Oberlandesgericht München:
Urteil vom 29. Oktober 2009
Aktenzeichen: 23 U 1622/09

(OLG München: Urteil v. 29.10.2009, Az.: 23 U 1622/09)

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 08.12.2008 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der in der ordentlichen Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 03.05.2007 gefasste Beschluss über die Ermächtigung der Geschäftsführung zur Abrechnung des endgültigen Kaufpreises für das Objekt Backnang sowie über die Durchführung der baulichen Maßnahmen und der dazu erforderlichen Fremdmittel (Tagungsordnungspunkt 3 in der Einladung zur Gesellschafterversammlung für die Geschäftsjahre 2004 und 2005 vom 03.04.2007) nichtig ist.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Nichtigkeit des zu Tagesordnungspunkt 3 in der ordentlichen Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 03.05.2007 gefassten Beschlusses, der nach der Niederschrift über die Gesellschafterversammlung (Anlage K 26) folgendermaßen lautet:

€Die Geschäftsleitung wird beauftragt und bevollmächtigt, in Abänderung des notariellen Einbringungsvertrages des Notars Michael S. vom 03. März 1999 UR Nr. 119/1999 MS die Gegenleistung für die Einbringung des Objekts Backnang mit der DI. Industriebau AG endgültig auf EUR 32.566.951,71 zu vereinbaren, woraus sich eine Kaufpreisnachzahlung der Gesellschaft in Höhe von 5.993.017 ergibt (siehe Ziffern 2.4. und 3.3. der Kaufpreisabrechnung im Geschäftsbericht).

Die Geschäftsleitung wird des weiteren beauftragt und bevollmächtigt den Mietvertrag über die zum Abrechnungsstichtag noch nicht vermieteten Flächen des Gebäudes B über 3.641 qm mit einem Unternehmen der Do. Unternehmensgruppe mit einer Laufzeit von 5 Jahren und 7,70 €/qm abzuschließen.

Die Geschäftsleitung wird ermächtigt, mit der DI. Industriebau AG eine Vereinbarung abzuschließen, wonach diese der Gesellschaft Mietverträge anbieten kann, wenn folgende Voraussetzungen vorliegen

a) Mietvertrag mit mindestens 5 Jahren Laufzeit

b) Gute Bonität der Mieter

c) Marktübliche Mietvertragskonditionen

Als Gegenleistung hierfür erhält die DI. das 12,9-fache der Jahresnettomiete nach Ausbau der Mietfläche und Übergabe an den Mieter. Diese Gegenleistung ist in der Kaufpreisabrechnung nicht enthalten. Die Ausbaukosten, die für die Neuvermietung entstehen, trägt die DI. Dieses Recht der DI. endet am 30.12.2011.

Die Geschäftsführung wird beauftragt und ermächtigt, die für die Finanzierung der Nachzahlung und für die weiteren Investitionen im Objekt Backnang hierzu erforderlichen Fremdmittel zu marktüblichen Konditionen aufzunehmen und die von der Bank verlangten üblichen Sicherheiten zu bestellen.€

Die in dem Beschluss u.a. vorgenommene Festlegung des endgültigen Kaufpreis für die von der Gründungskommanditistin, der DI. I. AG (im Folgenden: DI.), eingebrachten Fondsimmobilie in Backnang beruht auf einer Kaufpreisabrechnung zum Stichtag 28.02.2007 (vgl. S. 5 des Geschäftsberichts 2004/2005, Anlage K 22). Nach dem Prospekt der Beklagten sollte die endgültige Gegenleistung grundsätzlich am 31.12.2002 anhand der dann erzielten Mieterträge in der Weise ermittelt werden, dass Mehr- oder Mindermieten mit einem Faktor von 12,9 ausgeglichen werden (S. 52 des Prospektes).

Der Kläger trägt vor, dass durch den zur Abstimmung gestellten Beschluss die endgültige Abrechnung verschoben worden und ein Maßnahmenpaket geschnürt worden sei, um die tatsächlichen finanziellen Verluste der Beklagten zu verschleiern. Der Beschluss sei aus verschiedenen Gründen, insbesondere mangels ausreichender Information über den Beschlussgegenstand formell fehlerhaft sowie sitten- und treuwidrig.

