Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 25. Oktober 2001
Aktenzeichen: 4 U 95/01

(OLG Hamm: Urteil v. 25.10.2001, Az.: 4 U 95/01)

Tenor

Auf die Berufung des Antragstellers wird das am 02. Mai 2001 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Essen teilweise abgeändert.

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Essen vom 06. April 2001 wird auch insoweit aufrechterhalten, als dem Antragsgegner hierdurch aufgegeben worden ist, die nachfolgenden Werbeaussagen zu unterlassen:

2.a:

„Selen ist in Fachkreisen als der Schutzengel all unserer Körperzellen bekannt.“

2.b:

„Selen schützt Sie vor den freien Radikalen, die tagtäglich millionenfach auf unsere Zellen einwirken. Selen schützt die Zellen vor diesen Angriffen.“

2.c:

„Selen ist auch wichtig für den Sinusknoten, der wiederum Impulse ans Herz weitergibt, ist also für die Pumptätigkeit verantwortlich.“

2.d:

„Es gibt viele Wissenschaftler, die sich weit aus dem Fenster lehnen und die sagen, mit Selen wird man richtig schön gesund alt.“

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Antragsgegner vertreibt unter der Markenbezeichnung "O W" verschiedene Produkte mit Extrakten aus der Spirulinapflanze. Für diese Produkte warb der Antragsgegner am 20. Februar 2001 in einer 45minütigen Werbesendung über den Fernsehsender R.

Der Antragsteller hält zahlreiche Werbeaussagen, die der Antragsgegner bei dieser Gelegenheit über seine Produkte gemacht hat, zum Teil für irreführend und zum anderen Teil für gesetzeswidrig. Den Produkten würden gesundheitsfördernde Wirkungen beigemessen, die sich wissenschaftlich so nicht nachweisen ließen.

Das Landgericht hat durch Beschlußverfügung vom 06. April 2001 dem Antragsgegner antragsgemäß unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten, mit nachfolgenden Aussagen zu werben:

1.

für ein sogenanntes 3-teiliges Set "OW T T1 G & T" (bestehend aus Peeling für Body und Gesicht sowie Spiru ZinkTabletten)

a)

"Der menschliche Organismus kann nur Spurenelemente und Mineralien verwerten, die aus Pflanzen gewonnen werden. Unser Produkt ist reines Zink aus der Spirulinapflanze"

b)

"Wir haben auch nicht diesen Hefeverschnitt. Gerade in Reformhäusern gibt es oft Mineralien- und SpurenelementeMittel mit diesem künstlichen Zink"

2.

für einen sogenannten "OW TD" (bestehend aus Spirulina, Zink, Selen und Chrom)

a)

"Selen ist in Fachkreisen als der Schutzengel all unserer Körperzellen bekannt."

b)

"Selen schützt vor den freien Radikalen, die tagtäglich millionenfach auf unsere Zellen einwirken. Selen schützt die Zellen vor diesen Angriffen."

c)

"Selen ist auch wichtig für den Sinusknoten, der wiederum Impulse ans Herz weitergibt, ist also für die Pumptätigkeit verantwortlich"

d)

"Es gibt viele Wissenschaftler, die sagen, mit viel Selen wird man richtig schön gesund alt"

e)

"Spirulinaprodukte ... vertragen sich wunderbar. Da in Spirulina das BetaCarotin in komplett natürlicher Form vorhanden ist, gibt es da keine Schwierigkeiten, es wunderbar zu kombinieren (mit anderen BetaCarotinPräparaten). Weil es 100 % natürlich ist, gibt es keine Schwierigkeiten."

3.

für ein sogenanntes "OW T1Drink- & MDSet" (300 gr) mit Hinweisen auf dessen gewichtsreduzierende und/oder schlankmachende Wirkung, insbesondere zu werben

a)

"Übergewichtige profitieren davon"

und/oder

"Deshalb profitieren viele Übergewichtige von dem Drink"

b)

"Damit Fett dauerhaft verbrannt wird, ist LCarnitin in dem Drink mit drin"

c)

"Jede Gewichtsreduktion durchläuft drei Phasen:

1. Phase: Fettzellen werden aufgesperrt

2. Phase: Fettmoleküle kommen raus

3. Phase: Fettzellen werden in den Brennkammern verbrannt"

d)

"LCarnitin transportiert das Fett dann als "Taxi" zu den Mitronchondrien des Körpers, wo sie verbrannt werden"

e)

"Wenn LCarnitin fehlt, passiert nichts beim Fettabbau. Der Körper braucht LCarnitin als "Fetttaxi".

