Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 23. Januar 2014
Aktenzeichen: 3 Ws 2 - 3/14, 3 Ws 2/14, 3 Ws 3/14

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 23.01.2014, Az.: 3 Ws 2 - 3/14, 3 Ws 2/14, 3 Ws 3/14)

Tenor

1. Der Beschluss vom 16.12.2013 wird aufgehoben. Die 5. große Strafkammer - Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Hanau ist für das vorliegende Verfahren örtlich zuständig.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeschuldigten trägt die Staatskasse.

3. Die Beschwerde gegen den Beschluss vom 18.12.2013 ist erledigt.

Gründe

Mit Anklageschrift vom 06.09.2013 werden den insgesamt 20 Angeschuldigten bandenmäßige Tabaksteuerhinterziehung nach §§ 370 I Nr. 2 und Nr. 3, III Nr. 1 und 5, VII AO, 15, 17 TabStG in 25 Fällen, davon in 11 Fällen in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Kennzeichenverletzung nach § 143 I Nr. 1 MarkenG in unterschiedlicher Tatbeteiligung vorgeworfen. Mit weiterer Anklage vom 21.11.2013 werden den Angeschuldigten ..., ..., ... und 2 weiteren Angeschuldigten ein weiterer Fall der bandmäßigen Tabaksteuerhinterziehung nach §§ 370 I Nr. 2 und 3, III Nr. 1 und Nr. 5, VIII AO, 15, 17 TabStG zur Last gelegt. Den Angeschuldigten ..., ... und ... wird in sämtlichen Fällen bis auf den Fall Nr. 5, der allein dem Angeschuldigten D. zur Last gelegt wird, Tatbeteiligung vorgeworfen. Mit Beschluss vom 29.11.2013 verband das Landgericht Hanau die den Anklagen zu Grunde liegenden Verfahren. Die Taten sollen an verschiedenen Orten, die Tat Nr. 5 im Landgerichtsbezirk Hanau begangen worden sein. Die Anschuldigten wohnen an verschiedenen Orten, der Angeschuldigte ... wohnt im Landgerichtsbezirk Hanau.

Mit Beschluss vom 16.12.2013 erklärte sich das Landgericht Hanau für örtlich unzuständig. Dagegen richtet sich die einfache Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die zugleich Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Beschlusses nach § 307 II StPO beantragt. Die Kammer half der Beschwerde mit Beschluss vom 18.12.2013 nicht ab und wies zugleich den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück. Auch gegen letztgenannte Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft Beschwerde eingelegt.

Die einfache Beschwerde gegen den Beschluss vom 16.12.2013, mit dem sich die Kammer für örtlich unzuständig erklärt und - der herrschenden Meinung folgend (OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 16; Scheuten, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 16 Rn 4 - jew. mwN, auch zur Gegenmeinung) - aus diesem Grunde über die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht entschieden hat, ist zulässig (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 16 Rn 4 mzwN; Senat, Beschl. v. 10.11.2005 - 3 Ws 910/05) und auch in der Sache begründet. Die Kammer hat ihre örtliche Zuständigkeit zu Unrecht verneint. Die Zuständigkeit ergibt sich jedenfalls aus §§ 8, 13 StPO.

Hinsichtlich der unter Nr. 5 der Anklage vom 06.09.2013 angeklagten Tat ist jedenfalls der Gerichtsstand des Wohnortes (§ 8 StPO) beim Landgericht Hanau begründet. Bezüglich der übrigen angeklagten Taten besteht Zusammenhang i.S. des § 13 StPO, so dass die im Fall 8 begründete örtliche Zuständigkeit sich auf die übrigen angeklagten Taten und Angeschuldigten erstreckt.

Der Zusammenhangsbegriff bemisst sich nach § 3 StPO, besteht also, wenn eine Person mehrere Straftaten beschuldigt wird oder wenn bei einer Tat mehrere Personen als Täter, Teilnehmer oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei beschuldigt werden. Sachlicher und persönlicher Zusammenhang können auch kombiniert werden (Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 3 Rn 4; Weßlau, in: SK-StPO, §-StPO, 4. Aufl., § 3 Rn 5). So liegt die Sache hier.

