Finanzgericht Hamburg:
Urteil vom 19. Juni 2012
Aktenzeichen: 4 K 66/11

(FG Hamburg: Urteil v. 19.06.2012, Az.: 4 K 66/11)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Finanzgericht Hamburg hat in einem Urteil vom 19. Juni 2012 (Aktenzeichen 4 K 66/11) die Klage einer Firma abgelehnt, die eine Steuerbegünstigung beantragt hatte. Die Klägerin entwickelt und testet Abgaskatalysatoren für Kraftfahrzeuge am Standort A. Hierfür unterhält sie ein Entwicklungslabor mit verschiedenen Prüfstandeinrichtungen zur Abgasmessung an Diesel- und Ottomotoren. Die Katalysatoren werden in den Prüfständen altertümlich, um eine Laufleistung zu erreichen, die im normalen Straßenverkehr 100.000 km entspricht. Es werden zwei verschiedene Messprüfstände eingesetzt. Die im Rahmen der Prüfläufe gewonnenen Testergebnisse fließen in die weitere technologische Entwicklung der Katalysatoren ein. Die Klägerin stellte einen Antrag auf Steuerbefreiung für die verwendeten Energieerzeugnisse. Der Antrag wurde abgelehnt, da die Entwicklung der Katalysatoren als branchenübliche Weiterentwicklung angesehen wurde und nicht als Pilotprojekt zur technologischen Entwicklung umweltverträglicher Produkte. Das Finanzgericht Hamburg hat die Klage abgewiesen, da die Voraussetzungen für eine Steuerbegünstigung nicht erfüllt seien. Die Versuchsreihen der Klägerin dienten überwiegend der Weiterentwicklung von vorhandenen Katalysatoren und hätten keine Pilotprojekte zur Entwicklung umweltverträglicher Produkte dargestellt. Das Gericht folgte dabei der Auslegung des Begriffs "Pilotprojekt" in einer Verwaltungsvorschrift des Bundesministeriums der Finanzen. Die Klägerin kann gegen das Urteil Revision beim Bundesfinanzhof einlegen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

FG Hamburg: Urteil v. 19.06.2012, Az: 4 K 66/11


Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Steuerbegünstigung.

Die Klägerin entwickelt und testet am Standort A Abgaskatalysatoren für Kraftfahrzeuge mit Verbrennungsmotoren. Hierfür unterhält sie das sog. "..." mit verschiedenen Prüfstandeinrichtungen zur Abgasmessung an Diesel- und Ottomotoren, für deren Betrieb versteuerte Otto- und Dieselkraftstoffe gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 EnergieStG eingesetzt werden. Die Katalysatoren werden in den Prüfständen innerhalb kurzer Zeit durch verschiedene Testprogramme künstlich gealtert, um eine Laufleistung zu erreichen, die im normalen Straßenverkehr ca. 100.000 km entspricht. Es werden zwei verschiedene Messprüfstände eingesetzt. Die Einrichtung verfügt über ... Motorenprüfstände, in denen ein externer wassergekühlter Verbrennungsmotor den späteren Kfz-Motor simuliert, sowie einen sog. Rollenprüfstand, für den der zu testende Katalysator temporär in das entsprechende Fahrzeugmodell verbaut wird. Die im Rahmen der Prüfläufe gewonnenen Testergebnisse fließen nach Darstellung der Klägerin direkt in die weitere technologische Entwicklung der jeweiligen Katalysatoren ein. Es werden Messprotokolle gefertigt, die von der Entwicklungsabteilung ausgewertet werden, anhand der ermittelten Werte und Verlaufskurven der Abgasmessung wird der heutige Katalysator bzw. werden dessen Bestandteile entsprechend modifiziert und angepasst. Die zur Einhaltung der zu erzielenden Emissionswerte notwendigen Veränderungen reichen von der Änderung des Mischungsverhältnisses des katalytischen Substrats bis zum Wechsel einzelner Werkstoffe. Nach der Modifizierung wird der Test laufend erneut durchgeführt. Das Verfahren wird so lange wiederholt, bis die gewünschten oder vorgeschriebenen Mess- und Abgaswerte erreicht sind. Der Test ist die Grundlage für die nachfolgende Freigabe eines neu entwickelten Katalysators in die Serienproduktion. Die Prüfstände sind über Rohrleitungen mit Tankbehältern verbunden, in denen die Kraftstoffe lagern. Im Jahr 2008 verbrauchte die Klägerin für die Prüfstände ca. ... l Diesel und ... l Benzin. Die in A entwickelten Prototypen werden an eine Betriebsstätte der Klägerin in B übergeben. Dort werden die Katalysatoren hergestellt und an den Kunden bzw. an einen Dienstleister, der das Gehäuse herstellt, ausgeliefert.