Auf den Widerspruch des Antragsgegners hat das Landgericht durch Urteil vom 02. Mai 2001 die Beschlußverfügung insoweit aufgehoben, als dem Antragsgegner nachfolgende Werbeaussagen verboten worden sind, und zwar für das Produkt "OW T1 D":

2 a:

Selen ist in Fachkreisen als der Schutzengel all unserer Körperzellen bekannt.

2 b:

Selen schützt Sie vor den freien Radikalen, die tagtäglich millionenfach auf unsere Zellen einwirken. Selen schützt die Zellen vor diesen Angriffen.

2 c:

Selen ist auch wichtig für den Sinusknoten, der wiederum Impulse ans Herz weitergibt, ist also für die Pumptätigkeit verantwortlich.

2 d:

Es gibt viele Wissenschaftler, die sagen, mit Selen wird man richtig schön gesund alt.

Der Antragsteller habe nicht ausreichend glaubhaft gemacht, daß in der Wissenschaft an den beschriebenen biologischen Wirkungen des Selen objektiv Zweifel geäußert würden.

Gegen dieses Urteil hat der Antragsteller form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der er das abgewiesene Verbotsbegehren weiterverfolgt.

Unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages ist der Antragsteller der Ansicht, daß auch diese Werbeaussagen i.S.d. §§ 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG, 3 UWG irreführend seien. Die vom Antragsgegner behaupteten biologischen Wirkungen des Selens seien wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert im Sinne einer als herrschend anzusehenden, gefestigten Auffassung der Fachwelt. Den Verbrauchern werde suggeriert, daß Selen eine außerordentliche Wirkung beim Schutz der Körperzellen zukomme, daß Selen die Herztätigkeit unterstütze und man bei der Einnahme von Selen richtig schön gesund bleibe und alt werde. Ausweislich der bereits erstinstanzlich vorgelegten Anlagen 8 und 15 gebe es indes insoweit keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse.

Auch hinsichtlich der Werbeaussage zu 2 d habe sich der Antragsgegner nicht in einer die Irreführung ausschließenden Weise von der behaupteten Wirkung distanziert, sondern es im Gegenteil gerade darauf angelegt, die Reputation vermeintlich wissenschaftlicher Äußerungen für seine Produkte auszunutzen.

Der Antragsteller beantragt,

unter teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Urteils die einstweilige Verfügung des Landgerichts Essen vom 06.04.2001 (Az: 44 O 43/01) auch insoweit aufrechtzuerhalten, als dem Antragsgegner hierdurch aufgegeben worden ist, die nachfolgenden Werbeaussagen zu unterlassen:

2.a:

"Selen ist in Fachkreisen als der Schutzengel all unserer Körperzellen bekannt."

2.b:

"Selen schützt Sie vor den freien Radikalen, die tagtäglich millionenfach auf unsere Zellen einwirken. Selen schützt die Zellen vor diesen Angriffen."

2.c:

"Selen ist auch wichtig für den Sinusknoten, der wiederum Impulse ans Herz weitergibt, ist also für die Pumptätigkeit verantwortlich."

2.d:

"Es gibt viele Wissenschaftler, die sich weit aus dem Fenster lehnen und die sagen, mit Selen wird man richtig schön gesund alt."

Der Antragsgegner beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages behauptet der Antragsgegner, daß die beanstandeten Werbeaussagen allgemeine biologische Wirkungen des Selen beschrieben, an denen in der Wissenschaft keine objektiven Zweifel geäußert würden. Den Mangel an gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen versuche der Antragsteller zu Unrecht aus den vorgelegten Anlagen herzuleiten. Aus der Tatsache, daß ein Aufsatz keine Äußerungen über gesicherte Erkenntnis enthalte, könne nicht geschlußfolgert werden, daß es solche Erkenntnisse nicht gebe. Auch die zweitinstanzlich vom Antragsteller vorgelegten Aufsätze belegten, daß Selen die ihm zugesprochenen positiven Funktionen erfülle. Der Antragsteller habe weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, daß Selen eine negative Auswirkung auf Herz- und Zellfunktionen haben könne.

