Finanzgericht Köln:
Urteil vom 30. August 2012
Aktenzeichen: 12 K 1967/11

(FG Köln: Urteil v. 30.08.2012, Az.: 12 K 1967/11)

Tenor

Die Umsatzsteuer 2008 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung und Änderung des Umsatzsteuerbescheids 2008 vom 21.9.2010 auf x,xx € festgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für Umsätze aus Autorenlesungen.

Die Klägerin ist Schriftstellerin und führte im Streitjahr (2008) Lesungen aus ihrem zuvor erschienenen Buch durch.

Die Honorare für die Lesungen behandelte sie in der Umsatzsteuererklärung 2008 - ebenso wie die Erlöse aus den Buchverkäufen - als dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegend.

Aufgrund Prüfungsanordnung vom 01.09.2010 führte der Beklagte im Juli 2010 bei der Klägerin eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung, beschränkt auf die dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Umsätze, durch. Die Umsatzsteuer-Sonderprüfung kam zu dem Ergebnis, dass für die Honorare der Autorenlesungen kein Ermäßigungstatbestand eingreife und diese daher mit dem Regelsteuersatz zu besteuern seien. Für das Jahr 2008 seien daher die 7 % Umsätze um x,xx Euro zu kürzen, während die 19 % Umsätze um x,xx Euro zu erhöhen seien. Die Umsatzsteuer 2008 erhöhe sich daher um x,xx Euro.

Dem folgend erließ der Beklagte unter dem 21.09.2010 einen nach § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Umsatzsteuerbescheid 2008. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg (Einspruchsentscheidung vom 19.05.2011).

Die streitigen Umsätze aus den Lesungen seien dem allgemeinen Umsatzsteuersatz zu unterwerfen. Eine Steuerermäßigung käme allenfalls nach den Vorschriften des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a und Buchst c Umsatzsteuergesetz (UStG) in Betracht, die jedoch hier nicht anwendbar seien.

§ 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG greife nicht, weil es sich bei der Lesung um keine Theaterveranstaltung und kein Konzert und keine diesen vergleichbare Darbietung einer ausübenden Künstlerin handele. Zwar fielen nach der ständigen Rechtssprechung des BFH unter diese Vorschrift nicht nur Theatervorführungen im engeren Sinne, sondern auch Darbietungen der Pantomime, Tanzkunst, Kleinkunst und des Varietés sowie Puppenspiele und Eisrevuen. Lesungen eines Buchautors entsprächen jedoch nicht den Anforderungen eines Theaters, nämlich der szenischen Darstellung eines äußeren oder inneren Geschehens. Bei einer Lesung gehe es vielmehr in erster Linie darum, den Inhalt eines Buches bekannt zu machen und die Neugier zu wecken, das Buch zu kaufen und zu lesen. Dass dabei auch Elemente aus dem Theaterspiel eingesetzt würden, wie zum Beispiel Stimme, Sprache, Körperhaltung und Bewegung möge zutreffend sein. Hieraus ergebe sich jedoch nicht der Charakter einer Theateraufführung. Entgegen der Auffassung der Klägerin sei der Fall auch nicht mit dem dem Urteil des FG Hamburg vom 28.05.2009 (1 K 53/08) zugrundeliegenden Sachverhalt vergleichbar. Im dortigen Urteilsfall schlüpfe der vortragende Autor in die jeweilige Rolle seiner Buchakteure. Er imitiere abwechselnd die verschiedenen Charaktere seiner Geschichte und nehme deren spezifische Sprachfärbung an. Im Streitfall lese die Klägerin jedoch aus einem Buch, das ihr eigenes Leben widerspiegele. Nach ihrer eigenen im Internet recherchierbaren Erklärung sei das Buch zu 70 % autobiographisch. Dies bedeute aber, dass sie bei den Lesungen nicht in die Rolle einer anderen, im Buch beschriebenen Person schlüpfe und deren Charakter, Eigenarten, Mimik, Körpersprache, Ausdruck usw. den Zuschauern näher bringen müsse. Sie lese und erzähle vielmehr von sich selbst.

Auch § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG greife nicht. Nach dieser Vorschrift seien die Umsätze aus der Einräumung, Übertragung und Wahrnehmung von Rechten, die sich aus dem Urheberschutzgesetz ergäben, mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuern. Ein Schriftsteller der im Rahmen einer Veranstaltung seine Werkausgaben signiere, Autogramme gebe oder aus seinen Werken lese, erbringe keine Leistung in diesem Sinne. Vielmehr unterlägen diese Leistungen nach Abschnitt 168 Abs. 8 Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) dem allgemeinen Steuersatz.