Mit Schreiben vom ... 2009 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Antrag auf Steuerbefreiung gem. § 66 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG i. V. m. § 105 EnergieStV allgemein für das Entwicklungslabor "...". Zur Begründung führte sie aus, die eingesetzten Energieerzeugnisse würden größtenteils im Rahmen von Pilotprojekten für die Fortentwicklung umweltverträglicher Produkte im Sinne von § 105 EnergieStV verwendet. Die Emissionen der Kraftfahrzeuge könnten durch Katalysatoren etwa um den Faktor 10 verringert werden. Erprobt würden Katalysatoren, die wegen des Fortschritts in der Motortechnik, neuen gesetzlichen Vorgaben und wegen der Neuentwicklung der Katalysatortechnik erprobt werden müssten, bevor sie in Serienfahrzeugen verbaut werden könnten. Bei den getesteten Katalysatoren handele es sich um Prototypen bzw. Vorserienmodelle. Die neuen Entwicklungen würden jeweils patentiert.

Anlässlich des gestellten Antrags wurde bei der Klägerin eine Steueraufsichtsmaßnahme durchgeführt. In dem Bericht hierüber vom 30.08.2010 heißt es u. a., es könne sich um Pilotprojekte zur technologischen und nicht branchenüblichen Weiterentwicklung von umweltverträglichen Produkten handeln. Es handele sich nicht um routinemäßige Änderungen an bereits auf dem Markt befindlichen Katalysatoren. Vielmehr würden durch die Änderungen nachweisbar bessere Emissionswerte erreicht, die eine höhere Umweltverträglichkeit gegenüber bereits auf dem Markt befindlichen Katalysatoren versprächen. Es könne sich um technische Neuentwicklungen handeln, die nicht mit einer branchenüblichen Weiterentwicklung zu vergleichen seien. Andererseits würden die technischen Neuentwicklungen nur soweit betrieben, wie es zur Erfüllung künftiger gesetzlicher Vorgaben nötig sei. Es sei daher fraglich, ob die technischen Neuerungen aufgrund gesetzlicher Vorgaben nicht als branchenübliche Weiterentwicklungen zur Erhaltung von Marktanteilen anzusehen seien.

Mit Bescheid vom 21.02.2011 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Pilotprojekte müssten die letzte Stufe eines Forschungs- oder Entwicklungsprozesses darstellen. Die Förderung umfasse keine routinemäßigen oder regelmäßigen Änderungen an bereits auf dem Markt befindlichen Produkten, selbst wenn diese Änderungen Verbesserungen darstellen könnten. Eine Entwicklung eines umweltverträglichen Produkts sei nur dann gegeben, wenn das Produkt unter Umweltgesichtspunkten eine nachweisbare Verbesserung gegenüber auf dem Markt befindlichen vergleichbaren Produkten verspreche. Es müsse sich um eine technische Neuentwicklung handeln, branchenübliche Weiterentwicklungen zum Erhalt oder zur Verbesserung der Marktposition oder der Anpassung an geänderte Rechtsvorgaben seien nicht begünstigt. Im Streitfall könne von einer Steigerung der Umweltverträglichkeit ausgegangen werden, die Entwicklungsarbeiten würden aber zum Erreichen aktueller bzw. künftiger Abgasnormen durchgeführt. Mit § 105 EnergieStV habe der Gesetzgeber nicht die weitere Entwicklung etablierter Systeme aufgrund von Rechtsvorgaben begünstigen, sondern Neuentwicklungen unterstützen wollen, die sich nicht an der Erfüllung geänderter Rechtsvorgaben orientierten.

