Oberlandesgericht Düsseldorf:
Beschluss vom 2. Januar 2012
Aktenzeichen: VII-Verg 70/11

(OLG Düsseldorf: Beschluss v. 02.01.2012, Az.: VII-Verg 70/11)

Tenor

Die sofortigen Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen zu 2 gegen den Beschluss der 1. Vergabekammer des Bundes vom 15. Juli 2011 (VK 1-72/11) werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin werden je zur Hälfte dem Antragsgegner und der Beigeladenen zu 2 auferlegt.

Streitwert für das Beschwerdeverfahren: bis 13.000 Euro

Gründe

(Hier Freitext: Tatbestand, Gründe etc.)

I. Der Antragsgegner schrieb durch EU-weite Bekanntmachung vom Februar 2011 den Abschluss von Rahmenvereinbarungen über seine (passive) Prozessvertretung insbesondere auf dem Gebiet von Streitigkeiten nach dem SGB II vor dem Sozialgericht durch Rechtsanwälte im offenen Verfahren aus. Die Vereinbarung soll mit zwei Beteiligten abgeschlossen werden und eine Laufzeit von 21 Monaten haben. Betroffen sind etwa 1.400 Klageverfahren, die zu ca. 90 % bereits anhängig sind, und in denen mindestens bereits die Klageerwiderung gefertigt worden ist. Der Größenordnung wegen wurde eine Aufteilung in zwei Lose vorgenommen. Angebote sollten nur für jeweils ein Los eingereicht werden können.

In der Vergabebekanntmachung (und genauso in den Vergabeunterlagen, genannt: Allgemeine Information zur Ausführung des Auftrags) war angegeben, dass dem Antragsgegner eine Verpflichtung, dem Auftragnehmer die Vertretung in einer bestimmten Anzahl von Verfahren zu übertragen, nicht obliegen sollte. Im Fall einer Beauftragung sollte in jedem Einzelfall eine rechtliche Neubewertung der Rechtsverteidigung erfolgen und einschließlich eines Konzepts über die Aufgabenerfüllung ein schriftlicher Entscheidungsvorschlag unterbreitet werden. Die Leistungen sollten durch einen Pauschalpreis je Verfahren (eine Fallpauschale) vergütet werden, der sich an den einschlägigen Betragsrahmengebühren des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) orientieren sollte. Zuschlagskriterien sollten sein:

der Angebotspreis zu 70 %,

die Frist für die Erstellung eines Entscheidungsvorschlags (exemplarisch bei 100 Verfahren) zu 30 %.

Den Vergabeunterlagen war ein Vertragsentwurf beigefügt.

Die Antragstellerin bewarb sich um den Auftrag für ein Los. Ihr Angebot lag preislich erheblich unter den Offerten der sich getrennt mitbewerbenden Beigeladenen. Aufgrund dessen forderte der Antragsgegner die Antragstellerin zu einer Erläuterung ihrer Kalkulation auf, welche diese gewährte. Durch Bieterinformation vom 4.5.2011 schloss der Antragsgegner das Angebot der Antragstellerin wegen eines offenbaren Missverhältnisses zwischen Preis und Leistung von der Wertung aus und teilte zugleich mit, dass der Zuschlag an die Beigeladenen ergehen solle. Dies rügte die Antragstellerin unter dem 9.5.2011 erfolglos, worauf sie unter dem 27.5.2011 einen Nachprüfungsantrag stellte.

Die Antragstellerin hält den Ausschluss ihres Angebots für ungerechtfertigt und machte Ausführungen zu ihrer Kalkulation und Leistungsfähigkeit. Sie beantragte Untersagung eines Zuschlags auf die Angebote der Beigeladenen und eine Wiederholung der Wertung unter Einbeziehung ihres Angebots.

Der Antragsgegner trat dem Nachprüfungsantrag entgegen und verteidigte die Ausschlussentscheidung. Einen Streitpunkt im Verfahren bildete, ob die in Rede stehenden Leistungen - abhängig von der eindeutigen Beschreibbarkeit der Lösung der Aufgabe - nach VOF oder VOL/A auszuschreiben waren.

Die Beigeladenen beteiligten sich nicht am erstinstanzlichen Verfahren.

Die Vergabekammer gab dem Nachprüfungsantrag nach Verlängerung der Entscheidungsfrist statt und wies den Antragsgegner an, die Wertung der Angebote unter Einschluss des Angebots der Antragstellerin zu wiederholen. Die Vergabekammer wendete auf die Ausschreibung die VOL/A an. Sie erachtete die Lösung der Aufgabe für vorab eindeutig und erschöpfend beschreibbar und tatsächlich beschrieben. Im Streitpunkt "Missverhältnis zwischen Preis und Leistung" hielt die Vergabekammer ein unangemessen niedriges Preisangebot der Antragstellerin für nicht feststellbar. Auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses wird verwiesen (1. VK des Bundes, Beschl. v. 15.7.2011 - VK 1-72/11).

Dagegen haben sowohl der Antragsgegner als auch die Beigeladene sofortige Beschwerde erhoben.

