme.Feuchte", 1979, Seiten 176, 177, NK 6 "Stahlleichtbeton", 1972, Seite 173, NK 7 "Römpp Chemie Lexikon", Bd 1, 1989, Seiten 555 bis 557, NK 8 "So macht man guten Putz", 1955, Seiten 6, 7, 20, 21, 22, 24, NK9 DE2016677A1, NK10 DE2121390A1, NK11 FR2573419A1, NK12 EP0490813A1, NK 13 DIN 18 550, Teil 1 und Teil 2, Januar 1985.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 652 187 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Sie tritt dem Vorbringen entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet, denn der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit liegt nicht vor (Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG iVm Art 138 Abs 1 lit a, Art 52, 56 EPÜ).

I.

1. Das Streitpatent betrifft einen Putzmörtel mit hoher Wärmedämmfähigkeit, der insbesondere als Trockenmörtel für das maschinelle Fördern und/oder Putzen ausgelegt ist.

Nach den Angaben der Streitpatentschrift ist ein derartiger Putzmörtel mit einem Gewichtsanteil von 8 bis 20 % Schaumglasgranulat in der Trockenmörtelmischung aus der EP 0 144 965 B1 bekannt (Streitpatentschrift Sp 1 Z 7 bis 11). Durch die Verwendung von Schaumglasgranulat werde eine Vielzahl von Vorteilen erreicht, wie zB eine hohe Förderwilligkeit des Mörtels im trockenen wie im nassen Zustand, keine Entmischung des Trockenmörtels beim Massentransport, eine verbesserte Ergiebigkeit sowie gegenüber herkömmlichen maschinenverarbeitbaren Mörteln höhere Dämmwerte und bessere Temperaturdehnwerte. Ungeachtet dieser Vorteile sei der bekannte Putzmörtel insbesondere hinsichtlich seiner Wärmedämmeigenschaften noch verbesserungsbedürftig (Streitpatentschrift Sp 1 Z 11 bis 21).

2.

Vor diesem Hintergrund ist es Aufgabe des Streitpatents, eine Putzmörtelzusammensetzung anzugeben, deren Wärmedämmeigenschaften unter Beibehaltung der schaumglasgranulatbedingten Vorteile verbessert werden (Streitpatentschrift Sp 1 Z 22 bis 26).

3.

Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 einen Putzmörtel mit folgender Zusammensetzung von Ausgangsstoffen in Gew.-%, bezogen auf deren Trocken-Gesamtgewicht:

1.

25 bis 55 Gew.-% Schaumglasgranulat, 2.

10 bis 25 Gew.-% Kalkhydrat, 3.

15 bis 50 Gew.-% hydraulisch erhärtende Bindemittel, 4.

weitere mineralische Zuschlagsstoffe und chemische Zusatzmittel 4.1. zur Erreichung der gewünschten Verund Bearbeitbarkeit, 4.2. zur Plastifizierung, 4.3. zur Einstellung des Wasserrückhaltevermögens, 4.4. zur Sicherstellung der Thixotropie und/oder Hydrophobierung.

II.

1.

Der Putzmörtel mit hoher Wärmedämmfestigkeit nach Anspruch 1 des Streitpatents ist neu. Da dies von der Klägerin ausdrücklich eingeräumt wird und die Überprüfung seitens des Senats zu keinem anderen Ergebnis führt, erübrigen sich Ausführungen hierzu.

2.

Der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

2.1. Die Klägerin konnte den Senat nicht davon überzeugen, dass sich der patentgemäße Putzmörtel zur Lösung der in der Streitpatentschrift angegebenen Aufgabe (vgl vorstehend unter I.2.) in naheliegender Weise aus dem durch die EP 0 144 965 B1 belegten Stand der Technik (vgl vorstehend unter I.1.) ergibt. Zwar liegen für die in der Merkmalsanalyse mit 2. bis 4. bezeichneten Merkmale Überschneidungen vor, so dass lediglich der höhere Gehalt an Schaumglasgranulat - 25 bis 55 Gew.-% gemäß erteiltem Patentanspruch gegenüber 8 bis 20 Gew.-% nach Anspruch 1 der Entgegenhaltung - ein unterscheidungskräftiges Merkmal darstellt.