Gründe

Die Berufung des Antragstellers ist begründet.

Es geht in der Berufungsinstanz nur noch um die Werbeaussagen für das Produkt "OW T1D" und auch insoweit nur noch um die Werbeaussagen zu a) bis d).

Die Werbeaussage zu e) hat das Landgericht bereits verboten gelassen.

Der Antragsteller erstrebt also im Ergebnis die vollständige Wiederherstellung der zunächst vom Landgericht erlassenen Beschlußverfügung. Dieses Verbotsbestreben ist berechtigt.

Die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG ist vorliegend nicht widerlegt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats kann der Gläubiger die für ihn sprechende Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG durch sein eigenes Verhalten widerlegen, wenn er mit der Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes länger als einen Monat zuwartet, nachdem er Kenntnis von dem beanstandeten Wettbewerbsverhalten erlangt hat.

Ausweislich seiner eidesstattlichen Versicherung vom 26. April 2001 (Bl. 170 d.A.) hat sich der spätere Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers, Rechtsanwalt X, die Videokassette (vgl. Hülle Bl. 174 a d.A.) über die beanstandete Werbesendung zwar schon am 03./04. März 2001 angesehen, während der Verfügungsantrag erst am 06. April 2001 bei Gericht eingegangen ist. Auf die Kenntnis des Rechtsanwalts X kommt es im vorliegenden Zusammenhang aber nicht an. Der Antragsteller braucht sich diese Kenntnis nicht als eigene Kenntnis zurechnen zu lassen. Denn Rechtsanwalt X kann nicht als Wissensvertreter des Antragstellers für den vorprozessualen Bereich angesehen werden. Zu diesem Zeitpunkt war Rechtsanwalt X noch nicht, einem Testkäufer vergleichbar, mit der Aufklärung von Wettbewerbsverstößen des Antragsgegners beauftragt. Rechtsanwalt X hatte lediglich Verdacht geschöpft und deshalb die Kassette an den Antragsteller weitergeleitet. Dort ist sie dann erst von der maßgeblichen Mitarbeiterin des Antragstellers zur Kenntnis genommen worden, und zwar erst am 09. März 2001, wie die Mitarbeiterin des Antragstellers am 03. April 2001 an Eides statt versichert hat (vgl. eidesstattliche Versicherung der IU vom 03. April 2001 Bl. 40 d.A.). Mithin hat der Antragsteller nicht länger als einen Monat zugewartet, um nach Kenntnis von den gerügten Verstößen eine einstweilige Verfügung gegen den Antragsgegner zu beantragen, so daß die Vermutung der Dringlichkeit des § 25 UWG nicht widerlegt ist.

Der Verfügungsanspruch folgt aus §§ 3 UWG, 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG. Danach ist es verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu bringen oder für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn Lebensmitteln Wirkungen, insbesondere gesundheitsbezogene Wirkungen, beigelegt werden, die ihnen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind.

Gegen dieses Werbeverbot hat der Antragsgegner mit den beanstandeten Werbeaussagen verstoßen.

Der Antragsgegner vertreibt unter der Produktbezeichnung "OW TD" Dragees als Nahrungsergänzungsmittel. Auch für solche Nahrungsergänzungsmittel gelten die lebensmittelrechtlichen Vorschriften, weil es sich auch bei ihnen um Lebensmittel handelt, § 1 LMBG. Denn sie sind dazu bestimmt, zum Zwecke der Ernährung von Menschen verzehrt zu werden.

Der Antragsgegner hat in seiner Werbung, wie sie sich in den Anträgen zu 2.a) bis 2.d) wiederfindet, diesem Nahrungsergänzungsmittel gesundheitsbezogene Wirkungen beigemessen.

Es geht um den "Schutzengel all unserer Körperzellen", den Schutz "vor den freien Radikalen", die Wichtigkeit "für den Sinusknoten, der wiederum Impulse ans Herz weitergibt" und damit "für die Pumptätigkeit verantwortlich" ist. Letztlich soll man nach der Aussage vieler Wissenschaftler mit Selen richtig schön gesund alt werden.