Die Beklagte entgegnet, durch Abschluss eines einheitlichen Maßnahmepaketes mit der DI. sollte die Kaufpreisabrechnung endgültig und wirtschaftlich sinnvoll gelöst werden. Die Beklagte habe einige Zeit nach ihrer Gründung in Zusammenarbeit mit der DI. begonnen, das Fondsobjekt Backnang weiterzuentwickeln. Dieser Entwicklungsprozess sei Mitte 2004 durch die Möglichkeit ausgelöst worden, an das Finanzamt Backnang Gebäudeflächen zu vermieten. Die Abrechnung sollte daher auf Ende 2004/Anfang 2005 verschoben werden. Mitte 2006 habe sich die Notwendigkeit ergeben, auch andere Gebäudeflächen weiterzuentwickeln. Deshalb sollte die Abrechnung nochmals verschoben werden. Auf die Zweckmäßigkeit des mit der erforderlichen Mehrheit gefassten Gesellschafterbeschlusses komme es allerdings gar nicht an. Die Anleger seien ausreichend informiert gewesen, um interessengerecht zu entscheiden. Im Übrigen wäre der Kläger verpflichtet gewesen, die von ihm vorgetragenen formellen Beschlussmängel unverzüglich gegenüber der Klägerin zu rügen.

Mit dem angegriffenen Urteil vom 08.12.2008, auf dessen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Bezug genommen wird, hat das Landgericht München I die Klage abgewiesen. Der angefochtene Gesellschafterbeschluss sei weder formell noch materiell rechtswidrig. Der Geschäftsbericht 2004/2005, der der Einladung zur Gesellschafterversammlung vom 03.04.2007 (Anlage K 22) beigefügt war, habe über die Entwicklung des Objekts Backnang informiert und die Kaufpreisberechnung zum neuen Abrechnungsstichtag 28.02.2007 erläutert. Es sei zwar richtig, dass eine Gegenüberstellung der Kaufpreisabrechnung zum alten Stichtag (31.12.2002) und zum neuen Stichtag (28.02.2007) unterblieb, dies führe jedoch nicht zu einem durchschlagenden Informationsmangel. Die Beklagte habe zu Informationsveranstaltungen über die Kaufpreisabrechnung und die Entwicklung des Objektes Backnang eingeladen, die vor der Gesellschafterversammlung stattfanden und in der Gesellschafterversammlung selbst mittels einer Powerpointpräsentation über den Tagesordnungspunkt 3 informiert. Außerdem habe der Kläger seit dem Jahr 2006 Informationen bei der Beklagten angemahnt und tatsächlich Informationen erhalten. Nach dem Antwortschreiben der Beklagten vom 19.01.2007 (Anlage K 20) und dem Erhalt des Einladungsschreibens zur Gesellschafterversammlung habe der Kläger diesen Punkt nicht mehr gerügt. Bei Bewertung des gesamten Sachverhalts sah das Erstgericht die Information über den Tagesordnungspunkt 3 als ausreichend an.

Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers, der sein Klageziel weiter verfolgt. Er rügt insbesondere, das Landgericht habe seinen Vortrag übergangen, die Beklagte sei seinem Auskunftsverlangen in der Gesellschafterversammlung vom 03.05.2007 nicht nachgekommen und habe dadurch seine Teilnahmerechte verletzt. Ihm sei insbesondere die Auskunft über die Mietstände zum 31.12.2002, über die wirtschaftliche Rechtfertigung für die verspätete Kaufpreisabrechnung und über die angeblichen zusätzlichen Leistungen der DI., die mit der Kaufpreisabrechnung angeblich mit abgegolten werden sollten, unberechtigt verweigert worden.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des am 08.12.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts München I festzustellen, dass der zu TOP 3 in der ordentlichen Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 03.05.2007 gefasste Beschluss nichtig ist, hilfsweise diesen Tagesordnungspunkt für nichtig zu erklären (genauer Wortlaut des Antrags vgl. Seite 2 f. der Berufungsbegründung = Blatt 199 f. d.A.).

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte wendet insbesondere ein, die Gesellschafter der Beklagten seien in der Gesellschafterversammlung erneut und ausführlich über Inhalt und Auswirkungen von TOP 3 informiert worden, u.a. auch durch eine umfangreiche Powerpointpräsentation (vgl. Anlage B 9). Im Anschluss daran sei im Rahmen der Aussprache der Gesellschafter auch dem Kläger selbst Gelegenheit gegeben worden, ausführlich kritisch zu TOP 3 Stellung zu nehmen. Im Zeitraum vom 13.07.2006 bis zum 19.01.2007 habe der Kläger die Informationspolitik der Beklagten mehrfach gerügt. Unter Berücksichtigung ihrer Geheimhaltungsinteressen habe die Beklagte dann mit Schreiben vom 19.01.2007 das Informationsverlangen des Klägers erfüllt. Da sowohl die Informationserteilung vom 19.01.2007 als auch die Informationserteilung anlässlich der Versendung des Einberufungsschreibens durch den Kläger nicht mehr gerügt wurde, habe die Beklagte davon ausgehen dürfen, dass damit dem Informationsverlangen des Klägers genüge getan war. Im Übrigen bestehe zwischen dem angeblichen Informationsdefizit des Klägers und dem Beschlussergebnis keine Kausalität. Es fehle an einem speziell auf die Beschlussfassung zu TOP 3 gerichteten Informationsverlangen des Klägers.