Zwar ist der Tat unter Ziffer 5 der Anklage vom 06.09.2013 allein der Angeschuldigte ... beschuldigt. Tat i.S. der §§ 3, 13 StPO ist indes verfahrensrechtlich (§ 264 StPO) zu verstehen (BGH, NJW 1988, 150; Meyer-Goßner, § 3 Rn 4; Weßlau § 3 Rn 3 - jew. mwRsprN). Ausreichend ist für eine einheitliche Tat demnach ein nach Tatzeit, Tatort, Tatobjekt und Tatbild einheitlicher Vorgang (Meyer-Goßner, § 264 Rn 2a). Ein solcher besteht - entgegen der Auffassung der Kammer - jedenfalls bezüglich der Tat zu Ziffer 4 der Anklage vom 06.09.2013. Dort wird den Angeschuldigten ..., ... und ... (sowie ..., ... und ... als Mittäter), zur Last gelegt, am 12.07.2012 gefälschte Zigaretten der Marke Marlboro der Fälschungslinie 5010 übernommen und zum Teil eingelagert zu haben, während unter Ziffer 5 dem Angeschuldigten ... zur Last gelegt wird, noch am selben Tag die im Transportfahrzeug verbliebenen Zigaretten vom Angeschuldigten ... samt Transportfahrzeug in Ober-Roden übernommen zu haben, von dort aus nach Mittel-Gründen gefahren zu sein und einen Teil der Lieferung an einen Abnehmer veräußert sowie den Rest deponiert und wiederum einen Teil hiervon am Tag darauf an einen weiteren Abnehmer veräußert zu haben. Gleichgültig, ob man die Übernahme der Restlieferung durch den Zeugen ... nun als Tabaksteuerverkürzung (so die Anklage) oder als Steuerhehlerei (so die Kammer) wertet, stellen die beiden Tatkomplexe wegen ihrer engen zeitlichen und räumlichen Verknüpfung sowie ihres einheitlichen Tatobjekts eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne dar. Die Angeschuldigten ... und..., denen sämtliche übrigen angeklagten Taten zur Last gelegt werden, verknüpfen diese letztgenannten verfahrensrechtlich selbstständigen Taten durch einen persönlichen Zusammenhang mit derjenigen unter Ziffer 4 der Anklage vom 06.09.2013. Die übrigen Angeschuldigten sind - in wechselnder Zusammensetzung - an diesen wiederum i.S. des § 3 2. Altn. StPO beteiligt. Denn die Teilnahme i.S. des § 3 StGB ist nicht auf die Teilnahme im materiell-rechtlichen Sinne (§ 27 StGB) beschränkt, es genügt vielmehr die in dieselbe Richtung zielende Mitwirkung an einem geschichtlichen Vorgang (BGH, NJW 1988, 150; Meyer-Goßner, § 3 Rn 3). Diese wird vorliegend jedenfalls dadurch hergestellt, dass den jeweils unmittelbar handelnden Angeschuldigten und den Angeklagten ..., ... und ... eine bandenmäßige Tatbeteiligung an den unter Ziff. 1 bis 24 der Anklage vom 06.09.2013 bezeichneten Taten, und dem Delikt der Anklage vom 29.11.2013, wie sie sich nach der Anlageerhebung darstellen und von der Kammer auch ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt werden, zur Last gelegt wird.