Die Klägerin hat am 21.06.2011 Klage erhoben und diese wie folgt begründet:

Die Umsätze aus den Autorenlesungen unterlägen nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a dem ermäßigtem Steuersatz. Der Beklagte lege den Begriff der Theateraufführung zu eng aus.

Sie, die Klägerin erbringe bei den Lesungen Leistungen, die weit über die reine Wiedergabe des Textes hinausgingen. Es finde eine Art interaktiver Show statt. Sie spiele die Rolle, die das Publikum von ihr erwarte. Sie gehe auf Zwischenfragen ein und inszeniere sich und ihre Auffassungen mal ironisch mal provokativ mal ernst - wie eine Schauspielerin im Theater. Dies werde begünstigt durch die Tätigkeiten, die die Klägerin vor und neben der Schriftstellertätigkeit ausübe und ausgeübt habe, zum Beispiel als Fernsehmoderatorin, Sängerin, Schauspielerin und Sprecherin. Bei der Lesereise gehe es um die Darstellung der in dem Buch „A“ verkörperten Person. Es werde die vom Beklagten vertretende Auffassung bestritten, dass sie keinen Rollenwechsel bei ihren Lesungen vornehme. Dass das rezitierte Buch autobiographische Züge trage, könne dafür keine Rolle spielen. Anders wäre es, wenn sie lediglich ihre Lebensgeschichte vorläse. Sie trage aber aus einem Roman vor, der wie alle Romane in den wesentlichen Bestandteilen fiktiv sei. Dabei schlüpfe sie in die Rolle der 18jährigen Protagonistin. Sie trete während der gesamten Lesung in einen intensiven Dialog mit dem Publikum. Die Lesungen erinnerten in weiten Teilen an eine Kabarett-Veranstaltung, die immer wieder von Beifall, Lachen und Zwischenrufen des Publikums unterbrochen werde. Das Vorlesen aus dem Roman nehme deutlich weniger als die Hälfte der gesamten Veranstaltung ein. Zum Nachweis lege sie einen Artikel aus der B Zeitung vom ... und einen DVD-Mitschnitt einer Lesung vor, auf die verwiesen wird (Bl. 8-11 GA, Bl. 71 GA). Der vom Beklagten angeführte Hauptzweck einer Lesung, den Inhalt eines Buches bekannt zu machen, trete hier in den Hintergrund angesichts der Tatsache, dass das Buch bereits millionenfach verkauft gewesen sei und bei Lesungen jeweils nur mehrere hundert Personen erreicht würden.

Sie stütze sich auch auf das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 28.05.2009. Dieses verstehe den Begriff der Theateraufführung sehr weit. Danach falle unter den Begriff Theater „eine Inszenierung jeglicher Art, deren Darsteller durch Kommunikationsmittel wie Sprache, Körper oder Musik den Bezug zum Publikum herstellen“. Bei ihren Lesungen handele es sich um solche Inszenierungen. Sie bringe dem Publikum die Inhalte ihres Buches näher, indem sie mit Hilfe der Stimme, Sprache, Körperhaltung und Bewegung - am Theater orientierte Verhaltensweisen - die Texte lebendig werden lasse. Eine solche inszenierte Lesung erfolge ohne Kostüm und Bühnenbild. Sie gehe über das zur Kleinkunst gehörende Rezitieren hinaus und sei daher erst recht als Kleinkunst - folglich auch als Theateraufführung - einzustufen. Dass bei der Lesung nicht das Vorlesen aus einem Buch sondern die Kommunikation mit dem Publikum im Vordergrund stehe, ergebe sich auch schon daraus, dass sie, die Klägerin, während der Lesung sich selbst mehrmals ermahnen müsse, dass es sich hier um eine Lesung handele. Damit gebe sie zu erkennen, dass sie davon ausgehe, dass das von ihr Dargebotene über den Rahmen einer üblichen Lesung hinausgehe.

