Amtsgericht Duisburg:
Beschluss vom 8. Oktober 2007
Aktenzeichen: 62 IN 32/07

(AG Duisburg: Beschluss v. 08.10.2007, Az.: 62 IN 32/07)

Ein Rechtsanwalt verstößt gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen (§ 43 a Abs. 4 BRAO), wenn er in einem Insolvenzverfahren zugleich einen Drittschuldner oder einen Interessenten für die Übernahme von Teilen der Insolvenzmasse und einen Insolvenzgläubiger vertritt. Eine in dieser Lage erteilte Stimmrechtsvollmacht des Insolvenzgläubigers für den Anwalt ist unwirksam (§§ 134, 139 BGB). Eine vorausgehende konstitutive Zurückweisung des Anwalts durch den Versammlungsleiter ist nicht erforderlich.

Ist der organschaftliche Vertreter des Schuldners zugleich Insolvenzgläubiger, so ist er wegen schwerwiegender Interessenkollision von der Teilnahme an der Abstimmung über die Wahl eines neuen Insolvenzverwalters ausgeschlossen.

Das Insolvenzgericht hat bei seiner Entscheidung über die Bestellung eines von der Gläubigerversammlung gewählten Insolvenzverwalters von Amts wege zu prüfen, ob die Wahl wirksam war.

Der Richter kann über die Bestellung des Gewählten auch dann entscheiden (§ 18 Abs. 2 RPflG, § 57 Satz 3 InsO), wenn er an der Versammlung nicht teilgenommen hat. In einem solchen Fall ist der Richter befugt, in eigener Zuständigkeit die Vorfrage zu beurteilen, ob der Wahlbeschluss wirksam zustande gekommen ist.

Tenor

Die Bestellung von Rechtsanwalt W zum Insolvenzverwalter wird abgelehnt.

Gründe

I.

Die Schuldnerin, eine GmbH & Co. KG, die zugleich Alleingesellschafterin ihrer persönlich haftenden Gesellschafterin ist, beantragte im Januar 2007 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen. Kommanditisten sind die P-AG mit einer Einlage von 25.053,31 EUR (49%) sowie C, U und E mit Einlagen von jeweils 8.691,96 EUR (17%). Das Unternehmen der Schuldnerin entwickelte, vertrieb und wartete Korrosionsschutzanlagen.

Am 1.5.2007 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der im Februar 2007 eingesetzte vorläufige Insolvenzverwalter, Rechtsanwalt A, zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser hatte bereits seit April 2007 Verhandlungen mit den Kommanditisten C, U und E geführt, weil diese ihr Interesse bekundet hatten, mit Hilfe einer von ihnen gegründeten N-GmbH i. Gr. Gegenstände des schuldnerischen Vermögens und eines Teils des Kundenstamms zu erwerben. Die Kommanditisten wurden bei diesen Verhandlungen von Rechtsanwalt T beraten und vertreten. Während der Verhandlungen kam es zu Unstimmigkeiten, deren Umfang und Intensität von den Beteiligten unterschiedlich dargestellt werden. Am 20. 6.2007 wurde der Kaufvertrag zwischen dem Insolvenzverwalter und der N-GmbH i. Gr. unterzeichnet.

Die erste Gläubigerversammlung fand am 1. 8. 2007 statt und wurde vom zuständigen Rechtspfleger geleitet. An ihr nahmen fünf Gläubiger teil, unter ihnen Rechtsanwalt T als Bevollmächtigter der Insolvenzgläubiger L und M-KG sowie der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH, G, der wenige Tage zuvor beim Verwalter persönliche Gehaltsansprüche in Höhe von 9.000,00 EUR angemeldet hatte.