Es trifft auch zu, dass der Fachmann - ein Bauphysiker, Bauchemiker, Bauingenieur, vielleicht auch Werkstoffingenieur mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung und Anwendung von Putzmörteln - von einem Austausch von Zuschlag mit dichtem Gefüge durch Zuschlag mit porigem Gefüge (Leichtzuschlag) ohne weiteres eine Erniedrigung der Trockenrohdichte und eine Erhöhung des Wärmedämmvermögens erwartet.

Dies ist aber keine hinreichend konkrete Anregung, in einem Putzmörtel gemäß der EP 0 144 965 B1 einen Gewichtsanteil an Schaumglasgranulat von 25 % oder höher in Betracht zu ziehen.

Die Entgegenhaltung schreibt in Anspruch 1 einen Gewichtsanteil von 8 bis 20 % vor, bevorzugt sind nach Anspruch 2 10 % bis 12 % in völliger Übereinstimmung mit den Ausführungsbeispielen I (11 Gew.-%) und II (12 Gew.-%). Damit wird eine vorteilhafte Zusammensetzung eines Putzmörtels geliefert, mit der traditionelle Vorbehalte der Fachwelt gegen den schwierigen und unangenehmen Werkstoff Glas durchbrochen sind (Sp 3 Z 15 bis 20). Ein Hinweis auf die Verwendung höherer Schaumglasanteile kann aus der EP 0 144 965 B1 nicht abgeleitet werden.

Um vom Putzmörtel gemäß der Entgegenhaltung zu einem Wärmedämmputz iSd DIN 18 550 Teil 1, 4.2.4.1 (mit erhöhter Wärmedämmung und einer Trockenrohdichte ² 0,6 kg/dm3) zu gelangen, muss sich der Fachmann über derartige Systeme informieren. Dabei fand aber, wie die Klägerin einräumt, der Leichtzuschlag EPS (Expandiertes Polystyrol) wegen seiner besonders geringen Dichte die stärkste Beachtung der Fachwelt. Daneben ist die Verwendung weiterer Leichtzuschläge wie Blähperlit, Blähvermiculit, Blähsilikat, poröses Calciumsilikathydrat und gekörnter Gasbeton in Gewichtsanteilen über 25 % belegt (vgl DE2221678A1 S7 Z1 bis 10; FR2307092A1 S3 Z10/11; DE3930458C2 Anspruch 1; DE 21 21 390 A1 Beispiele 1 u 2). Ein Vorbild für Schaumglasgranulat-Anteile von 25 Gew.-% oder darüber findet sich aber, wie von der Klägerin zugestanden wird, im Stand der Technik nicht.

Das Naheliegen eines höheren Schaumglas-Anteils kann auch nicht mit dem Argument begründet werden, dass seine Anwendung in größeren Mengen dem Einsatz eines sonstigen Leichtzuschlags vorzuziehen wäre, da dieser Leichtzuschlag in den Mischungen nach der EP 0 144 965 B1 bereits vorgesehen sei. Zum einen ist es (zB aus der FR 2 307 092 A1 S 3 Z 10/11 u 22 bis 24) bereits bekannt, neben geringeren Schaumglasanteilen höhere Anteile an Blähsilikat einzusetzen. Zum anderen wird in der EP 0 144 965 B1 als Zuschlag mit dichtem Gefüge ua Perlite aufgeführt (Anspruch 1), so dass sich Blähperlite als geeigneter Leichtzuschlag zum Austausch anbietet, um außer der erwünschten Erniedrigung der Rohdichte eine möglichst geringe Änderung der Rezeptur vorzunehmen.

Der Senat sieht sich in dieser Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit bestätigt durch die Lehre der DE 39 30 458 C2, in der ua das zur EP 0 144 965 B1 korrespondierende A-Dokument als einschlägiger Stand der Technik gewürdigt ist. Als Weiterentwicklung wird aber nach der DE 39 30 458 C2 keine Erhöhung des Schaumglasanteils in Betracht gezogen; vielmehr wird der Gehalt an Schaumglas als nachteilig bewertet und ein poröses Calciumsilikathydrat als Leichtzuschlag zur Erzielung geringerer Trockenrohdichten vorgeschlagen (S 2 Z 67 bis S 3 Z 25 iVm S 3 Z 52 bis 56). Somit hat die Fachwelt nicht nur gute acht Jahre (vom Veröffentlichungstag der EP 0 144 965 A bis zum Prioritätstag des Streitpatents) keine Erhöhung des Schaumglasanteils in Betracht gezogen, sondern ausweislich der DE 39 30 458 C2 die Technik in anderer Richtung entwickelt.