Mit ihrer am 23.03.2011 zunächst beim niedersächsischen Finanzgericht eingegangenen und mit Beschluss vom 30.03.2011 an das Finanzgericht Hamburg verwiesenen (Sprung-)Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie wiederholt die Antragsbegründung und erläutert die Funktionsweise eines Katalysators sowie einzelne Entwicklungen. Für jede Neuentwicklung eines Motors sei eine eigenständige Neuentwicklung des auf ihn abgestimmten Katalysators notwendig. Im Bereich der Katalysatoren für Dieselmotoren sei im Zeitraum 2008-2010 durch patentierte Neuentwicklungen der Gehalt an Schadstoffen im Abgas signifikant reduziert oder die Menge an erforderlichen Edelmetallen im Katalysator verringert worden. Sodann schildert die Klägerin Weiterentwicklungen der Katalysatortechnik in ihrem Hause. Unter anderem habe sie ... entwickelt, die bis zu ... zerstörten; diese Entwicklung sei freiwillig und nicht begleitet von gesetzlichen Einschränkungen der Schadstoffemissionen für Kraftfahrzeuge. Die von ihr erworbenen Patente bezögen sich sowohl auf Produkte, die mit ihrer erhöhten Umweltverträglichkeit dazu beitrügen, zukünftig (ab 2014) existierende Schadstoffnormen einzuhalten, als auch auf Produkte, deren Verbesserung der Umweltverträglichkeit nicht durch gesetzliche Anforderungen begleitet werde. Bereits auf dem Markt befindliche Produkte würden nicht im ... getestet. Sofern existierende Katalysatortypen neu entwickelten Fahrzeugmotoren angepasst würden, seien diese als eigenständige Neuentwicklungen zu betrachten, da das Mischungsverhältnis des katalytischen Substrats, dessen Trägerkomponenten und selbst einzelne metallische Werkstoffe für jeden neuen Fahrzeugmotor eigens neu zusammengestellt werden müssten. Es handele sich also nicht um routinemäßige oder regelmäßige Änderungen an bereits auf dem Markt befindlichen Produkten, sondern um die Umsetzung von Erkenntnissen der industriellen Forschung für neue Produkte einschließlich der Schaffung eines nicht zur kommerziellen Verwendung geeigneten Prototyps. Es handele sich auch um die technologische Entwicklung umweltverträglicher Produkte, es gehe um die Entwicklung von Produkten, die einen deutlich verringerten Schadstoffausstoß aufwiesen, die den Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugmotors, der auf das Katalysatorsystem entfalle, verringerten und die einen geringeren Materialverbrauch von Edelmetallen und seltenen Rohstoffen aufwiesen. Es handele sich auch nicht nur um branchenübliche Weiterentwicklungen, dies ergebe sich schon daraus, dass die Neuentwicklungen überwiegend patentiert würden. Dies setze voraus, dass die Erfindungen nicht zum Stand der Technik gehörten.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21.02.2011 zu verpflichten, eine Steuerbegünstigung nach § 105 EnergieStV entsprechend ihrem Antrag vom 08.10.2009 zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt zur Begründung vor, nach § 66 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG stehe es im Ermessen des Bundesministeriums der Finanzen, eine Steuerbegünstigung für Energieerzeugnisse zu gewähren, wenn diese bei Pilotprojekten zur technologischen Entwicklung umweltverträglicher Produkte verwendet würden. Dem Verordnungsgeber bleibe überlassen, Ermessensrichtlinien zu einem allgemeinen Begriff wie dem des "Pilotprojekts" zu formulieren. Dies sei mit der Verwaltungsvorschrift zu § 66 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG und § 105 EnergieStV (V 8245-5) geschehen. In der Sache trägt er vor, dass Katalysatoren seit ihrer Einführung ständig Änderungen und Anpassungen an neue Techniken und Umweltauflagen erführen. Damit seien neben der Klägerin auch andere Unternehmen befasst. Die von der Klägerin vorgenommenen Neuentwicklungen und Anpassungen von Katalysatoren an bedarfsspezifische Anforderungen und Euro-Abgas-Normen seien geradezu typische Maßnahmen im Rahmen ihres Unternehmenszwecks, die dem Bestehen am Markt und der Sicherung von Wettbewerbsvorteilen gegenüber Konkurrenten dienten. Die Änderung von auf dem Markt befindlichen Produkten sei, auch wenn sie zu Verbesserungen führe, nicht förderungswürdig. Dass Entwicklungen zu einem Patent führten, könne, müsse aber nicht bedeuten, dass es sich um ein Pilotprojekt handele. In Anwendung der Verwaltungsvorschrift sei die Entscheidung ermessensfehlerfrei.

