Bundespatentgericht:
Beschluss vom 1. März 2007
Aktenzeichen: 17 W (pat) 94/04

(BPatG: Beschluss v. 01.03.2007, Az.: 17 W (pat) 94/04)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die vorliegende Patentanmeldung ist am 5. Dezember 2001 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht worden unter der Bezeichnung:

"Verfahren zur Ansteuerung von Speicherzellen eines dynamischen Halbleiterspeichers sowie Schaltungsanordnung".

Sie wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 11 C des Deutschen Patent- und Markenamts vom 21. Juni 2004 mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Patentanspruch 1 und das Ausführungsbeispiel in der Beschreibung dem Fachmann keine ausreichende Anleitung zum technischen Handeln gäben; der Vortrag der Anmelderin könne den beanstandeten Mangel bezüglich der Ausführbarkeit nicht entkräften.

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet. Sie hat in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass der Fachmann die fehlenden Details, insbesondere die Notwendigkeit einer Initialisierung des Ein-Bit-Zählers, aufgrund seines Fachwissens automatisch erkennen und ergänzen werde. Auch ohne diese Details gäben die Patentansprüche eine ausführbare, vollständige Lehre, die ferner gegenüber dem Stand der Technik auch neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Sie stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 4, überreicht in der mündlichen Verhandlung, noch anzupassender Beschreibung S. 1-10 vom 22. Dezember 2006 und 1 Blatt Zeichnungen mit Figuren 1-3 vom 27. Februar 2007.

Der geltende Hauptanspruch, hier mit einer denkbaren Gliederung versehen und in Merkmal F ("der" statt "die") redaktionell korrigiert, lautet:

"1. Schaltungsanordnung zur Ansteuerung von Speicherzellen eines dynamischen Halbleiterspeichers,

(A) wobei die Speicherzellen in einem Zellenfeld (Z) angeordnet sind,

(B) wobei die Speicherzellen über wenigstens eine segmentierte Wortleitung (7) mit einem Ausgang eines im Zellenfeld (Z) angeordneten Wortleitungstreibers (6) verbunden sind, und

(C) wobei ein Eingang des Wortleitungstreibers (6) über eine Master-Wortleitung (1) nach außen über das Zellenfeld (Z) hinaus verbunden ist, um von einem Signal auf der Masterwortleitung angesteuert zu werden, dadurch gekennzeichnet,

(D) dass der Wortleitungstreiber (6) bei einem "High"-Pegel am Eingang den Ausgang auf ein niedriges Potenzial und bei einem "Low"-Pegel am Eingang den Ausgang auf ein hohes Potenzial legt,

(E) dass das auf der Masterwortleitung (1) anliegende Signal ein Impulssignal ist,

(F) dass außerhalb des Zellenfeldes (Z) eine erste Steuereinrichtung (20) in der Masterwortleitung (1) angeordnet ist, die ein zum Impulssignal auf der Masterwortleitung invertiertes Impulssignal erzeugt,

(G) dass innerhalb des Zellenfeldes (Z) in unmittelbarer räumlicher Nähe mit dem Wortleitungstreiber (6) eine zweite Steuereinrichtung (21) in der Masterwortleitung (1) angeordnet ist,

(H) wobei die zweite Steuereinrichtung (21) in Form eines Ein-Bit-Zählers ausgebildet ist, um bei jedem Eingangsimpulssignal den Ausgang alternierend auf den "High"-Pegel und den "Low"-Pegel umzuschalten."

Ihm ist der auf ein entsprechendes "Verfahren zur Ansteuerung von Speicherzellen eines dynamischen Halbleiterspeichers" gerichtete, hinsichtlich der Merkmale weitgehend übereinstimmende Anspruch 3 nebengeordnet; zu ihm und zu den Unteransprüchen 2 und 4 wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Gemäß Seite 3 Zeile 4 - 6 der geltenden Beschreibung soll diesen Ansprüchen die Aufgabe zugrundeliegen, bei einem dynamischen Halbleiterspeicher die Belastung des Versorgungsnetzes durch unerwünschte Leckströme zu reduzieren.

II.

Die Beschwerde wurde frist- und formgerecht eingelegt und ist auch sonst zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, denn der jeweilige Gegenstand der nebengeordneten Ansprüche 1 und 3 beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (§ 4 PatG).