Allerdings setzt der Gerichtsstand des § 13 StPO voraus, dass für jede Sache ein inländischer Gerichtsstand nach §§ 7- 11 StPO besteht (BGH, NJW 1992, 1635; NStZ 2009, 221; Scheuten, § 13 Rn 1). Hierfür müssen hinreichende Anhaltspunkte bestehen (BGH, NStZ 2013, 300). So liegt die Sache hier indes auch bezüglich der Taten zu Ziffer 1, 2, 7, 9, 14, 15, 16 und 24, für die dies der Angeschuldigte ... über seinen Verteidiger in Abrede stellt. Laut Anklage sollen auch in diesen Fällen Tabakfeinschnitt mittels Lkw von Tschechien über Deutschland in die Niederlande transportiert worden sein, ohne dass diesbezüglich eine Steuererklärung abgegeben wurde. Da jedenfalls in den übrigen gleichgelagerten Fällen, die tschechischdeutsche Grenze ausweislich der ausgewerteten Geodäten bei Waidhaus überschritten wurde (vgl. Bl. 4609 ff. Bd. XIV) und zudem der Verdacht besteht, dass teilweise mit "Jammern" gearbeitet wurde, um die GPS-Überwachung der Fahrzeuge zu stören, ist der Schluss, es sei hinreichend wahrscheinlich, dass auch in den von der Verteidigung genannten Fällen dieser Weg gewählt wurde, gerechtfertigt.

Dass die Staatsanwaltschaft den Fall 5 der Anklage vom 06.09.2013 zum Ausgangspunkt ihrer Wahl, beim Landgericht Hanau Anklage zu erheben, genommen hat, ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Nach dem Wortlaut des § 13 StGB genügt, dass - wie hier - in einem von vielen Fällen des Zusammenhangs der gewählte Gerichtsstand begründet ist. Dem Gesetz sind auch keinerlei Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, an welchem der in Betracht kommenden Gerichtsstand die Anklage zu erheben ist. Im Gegenteil, das Gesetz betrachtet die verschiedenen Gerichtsstände als gleichrangig und hat nach der gesetzlichen Wertung nur die Staatsanwaltschaft zu entscheiden, ob öffentliche Klage zu erheben ist und bei welchem von mehreren zuständigen Gerichten dies geschehen soll (BGHSt 10, 391, 392 f.; 21, 247, 249,; 26, 374; OLG Brandenburg, BeckRS 2012, 25099; OLG Jena, Beschl. v. 29.01.2009 - 1 Ws 30/09 - juris; Meyer-Goßner, vor § 7 Rn 10; Weßlau, vor §§ 7 - 21 Rn 8). Daraus folgt, dass das von der Staatsanwaltschaft ausgewählte Gericht grundsätzlich keine Möglichkeit hat, die Wahl der Staatsanwaltschaft zu überprüfen (OLG Brandenburg und OLG Jena aaO). Namentlich hat sie grundsätzlich nicht die Befugnis, die Zweckmäßigkeit der Wahl und der ihr zur Grunde liegenden Verbindung (bzw. Trennung) von Verfahren gegen Angeschuldigte zu überprüfen (Meyer-Goßner, 13 Rn 2). Eine Grenze findet die Auswahlmöglichkeit vielmehr erst bei einer willkürlichen, d.h. einer unsachlichen, unter keinem Gesichtspunkt mehr vertretbaren, auf Erwägungen, die sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernen, beruhenden Entscheidung der Staatsanwaltschaft (BGHSt 9, 367, 369; s. auch BVerfG 20, 336, 346; OLG Brandenburg; OLG Jena - jeweils aaO; enger offenbar OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 16). Eine solche liegt hier nicht vor.