In der Versammlung stellte Rechtsanwalt T den Antrag, anstelle von Rechtsanwalt A den Rechtsanwalt W zum Insolvenzverwalter zu wählen. Aus unbestrittenen Forderungen sowie aus Einigungen der Beteiligten ergaben sich sodann folgende, vom Rechtspfleger festgestellte Stimmrechte:

L 0,00 EUR M-KG 8.891,76 EUR Bundesagentur für Arbeit 59.452,76 EUR R-GmbH 163.829,81 EUR G 4.500,00 EUR

Von diesen Gläubigern stimmten für den Neuwahlantrag:

M-KG 8.891,76 EUR R-GmbH 163.829,81 EUR G 4.500,00 EUR

Gegen den Antrag stimmte

die Bundesagentur für Arbeit 59.452,76 EUR

Der Rechtspfleger stellte als Versammlungsleiter fest, "dass die für die Wahl erforderlichen Mehrheiten gemäß § 57 und § 76 Abs. 2 InsO erreicht" seien, vertagte die Versammlung und legte die Sache dem Insolvenzrichter vor. Dieser hatte sich bei Verfahrenseröffnung u.a. die Entscheidung über die Bestellung eines von der Gläubigerversammlung gewählten Insolvenzverwalters nach § 18 Abs. 2 RPflG vorbehalten.

Rechtsanwalt W hat sich auf Anfrage des Richters mit Schreiben vom 17.8.2007 für den Fall seiner Bestellung zur Übernahme des Amtes bereit erklärt. Der Richter hat den an der Abstimmung Beteiligten und dem Insolvenzverwalter Gelegenheit gegeben, sich zu den Motiven und Hintergründen des Antrags und zur Wirksamkeit der Stimmabgabe zu äußern. Sie haben mit verschiedenen Schriftsätzen Stellung genommen. Durch den Schriftsatz des Rechtsanwalts T vom 14. 8. 2007 ist dem Gericht erstmals bekannt geworden, dass dieser Anwalt auch die Kommanditisten C, U und E vertreten hatte. Der Insolvenzverwalter hat mit Schriftsatz vom 30.8.2007 die in der Versammlung zustande gekommene Einigung über das Stimmrecht des Gläubigers G wegen arglistiger Täuschung angefochten.

II.

Die Bestellung von Rechtsanwalt W zum Insolvenzverwalter ist abzulehnen, weil am 1.8.2007 ein wirksamer Beschluss der Gläubigerversammlung über seine Wahl nicht zustande gekommen ist.

A. Nach § 57 Satz 1 InsO können die Gläubiger in der ersten Gläubigerversammlung, die auf die Bestellung des Insolvenzverwalters folgt, an dessen Stelle eine andere Person wählen. Die Wahl erfolgt durch Beschluss. Die andere Person ist gewählt, wenn die stimmberechtigten Gläubiger mit Summen- und Kopfmehrheit (§ 57 Satz 2, § 76 Abs. 2 InsO) für sie gestimmt haben. Das Insolvenzgericht kann die Bestellung des Gewählten nur versagen, wenn er für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (§ 57 Satz 3 InsO).

Aus dieser gesetzlichen Regelung folgt, dass die Bestellung des Gewählten durch das Insolvenzgericht nur in Betracht kommt, wenn ein wirksamer Beschluss der Gläubigerversammlung über die Wahl des neuen Insolvenzverwalters zustande gekommen ist. Das Gericht hat deshalb bei seiner Entscheidung über die Bestellung von Amts wegen zu prüfen, ob die Wahl wirksam war (§ 5 Abs. 1 InsO). Es ist keineswegs verpflichtet, jede Verlautbarung der ersten Gläubigerversammlung, die sich dem ersten Anschein nach als Beschluss darstellt, ungeprüft als rechtlich erhebliche Wahl im Sinne des § 57 Satz 1 InsO hinzunehmen.