Mit Schriftsatz vom 20.04.2011 hat der Beklagte der Sprungklage zugestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Sachakte des Beklagten verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig (I.), aber unbegründet (II.).

I.

Die Verpflichtungsklage ist ohne Vorverfahren als Sprungklage nach § 45 FGO zulässig, da der Beklagte innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift gegenüber dem Gericht zugestimmt hat, § 45 Abs. 1 FGO.

II.

Die Klage ist indes unbegründet. Die Ablehnung der begehrten Steuerbegünstigung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 101 S. 1 FGO.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die beantragte Steuerbegünstigung. Als Anspruchsgrundlage kommt allein § 66 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG i. V. m. § 105 EnergieStV in Betracht. § 66 Abs. 1 Nr. 2 EnergieStG, der Art. 15 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (RL 2003/96) umsetzt, ermächtigt das Bundesministerium der Finanzen, durch Rechtsverordnung zu regeln, dass die Hauptzollämter im Verwaltungswege eine Steuerbegünstigung für Energieerzeugnisse gewähren können, die bei Pilotprojekten zur technologischen Entwicklung umweltverträglicher Produkte verwendet werden. Auf der Grundlage dieser Verordnungsermächtigung hat das Bundesministerium der Finanzen in § 105 EnergieStV geregelt, dass das zuständige Hauptzollamt auf Antrag im Verwaltungswege eine Steuerbegünstigung für Energieerzeugnisse gewähren kann, die bei Pilotprojekten zur technologischen Entwicklung umweltverträglicher Produkte verwendet werden.

Unabhängig von der zwischen den Beteiligten diskutierten Frage, ob § 105 EnergieStG als Ermessensnorm oder als gebundene Entscheidung ausgestaltet ist, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Steuerbegünstigung nicht vor. Im Streitfall wäre Voraussetzung, dass die Energieerzeugnisse bei Pilotprojekten zur technologischen Entwicklung umweltverträglicher Produkte verwendet werden.

Zwar kann davon ausgegangen werden, was auch der Beklagte nicht in Abrede stellt, dass die in dem ... der Klägerin durchgeführten Prüfungen jedenfalls im Wesentlichen der technologischen (Weiter-)Entwicklung umweltverträglicher Produkte dienen. Es handelt sich bei dem Betrieb des ... mit den darin durchgeführten Testreihen jedoch nicht um "Pilotprojekte zur Entwicklung umweltverträglicher Produkte" im Sinne des § 105 EnergieStV. Der Begriff "Pilotprojekt" stellt einen unbestimmten Rechtsbegriff dar, der gesetzlich nicht definiert ist. Er ist auslegungsbedürftig, seine Auslegung unterliegt der vollen gerichtlichen Überprüfung, ohne dass insoweit ein Beurteilungs- oder sonstiger gerichtlich nicht oder nur eingeschränkt überprüfbarer Bewertungsspielraum des Hauptzollamts gegeben wäre. Die vom Bundesministerium der Finanzen erlassene Verwaltungsvorschrift "Energieerzeugnisse für Pilotprojekte" vom 06.08.2007 (V 8245-5) erweist sich daher als eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift, an die der Senat nicht gebunden ist, die er aber - sofern er die darin vorgenommene Auslegung für richtig hält - gleichwohl bei seiner Auslegung berücksichtigen kann.