Soweit der Beklagte die Umsatzsteuerrichtlinien zu § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG zitiere, sähe sie deutliche Unterschiede zu den dort aufgeführten Beispielen. Soweit der Schriftsteller oder die Schriftstellerin mit bestimmten Personengruppen z.B. in einer Talkshow Gespräche führe, sei das geschriebene Werk in der Regel nicht Gegenstand der Gespräche, sondern Anlass, die betreffende Person überhaupt in die Gesprächsrunde einzuladen. Erhalte der Schriftsteller für die Teilnahme an einer derartigen Veranstaltung ein Entgelt, unterliege dies der Regelbesteuerung. Anders sei es bei einer Lesung. Hier mache der Schriftsteller den Inhalt seines Werkes der Öffentlichkeit bekannt. Die Lesung sei damit als Verwertung der eigenen Urheberrechte anzusehen und unterfalle der Ermäßigungsvorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG. Die Durchführung der Lesung durch eine andere Person als den Schriftsteller würde die vorherige Übertragung der Urheberrechte voraussetzen. Lese der Schriftsteller aus seinen Werken selbst, verwerte er auch das Urheberrecht selbst. Die Richtlinien schränkten hier bereits die Gesetzesvorschrift ohne erkennbare Rechtsgrundlage ein.

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 19.05.2011 den Bescheid über Umsatzsteuer 2008 dahingehend zu ändern, dass die Umsätze aus Lesungen in Höhe von x,xx € brutto mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 % besteuert werden,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hält daran fest, dass die streitigen Umsätze dem Regelsteuersatz zu unterwerfen seien. Eine einer Theateraufführung vergleichbare Darbietung liege nicht vor.

Das zitierte Urteil des FG Hamburg vermöge rechtlich nicht zu überzeugen. In den Entscheidungsgründen werde ausdrücklich auf Abschnitt 168 Abs. 8 UStR (heute Abschnitt 12.7 Abs. 8 USt-Anwendungserlass) verwiesen. Dort heiße es: „Der Schriftsteller, der im Rahmen einer Veranstaltung (...) ein Entgelt erhält, erbringt eine sonstige Leistung, die dem Allgemeinsteuersatz unterliegt. Das Gleiche gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Schriftsteller aus seinen Werken liest oder mit bestimmten Personengruppen - z.B. Lesern, Politikern, Schriftstellern, Buchhändlern - Gespräche oder Aussprachen führt.“

Das Finanzgericht Hamburg führe weiterhin aus, diese Regelung betreffe ausschließlich die Ermäßigungsvorschrift gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG. Die Ermäßigungsvorschrift gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG könne gleichwohl Anwendung finden, soweit deren Tatbestandsvoraussetzungen vorlägen. Nach Auffassung des FG Hamburg solle es also Autorenlesungen geben, die gleichzeitig als den Theatervorführungen vergleichbare Darbietungen einzuordnen seien. Dieser Ansicht könne sich der Beklagte nicht anschließen. Der zitierte Auszug aus den UStR ergebe ohne Zweifel, dass der Richtliniengeber die typische Autorenlesung unter Einschluss der anschließenden Aussprache als ein Format besonderer Art und nicht als Theatervorführung bzw. als vergleichbare Darbietung betrachte. Andernfalls wäre die Richtlinie zu § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c entbehrlich, weil bereits die Umsatzsteuerermäßigung gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a greife.

Richtigerweise sei folglich die von der Klägerin erbrachte Darbietung alternativ als Theatervorführung oder als Autorenlesung zu qualifizieren, wobei § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG nur auf den ersten Fall Anwendung finde. Vorliegend sei von einer Autorenlesung auszugehen. Dafür spreche, dass die Klägerin in ihren Veranstaltungen aus ihrem Buch „A“ vorgetragen habe. Der von der Klägerin beigebrachte Auszug aus der Online-Ausgabe der B Zeitung belege, dass es anschließend zu einer Aussprache mit dem Publikum gekommen sei. Dieser Ablauf entspreche exakt dem vom Richtliniengeber vorgezeichneten - und auch vom FG Hamburg nicht in Zweifel gezogenen - Ablauf einer Autorenlesung.

Unerheblich sei aus Sicht des Beklagten, dass die Klägerin - wie sie vortrage - ihre Sprechweise während der Lesung verändere und ihrer Stimme je nach dem Inhalt der entsprechenden Romanpassage eine ironische, provokative oder ernste Färbung verliehen habe. Eine solche Gestaltung sei für eine gekonnte Lesung ebenso typisch wie der begleitende Einsatz von Gestik oder Mimik. Ein sachlich monotoner Vortragstil sei hingegen kein notwendiges Kennzeichen einer Autorenlesung.