B. Entgegen der Annahme des Insolvenzverwalters ist die Abstimmung der Gläubigerversammlung vom 1. 8. 2007 über die Wahl eines neuen Insolvenzverwalters allerdings nicht schon deshalb unwirksam, weil die von Rechtsanwalt T vertretenen Gläubiger ihren Neuwahlantrag dem Gericht vor dem Termin nicht mitgeteilt haben. Eine solche Mitteilung sieht das Gesetz nicht vor und kann auch nicht aus sonstigen Gründen verlangt werden. In der ersten Gläubigerversammlung muss jeder Beteiligte mit einem Neuwahlantrag nach § 57 Satz 1 InsO rechnen. Die im Eröffnungsbeschluss vom 1.5.2007 bekanntgemachte Tagesordnung der Versammlung war ordnungsgemäß und reichte als Grundlage der Beschlussfassung aus.

C. Der Rechtspfleger hat jedoch das Ergebnis der Abstimmung vom 1.8.2007 unzutreffend festgestellt. Die erforderlichen Mehrheiten für die Wahl des Rechtsanwalts W zum neuen Insolvenzverwalter sind in der Versammlung nicht erreicht worden.

1. Hat der Richter sich, wie hier, bei Verfahrenseröffnung die Entscheidung über die Bestellung eines von der Gläubigerversammlung gewählten Insolvenzverwalters vorbehalten (§ 18 Abs. 2 RPflG), so ergeht seine Entscheidung gleichwohl nicht zwingend aufgrund des persönlichen Eindrucks vom Ablauf und Inhalt der Versammlung, sondern kann auch in einem ausschließlich schriftlichen Verfahren getroffen werden (vgl. § 5 Abs. 3 InsO). Ob der Richter an der Versammlung teilnimmt und zumindest die Verhandlungen zu diesem Tagesordnungspunkt leitet, steht ihm frei. Er kann den Vorbehalt auf die anschließende Entscheidung nach § 57 Satz 3 InsO beschränken und die Versammlungsleitung dem Rechtspfleger überlassen.

Zumindest in einem solchen Fall ist der Richter auch nicht uneingeschränkt an die Erklärungen gebunden, die der Rechtspfleger als Versammlungsleiter bei der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses und bei der Feststellung einer bestimmten Beschlussfassung abgegeben hat. Diese Erklärungen haben keine konstitutive rechtliche Bedeutung. Sie sind vielmehr, auch wenn sie in das Versammlungsprotokoll aufgenommen werden, nur faktische Vorgänge (vgl. MK-InsO/Ehricke, 2. Aufl. 2007, § 76 RdNr. 27; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 77 RdNr. 8). Eine Regelung über die verbindliche Feststellung von Beschlüssen durch den Versammlungsleiter, wie sie etwa das Aktienrecht für die Hauptversammlung vorsieht (§ 130 Abs. 2 AktG; vgl. Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 130 RdNr. 22 m.w.N.), kennt die Insolvenzordnung nicht. Der Richter ist deshalb im Rahmen der Entscheidung nach § 57 Satz 3 InsO nicht gehindert, die Feststellung des Abstimmungsergebnisses und der Beschlussfassung richtigzustellen, wenn dem Rechtspfleger hierbei Fehler unterlaufen sind. So kann er beispielsweise das Abstimmungsergebnis nach Köpfen korrigieren, wenn der Rechtspfleger einen Gläubiger, der mehrere Forderungen durch unterschiedliche Niederlassungen angemeldet hatte, zu Unrecht mehrfach gezählt hat.