Da dem Gesetz keine Rangfolge der verschiedenen Gerichtsstände zu entnehmen ist (vgl. BGHSt 10, 391) war die Staatsanwaltschaft - entgegen der Auffassung der Kammer - weder gehalten, an einem Gericht eines der (Haupt-) Tatorte Anklage zu erheben, noch musste sie sich davon leiten lassen, wie viele der Angeschuldigten in welchem Gerichtsbezirk ihren Wohnsitz haben (OLG Brandenburg aaO). Sie musste auch nicht in Rechnung stellen, dass dem Angeschuldigten ... nur eine Tat, den Anschuldigten ..., ... und ... nahezu alle Taten zur Last gelegt werden und auch die übrigen Hauptbeschuldigten nach Maßgabe der Anklagen weder eine Wohnsitz- noch einen Tatort- oder Ergreifungsortbezug zum Landgericht Hanau haben. Es ist nämlich schon ohne Bedeutung, ob der ausgewählte Gerichtsstand für einen Täter oder einen Teilnehmer begründet ist (BGHSt 11, 106, 108; Scheuter, § 13 Rn 1). Auch musste die Staatsanwaltschaft nicht darauf abheben, ob für einige Angeschuldigte in einem Landgerichtsbezirk neben dem Gerichtsstand des Tatorts auch der des Wohnorts begründet war. Das Wahlrecht der Staatsanwaltschaft wird nämlich auch durch die Tatsache, dass für einen oder mehrere Angeschuldigte mehrere Gerichtsstände begründet sind, nicht eingeschränkt (OLG Brandenburg aaO). Gleichgültig ist schließlich auch, ob es zwei nur durch einen Vermittler (den Angeschuldigter ...) miteinander verbundene Tätergruppen (Lieferanten- und Abnehmerseite) der nach den Ermittlungen, wie sie sich nach der Anklage darstellen und von der Kammer ihrer Entscheidung auch zu Grunde gelegt werden, einheitlichen Bande gab, und es nahe gelegen hätte, die Mitglieder dieser Gruppen jeweils gesondert anzuklagen, worauf Kammer und Verteidigung wesentlich abstellen. Denn hierbei handelt es sich um bloße Zweckmäßigkeitserwägungen, die der begrenzten gerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit nicht unterfallen. Das gilt auch für den von der Kammer herangezogenen Umstand, dass 10 der in der Anklage genannten 18 Zeugen ihren Wohnsitz in Köln oder in unmittelbarer Umgebung haben.

Sachfremde, sich von den gesetzlichen Maßstäben völlig entfernende Gesichtspunkte für die Wahl des Gerichtsstands sind nach alledem nicht festzustellen. Die Staatsanwaltschaft hat in der Beschwerdebegründung ihre Wahl vielmehr wesentlich damit begründet, ein eindeutiger Schwerpunkt der Tatbegehung lasse sich nicht feststellen, so dass sie als erstbefasste (mit dem Fall Ziff. 5 der Anlage vom 06.09.2013) Ermittlungsbehörde das sich auf immer weitere Fälle und immer mehr Angeschuldigte ausdehnende Ermittlungsverfahren behalten und erst nach Abschluss der Ermittlungen einzelne Abtrennungen vorgenommen habe. Von daher beruht ihre Wahl letztlich auf einer vertretbaren Heranziehung des Rechtsgedankens aus § 26 III RiStBV und ist auch deswegen nicht willkürlich.

Der Senat ist nicht gehalten, zugleich über die Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden. § 309 II StPO findet keine Anwendung, wenn eine beschwerdefähige Entscheidung in der Sache fehlt (Senat, NStZ 1983, 426, 427). In die sachliche Prüfung, inwieweit hinreichender Tatverdacht besteht, ist das Landgericht (noch) nicht eingetreten (vgl. auch Senat, Beschl. v. 10.11.2005 - 3 Ws 910/05).

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren der Staatskasse aufzuerlegen, weil die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde nicht zu Gunsten oder zu Ungunsten eines der Angeschuldigten eingelegt hat, sondern nur um die Entscheidung der Kammer über ihr örtliche Zuständigkeit mit dem Gesetz in Einklang zu bringen (vgl. BGHSt 18, 268; OLG Brandenburg aaO).

Mit der Entscheidung in der Hauptsache ist die gegen die Ablehnung einer Aussetzung nach § 307 II StPO gerichtete Beschwerde gegenstandslos geworden. Eine Kostenentscheidung ist insoweit nicht veranlasst (Meyer-Goßner, vor § 296 Rn 17).






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 23.01.2014
Az: 3 Ws 2 - 3/14, 3 Ws 2/14, 3 Ws 3/14


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