Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. April 2007
Aktenzeichen: 23 W (pat) 337/03

(BPatG: Beschluss v. 17.04.2007, Az.: 23 W (pat) 337/03)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I Das Patent 44 22 113 (Streitpatent) der Patentinhaberin wurde am 24. Juni 1994 beim Deutschen Patent- und Markenamt mit der Bezeichnung "Elektronikmodul" angemeldet. Die Prüfungsstelle für Klasse H 05 K des Deutschen Patent- und Markenamts hat unter Berücksichtigung des Standes der Technik gemäß den Druckschriften aus dem Recherchebericht vom 27. September 1994 und dem von der Anmelderin selbst genannten Stand der Technik das Streitpatent mit Beschluss vom 18. März 2003 erteilt. Die Patenterteilung wurde am 31. Juli 2003 veröffentlicht.

Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2003, per Fax am gleichen Tag eingegangen, hat die Einsprechende Einspruch erhoben und beantragt, das Patent nach § 21 PatG in vollem Umfang zu widerrufen.

Sie stützt ihr Widerrufbegehren auf die Druckschriften D1 DE 42 12 369 A1, D2 DE 40 37 603 A1, D3 DE 38 41 893 A1, D4 DE 33 10 477 A1 aus dem Prüfungsverfahren sowie auf die weiteren Druckschriften D5 DE 38 33 146 C2 und D6 DE 39 06 973 A1.

Die Einsprechende trägt u. a. vor, dass das Elektronikmodul nach dem erteilten Patentanspruch 1 gegenüber der Druckschrift D4 nicht neu sei.

Die Patentinhaberin tritt mit ihrem Schriftsatz vom 12. Mai 2004 dem Widerrufsbegehren der Einsprechenden in allen Punkten entgegen.

In der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2007 verteidigt die Patentinhaberin ihr Streitpatent in der erteilten Fassung, hilfsweise mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2007 übergebenen Patentanspruch 1 (Hilfsantrag 1) und weiter hilfsweise mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2007 übergebenen weiteren Patentanspruch 1 (Hilfsantrag 2) und vertritt die Auffassung, dass im von der Einsprechenden herangezogenen Stand der Technik ein Deckel des Elektronikmoduls im Sinne des Streitpatents nicht offenbart sei.

Die Einsprechende vertritt nach wie vor die Auffassung, dass die Entgegenhaltung D4 neuheitsschädlich für die Elektromodule der jeweiligen Patentansprüche 1 nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 sei und beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2007 übergebenen Anspruch 1 (Hilfsantrag 1) und weiter hilfsweise mit dem in der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2007 übergebenen weiteren Anspruch 1 (Hilfsantrag 2) jeweils mit den weiteren Ansprüchen und den weiteren Unterlagen gemäß Patentschrift aufrechtzuerhalten.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag hat nachfolgenden Wortlaut:

"Elektronikmodul mit einem Gehäusetopf (1) zur Aufnahme mindestens einer mit Bauteilen bestückten Leiterplatte (4) und einem Deckel (5), mit folgenden Merkmalen:

a) der Gehäusetopf (1) ist als einseitig offen gestalteter, quaderförmiger Hohlkörper ausgebildet, b) der Deckel (5) ist mit der Leiterplatte (4) an deren deckelseitigem Randabschnitt (13) verbunden, dadurch gekennzeichnet, dass der Deckel (5) nicht über die Lötseite (18) der Leiterplatte (4) hinausragt."

Der einteilig gefasste Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 unterscheidet sich inhaltlich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass im Merkmal b) das Wort "verbunden" durch das Wort "befestigt" ersetzt wurde.

Der einteilig gefasste Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 unterscheidet sich inhaltlich vom Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass im Merkmal b) das Wort "verbunden" durch die Worte "mittels Verbindungselementen (14) befestigt" ersetzt wurde.