Ebenso ist der Richter befugt, bei seiner Entscheidung nach § 57 Satz 3 InsO in eigener Zuständigkeit die Vorfrage zu beurteilen, ob ein Gläubiger im Einzelfall von der Stimmabgabe ausgeschlossen oder seine vom Rechtspfleger mitgezählte Stimme wirksam war. Zwar ist der Richter an Stimmrechtsfeststellungen durch die Einigung der Beteiligten oder durch eine gerichtliche Entscheidung (§ 77 Abs. 2 Satz 2, 3 InsO, § 18 Abs. 3 Satz 2 RPflG) gebunden. Diese Feststellungen betreffen jedoch nur das generelle Stimmrecht eines Gläubigers und dessen Höhe. Sie sagen nichts darüber aus, ob dem Gläubiger das Recht zur Stimmabgabe auch hinsichtlich eines bestimmten Beschlussthemas zusteht (vgl. MK-InsO/Ehricke, 2. Aufl. 2007, § 77 RdNr. 35; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 77 RdNr. 7). Ist ein Gläubiger von Rechts wegen von der Teilnahme an der Abstimmung zu einem einzelnen Thema ausgeschlossen, so ist seine Stimmabgabe nichtig. Diese Nichtigkeit kann auch als Vorfrage in einer späteren Entscheidung des Insolvenzgerichts geprüft und festgestellt werden. Dass die Feststellung eines anderen als des in der Versammlung bekannt gegebenen Abstimmungsergebnisses nach Beendigung der Gläubigerversammlung im Allgemeinen nur im Wege der zivilrechtlichen Klage möglich ist (vgl. Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 77 RdNr. 8), steht dem nicht entgegen. Damit ist nur gesagt, dass kein Verfahrensbeteiligter nachträglich noch eine abstrakte Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Wirksamkeit der Stimmabgabe beantragen kann. Ein Entscheidungsmonopol des Prozessgerichts besteht jedoch insoweit nicht.

2. Die Stimmabgabe im Namen der Gläubigerin M-KG durch Rechtsanwalt T ist nicht zu berücksichtigen, weil die ihr zugrunde liegende Vollmacht vom 30.7.2007 wegen Verstoßes gegen § 43a Abs. 4 BRAO nichtig ist (§§ 134, 139 BGB). Nach dieser Bestimmung darf ein Rechtsanwalt keine widerstreitenden Interessen vertreten. Dies jedoch hat Rechtsanwalt T mit der Übernahme und Erfüllung des Auftrags der Gläubigerin getan.

a) Rechtsanwalt T war, wie dem Gericht erstmals durch dessen Stellungnahme vom 14. 8. 2007 bekannt geworden ist, seit April 2007 als Rechtsberater und Vertreter der Kommanditisten C, U und E sowie der von ihnen gegründeten und geleiteten N-GmbH i. Gr. an den Verhandlungen mit dem Insolvenzverwalter wegen des Kaufs bestimmter Vermögensgegenstände der Schuldnerin beteiligt. Im Verlaufe dieser Verhandlungen kam es zu erheblichen Spannungen zwischen den verhandelnden Parteien. Aus der Sicht der Kommanditisten führte der Insolvenzverwalter die Verhandlungen insbesondere nicht mit der notwendigen Dringlichkeit und Professionalität. Gleichzeitig mussten sie zur Kenntnis nehmen, dass der Verwalter ihren Vorschlag ablehnte, in das Verragswerk auch mögliche Ansprüche der Schuldnerin gegen die Kommanditisten einzubeziehen. Die Auseinandersetzungen schlugen sich in einem umfangreichen Schriftwechsel zwischen Rechtsanwalt T und dem Insolvenzverwalter nieder und dauerten auch im Zeitpunkt der ersten Gläubigerversammlung noch an.

Nachdem am 20. 6. 2007 der Kaufvertrag zwischen dem Insolvenzverwalter und der N-GmbH i. Gr. unterzeichnet worden war, vertrat Rechtsanwalt T jedenfalls noch im Juli 2007 die Erwerberin N-GmbH i. Gr. bei der Abwicklung des Vertrages. Dies ergibt sich aus dem Schreiben des Insolvenzverwalters an Rechtsanwalt T vom 14. 8. 2007, in dem wegen Nichtzahlung der ersten, am 15. 7. 2007 fälligen Rate von 3.000,00 EUR der gesamte Kaufpreis von 33.916,00 EUR fällig gestellt wird. Daneben vertrat Rechtsanwalt T gegenüber dem Insolvenzverwalter weiterhin auch die Kommanditisten C, U und E, die er selbst in seinem Schreiben an das Gericht vom 14. 8. 2007 als seine Mandanten bezeichnet hat.

