Amtsgericht Brühl:
Urteil vom 15. November 2001
Aktenzeichen: 29 C 188/01

(AG Brühl: Urteil v. 15.11.2001, Az.: 29 C 188/01)

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.660,22 DM

nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 05.12.00 zu zahlen.

Es wird festgestellt, daß die Beklagte verpflichtet ist,

dem Kläger den Schaden zu ersetzen, der ihm ab dem Jahr

2002 durch den Verlust des Schadenfreiheitsrabattes in der Vollkaskoversicherung entsteht.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 16 %, die Beklagte 84 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrages. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger verlangt Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall. Am

30.10.2000 fuhr er gegen 23.10 Uhr mit seinem Pkw Merceden-Kombi (amtliches Kennzeichen ) in der Autobahnausfahrt Hürth

des Bundesautobahn A 1 (Fahrtrichtung Koblenz). Dort kam es zu einem Zusammenstoß mit dem von der Beklagten gesteuerten Pkw,

einem BMW (amtliches Kennzeichen ).

In der Autobahnausfahrt befand sich zum Unfallzeitpunkt eine ca.

150 Meter lange Spur ausgelaufenen Dieselöls, auf welcher der

BMW ins Schleudern geriet. Der BMW, der hinter dem Mercedes-

Kombi fuhr, schleuderte gegen Leitplanke und Klägerfahrzeug. Der

Kläger ist der Ansicht, daß der Unfall für die Beklagte kein unabwendbares Ereignis darstellt. Er habe die Gefahrenstelle problemlos passieren können.

Der Kläger, dessen Fahrzeug Vollkasko versichert ist, hat zunächst Schadensersatz in Höhe von 7.238,33 DM verlangt und die Klage in der mündlichen Verhandlung um 709,50 DM zurückgenommen.

Er beziffert seinen Schaden nunmehr auf 6.528,83 DM (300,00 DM Schaden aufgrund der Selbstbeteiligung für die Kaskoversicherung, 912,18 DM Sachverständigenkosten, 4.000,84 DM Mietwagenkosten, 50,00 DM Unkostenpauschale, 397,20 DM Schaden aufgrund des Verlustes des Schadensfreiheitsrabattes in der Vollkaskoversicherung sowie 868,61 DM anwaltliche Besprechungsgebühr). Zu den Mietwagenkosten vertritt er die Ansicht, daß er sich keine ersparten Eigenkosten anrechnen lassen müsse, da er einen Pkw in einer niedrigeren Klasse angemietet habe. Im übrigen behauptet er, sein Prozeßbevollmächtigter habe mit der Versicherung der Beklagten im November 2000 telefoniert und das Unfallereignis erörtert.

Der Kläger beantragt zuletzt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.528,83 DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz gem. § 1 DÜG, hieraus seit dem 21.11.00 zu zahlen. Er beantragt weiter festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm den Schaden zu ersetzen, der ihm ab dem Jahr 2002 durch den Verlust des Schadenfreiheitsrabattes in der Vollkaskoversicherung entsteht.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, daß sie vor der Kurve in der Ausfahrt ausreichend Zeit gehabt habe, ihre Geschwindigkeit zu vermindern. Sie sei nicht zu schnell gefahren. Die Ölspur habe eine heimtückische Falle dargestellt, sie sei in der Dunkelheit nicht zu erkennen gewesen. Sie ist der Ansicht, daß auch bei Anmietung eines Ersatzautos, welches eine Klasse tiefer einzustufen ist, gleichwohl Eigenkosten von 15 % als ersparte Vorteile anzurechnen sind auf etwaige Mietwagenkosten. Eine Besprechung im Sinne der BRAGO habe zwischen dem Anwalt und der Versicherung nicht stattgefunden, vielmehr habe sich der Prozeßbevollmächtigte über die Ablehnung der Regulierung lediglich "beschwert".