Bezüglich der jeweiligen Unteransprüche 2 bis 5 nach dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 wird auf die Patentschrift und bezüglich weiterer Einzelheiten auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1) Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch ergibt sich aus § 147 Abs. 3 Satz 1 Br 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 gültigen Fassung. Danach ist nicht das Patentamt, sondern das Patentgericht zuständig, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist. Diese befristete Regelung ist nach Ablauf von insgesamt 4 Jahren und 6 Monaten zum 1. Juli 2006 ohne weitere Verlängerung ausgelaufen, so dass ab 1. Juli 2006 die Zuständigkeit für die Entscheidung in den Einspruchsverfahren wieder auf das Patentamt zurückverlagert wurde. Das Bundespatentgericht bleibt gleichwohl für die in dem bezeichneten befristeten Zeitraum durch § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG zugewiesenen Einspruchsverfahren weiterhin zuständig, weil der Gesetzgeber eine anderweitige Zuständigkeit für diese Verfahren nicht ausdrücklich festgelegt hat und deshalb der allgemeine Rechtsgrundsatz der "perpetuatio fori" (analog § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO und analog § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) zum tragen kommt, wonach eine einmal begründete Zuständigkeit grundsätzlich bestehen bleibt (siehe die zur Veröffentlichung vorgesehene Senatsentscheidung 23 W (pat) 327/04 vom 19. Oktober 2006, "Rundsteckverbinder" zur Frage der fortdauernden Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die durch § 147 Abs. 3 PatG zugewiesenen Einpruchsverfahren).

2) Die Zulässigkeit des Einspruchs ist zwar nicht angegriffen worden, jedoch ist diese vom Patentamt und Patentgericht in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu prüfen, vgl. Schulte, PatG, 7. Auflage, § 59 Rdn. 22 und 145.

Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist zulässig, weil der Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit des § 21 PatG, insbesondere der mangelnden Neuheit, genannt ist (§ 59 Abs. 1 Satz 3 PatG) und die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im Einzelnen angegeben sind (§ 59 Abs. 1 Satz 4 PatG), da in der zugehörigen Begründung ein konkreter Bezug der einzelnen Merkmale des erteilten Patentanspruchs 1 zum Stand der Technik gemäß der Druckschrift D4 hergestellt wurde.

3) Ausweislich der geltenden Beschreibungseinleitung betrifft das vorliegende Patent ein Elektronikmodul gemäß dem Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs 1, wie dieses in dem von der Anmelderin genannten Stand der Technik offenbart ist.

Bei dem vorbekannten Elektronikmodul tritt jedoch das Problem auf, dass zu seiner Fertigung mehrere Verfahrensschritte erforderlich sind. In einem ersten Verfahrensschritt wird die Leiterplatte mit Bauelementen und dem Kühlelement bestückt, im zweiten Verfahrensschritt wird die bestückte Leiterplatte im Lötbad gelötet und schließlich wird in einem dritten Verfahrensschritt der Deckel an der Leiterplatte befestigt und die wärmeleitende Verbindung zwischen Kühlelement und Deckel hergestellt, vgl. die Beschreibung Abschnitt [0002].

Daher liegt der Erfindung als technisches Problem die Aufgabe zugrunde, ein Elektronikmodul der eingangs genannten Art so weiterzubilden, dass die Herstellung vereinfacht und verbilligt wird, vgl. die Beschreibung Abschnitt [0006].

Die Lösung dieses Problems ist im erteilten Patentanspruch 1 nach Hauptantrag bzw. in den jeweiligen Patentansprüchen 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 im Einzelnen angegeben, wobei es beim Hauptantrag wesentlich ist, dass der Deckel (5) nicht über die der Bestückungsseite (12) der Leiterplatte (4) gegenüberliegende Lötseite (18) der Leiterplatte hinausragt, so dass der Deckel (5) vor dem Lötvorgang zusammen mit anderen Bauteilen mit der Leiterplatte (4) verbunden und danach im Lötbad verlötet werden kann, wodurch ein gesonderter Montageschritt für das Befestigen des Deckels an der Leiterplatte nach dem Lötbad entfällt, vgl. Beschreibung Abschnitt [0008] und [0027].