Der Antragsteller rügt substantiiert, daß diese Angaben irreführend sind, weil sie dem beworbenen Selen gesundheitsfördernde Wirkungen beimessen, die so, wie sie gemacht sind, fachlich als umstritten angesehen werden müssen. Der Antragsteller hat bereits in seiner Antragsschrift (vgl. Bl. 18 d.A.) im einzelnen die dem Selen beigemessenen Wirkungen bestritten und dies auch belegt. Zwar geht es in der Anlage 8 zur Antragsschrift (Bl. 55 d.A.) unter der Überschrift "Prostatakrebs" zunächst nur um die vor Krebs schützende Wirkung von Selen, die dort in Abrede gestellt wird. Es trifft zu, daß in der Werbung des Antragsgegners nicht ausdrücklich von Krebs die Rede ist, vor dem Selen schützen soll. Es ist aber immerhin von Selen als einem Schutzengel all unserer Körperzellen die Rede. Ein Schutzengel sollte aber auch vor dem krebsartigen Wuchern einer Zelle schützen können.

Mit der Anlage 15 (Bl. 192 d.A.) hat der Antragsteller einen Abschnitt über Selen aus der Referenzliste für die Nährstoffzufuhr vorgelegt. Daraus ergibt sich u.a., daß Selen zwar lebensnotwendige Funktionen erfüllt und daß es Schätzwerte über die Selenzufuhr in verschiedenen Staaten gibt, daß aber die Wirksamkeit einer die genannten Schätzwerte übersteigenden Zufuhr von Selen bei der Vorbeugung von Herzinfarkt, Krebs oder Störungen des Immunsystems noch nicht ausreichend geklärt ist. Hier geht es also auch um Krebsverhütung.

Darüber hinaus ist die Wirkung des Selen so umstritten, daß man zum Selen auf dem Hohenheimer Konsensusmeeting eine Bestandsaufnahme für notwendig gehalten hat (vgl. Anlage BB 1 zur Berufungsbegründung Bl. 327 ff. d.A.). Dort heißt es in der Vorbemerkung ausdrücklich, daß die Diskussion um gesicherte oder erwünschte bzw. propagierte Wirkungsweisen des Spurenelementes Selen zu einer zunehmenden Verunsicherung der Bevölkerung geführt habe. Um Klarheit in die widersprüchlichen Aussagen und Interpretationen zu Bedarf und Wirkungsweise von Selen zu bringen, hätten sich zehn Experten auf dem Gebiet der Selenforschung im Rahmen der Hohenheimer Konsensusgespräche getroffen.

Damit hat der Antragsteller zumindest ausreichend Zweifel daran geweckt, ob Selen tatsächlich als Schutzengel der Körperzellen gegen die freien Radikalen und als Pumphilfe für das Herz anzusehen ist.