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch gem. §§ 7, 18 Straßenverkehrsgesetz in Verbindung mit §§ 249 ff. BGB auf Ersatz des Schadens, der ihm aufgrund des Verkehrsunfalls vom 30. Oktober 2000 entstanden ist. Für den Kläger selbst war der Verkehrsunfall ein unabwendbares Ereignis, vergleiche § 7 Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz. Der BMW der Beklagten ist unstreitig auf einer Ölspur ins Schleudern geraten und gegen die Leitplanke und den Pkw des Klägers geprallt. Der Kläger konnte weder mit einem solchen Unfall des hinter ihm fahrenden BMW's rechnen, noch konnte er sich hierauf einstellen. Die Beklagte hingegen hat nicht den Beweis zu führen vermocht, daß auch für sie der Verkehrsunfall ein unabwendbares Ereignis dargestellt hat. Das Gericht erachtet es aufgrund der äußeren Umstände des Verkehrsunfalls zwar durchaus für möglich, daß die Voraussetzungen für die Annahme einer Enthaftung gem. § 7 Abs. 2 Straßenverkehrsgesetz zu Gunsten der Beklagten vorlagen:

Zwischen den Parteien ist unstreitig, daß der BMW auf einer Dieselspur plötzlich ins Schleudern geraten ist und die Dieselspur wegen der Dunkelheit nicht erkennbar. Soweit es zum Unfallzeitpunkt geregnet hat oder die Straße jedenfalls feucht war, so führte dies dazu, daß die Flüssigkeit auf der Fahrbahn für einen Autofahrer kaum mehr zwischen Regen und Kraftstoff zu differenzieren war. Zudem lag die Unfallstelle in einer Kurve und nicht auf gerader Strecke, was zu erklären vermag, daß das Fahrzeug der Beklagten auch ungebremst ins Schleudern geraten ist.

Gleichwohl konnte die Beklagte letzte Zweifel hinsichtlich der Frage der Unabwendbarkeit des Verkehrsunfalls nicht ausräumen.

Die Annahme einer Enthaftung gem. § 7 Abs. 2 StVG setzt voraus, daß die Beklagte sich zum Unfallzeitpunkt wie ein "Idealfahrer" verhalten hat. Sie müsste jede nach den Umständen gebotene Sorgfalt beim Steuern ihres Pkws beachtet haben. Zwar bedeutet Unabwendbarkeit nicht die absolute Unvermeidbarkeit des sich sodann ereignenden Verkehrsunfalls, der Unfall muß aber selbst für einen Fahrer nicht zu vermeiden gewesen sein, der unter Anstrengung äußerster Sorgfalt und auch bei Anwendung einer über die gewöhnliche Aufmerksamkeit hinausgehende Umsicht und Geistesgegenwart sein Fahrzeug geführt hat. Auch ein nur geringes "Fehlverhalten" des Fahrers, der damit hinter den Möglichkeiten eines Idealfahrers zurückbleibt, schließt die Annahme eines unabwendbaren Ereignisses aus (vergl. statt vieler: Becker/Böhme, Kraftverkehrshaftpflichtschäden, 20. Auflage Rdnr. A 43 mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtssprechung).