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie das Protokoll der Sitzung vom 01.10.2009 Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers hat Erfolg.

1. Die Beklagte ist abweichend von dem Grundsatz, wonach in der KG Streitigkeiten um die Wirksamkeit von Beschlüssen zwischen den Gesellschaftern selbst auszutragen sind, aufgrund der Regelung in § 18 Nr. 4 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages passivlegitimiert (zur Zulässigkeit BGH, Urteil vom 07.06.1999, Az. II ZR 278/98, ZIB 1999, 1391).

2. Der Kläger hat sein Recht, formelle Fehler der Beschlussfassung zu rügen, nicht verwirkt. Nach § 18 Nr. 4 Satz 1 des Gesellschaftervertrages kann die Unwirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses nur innerhalb einer Ausschlussfrist von einem Monat nach Kenntniserlangung geltend gemacht werden. Diese Frist hat der Kläger unstreitig gewahrt. Auch ohne eine solche Regelung hält die Treuepflicht den Gesellschafter an, die Fehlerhaftigkeit eines Beschlusses alsbald geltend zu machen, wobei sich scharfe Grenzen nicht ziehen lassen (Scholz/K. Schmidt, GmbHG, 10. Aufl., Anh. § 45 Rz. 50). Durch die Regelung in § 18 Nr. 4 Satz 1 des Gesellschaftervertrages wurde dies in zulässiger Weise dahingehend konkretisiert, dass Beschlussmängel innerhalb eines Monats geltend gemacht werden müssen. Wegen der eindeutigen Regelung in § 18 des Gesellschaftervertrages kann aus dem Umstand, dass der Kläger den Fehler nicht schon in der Gesellschafterversammlung gerügt hat, nicht geschlossen werden, er wolle den Beschluss insoweit nicht angreifen. Insoweit fehlt es schon am €Umstandsmoment€ einer Verwirkung. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.02.1996, Az. II ZR 77/95 (BGHZ 132, 84, 94 f.), die eine völlig andere Fallkonstellation betrifft. Im dort entschiedenen Fall hatte der Kläger die einmonatige Frist des § 51 GenG nicht gewahrt, was ihm aber wegen der besonderen Situation (Rechtsunsicherheit wegen der Umwandlung der Rechtsordnung in der ehemaligen DDR) nicht zum Nachteil gereichen durfte. In diesem Fall hätte geprüft werden müssen, ob möglicherweise eine Verwirkung in Betracht kommt.

24Neben der Regelung in § 18 Nr. 4 des Gesellschaftsvertrages kommt eine analoge Anwendung des § 245 Nr. 1 AktG nicht in Betracht. Das Widerspruchserfordernis gilt trotz grundsätzlicher Anwendbarkeit der §§ 241 ff. AktG für andere Gesellschaftsformen nicht entsprechend (für die GmbH: Bürgers/Körber - Göz, AktG, § 245, Rn. 2).

3. Der Beschluss ist wegen unberechtigter Auskunftsverweigerung gegenüber dem Kläger nichtig.

26a) Teil des Rechts der Gesellschafter sich an der Willensbildung einer Gesellschafterversammlung zu beteiligen ist es, Auskünfte zu verlangen. Dieses Recht steht dem treuhänderisch beteiligten Kläger nach § 6 Nr. 3 des Gesellschaftsvertrags i.V.m. § 9 des Treuhandvertrages zu. Insbesondere dann, wenn der Gesellschaftsvertrag - wie hier in § 18 Nr. 3 des Gesellschaftsvertrages - Mehrheitsentscheidungen zulässt, hat das Auskunftsrecht des Gesellschafters wegen seiner Funktion den Meinungsbildungsprozess zu gestalten, besondere Bedeutung für den Minderheitenschutz (vgl. MünchKommHGB/Enzinger, § 119 Rn. 49).