Mit dem Rechtsbegriff "Pilotprojekt zur technologischen Entwicklung umweltverträglicher Produkte" hat sich das Gericht Erster Instanz der Europäischen Union in seinem Urteil vom 27.09.2000 (T-184/97, zu Art. 8 Abs. 2 RL 92/81, der im Wesentlichen Art. 15 RL 2003/96 entspricht) befasst und ausgeführt, dass die Verwirklichung von Pilotprojekten im Allgemeinen die letzte Stufe des Forschungs- und Entwicklungsprozesses darstelle, die der industriellen Umsetzung der Ergebnisse dieser Forschungen im größtmöglichen Maßstab vorausgehe. Der Rechtsbegriff sei eng und unter Berücksichtigung zu vermeidender Wettbewerbsverzerrungen auszulegen. Weiter heißt es, es stehe fest, dass die Auswirkungen der Forschungs- und Entwicklungsarbeit eines Unternehmens zum Beispiel auf technologischem Gebiet den Wettbewerb umso mehr beeinträchtigen könnten, je mehr sich diese Tätigkeit der Stufe der Vermarktung und damit der kommerziellen Nutzung annähere. In der 24. Begründungserwägung zur RL 2003/96 heißt es, dass den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eingeräumt werden solle, bestimmte Steuerbefreiungen oder -ermäßigungen anzuwenden, sofern dies nicht das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtige oder zu Wettbewerbsverzerrungen führe. Der Senat folgt dieser Rechtsprechung und legt seiner Auslegung, die unionsrechtskonform zu erfolgen hat, auch die Begründungserwägungen der RL 2003/96 zu Grunde.

Die Klägerin hat, wie sie in ihrem Antrag vom 08.10.2009 formuliert hat, den Steuerbefreiungsantrag "für das Entwicklungslabor ..." und nicht spezifiziert für bestimmte Testreihen oder Entwicklungen gestellt. Dem Antrag könnte also nur dann stattgegeben werden, wenn sämtliche in dem ... durchgeführten Prüfungen und Entwicklungen als Pilotprojekt im Sinne von § 105 EnergieStV angesehen werden könnten. Dies ist indes nicht der Fall.

Es kann nicht angenommen werden, dass sämtliche von der Klägerin durchgeführten Versuchsreihen die letzte Stufe eines Forschungs- und Entwicklungsprozesses darstellen. Das umweltverträgliche Produkt "Katalysator" ist - sowohl für Otto- als auch für Dieselmotoren - bereits seit Jahrzehnten auf dem Markt. Die von der Klägerin durchgeführten Testreihen dienen jedenfalls überwiegend der Weiterentwicklung bereits existierender Katalysatortypen an neu entwickelte Fahrzeugmotoren, der Anpassung an veränderte gesetzliche Vorgaben sowie der Neuentwicklung der Katalysatortechnik. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich nicht um die letzte Stufe eines in sich abgeschlossenen Prozesses, sondern um Zwischenschritte auf dem Weg zur kontinuierlichen Verbesserung eines bereits am Markt bewährten Produkts. Selbst wenn diese Schritte - wie sich aus der Betriebserklärung zum Antrag vom 08.10.2009 und auch aus der Klagebegründung nachvollziehbar ergibt - in technischer Hinsicht weitreichend und bedeutend sein mögen, so stellen sie doch letztlich jedenfalls überwiegend (nur) Weiterentwicklungen bzw. Anpassungen vorhandener Produkte dar. In der mündlichen Verhandlung vom 19.06.2012 hat die Klägerin auch selbst dargelegt, dass - aus ihrer Sicht - zumindest einzelne Prüfungen nur Modifikationen dienten, die für sich genommen nicht als Pilotprojekt angesehen werden könnten, und hat als Beispiel die Reduzierung der in Katalysatoren verwandten, als Seltene Erden bezeichneten Rohstoffe genannt, die aus Kostengründen erfolgt sei.