Danach trifft nach der Rechtsprechung die Beklagte die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, daß sie sich wie eine Idealfahrerin verhalten hat. Sie kann sich nicht nur auf die Unabwendbarkeit berufen, sie muß korrespondierend Umstände vortragen, aus welchen sich das Verhalten eines Idealfahrers ableiten läßt. Soweit diese Umstände bestritten werden, trägt sie die volle Beweislast für streitigen Sachvortrag. Keinesfalls ist es so, wie die Beklagtenseite in der mündlichen Verhandlung vertreten hat, wonach der Kläger der Beklagten nachweisen muß, daß diese sich nicht wie eine Idealfahrerin verhalten hat. Richtig ist, daß bei der Frage der Haftungsverteilung gem. § 17 Straßenverkehrsgesetz derjenige Unfallbeteiligte, der sich auf ein Fehlverhalten des Unfallgegners beruft, dieses grundsätzlich auch im Rahmen der geltenden Beweisregeln zu beweisen hat. Vorliegend geht es aber gerade nicht um die grundsätzliche Annahme der Haftung beider Unfallbeteiligten im Rahmen der straßenverkehrsrechtlichen Gefährdungshaftung, vielmehr beruft sich die Beklagte auf einen engen Ausnahmetatbestand, wenn sie für sich ein unabwendbares Ereignis und somit eine Enthaftung geltend macht. Sie will insoweit den Grundsatz der verschuldenunabhängigen Gefährdungshaftung im Straßenverkehrsrecht ausnahmsweise zurückgestellt wissen, wofür sie im Rahmen von § 7 Abs. 2 StVG die volle Darlegungs- und Beweislast trägt.

Zur Darlegungslast gehört vorliegend, daß alle wesentlichen Umstände des Fahrverhaltens nachvollziehbar vorgetragen werden. Hierzu gehört auch die Angabe der gefahrerenen Geschwindigkeit, ein etwaiges Bremsverhalten sowie ein Sachvortrag zu den äußeren Umstände des Verkehrsunfalls (Wetter, Kurvenfahrt, Lichtverhältnisse und ähnliches). Hierauf hat das Gericht hingewiesen.

Der Sachvortrag der Beklagten, sie sei mit "angemessener Geschwindigkeit" in der Kurve gefahren, und ihre Geschwindigkeit habe höchstens 60 km/h betragen, ist klägerseits bestritten worden. Ein Beweisantritt der Beklagten durch Einholung eines Sachverständigengutachtens ist beklagtenseits zwar erfolgt, die Beklagtenseite hat indes offen gelassen, wie der Sachverständige aus heutiger Sicht die seinerzeit gefahrene Geschwindigkeit des BMW's rekonstruieren soll. Bilder vom verunfallten BMW sind nicht gemacht worden, so daß hinsichtlich der Unfallfolgen nach dem Aufprall gegen die Leitplanke und den klägerischen Mercedes kein Dokumentationsmaterial vorliegt. Die Reparaturrechnung ist nicht ausreichend, den Unfall zu rekonstruieren, da sowohl bei größeren wie bei kleineren Eindellungen gegebenenfalls Reparatur- und Austauscharbeiten am verunfallten BMW notwendig waren. Danach treffen die Beklagte die Folgen einer unzureichenden Beweissicherung, da die tatsächlich zum Unfallzeitpunkt gefahrene Geschwindigkeit nicht mehr annähernd ermittelt werden kann.

Fehl geht die in der mündlichen Verhandlung geäußerte Sicht der Beklagtenseite, wonach auch bei einer erhöhten Geschwindigkeit oder einer Geschwindigkeit jenseits von 100 km/h der Schleudervorgang auf der Dieselspur nicht hätte vermieden werden können: ein Idealfahrer wäre in einer Autobahnkurve in einer Ausfahrt - auch wenn dies dort erlaubt gewesen sein sollte - keinesfalls 100 km/h oder 130 km/h oder schneller gefahren. Bei einer solchen Geschwindigkeit fährt man weder auf Sicht noch ist man bei Hindernissen oder Fahrbahnverschmutzungen ausreichend reaktionsschnell.

Da die Haftung dem Grunde nach besteht ist die Beklagte zum Ersatz des Schadens zu verurteilen gewesen, welcher dem Kläger zurechenbar aufgrund des Verkehrsunfalls entstanden ist.

Die Kosten für die Selbstbeteiligung im Rahmen der Kaskoversicherung in Höhe von 300,00 DM sind beklagtenseits ebenso unstreitig gestellt worden wie die Sachverständigenkosten in Höhe von 912,18 DM.