1. Die Anmeldung betrifft die Adressierung von dynamischen Halbleiter-Speicherzellen (DRAM-Zellen), welche matrixförmig angeordnet sind und über eine Wortleitung (row address) und eine Bitleitung (column address) angesteuert werden. Eine bekannte Schwierigkeit liegt darin, die Vielzahl von erforderlichen Leitungen getrennt voneinander so zu verlegen, dass jede Speicherzelle zweimal (Reihe und Spalte = Wort- und Bitleitung) angeschlossen wird. Wie die Anmelderin erläuterte, weisen die üblichen Polysilikon-Leitungen für größere Speicherchips einen zu hohen Serienwiderstand auf. Deshalb wurden bereits vor dem Anmeldetag metallisierte Wortleitungen vorgesehen, die als "Globale Wortleitungen" oder "Master-Wortleitungen" in einer Metallebene über die gesamte Chipfläche geführt sind, und von denen aus kürzere Polysilikon-Leitungen als "segmentierte Wortleitungen" jeweils zu Speichersegmenten abzweigen.

Die Anmelderin hat als technisches Problem zunächst geschildert, dass bei der typischen Art der Adressierung ("Aktiv-Low") für die Wortleitungen der Metallebene als Ruhezustand ein "High"-Potential vorgesehen ist; von diesem fließt ein Leckstrom nach Masse, und weil jeweils nur eine der Vielzahl von Wortleitungen aktiv ist, addiert sich der jeweilige Leckstrom über alle inaktiven Leitungen zu einem beträchtlichen Wert. Statt dessen den Ruhezustand der Wortleitungen als "Low"-Potential festzulegen (d.h. "Aktiv-High"), so dass jeweils nur eine aktivierte Leitung auf "High"-Potential liegt und einen Leckstrom fließen lässt, ergab sich am Anmeldetag jedoch bereits aus dem Stand der Technik, wie noch erläutert wird.

Als zusätzliche Maßnahme zur Reduzierung von Leckströmen ist gemäß Hauptanspruch nunmehr vorgesehen, die Wortleitungen über kurze Impulse anzusteuern, die einen vor dem jeweiligen Wortleitungstreiber angeordneten Ein-Bit-Zähler (auch als "Toggle-Flipflop" bekannt) weiterschalten. Durch den ersten Impuls wird der Zähler auf "High" gesetzt, durch den nächsten Impuls zurück auf "Low", so dass das benötigte Wortleitungs-Treibersignal als Dauersignal gewissermaßen "rekonstruiert" wird und dann nur noch im Bereich der zugeordneten Speicherzellen ansteht. Wegen der kurzen Impulsdauer wird so die Zeit, in der im Bereich der Metallebene Leckströme fließen können, erheblich verkürzt.

Als Fachmann für die Lehre einer solchen Speicherzellenansteuerung ist ein Entwicklungsingenieur für Speicherzellenschaltungen mit zumindest Fachhochschulabschluss und mit langjähriger Berufserfahrung anzusehen.

2. Die neuen Patentansprüche sind zulässig. Es handelt sich um eine weiter klargestellte Fassung basierend auf den Ansprüchen, die dem Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle zugrunde lagen, sowie auf dem ursprünglichen Anspruch 9. Die ursprüngliche Offenbarung ergibt sich letztlich aus Figur 3 der Anmeldung und der zugehörigen Beschreibung.

3. Die Anmelderin konnte den Senat in der mündlichen Verhandlung überzeugen, dass die beanspruchte Lehre für den Fachmann hinreichend offenbart und ausführbar ist.

Der Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle war damit begründet worden, dass der Patentanspruch 1 und das Ausführungsbeispiel in der Beschreibung dem Fachmann keine ausreichende Anleitung zum technischen Handeln gäben. Denn weil der Ein-Bit-Zähler seinen Zustand jeweils alternierend umschalte, sei eine zuverlässige Initialisierung des Zählers erforderlich; ohne Initialisierung sei der Anfangszustand der Ein-Bit-Zähler (Toggle-Flipflops) auf allen Wortleitungen zufällig und unbestimmt (d. h. für eine Ansteuerung der Wortleitungstreiber nicht brauchbar). Dem Fachmann werde aber in der Anmeldung kein Hinweis gegeben, dass und wie eine Initialisierung zuverlässig geschehen solle.