Bereits Mitte Juni 2007, noch vor der Unterzeichnung des Kaufvertrages vom 20. 6. 2007, hatte Rechtsanwalt T die ersten Schritte zur Abwahl des im Eröffnungsbeschluss vom 1. 5. 2007 bestellten Insolvenzverwalters unternommen. Er nahm um diese Zeit telefonisch Verbindung zu Rechtsanwalt W auf, um ihn zu fragen, ob er in einem solchen Fall zur Übernahme des Amtes bereit sei. Etwa gleichzeitig hatten die Kommanditisten C, U und E die Gläubiger L und M-KG an ihn weiterverwiesen, weil diese mit der bisherigen Arbeit des Insolvenzverwalters unzufrieden waren. Rechtsanwalt T fragte sie nach eigenen Angaben, ob sie eine Abwahl des Verwalters unterstützen würden. In diesem Zusammenhang übersandte er ihnen noch im Juni vorformulierte gleichlautende Terminsvollmachten, die vom Gläubiger L am 26. 6. 2007 und von der M-KG am 30. 7. 2007 unterzeichnet wurden.

b) Aus diesen Feststellungen ergibt sich, dass Rechtsanwalt T mit der Vertretung der drei Kommanditisten der Schuldnerin sowie der wirtschaftlich mit ihnen identischen N-GmbH i. Gr. einerseits und der Insolvenzgläubigerin M-KG andererseits in der selben Rechtsache, nämlich im unmittelbaren Zusammenhang mit dem vorliegenden Insolvenzverfahren und der Verwertung der Insolvenzmasse, objektiv widerstreitende Interessen wahrgenommen hat. Gleiches gilt für seine zusätzliche Vertretung des Gläubigers L; sie bleibt nur deshalb außer Betracht, weil L in der Gläubigerversammlung kein Stimmrecht zuerkannt wurde.

Bei den Kommanditisten und der N-GmbH i. Gr. handelt es sich um zunächst potentielle und jetzt aktuelle Drittschuldner. Ihre Interessen waren und sind darauf gerichtet, zu ihrem eigenen Vorteil möglichst viele werthaltige Vermögensgegenstände der Insolvenzmasse gegen möglichst geringe finanzielle Gegenleistungen zu erwerben, um die frühere Geschäftstätigkeit des schuldnerischen Unternehmens teilweise fortzuführen. Den Kommanditisten ist zudem ersichtlich daran gelegen, gegen sie gerichtete Ansprüche des Insolvenzverwalters auf Rückzahlung von Darlehen abzuwehren. Dem steht das Interesse der Insolvenzgläubiger, und damit auch der Insolvenzgläubiger L und M-KG, entgegen, die Insolvenzmasse möglichst umfassend und ertragreich zu verwerten.

Dass die Terminsvollmacht die von Rechtsanwalt T vorformulierte Weisung enthält, dem Kaufvertrag mit der N-GmbH i. Gr. zuzustimmen, ändert an dem dahinter stehenden Interessenwiderstreit nichts. Wie aus der festgestellten Vorgeschichte der Vollmacht hervorgeht, zielten das Vorgehen des Rechtsanwalts T und sein Bemühen um die Vollmacht der beiden Gläubiger im Wesentlichen nicht auf die Zustimmung zu dem damals von keiner Seite in Frage gestellten Kaufvertrag ab, sondern auf die Wahl eines neuen Insolvenzverwalters. Ebenso wenig scheidet ein Interessenwiderstreit deshalb aus, weil jeder neu gewählte Insolvenzverwalter ebenfalls verpflichtet wäre, die Darlehensansprüche der Schuldnerin gegen die Kommanditisten zu verfolgen. Dies ändert nichts daran, dass Rechtsanwalt T bis zu Erteilung der Vollmacht durch die Insolvenzgläubiger L und M-KG allein auf Seiten von Drittschuldnern stand und es ihm vorrangig darum ging, einen seinen ursprünglichen Mandanten unbequemen Insolvenzverwalter zu verdrängen. Die gleichzeitige anwaltliche Vertretung von Drittschuldnern und Insolvenzgläubigern ist zudem ohne Interessenwiderstreit generell nicht möglich.