Bei den Lösungen nach den jeweiligen Patentansprüchen 1 nach den Hilfsanträgen 1 und 2 kommt es zusätzlich wesentlich darauf an, dass die Verbindung von Deckel (5) und bestückter Leiterplatte (4) als Befestigung bzw. als Befestigung mittels Verbindungselementen (14) spezifiziert wird.

Abschließend muss im Zusammenhang mit der Lehre des erteilten Patentanspruchs 1 (Hauptantrag) festgehalten werden, dass aufgrund des Herstellungsverfahrens gemäß Streitpatent (vgl. Abschnitt [0008]), dem zufolge erst der Deckel (5) mit der Leiterplatte (4) verbunden und dann die auf der Lötseite (Leiterplattenunterseite 18) vorstehenden Steckeranschlüsse (15) und Bauelementanschlüsse verlötet werden, ein Deckel, der nicht über die Lötseite (18) der Leiterplatte (4) hinausragt, die Öffnung des Gehäusetopfs (1) nicht vollständig abdecken kann, vgl. Streitpatent Abschnitt [0029]. Dem entsprechend muss auch der Stand der Technik beurteilt werden.

Analoges gilt auch für die Lehren der jeweiligen Patentansprüche 1 nach den Hilfsanträgen 1 und 2.

4) Der form- und fristgerecht erhobene Einspruch ist begründet, denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2007 erweisen sich die Elektronikmodule gemäß den jeweiligen Patentansprüchen 1 nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 als nicht patentfähig.

Die Frage der ursprünglichen Offenbarung bzw: der Zulässigkeit der geltenden Patentansprüche sowie die Frage der gewerblichen Anwendbarkeit ihrer Lehren kann dahinstehen, weil - wie es sich aus den nachfolgenden Abschnitten ergibt - die Lehren der jeweiligen Patentansprüche 1 nach Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik gemäß der Druckschrift D4 auf jeden Fall nicht neu sind, vgl. BGH GRUR 1991, 120, 121 Abschnitt II. 1. - "Elastische Bandage".

Der zuständige Fachmann ist hier als ein berufserfahrener, mit der Entwicklung und Herstellung von Elektronikmodulen, umfassend einen Gehäusetopf, eine bestückten Leiterplatte und einen Deckel, betrauter Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Fachhochschulabschluss, zu definieren.

5) Das Elektronikmodul nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ist im Hinblick auf den Stand der Technik gemäß Druckschrift D4 wegen fehlender Neuheit nicht patentfähig.

Diese Druckschrift offenbart ein Elektronikmodul (elektrisches Gerät, insbesondere Schalt- und Steuergerät für Kraftfahrzeuge, Schaltgerät 10 für eine Zündanlage eines Kraftfahrzeuges / vgl. dort Anspruch 1 i. V. m. der Beschreibung Seite 5 f.) mit einem Gehäusetopf (Isolierstoffgehäuse, Gehäuse 11 / vgl. Figur 1 i. V. m. zugehöriger Beschreibung) zur Aufnahme mindestens einer mit Bauteilen (Bauelemente 15 / vgl. Figur 3 mit zugehöriger Beschreibung) bestückten Leiterplatte (14 / vgl. Figuren 2 und 3 mit zugehöriger Beschreibung) und mit einem als Deckel wirkenden Steckerkörper (12 / vgl. Figuren 2 und 3 mit zugehöriger Beschreibung), weil dieser nach den Figuren 2 und 3 fast die gesamte Öffnung des Gehäusetopfs (11) verdeckt, wobei der Gehäusetopf (11) als einseitig offen gestalteter, quaderförmiger Hohlkörper ausgebildet ist (vgl. Figur 1 i. V. m. den Schutzmaßnahmen für die Bauelemente vor Wasser und Feuchtigkeit gemäß Seite 6, le. Abs.) und wobei der Deckel (12) mit der Leiterplatte (14) an deren deckelseitigem Randabschnitt verbunden ist (Der Steckerkörper 12 trägt zwei Reihen voneinander isolierter Flachsteckzungen 13, deren innere Enden die Leiterplatte 14 bis zur Unterseite 14a durchdringen / vgl. Figur 2 mit zugehöriger Beschreibung Seite 5, Abs. 2 oben) und schließlich wobei der Deckel (12) nicht über die Lötseite (14a) der Leiterplatte (14) hinausragt (... der Steckerkörper (12) ist gegenüber der Ebene der Leiterplattenunterseite 14a zurückgesetzt, so dass dieser nicht in die von der Lötwelle erfasste Ebene hineinragt / vgl. dort Anspruch 1 i. V. m. der Beschreibung Seite 5, Abs. 2, unten).