b) Der Kläger hat in der Gesellschafterversammlung kritisiert, dass ein Vergleich der vorgeschlagenen Abrechnungen zum 28.02.2007 zu der ursprünglich vorgesehenen Abrechnung zum 31.12.2002 fehle. Auf Nachfrage des Klägers wurde lediglich erklärt, eine Abrechnung zum 31.12.2002 sei €schlecht€. Dies wurde trotz mehrfacher Nachfrage nicht erörtert. Dieser Vortrag des Klägers gilt nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Die Beklagte hat dazu lediglich pauschal vorgetragen, anlässlich der Aussprache zu TOP 3 seien alle Fragen der Anleger, auch die Fragen des Klägers, beantwortet worden. Die vom Kläger vorgetragene Antwort, die Abrechnung zum früheren Stichtag sei schlecht, ist jedoch keine ausreichende, dem Informationsinteresse des Klägers gerecht werdende Antwort. Warum eine Abrechnung zum ursprünglich vorgesehenen Stichtag €schlecht€ ist, lässt sich auch dem nicht nachgelassenen Schriftsatz der Beklagten vom 26.10.2009 (Bl. 268 d.A.) nicht entnehmen.

c) Die Frage, welcher Kaufpreis sich zum ursprünglich vorgesehenen Stichtag 31.12.2002 ergeben hätte, hätte dem Kläger beantwortet werden müssen, da diese Information aus Sicht eines objektiv urteilenden Gesellschafters für die sachgerechte Beurteilung des Beschlussvorschlages erforderlich war. Dem kann die Beklagte nicht entgegenhalten, dass die Kaufpreisabrechnung zum 28.02.2007 Gegenstand eines einheitlichen Maßnahmepaketes war, in dem die Kaufpreisabrechnung neben weiteren Einzelmaßnahmen aufgegangen war. Denn eine sachgerechte Beurteilung des von der Beklagten geschnürten Maßnahmenpaktes, das zur Abstimmung stand, setzt eine Information der Gesellschafter über die einzelnen Maßnahmen voraus, zu denen eben auch die Kaufpreisabrechnung zu einem späteren als dem ursprünglich vorgesehenen Stichtag gehört. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist die Frage nach dem Kaufpreis zum 31.12.2002 auch nicht deshalb ohne Bedeutung für die Beurteilung des Beschlussvorschlages, weil die Gesellschafter über eine Verschiebung der Kaufpreisabrechnung auf Ende 2004 im Geschäftsbericht 2003 (Anlage B 3) informiert worden waren und der Verschiebung in der Gesellschafterversammlung vom 29.09.2004 (vgl. Protokoll, Anlage B 2) nicht widersprochen haben. Zum einen ist in den Anlagen B 2 und B 3 von Verschiebung der endgültigen Kaufpreisabrechnung die Rede, dass damit eine Verschiebung des Stichtages gemeint ist, ist nicht zwingend. Zum anderen bleibt für die Beurteilung der 2007 vorgeschlagenen und zur Abstimmung gestellten Lösung die Frage, welcher Kaufpreis sich Ende 2002 ergeben hätte, ein entscheidender Gesichtspunkt, auch dann wenn die Beklagte mit der Verschiebung des Stichtags auf Ende 2004/Anfang 2005 der DI. bereits entgegengekommen wäre. Im Übrigen hat die Beklagte bei der Beantwortung der Frage des Klägers weder auf einen Stichtag im Zeitraum Ende 2004/Anfang 2005 abgestellt noch dazu eine Vergleichsberechnung vorgenommen.

Auch der Umstand, dass sich die Immobilie mittlerweile verändert hat, ändert nichts an der Relevanz der Frage. Der Senat vermag sich der in der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2009 von der Beklagten geäußerten Ansicht, es handele sich um eine €hypothetische€ Frage, nicht anzuschließen. Der Kläger hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es möglich wäre, die endgültige Kaufpreisabrechnung zum Stichtag 31.12.2002 vorzunehmen und davon getrennt mit der DI. eine Gegenleistung für bereits erbrachte und u.U. noch zu erbringende Bauleistungen zu vereinbaren.

d) Die Antwort war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger selbst im Juni 2006 eine Schätzung des Kaufpreises zum Stichtag 31.12.2002 vorgenommen hat. Aus dem als Anlage B 8 vorgelegten Papier ergibt sich eindeutig, dass es sich um eine Schätzung handelt; auf Seite 4 heißt es z.B. €Da aus keinem GB (Anm.: Geschäftsbericht) ersichtlich ist, welche Flächen noch frei sind, ist eine Berechnung der KP-Abrechnung (Anm.: Kaufpreisabrechnung) nahezu unmöglich ... Schätzungsweise lagen die Mieteinnahmen per 31.12.2002 bei ...€