Entlasten kann Rechtsanwalt T auch nicht der Hinweis auf § 3 Abs. 2 Satz 2 BORA. Die dort vorgesehene Ausnahme vom Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen, "wenn sich im Einzelfall die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden Mandaten nach umfassender Information mit der Vertretung ausdrücklich einverstanden erklärt haben und Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen", gilt nur im Fall des § 3 Abs. 2 Satz 1 BORA. Sie setzt deshalb voraus, dass mehrere in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft verbundene Rechtsanwälte tätig geworden sind. So ist es hier aber nicht. Rechtsanwalt T hat vielmehr die widerstreitenden Mandate selbst persönlich wahrgenommen.

c) Der Verstoß gegen das Verbot des § 43a Abs. 4 BRAO hat unter den vorliegenden Umständen zur Folge, dass nicht nur der Anwaltsvertrag, sondern auch die auf ihm beruhende Vollmacht zur Vertretung in der Gläubigerversammlung nichtig ist (§§ 134, 139 BGB; LG Hamburg NZI 2007, 415 f.; Frind NZI 2007, 374, 377; vgl. auch LAG Köln NZA-RR 2001, 253; LAG Hamm NZA-RR 2004, 262 f.; OLG Koblenz NZG 2007, 458, 459 = NJW-RR 2007, 1003). Die Stimmabgabe durch Rechtsanwalt T in der Gläubigerversammlung vom 1. 8. 2007 ist deshalb rechtlich insgesamt unbeachtlich.

aa) Eine ausdrückliche, vor Stimmabgabe mitgeteilte Zurückweisung des Rechtsanwalts T durch Beschluss des Rechtspflegers war nicht erforderlich. Zwar ist anerkannt, dass der Verstoß eines Rechtsanwalts gegen ein Vertretungsverbot nach § 43a Abs. 4 BRAO in einem gerichtlichen Verfahren nicht unmittelbar zur Unwirksamkeit der Prozessvollmacht und der vorgenommenen Prozesshandlungen führt, sondern dass es einer konstitutiven Zurückweisung durch das Gericht bedarf und nur solche Verfahrenshandlungen unwirksam sind, die der Rechtsanwalt nach seiner Zurückweisung vornimmt (vgl. BVerfG NJW 2004, 1236; BVerfG NJW-RR 2004, 1713; BGHZ 54, 275, 281 = NJW 1971, 42, 43; Feuerich/Braun, BRAO, 4. Aufl. 1999, § 45 RdNr. 37). Diese Grundsätze, die den Schutz des rechtswidrig Vertretenen vor Rechtsverlusten in gerichtlichen Verfahren bezwecken und sich am Gebot der Rechtssicherheit orientieren, gelten jedoch nicht für die Stimmabgabe in der Gläubigerversammlung. Trotz der Leitung der Versammlung durch das Insolvenzgericht und ihres inneren Zusammenhangs mit dem Insolvenzverfahren handelt es sich bei der Gläubigerversammlung nicht um eine Verhandlung vor Gericht, sondern um die Zusammenkunft eines gesetzlich besonders geregelten Organs der insolvenzrechtlichen Selbstverwaltung, in der die gemeinschaftliche verbindliche Meinungs- und Willensbildung der Gesamtheit der Gläubiger stattfindet. Die Stimmabgabe in einer solchen Versammlung ist deshalb ebenso wie die Stimmabgabe in gesellschaftsrechtlichen Versammlungen (vgl. hierzu BGHZ 48, 163, 173 = NJW 1967, 1963, 1966; BGH NJW-RR 1989, 1056 = ZIP 1989, 1261; BGHZ 152, 67 = NJW 2002, 3629, 3630) eine zivilrechtliche Willenserklärung. Für ihre Wirksamkeit gelten die allgemeinen Regeln.

bb) Die Nichtigkeit des schuldrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrages des Rechtsanwalts T mit der Gläubigerin erfasst nach dem Schutzzweck des § 43a Abs. 4 BRAO auch die hierauf beruhende Vollmacht zur Vertretung in der Gläubigerversammlung.