Auch die Mietwagenkosten in Höhe von 4.000,84 DM sind vollumfänglich zuzusprechen gewesen. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerseite ist der Kläger mit dem Mietwagen ca. 900 Kilometer gefahren. Bei einer Fahrt von unter 1000 Kilometern erachtet das erkennende Gericht einen Abzug aufgrund ersparter Eigenvorteile bei den Mietwagenkosten für nicht veranlasst (vgl. auch Becker/Böhme, am angegebenen Ort, Rdnr. D 55). Dies gilt erst recht, wenn zudem unstreitig ein Ersatzwagen angemietet wird, der jedenfalls eine Klasse unter dem verunfallten Fahrzeug einzuordnen ist.

Der Verlust des Schadensfreiheitsrabattes in der Vollkaskoversicherung ist mit 397,20 DM für das Jahr 2001 nach entsprechender Teilrücknahme der Klage nunmehr ausreichend dargetan, ebenso war die Unkostenpauschale in Höhe von 50,00 DM als ersatzfähiger Schaden zuzubilligen.

Allerdings war dem Kläger eine Besprechungsgebühr gem. § 118 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO nicht zuzusprechen. Eine solche Gebühr fällt entgegen der Ansicht der Klägerseite nicht schon dann an, wenn man ein Telefonat mit der gegnerischen Versicherung geführt hat. Das Telefonat muß vielmehr substanzieller Art sein. Hierzu hat die Klägerseite trotz entsprechender Hinweise der Beklagten und des Gerichts in der Ladungsverfügung nichts vorgetragen. Ein Beweisantritt hierzu ist nicht erfolgt, dem Aktenvermerk des Prozeßbevollmächtigten des Klägers (vgl. Bl. 32 d. A.) steht der Aktenvermerk der Mitarbeiterin der Versicherung (vgl. Bl. 25 d.A.) entgegen. Was genau im welchem Umfang erörtert worden ist, steht für das Gericht danach nicht fest. Im Rahmen der Schadensminderungspflicht ist der Kläger aber - gegebenenfalls über seinen Prozeßbevollmächtigten - gehalten, nur solche Gebühren zu veranlassen, die in der Sache nachvollziehbar sind und eine angemessene Bearbeitung der Regulierungsbemühungen darstellen. Hierzu gehört sicherlich nicht ein Telefonat bei der gegnerischen Versicherung, im Rahmen dessen man sich über die Ablehnung der Regulierung beschwert. Sehr wohl dazu gehören kann eine eingehende Erörterung der Sach- und Rechtslage, beispielsweise auch zur Frage der Unabwendbarkeit des Ereignisses. Gerade zu letzterem ist aber - wie erwähnt - weder substantiierter Sachvortrag noch ordnungsgemäßer Beweisantritt erfolgt.

Der geltend gemachte Feststellungsantrag ist zulässig und begründet. Aufgrund der Haftung der Beklagten dem Grunde nach hat der Kläger ein Recht auf Feststellung, wonach die Beklagten für etwaige Verluste aufkommen muß, welche der Kläger wegen der Rückstufung bei der Vollkaskoversicherung (Schadensfreiheitsrabatt) erleidet. Da er diese für die Folgejahre noch nicht beziffern kann, war eine Feststellung wie tenoriert geboten, vgl. § 256 2PO.

Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 284, 286 BGB begründet, allerdings erst ab dem O5. Dezember 2000: Der Beklagtenseite ist Recht zu geben, daß eine Frist von 1 Woche zur Prüfung des Verkehrsunfalls unangemessen war, da es vorliegend für die gegnerische Versicherung eine schwierige Rechts- und Tatsachenlage zu klären galt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 I, 269 III ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gem. §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

Streitwert:

bis zum 12. September 2001 bis 9.000,00 DM;

danach bis 8.000,00 DM.






AG Brühl:
Urteil v. 15.11.2001
Az: 29 C 188/01


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