Somit weist das Elektronikmodul nach der Entgegenhaltung D4 sämtliche Merkmale des Patentanspruchs 1 gemäß Streitpatent auf, so dass das Elektronikmodul gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht neu ist.

Im Übrigen geht die dort offenbarte Lehre von der gleichen Problematik aus wie das vorliegende Streitpatent (vgl. dort die Beschreibung Seite 3).

Dem mit Schriftsatz vom 12. Mai 2004 und in der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2007 vorgetragenen Einwand der Patentinhaberin, dass dem Deckel im Sinne des Streitpatents die kranzförmige Stirnplatte (17) des Elektronikmoduls nach Entgegenhaltung D4 entspreche, kann insofern nicht gefolgt werden, als beim Streitpatent eine Hilfsabdeckung (7) vorgesehen ist (vgl. Streitpatent Spalte 4, Abschnitt [0029]), um die aufgrund des Herstellungsverfahrens unvermeidbare Öffnung (6) zwischen der lötfähigen Seitenfläche (18) der Leiterplatte (4) und der breitflächigen Seitenwand (24) des Gehäusetopfs (1) abzudecken, so dass die Hilfsabdeckung (7) gemäß Streitpatent der kranzförmigen Stirnplatte (17) gemäß Entgegenhaltung D4 entspricht, weil diese die von dem Deckel (Steckerkörper 12) nicht verdeckten Bereiche der Öffnung abdeckt.

Daher ist das Elektronikmodul gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nicht patentfähig. Mit dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag fallen wegen der Antragsbindung auch die zugehörigen Unteransprüche 2 bis 5, vgl. BGH GRUR 1997, 120 Leitsatz - "Elektrisches Speicherheizgerät".

6) Die Elektronikmodule gemäß den jeweiligen Patentansprüchen 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 sind im Hinblick auf den Stand der Technik gemäß Druckschrift D4 ebenfalls wegen fehlender Neuheit nicht patentfähig.

So ist nach der Druckschrift D4 der Deckel (Steckerkörper 12) mit der Leiterplatte (14) an deren deckelseitigen Randabschnitt mittels Verbindungselementen (Flachsteckzungen 13 des Steckerkörpers 12) befestigt (Der Steckerkörper 12 trägt zwei Reihen voneinander isolierter Flachsteckzungen 13, deren innere Enden die Leiterplatte 14 bis auf die Unterseite 14a durchdringen und nach dem Verlöten durch Lötverbindungen 16 an der Leiterplatte 14 befestigt sind, vgl. Figur 2 mit zugehöriger Beschreibung Seite 5, Abs. 2).

Somit ist die Lehre des Patentanspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 sowie gemäß Hilfsantrag 1 durch die Druckschrift D4 neuheitsschädlich getroffen, so dass die jeweiligen Elektromodule der jeweiligen Patentansprüche 1 gemäß Hilfsantrag 1 und 2 nicht patentfähig sind. Mit den Patentansprüchen 1 der Hilfsanträge 1 und 2 fallen wegen der Antragsbindung auch die zugehörigen Unteransprüche 2 bis 5, vgl. BGH GRUR 1997, 120 Leitsatz - "Elektrisches Speicherheizgerät".

Bei dieser Sachlage musste das Streitpatent widerrufen werden.






BPatG:
Beschluss v. 17.04.2007
Az: 23 W (pat) 337/03


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