Das Verbot des § 43a Abs. 4 BRAO verfolgt einen individuellen und einen öffentlichen Schutzzweck. Es soll zunächst das persönliche Vertrauen des Mandanten in die Unabhängigkeit, Aufrichtigkeit und Glaubwürdigkeit seines Anwalts wahren und dem Mandanten die Gewissheit geben, dass der Anwalt nicht zugleich Diener eines anderen Herren mit möglicherweise nicht vollständig offengelegten gegenläufigen Interessen ist. Darüber hinaus soll jedoch auch das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Geradlinigkeit der anwaltlichen Berufsausübung insgesamt geschützt werden (vgl. Begr. RegE des Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte, 1993, BT-Drucks. 12/4993, S. 27). Dies gilt vor allem für diejenigen Verkehrskreise, denen der Anwalt im Rahmen seines Mandats gegenübertritt. Die Wahrnehmung anwaltlicher Aufgaben setzt den unabhängigen und nur den Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt voraus. Diese Eigenschaften stehen nicht zur Disposition der Mandanten, denn der Rechtsverkehr muss sich darauf verlassen können, dass der Pflichtenkanon des § 43a BRAO befolgt wird (vgl. BVerfGE 108, 150 = NJW 2003, 2520, 2521).

In Fällen der vorliegenden Art ist der öffentliche Schutzzweck des § 43a Abs. 4 BRAO maßgeblich. Die Willensbildung in der Gläubigerversammlung dient den gemeinsamen Interessen der Insolvenzgläubiger (§ 1 InsO); dies gilt auch für die Beschlüsse nach § 57 InsO, selbst wenn die Aufhebungsvorschrift des § 78 Abs. 1 InsO auf sie nicht anzuwenden ist (vgl. dazu BGH NZI 2003, 607). Selbstverständlich fließen in die Beschlüsse die individuellen Interessen einzelner Gläubiger ein. Es ist jedoch durch kein legitimes Anliegen gedeckt, bei der formellen Ermittlung des Abstimmungsergebnisses einen Verstoß gegen das Verbot des § 43a Abs. 4 BRAO hinzunehmen und damit einem Rechtsanwalt die Möglichkeit zu geben, unter Verletzung seiner Pflichten das ihm anvertraute Stimmrecht durch verdeckte Vertretung widerstreitender Interessen zur sachfremden Beeinflussung der Willensbildung in der Gläubigerversammlung einzusetzen. Weder der Schutz des von ihm rechtswidrig vertretenen Gläubigers noch das Gebot der Rechtssicherheit verlangt dies. Der Rechtsverlust des Gläubigers, dessen Stimmen für ungültig erklärt wird, hat nicht annähernd die gleiche Bedeutung wie der Rechtsverlust, der ihm in einem gerichtlichen Verfahren durch die Unwirksamkeit von Prozesshandlungen entstehen kann. Es bleibt dem Gläubiger unbenommen, den Rechtsanwalt, der durch sein Verhalten die Ungültigkeit der Stimme herbeigeführt hat, für einen etwaigen Schaden haftbar zu machen.

3. Ebenfalls nicht zu berücksichtigen ist die Stimmabgabe des Insolvenzgläubigers G. Er unterliegt einem Stimmverbot.

a) Allerdings greift die vom Insolvenzverwalter erklärte Anfechtung der in der Versammlung zustande gekommenen Einigung über das Stimmrecht des Gläubigers G wegen angeblicher arglistiger Täuschung über dessen materielle Gläubigerstellung nicht durch. Dem vom Verwalter vorgetragenen Sachverhalt lässt sich allenfalls entnehmen, dass er sich über Bestand und Höhe der Forderung geirrt hat. Mit dieser Begründung kann er die Stimmrechtseinigung nach § 77 Abs. 2 Satz 1 InsO nicht anfechten. Bei der Stimmrechtseinigung handelt es sich um einen Vergleich, der das Ziel verfolgt, angesichts des Streits oder der Ungewissheit über den materiellrechtlichen Bestand und die Höhe der Forderung eine vorläufige Regelung über das Stimmrecht zu treffen. Ein Irrtum bei der Beurteilung dieses umstrittenen oder ungewissen Punktes kann deshalb keinen Anfechtungsgrund darstellen.