Die Ermittlung des Inhalts der Anmeldeunterlagen hat allerdings mit den Augen des Fachmann zu erfolgen; zu prüfen ist, welche Erkenntnisse ihm dadurch objektiv und ohne weiteres vermittelt worden sind (BGH BlPMZ 90, 366 "Crackkatalysator", vgl. auch BGH GRUR 83, 169 "Abdeckprofil"). Einem Entwicklungsingenieur für Speicherzellenschaltungen mit Elektrotechnik-Studium sind alle Arten von Flipflops als Grundschaltungen vertraut, er kennt ihre Vor- und Nachteile und insbesondere ihre Ansteuerung. Er wird auch die ursprünglich fehlerhaft dargestellte Schaltung in Figur 3 der Anmeldung (zwei Invertierungen im Rückkoppelungszweig des D-Flipflops 21 heben den benötigten Effekt wieder auf) ohne weiteres richtigstellen. Der Mangel einer Initialisierungsschaltung ist für diesen Fachmann offensichtlich. Er würde allein aufgrund seines Fachwissens ergänzen, dass eine erstmalige Initialisierung der Toggle-Flipflops (etwa beim Power-Up) vorgesehen sein muss. Ob eine darüber hinausgehende komplexere Initialisierungsschaltung sinnvoll sein könnte, ist für das Grundverständnis der hier beanspruchten Lehre (Ansteuerung mit Impulsen statt mit Dauerpegel) nicht erforderlich. Insoweit gibt die Anmeldung dem Fachmann die entscheidende Richtung vor, in der er mit Erfolg weiterarbeiten kann (vgl. BGH GRUR 1968, 311 "Garmachverfahren").

Der von der Prüfungsstelle angegebene Grund kann sonach den Zurückweisungsbeschluss nicht tragen.

4. Für einen derart mit der Ansteuerung von Speicherschaltungen vertrauten Fachmann ist die beanspruchte Lehre nach Anspruch 1 und nach Anspruch 3 jedoch naheliegend.

Bereits die im Prüfungsverfahren ermittelte Druckschrift:

D1 US 5 831 924 A zeigt insbesondere in Figur 3 / 3A und zugehöriger Beschreibung eine Schaltungsanordnung zur Ansteuerung von Speicherzellen eines dynamischen Halbleiterspeichers mit folgenden Merkmalen:

(A) die Speicherzellen (MC) sind in einem Zellenfeld angeordnet,

(B) die Speicherzellen (MC) sind über wenigstens eine segmentierte Wortleitung (SWL11 - SWL14) mit einem Ausgang eines im Zellenfeld angeordneten Wortleitungstreibers (SR11 - SR14, Figur 3A, rechts dargestellter Inverter als Treiber) verbunden,

(C) ein Eingang des Wortleitungstreibers (SR11 - SR14) ist über eine Master-Wortleitung (MWL1) nach außen über das Zellenfeld hinaus (nämlich zum Word Line Driver 2b) verbunden, um von einem Signal auf der Masterwortleitung (Figur 5: Signal MWL1) angesteuert zu werden,

(D) der Wortleitungstreiber (Figur 3A: rechts dargestellter Inverter) legt bei einem "High"-Pegel am Eingang den Ausgang auf ein niedriges Potenzial und bei einem "Low"-Pegel am Eingang den Ausgang auf ein hohes Potenzial,

(F) außerhalb des Zellenfeldes ist eine erste Steuereinrichtung (Word Line Driver 2b) in der Masterwortleitung (MWL1) angeordnet, die ein geeignetes Ansteuersignal erzeugt,

(G) innerhalb des Zellenfeldes in unmittelbarer räumlicher Nähe mit dem Wortleitungstreiber (Figur 3A: rechts dargestellter Inverter) ist eine zweite Steuereinrichtung (Figur 3A Mitte: zwei gegengekoppelte Inverter als Latch) in der Masterwortleitung (MWL1) angeordnet.

In dieser Ansteuerschaltung nach Stand der Technik ist das Master-Wortleitungssignal in der Metallebene (MWL1) bereits als "Aktiv-High" ausgelegt (vgl. Figur 5).