Wesentliche Charakteristika einer Theatervorführung seien hingegen nicht gegeben. Erforderlich dafür sei nämlich ein Rollen- und Identitätswechsel: Der Schauspieler spiele einen Menschen, der er tatsächlich nicht sei. Ein solcher Rollenwechsel sei bei der Klägerin nicht gegeben. Sie trage selbst vor, dass es sich bei ihrem Roman um ein weitgehend autobiographisches Werk handele. Bei ihren Lesungen stehe sie folglich persönlich, mit ihrer tatsächlichen Identität im Zentrum des Geschehens. Das die an die Lesung anschließende Aussprache - ausweislich des Artikels in der B Zeitung - provokant verlaufe und an gesellschaftlichen Tabuisierungen rüttele, entspreche gleichfalls der persönlichen Note der Klägerin.

Auch die neuerdings von der Klägerin eingeführten Formate der „Rezitation“ bzw. „szenischen Lesens“ passten nicht auf den Sachverhalt. In beiden Fällen handele es sich um besondere Techniken zur Wiedergabe eines Textes, die sich gegenüber der schlichten Lesung durch eine besondere künstlerische Gestaltung auszeichneten. Die von der Klägerin vorgelegte DVD-Aufzeichnung liefere indessen keinerlei Anhalt dafür, dass die Klägerin von der Tonlage, der Sprechtechnik, der Sprachmelodie und der Sprachmodulation abweiche, die für eine gewöhnliche Lesung typisch seien.

Auch eine kabarettistische Darbietung liege nicht vor. Zweck der Veranstaltung sei die Präsentation des Buches, was schon anhand der Bühnendekoration - zwei Stellwände, die das vergrößerte Cover des Buches zeigten - direkt zu erkennen sei. Die Lesung (im engeren Sinne) stelle den formalen und inhaltlichen Zusammenhang der Veranstaltung her. Die von der Klägerin hier und dort eingebrachten Anekdoten dienten der Auflockerung des Geschehens, hingen inhaltlich nicht zusammen und zögen die übergeordnete Zwecksetzung nicht in Zweifel. Auch die abschließende Fragerunde bzw. Diskussion befasse sich mit dem Roman der Klägerin. Im Übrigen sei eine derartige Fragerunde kein typischer Bestandteil einer kabarettistischen Veranstaltung.

Die Steuerbefreiung gem. § 12 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c UStG sei nicht einschlägig. Die sonstige Leistung, die die Klägerin gegenüber ihren Zuhörern erbringe, bestehe nicht in der Einräumung von Urheberrechten (Hinweis auf BFH-Urteil vom 21.10.2009, V R 8/08, BFH/NV 2010, 476; UST-AE, Abschn. 12.7 Abs. 6).

Gründe

Die Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -)

Die Darbietung der Klägerin unterliegt gemäß § 12 Nr. 7 Buchst. a UStG dem ermäßigten Steuersatz.

Nach § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG ermäßigt sich der Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 UStG auf sieben Prozent für die Eintrittsberechtigung für Theater, Konzerte und Museen, sowie die den Theatervorführungen und Konzerten vergleichbaren Darbietungen ausübender Künstler.

Die Klägerin erbringt als ausübende Künstlerin eine den Theatervorführungen vergleichbare Darbietung.

Der Begriff des ausübenden Künstlers entstammt dem Urheberrecht und zwar auch dem internationalen Urheberrecht. Nach der Legaldefinition in § 73 UrhG ist ausübender Künstler im Sinne dieses Gesetzes, wer ein Werk oder eine Ausdrucksform der Volkskunst aufführt, singt, spielt oder auf eine andere Weise darbietet oder an einer solchen Darbietung künstlerisch mitwirkt (Urteil FG Berlin-Brandenburg vom 4.11.2008, 7 K 2310/06 B, EFG 2009, 156; Urteil FG Düsseldorf vom 27.1.2010, 5 K 1072/08 U, EFG 2010, 1079).

Die Klägerin bietet hier ihr literarisches Werk auf andere Weise, nämlich in Form einer Lesung, dar.

Diese Darbietung ist einer Theatervorführung vergleichbar.

Die Rechtsprechung versteht unter Theatervorführungen i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG nicht nur Aufführungen von Theaterstücken, Opern und Operetten, sondern auch Darbietungen der Pantomime und Tanzkunst, der Kleinkunst und des Varietés bis zu den Puppenspielen. Begünstigt sind auch Mischformen von Sprech-, Musik- und Tanzdarbietungen, so dass eine "Unterhaltungsshow" ebenfalls eine Theateraufführung i.S. von § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG sein kann (vgl. BFH-Urteil vom 19.10.2011, XI R 40/09, BFH/NV 2012, 798 m.w.N.).