b) Der Gläubiger G war jedoch bei der Wahl eines neuen Insolvenzverwalters wegen einer schwerwiegenden Interessenkollision von der Teilnahme an der Abstimmung ausgeschlossen, weil er zugleich der einzige Geschäftsführer der Komplementärin der Schuldnerin ist.

Es ist - in Anlehnung an die Regelungen in § 34 BGB, § 136 Abs. 1, § 142 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG, § 47 Abs. 4 GmbHG, § 43 Abs. 6 GenG - allgemein anerkannt, dass ein Gläubiger sein Stimmrecht im Einzelfall nicht wahrnehmen kann, wenn er sich nach dem Thema der Abstimmung in einer schwerwiegenden Interessenkollision befindet, weil er von dem anstehenden Beschluss nicht nur in seiner allgemeinen Stellung als Insolvenzgläubiger, sondern unmittelbar in einer widerstreitenden sonstigen individuellen Rechtsposition betroffen ist (vgl. MK-InsO/Ehricke, 2. Aufl. 2007, § 77 RdNr. 35 ff.; Uhlenbruck, InsO, 12. Aufl. 2003, § 77 RdNr. 4 ff.; HambKomm/Preß, 2. Aufl. 2007, § 77 RdNr. 11).

Ein solcher Fall liegt hier vor. Der Gläubiger G handelt als Geschäftsführer der Komplementärin der Schuldnerin in einer doppelten verfahrensrechtlichen Rolle. Er ist zugleich Gläubiger und organschaftlicher Vertreter der Schuldnerin. Durch seine Teilnahme an der Abstimmung über die Wahl eines neuen Insolvenzverwalters erhielten die Schuldnerin und ihre Gesellschafter die Möglichkeit, unmittelbar rechtlichen Einfluss auf die Besetzung dieses Amtes zu nehmen. Dies ist nach dem gesamten System der Insolvenzordnung nicht zulässig; das Gesetz schließt eine verbindliche Mitwirkung des Schuldners bei der Auswahl des Insolvenzverwalters aus (vgl. §§ 27 Abs. 2 Nr. 2, §§ 57, 271, 272 InsO). Es besteht die gleiche Situation wie bei der Abstimmung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, die über die Bestellung eines Sonderprüfers zur Prüfung von Vorgängen bei der Geschäftsführung entscheidet; auch dort kann ein von der Prüfung betroffenes Vorstandsmitglied der Gesellschaft nicht mitstimmen (§ 142 Abs. 1 Satz 2, 3 AktG).

C. Nach all dem lautet das Ergebnis der Abstimmung über die Wahl des Rechtsanwalts W zum neuen Insolvenzverwalter wie folgt:

Es sind zwei gültige Stimmen abgegeben worden. Für den Neuwahlantrag hat die Gläubigerin R-GmbH mit einem Stimmrecht in Höhe von 163.829,81 EUR gestimmt, gegen den Antrag hat die Gläubigerin Bundesagentur für Arbeit mit einem Stimmrecht in Höhe von 59.452,76 EUR gestimmt. Damit ist zwar die Summenmehrheit für die Wahl erreicht, nicht aber die zusätzlich erforderliche Kopfmehrheit (§ 57 Satz 2, § 76 Abs. 2 InsO). Der Antrag ist abgelehnt.

D. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Jeder Beteiligte trägt die Kosten, die ihm durch das Verfahren zur Bestellung eines neuen Insolvenzverwalters entstanden sind, selbst.

Duisburg, 08.10.2007

Amtsgericht






AG Duisburg:
Beschluss v. 08.10.2007
Az: 62 IN 32/07


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