Damit kehrt sich die Beweislast zu Lasten des Antragsgegners um, der nunmehr seinerseits darlegen und beweisen müßte, daß seine beanstandeten Werbeaussagen zu den gesundheitlichen Auswirkungen von Selen tatsächlich dem gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis entsprechen. Denn bei gesundheitsbezogenen Werbeangaben trägt ausnahmsweise der Werbende, also hier der Antragsgegner, die Beweislast dafür, daß die beworbenen Wirkungen, hier des Selen, als fachlich unumstritten angesehen werden können, sie also gesicherter Kenntnisstand der Schulmedizin sind (BGH GRUR 1991, 848 Rheuma Lind II; BGH GRUR 1971, 153 Tampax; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 22. Aufl., § 1 UWG Rdn. 28 am Ende; § 1 UWG Rdn. 178; Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., § 3 Rdn. 531, vor § 13 Rdn. 339; Pastor/Ahrens, Der Wettbewerbsprozeß, 4. Aufl., Kap. 32 Rdn. 45 ff.). Es ist nicht Sache des Antragstellers, dezidierte Darlegungen zum jeweiligen Stand der Forschung in bezug auf die beanstandeten Werbeaussagen zu machen, wenn sie gesundheitsbezogene Angaben enthalten. Denn dadurch würde die Beweislastumkehr zu Lasten des Werbenden wieder ausgehöhlt. Wenn der Antragsteller dezidiert dartun und beweisen müßte, daß die angegriffene Werbeaussage fachlich umstritten ist, stünde damit auch das Gegenteil schon fest, daß die beworbene Wirkung eben nicht Stand der Schulmedizin ist. Gerade dieser Nachweis soll dem Kläger aber abgenommen werden. Es soll vielmehr umgekehrt der Werbende dartun und beweisen müssen, daß seine angegriffene Werbeaussage zur gesundheitsbezogenen Wirkung des beworbenen Produktes Stand der Schulmedizin ist, wenn diese Werbeaussage so dezidiert wie hier getroffen worden ist. Soll die Beweislastumkehr wirklich greifen, muß es ausreichen, daß der Kläger allgemein dartut, daß auf dem in Rede stehenden Gebiet noch wissenschaftlicher Klärungsbedarf besteht. Das hat der Antragsteller hier neben den oben angeführten weiteren Belegstellen vor allen Dingen durch den Bericht über die Hohenheimer Konsensusgespräche getan, wo der Streit und die Unsicherheiten über die Wirkungsweise von Selen gerade Anlaß zu einer Tagung gewesen ist. Auch wenn diese Tagung bereits Ende 1995 stattgefunden hat, so hat der Antragsgegner jedenfalls nicht dargetan, daß der dort dokumentierte Streitstand inzwischen überholt ist und sich eine wissenschaftlich gesicherte Erkenntnis über die Wirkungsweise von Selen gebildet hätte, die die beanstandeten Werbeaussagen des Antragsgegners rechtfertigen würde. Dem Antragsgegner ist es nicht gelungen, durch entsprechende wissenschaftliche Belege darzutun, daß seine beanstandeten Werbeaussagen inzwischen Allgemeingut wissenschaftlicher Erkenntnis sind und damit dem Verbraucher hinsichtlich der Wirkungsweise von Selen nichts vorgespiegelt wird, was sich in dieser apodiktischen Form nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand so nicht halten läßt. Damit ist der Antragsgegner beweisfällig geblieben, so daß zugunsten des Antragstellers die beanstandeten Werbeaussagen als irreführend anzusehen sind.

Dem Antragsgegner wird mit dieser Beweisführungslast auch nichts unmögliches abverlangt. Denn er hätte sich ohnehin vorher vergewissern müssen, ob seine Werbeaussagen vor allem in dieser apodiktischen Form dem gegenwärtigen Stand wissenschaftlicher Erkenntnis entsprechen. Denn die beanstandeten Werbeaussagen sind so gefaßt, daß die beschriebene Wirkungsweise von Selen für den angesprochenen Verkehr außer Zweifel gestellt wird. Ob wirklich keine Zweifel an der beschriebenen Wirkungsweise angebracht sind, hätte der Antragsgegner vorher klären müssen, bevor er sein Produkt in der beanstandeten Weise bewarb.

Soweit der Antragsteller sein Verbotsbegehren zu 2.d) im Senatstermin modifiziert hat, liegt lediglich eine Anpassung des Verbotsantrages an die konkrete Verletzungshandlung vor, ohne daß darin eine Änderung des Verbotsbegehrens zu sehen ist.

Auch dieses Verbotsbegehren ist berechtigt. Der Antragsgegner mag durch seine Bezugnahme auf die Aussagen von Wissenschaftlern, die sich mit dieser Aussage weit aus dem Fenster lehnen, zwar zum Ausdruck gebracht haben, daß er diese Aussage für mutig hält. Nichts desto trotz hält er diese Aussage aber gleichwohl für richtig und macht sie sich auch zu eigen. Denn er will auch mit dieser Aussage sein Produkt in ein positives Licht stellen. Es fehlt an jedem Anhaltspunkt in der beanstandeten Werbeaussage, daß sich der Antragsgegner von dieser Meinung der Wissenschaftler distanzieren will. Damit trifft ihn auch insoweit die Beweislast, daß es tatsächlich Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis ist, daß man mit Selen richtig schön gesund alt wird. Auch diese gesundheitsfördernde Wirkung von Selen bis ins hohe Alter hinein hat der Antragsgegner aber nicht als gesicherte Erkenntnis belegen können.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 711, 713 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 25.10.2001
Az: 4 U 95/01


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