Der Gegenstand des Hauptanspruchs unterscheidet sich hiervon vor allem dadurch, dass anmeldungsgemäß das auf der Masterwortleitung anliegende Signal ein Impulssignal sein soll, wobei dann die zweite Steuereinrichtung in Form eines Ein-Bit-Zählers ausgebildet ist, um bei jedem Eingangsimpulssignal den Ausgang alternierend auf den "High"-Pegel und den "Low"-Pegel umzuschalten (Merkmale (E), (H)).

Eine Ansteuerung mit Impulssignalen, um kein energieverbrauchendes Dauersignal abgegeben zu müssen, ist dem Fachmann aber beispielsweise aus der vom Senat ermittelten D4 US 5 463 592 A

(siehe dort insbesondere Zusammenfassung, Figur 4 Signal WL1) bekannt. Dabei ist es für ihn aufgrund seines Fachwissens über die Grundschaltungen der Digitaltechnik selbstverständlich, dass ein benötigtes Dauersignal, hier zum Treiben der segmentierten Wortleitungen im Zellenfeld, aus den erhaltenen Impulssignalen durch ein Toggle-Flipflop (Ein-Bit-Zähler) rekonstruiert werden kann. Es liegt nahe, die Lehre der D4 über die Verwendung von Impulssignalen zur Energieeinsparung auf das Master-Wortleitungssignal gemäß D1 anzuwenden; dabei wird der Fachmann ein Toggle-Flipflop als einfachste und wohlbekannte Maßnahme zwangsläufig zur Erzeugung des Dauersignals in Betracht ziehen.

Auf diesem Weg gelangt er zum Gegenstand des vorliegenden Hauptanspruchs. Denn ein weiterer Unterschied, dass nämlich gemäß Merkmal (F) die erste Steuereinrichtung (D1: Word Line Driver 2b) ein zum Impulssignal auf der Masterwortleitung invertiertes Impulssignal erzeugt, hat für den Fachmann keine besondere Bedeutung: Treiber arbeiten aus allgemeinen technischen Gründen sehr häufig als Inverter (bei komplementären Feldeffekttransistoren = CMOS-Technik wird in der einfachsten Grundschaltung durch einen "High"-Pegel am Eingang der NMOS-Transistor gegen Masse durchgeschaltet und der an die Betriebsspannung angeschlossene PMOS-Transistor gesperrt, was ein "niedriges" Potential am Ausgang zur Folge hat, und umgekehrt - vgl. Figur 1 der Anmeldung: Treibertransistoren 2/3), und generell wird der Fachmann die "erste Steuereinrichtung" immer so auslegen, dass sie ein geeignetes Ansteuersignal erzeugt; all dies fällt in den Rahmen seines üblichen fachmännischen Handelns. Das hier von der Anmelderin eigentlich gemeinte Prinzip der "Aktiv-High"-Ansteuerung der Leitungen in der Metallebene ergibt sich im Übrigen, wie zuvor dargestellt, bereits aus D1.

Somit gelangt der Fachmann ohne erfinderische Tätigkeit zum Gegenstand des Hauptanspruchs. Dasselbe gilt für das Ansteuerverfahren nach dem nebengeordneten Anspruch 3, dessen technische Lehre inhaltlich nicht über die Lehre des Hauptanspruchs hinausgeht.

5. Zur Begründung des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit hat die Anmelderin noch geltend gemacht, dass durch die Impulsansteuerung auch die Gefahr des Übersprechens zwischen benachbarten Leitungen verringert würde.

Wenn jedoch - wie dargestellt - die beanspruchten Merkmale schon allein zum Zweck der Reduzierung des Energieverbrauchs für den Fachmann nahelagen, kann daran ein eventueller weiterer Vorteil, der sich automatisch mit ergibt, nichts ändern.

Im Übrigen war der zusätzliche Vorteil ursprünglich nicht offenbart und könnte daher für sich allein (in dem Sinne, dass die Ausnutzung des Vorteils der Befolgung der gegebenen Lehre erst ihren eigentlichen Sinn gäbe, vgl. BGH GRUR 1960, 542 "Flugzeugbetankung I") das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht begründen.

III.

Bei dieser Sachlage war die Beschwerde der Anmelderin gegen den Beschluss der Prüfungsstelle zurückzuweisen.






BPatG:
Beschluss v. 01.03.2007
Az: 17 W (pat) 94/04


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