31e) Entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom 01.10.2009 geäußerten Ansicht der Beklagten hätte der Kläger seine Frage auch nicht vorher ankündigen müssen. Ebenso wenig wie ein Aktionär verpflichtet ist, sein Auskunftsverlangen im Vorfeld der Hauptversammlung anzukündigen (MünchKomm AktG/Kubis, 2. Aufl., 2004, § 131 Rn. 29), ist der Gesellschafter einer Publikums-KG verpflichtet, für die Beurteilung des Beschlussgegenstandes relevante Fragen vorher anzukündigen. Die Beklagte, die den Kaufpreis zum ursprünglich vorgesehenen Stichtag schon zur Vorbereitung auf die Vertragsverhandlungen mit der DI. ermitteln musste, musste sich auch darauf vorbereiten, dass diese naheliegende Frage im Rahmen der Gesellschafterversammlung gestellt wird.

f) Das Recht jedes Gesellschafters, die Informationen zu erhalten, die für eine sachgerechte Beurteilung des Beschlussgegenstandes erforderlich sind, ist unabhängig von dem Recht, sich durch aktive (ggf. kritische) Äußerung am Willensbildungsprozess in der Gesellschafterversammlung zu beteiligen. Dass dem Kläger unstreitig das Recht eingeräumt wurde, sich zu dem Beschlussvorschlag kritisch zu äußern, lässt sein Auskunftsrecht hinsichtlich für die Beschlussfassung relevanter Fragen nicht entfallen.

g) Im Vorenthalten dieser erforderlichen Information liegt zugleich ein €relevanter€ Verstoß gegen das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht des Klägers bei der Beschlussfassung.

Ein solcher Verstoß rechtfertigt im Aktienrecht die Anfechtbarkeit des Beschlusses, ohne dass es darauf ankommt, ob der tatsächliche Inhalt, der in der Gesellschafterversammlung verweigerten Auskunft einen objektiv urteilenden Gesellschafter von der Zustimmung zu dem Beschlussvorschlag abgehalten hätte (vgl. BGH, Urteil vom 18.10.2004, Az. II ZR 250/02, BGHZ 160, 385 ff.). Maßgebend ist seit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.11.2001, Az. II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 164 f. die €Relevanz€ des Verfahrensverstoßes für das Mitgliedschafts- bzw. Mitwirkungsrecht des Aktionärs im Sinne eines dem Beschluss anhaftenden Legitimationsdefizits, das bei einer wertenden, am Schutzzweck der verletzten Norm orientierten Betrachtung die Rechtsfolge der Anfechtbarkeit gemäß § 243 Abs. 1 AktG rechtfertigt. Soweit in der Entscheidung vom 12.11.2001 noch Kausalitätserwägungen als notwendiges Relevanzkriterium anklingen, hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 18.10.2004 daran nicht festgehalten.

35Diese Überlegungen sind ohne weiteres auf eine Publikumsgesellschaft übertragbar. Formell fehlerhafte Beschlüsse einer Publikumsgesellschaft sind grundsätzlich nichtig, weil Gesellschafter nur im Rahmen von Gesetz und Satzung an Mehrheitsentscheidungen gebunden sind. Ein Ladungsmangel führt allerdings nach ständiger höchstrichterlicher Rechtssprechung dann nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses, wenn er das Abstimmungsergebnis unter keinen Umständen beeinflusst haben kann (BGH Urteil vom 10.10.1983, Az. II ZR 213/82, WM 1983, 1407; Urteil vom 19.01.1987, Az. II ZR 158/86, NJW 1987, 1262). Werden dagegen einem Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung Auskünfte vorenthalten, die zur sachgerechten Beurteilung des Beschlussgegenstandes erforderlich sind, haftet dem Beschluss wegen der damit verbundenen Beeinträchtigung des Meinungsbildungsprozesses ein Legitimationsdefizit an, das zur Nichtigkeit des Beschlusses führt. Die Erteilung der zur Beurteilung des Beschlussvorschlages notwendigen Auskünfte ist Voraussetzung dafür, dass die Gesellschafter einer Publikumsgesellschaft ihre Mitgliedschaftsrechte in der Gesellschafterversammlung sinnvoll ausüben können. Ob das Ergebnis der in der Gesellschafterversammlung verweigerten Kaufpreisabrechnung zum Stichtag 31.12.2002 einen objektiv urteilenden Gesellschafter von der Zustimmung zu dem Beschlussvorschlag abgehalten hätte, ist somit nicht entscheidend.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nach § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht zuzulassen.

5. Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 26.10.2009 gibt aus den oben genannten Gründen keine Veranlassung, gemäß § 156 ZPO die Wiedereröffnung der Verhandlung zu anzuordnen.






OLG München:
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Az: 23 U 1622/09


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