2.2. Auch die Zusammenschau der DIN 18 550 Teil 2 Seite 4 Tabelle 3 Zeile 7 mit DIN 18 550 Teil 1 Seite 5 4.2.4.1 kann nicht zum patentgemäßen Putzmörtel mit hoher Wärmedämmfähigkeit hinführen.

Es steht zwar außer Zweifel, dass die Trockenrohdichte für Wärmedämmputz gemäß DIN 18 550 Teil 1 aaO ausgehend von den in DIN 18 550 Teil 2 aaO angegebenen Mischungsverhältnissen (nur dann) eingestellt werden kann, wenn die Volumenanteile Sand durch gleiche Volumenanteile des unstreitig bekannten Leichtzuschlags Schaumglasgranulat in einem Umfang ersetzt werden, der in der Gesamtzusammensetzung Gewichtsanteilen des Schaumglasgranulats von deutlich über 25 % entspricht.

Die von der Klägerin dargelegte und für sich genommen schlüssige Umrechnung kann aber nicht einen Hinweis aus dem Stand der Technik ersetzen, der den Fachmann tatsächlich zu einem derartigen Austausch veranlassen könnte. Die Werte der DIN 18 550 Teil 2 Tabelle 3 gelten gemäß Fußnote 1) ausdrücklich nur für mineralische Zuschläge mit dichtem Gefüge, wie auch auf Seite 3 unter "3.2.1 Baustellenmörtel" im 3. und 4. Absatz ausgeführt ist. Die Wärmedämmputze bzw Leichtputze betreffenden Teile 3 und 4 der DIN 18 550, die dem Fachmann Informationen über die Zusammensetzung derartiger Systeme liefern könnten, sind von der Klägerin nicht als Entgegenhaltungen genannt worden. Auch im übrigen ist - wie bereits erwähnt - ein Schaumglasanteil von mehr als 20 Gew.-% in Putzmörtel eingeräumtermaßen nicht im Stand der Technik belegt.

2.3.

Der im Schriftsatz der Klägerin vom 22. Mai 2001 im einzelnen vorgetragenen, auf die NK 1 bis NK 12 gestützten und in der mündlichen Verhandlung nicht mehr vertieften Argumentation der Klägerin vermag der Senat ebenfalls nicht zu folgen.

Zusammenfassend ist hierzu festzustellen, dass Schaumglasgranulat als Leichtzuschlag entweder nur in Gewichtsanteilen bis max. 20 % (EP 0 144 965 B1 (NK 1) Anspruch 1; FR2 307092A1 (NK3) S 3 Z22 bis 24; DE3930458C2 (NK 4) S2 Z 67 bis S 3 Z 5), ohne Mengenangabe (EP 0 490 813 A1 (NK 12) Anspruch 7 iVm S 3 Z 37 bis 40) oder überhaupt nicht (DE 22 21 678 A1 (NK 2); "Schall.Wärme.Feuchte" 1979, Seiten 176/7 (NK 5); "Stahlleichtbeton" 1972, Seite 173 (NK 6); "Römpp Chemie Lexikon" Bd 1, 1989, Seiten 555 bis 557 (NK 7); "So macht man guten Putz" 1955, Seiten 6, 7, 20, 21, 22, 24 (NK 8); DE 20 16 677 A1 (NK 9); DE 21 21 390 A1 (NK 10); FR 25 73 419 A1 (NK 11)) beschrieben ist. Es fehlt somit - wie bereits ausgeführt - an einem Hinweis, andere bereits in höheren Gewichtsanteilen verwendete Leichtzuschläge durch Schaumglasgranulat zu ersetzen; die einschlägige DE 39 30 458 C2 führt vielmehr von einem derartigen Austausch weg.

3.

Die aufgrund des Sachvortrages der Parteien und des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung verbleibenden Zweifel des Senates daran, dass der Fachmann durchschnittlichen Könnens keiner erfinderischen Tätigkeit bedurfte, einen Putzmörtel gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents bereitzustellen, gehen zu Lasten der Klägerin (vgl Benkard 9. Aufl § 22 Rd 53).

Die abhängigen Patentansprüche 2 bis 8 haben mit dem Hauptanspruch Bestand.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 PatG iVm § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Hellebrand Dr. G. Wagner Brandt Dr. F. Feuerlein Dr. Gerster Fa






BPatG:
Urteil v. 14.01.2003
Az: 3 Ni 28/01


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