Die Annahme eines Pilotprojekts zur Entwicklung umweltverträglicher Produkte scheitert an der notwendigen restriktiven Auslegung auch unter Berücksichtigung der Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen. Nach dem bereits zitierten Urteil des Gerichts Erster Instanz der Europäischen Union vom 27.09.2000 (T-184/97) kann eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs umso mehr angenommen werden, je mehr sich die Forschungs- und Entwicklungstätigkeit der Stufe der Vermarktung und damit der kommerziellen Nutzung annähert. Letztlich dienen die Versuchsreihen jedenfalls überwiegend dazu, die bereits auf dem Markt befindlichen Katalysatoren an geänderte rechtliche (Abgasnormen) und/oder technische (neue bzw. weiterentwickelte Motoren) Bedingungen anzupassen, um diese Katalysatoren kommerziell nutzen und erfolgreich vermarkten zu können. Dabei geht es der Klägerin naturgemäß auch darum, im Wettbewerb mit den anderen Herstellern vergleichbarer Katalysatoren zu bestehen. Es geht also im Kern um notwendige Anpassungen an die Markterfordernisse und nicht um die Entwicklung neuer umweltverträglicher Produkte, die steuerbegünstigt sein soll, um zu verhindern, dass die Entwicklung dieser Produkte aufgrund der dadurch verursachten Energiekosten unterbleibt.

Insofern hält der Senat auch die Definition des Rechtsbegriffs "Pilotprojekt" in der Verwaltungsvorschrift für richtig. Danach müssen, um eine Steuerbegünstigung zu erwirken, technische Neuentwicklungen erfolgen; branchenübliche Weiterentwicklungen, die dem Erhalt oder der Verbesserung der Marktposition dienen oder die eine Anpassung der Produkte zur Erfüllung geänderter Rechtsvorgaben darstellen, sind nicht begünstigungsfähig. Die von der Klägerin geschilderten Entwicklungen dienen aber jedenfalls weit überwiegend dem Erhalt oder der Verbesserung der Marktposition, wenn die Katalysatoren an neue Motoren angepasst oder sonst verbessert werden und dadurch erfolgreich am Markt angeboten werden können. Sofern die Abgaswerte verbessert werden sollen, dienen die Entwicklungen der Erfüllung geänderter Rechtsvorgaben, was wiederum Voraussetzung für die Vermarktung ist.

Der Senat übersieht nicht, dass die Testreihen im ... auch zu Entwicklungen führen, die möglicherweise als Pilotprojekt angesehen werden können. Dies mag etwa auf die von der Klägerin auf Seite 7 ihrer Klagebegründung beschriebenen ... zutreffen, die ... eines Fahrzeugs ... werden, sofern es sich dabei um eine technische Neuentwicklung und nicht lediglich um die Weiterentwicklung eines Produkts handelt. Das kann jedoch für den Erfolg der Klage nicht ausreichen. Die Klägerin könnte, wie bereits dargelegt, mit ihrer Klage nur Erfolg haben, wenn es sich bei sämtlichen Testreihen im ... um Pilotprojekte zur technologischen Entwicklung umweltverträglicher Produkte handeln würde. Dies ist, wie dargelegt, nicht der Fall. Sofern einzelne Testreihen als Pilotprojekt angesehen werden können, müsste der Antrag, da die Steuerbegünstigung nach § 105 EnergieStV an konkrete Projekte anknüpft, also für ein bestimmtes Projekt und nicht pauschal für den Betrieb eines bestimmten Prüfstandes gestellt werden.

Dass verschiedene Entwicklungen der Klägerin im Zusammenhang mit der Weiterentwicklung von Katalysatoren patentiert werden konnten, ist nicht erheblich. Die rechtlichen Anforderungen an eine Patentanmeldung decken sich nicht mit denen für eine Steuerbegünstigung für Pilotprojekte, vielmehr handelt es sich bei dem Patentrecht einerseits und dem Energiesteuerrecht andererseits um gänzlich unterschiedliche Regelungszusammenhänge. Während kontinuierliche Weiterentwicklungen vorhandener Produkte nicht eine für die Annahme eines Pilotprojekts erforderliche letzte Stufe eines in sich abgeschlossenen Prozesses darstellen können, werden Patente nach § 1 Abs. 1 PatG für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik erteilt, sofern sie neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich nutzbar sind. Damit können also auch kleinteilige Entwicklungsschritte, die für sich genommen kein Pilotprojekt im Sinne von § 105 EnergieStG darstellen, patentiert werden. Energiesteuerrechtliche und patentrechtliche Wertungen präjudizieren sich nicht wechselseitig.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.






FG Hamburg:
Urteil v. 19.06.2012
Az: 4 K 66/11


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