Die Lesungen der Klägerin sind als Kleinkunst einzuordnen.

Kleinkunst ist seit dem 19. Jahrhundert ein gebräuchlicher Begriff für Darbietungen von Schauspielern, die im Gegensatz zur "großen Kunst" im Theater die "kleine Kunst" (in Varieté, Singspielhallen u.a.) darbieten. Seit Entstehung der ersten deutschen Kabaretts (1901) ist Kleinkunst die Sammelbezeichnung für alle angebotenen dramatischen, literarischen und musikalischen Formen (Artistik, Bänkelgesang, Chansons, Pantomime, Posse, Puppentheater, Rezitation, Singspiel, Sketch, Zauberkunst u.a.). Der Begriff Rezitation stammt aus dem Lateinischen (recitatio "das Vorlesen") und meint den künstlerischen (gesprochenen) Vortrag, z.B. eines Gedichts (Brockhaus/Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band 5, 1983). Ziel ist es, literarische Werke (Lyrik und Prosa) mit Hilfe von Sprache hörbar zu machen; dies kann mittels eines Solisten oder einer Gruppe von Vortragenden geschehen. Dabei sind Interpretationstechniken wie Atemtechnik, Stimmtechnik sowie Sprechtechnik von Bedeutung. Der Vortragende transportiert mit Hilfe der Stimme, Sprache, Körperhaltung und Bewegung die Emotionen und Gedanken des Textes zum Zuhörer (Urteil FG Hamburg vom 28.5.2009, 1 K 53/08, EFG 2009, 566).

Der Senat folgt den in vorgenanntem Urteil des FG Hamburg aufgestellten Grundsätzen. Die Klägerin rezitiert danach ihr Werk und bewegt sich so in einer Gattung der Kleinkunst. Sie bedient sich dabei insbesondere ihrer Stimme, die sie beim Lesen häufig zum Ausdruck besonderer Situationen oder zur Darstellung Handelnder verändert. Sie unterstreicht dies mit Mimik, Körperhaltung und Bewegung und ruft so Emotionen beim Publikum hervor, die sich insbesondere in der Artikulation von Lachen und Schmunzeln äußern. Die Klägerin liest aber nicht nur. Sie unterbricht das eigentliche Lesen des Buches immer wieder für Erläuterungen, die mehr oder weniger Bezug zum Buch haben. In einem längeren Statement äußert sie sich so z.B. über ihre Probleme mit der Bildzeitung und deren Ursache und bringt auch bei diesem durchaus ernsten Thema durch ihre Sprache, Gestik und Mimik das Publikum immer wieder zum Lachen. Stellenweise gerät so die Lesung völlig in den Hintergrund. So äußert sie auch bereits zu Beginn der Lesung, dass sie sich immer wieder selber in Erinnerung rufen müsse, dass es sich hier ja um eine Lesung handele. Dies greift sie, wenn sie ihre Zwischenbemerkungen macht und Geschichten außerhalb des Buches erzählt, immer wieder auf. Hier erreicht ihre Darbietung teilweise auch kabarettistische Züge.

Dem steht auch nicht die vom Beklagten zitierte Rechtsauffassung der Finanzverwaltung in Abschn. 12.7 Abs. 8 Sätze 1, 2 UStAE (zuvor Abschn. 168 Abs. 8 UStR) entgegen. Danach erbringt ein Schriftsteller, der im Rahmen einer Veranstaltung seine Werksausgaben signiert oder Autogramme gibt und dafür vom Veranstalter (...) ein Entgelt erhält, eine sonstige Leistung, die dem allgemeinen Steuersatz unterliegt. Das gleiche gilt nach dem Anwendungserlass grundsätzlich auch dann, wenn der Schriftsteller aus seinen Werken liest. Ob, wie der Beklagte meint, diese zu § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. c UStG dargelegte und nicht weiter begründete Rechtsauffassung auch für die Anwendung des § 12 Abs. 2 Nr. 7 Buchst. a UStG eine Aussage dahingehend trifft, dass Umsätze aus Autorenlesungen nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliegen, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls nennt die Finanzverwaltung keine Argumente, die Zweifel an der hier vertretenen Rechtsauffassung des Senats begründen könnten.

Die Revision wird zugelassen, da der Senat der Streitsache grundsätzliche Bedeutung beimisst (§ 155 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.






FG Köln:
Urteil v. 30.08.2012
Az: 12 K 1967/11


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