Der Antragsgegner hält das Vergaberechtsregime nicht für anwendbar und demnach den Nachprüfungsantrag für unstatthaft, weil die Ausschreibung nachrangige Dienstleistungen betreffe. Davon abgesehen habe der Nachprüfungsantrag in Ermangelung eines beachtlichen Grundes für die Verlängerung der Entscheidungsfrist durch den Vorsitzenden der Vergabekammer richtigerweise als abgelehnt zu gelten. In der Sache, so trägt der Antragsgegner vor, unterliege die Ausschreibung der VOF. Auch sei das Angebot der Antragstellerin als ungewöhnlich niedrig und von der Mittelgebühr abweichend von der Wertung auszuschließen. Insoweit wiederholt und ergänzt der Antragsgegner sein erstinstanzliches Vorbringen.

Letztgenanntem Beschwerdeangriff schließt sich die Beigeladene zu 2 mit weitergehenden Ausführungen zur Preisangemessenheit des Angebots der Antragstellerin an.

Der Antragsgegner beantragt,

die Entscheidung der Vergabekammer aufzuheben und festzustellen, dass der Nachprüfungsantrag nach § 116 Abs. 2 GWB als abgelehnt gilt,

hilfsweise, den Nachprüfungsantrag abzulehnen.

Die Beigeladene zu 2 beantragt,

unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung den Nachprüfungsantrag abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Beschwerden zurückzuweisen.

Sie vertieft unter Bezugnahme ihren bisherigen Vortrag und findet die Entscheidung der Vergabekammer rechtens.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze und die Anlagen, auf den tatbestandlichen Teil des angefochtenen Beschlusses sowie auf die zu Informationszwecken beigezogenen Vergabeakten und die Verfahrensakte der Vergabekammer Bezug genommen.

II. Die Beschwerden haben keinen Erfolg.

1. Der Umstand, dass im Streitfall nachrangige Dienstleistungen nach Anhängen I B, Kategorie 21 (Rechtsberatung), der VOL/A-EG oder VOF ausgeschrieben worden sind, stellt das Vergabeverfahren von einer Nachprüfung nach den §§ 102 ff. GWB nicht frei. Die Statthaftigkeit einer Nachprüfung nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist allein davon abhängig, dass von einem öffentlichen Auftraggeber (der der Antragsgegner ist) ein öffentlicher Auftrag im Sinne des § 99 GWB vergeben werden soll (hier ein Dienstleistungsauftrag), welcher den nach § 1 Abs. 1, § 2 Nr. 2, § 3 Abs. 9 VgV maßgebenden Auftragsschwellenwert erreicht oder überschreitet. Für die Zulässigkeit des Vergabenachprüfungsverfahrens ist danach unerheblich, dass die Auftragsvergabe "lediglich" eine nichtprioritäre Dienstleistung betrifft (so OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.7.2010 - VII-Verg 19/10, VergabeR 2010, 955, 958, 961; bestätigt durch BGH, Beschl. v. 8.2.2011 - X ZB 4/10, betreffend nichtprioritäre Dienstleistungen nach Kategorie 18 des Anhangs zur VOL/A; ebenso OLG Dresden VergabeR 2008, 567; 809). Soweit das OLG Brandenburg (VergabeR 2003, 654, anders nunmehr VergabeR 2008, 231) in solchen Fällen eine Unzulässigkeit des Vergabenachprüfungsverfahrens angenommen hat, ist die Frage der Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags mit dem darauf anzuwendenden materiellrechtlichen Prüfungsmaßstab vermengt worden. Da im Streitfall die genannten Voraussetzungen - wie die Vergabekammer zutreffend angenommen hat (VKB 12) - gegeben sind, ist der Nachprüfungsantrag statthaft. Es ist ebenso wenig ein Ausnahmefall nach § 100 Abs. 2 GWB gegeben.

2. Entgegen der Beschwerde des Antragsgegners hat der Nachprüfungsantrag aufgrund der Fiktion in § 116 Abs. 2 GWb nicht als abgelehnt zu gelten. Die Vergabekammer hat innerhalb der nach § 113 Abs. 1 GWB vom Vorsitzenden verlängerten Entscheidungsfrist entschieden. Darauf, ob die zur Verlängerung der Entscheidungsfrist herangezogenen Gründe tragen, kommt es nicht an. Dies ist im Vergabenachprüfungsverfahren nicht zu prüfen. Die Rechtswirksamkeit der Entscheidungsfristverlängerung hängt nicht von der Art und Qualität ihrer Begründung ab (allgemeine Auffassung, vgl. z.B. OLG Naumburg, Beschl. v. 13.8.2007 - 1 Verg 8/07; OLG Brandenburg, Beschl. v. 9.9.2004 - Verg W 9/04; Beschl. v. 30.11.2004 - Verg W 10/04; Byok in Byok/Jaeger, Komm. zum Vergaberecht, 3. Aufl., § 113 GWB Rn. 6; Hölzl in MünchKommBeihVgR, § 113 GWB Rn. 8; Maier in Kulartz/Kus/Portz, Komm. zum GWB-Vergaberecht, 2. Aufl., § 113 GWB Rn. 21). Anderenfalls wären Antragsteller gehalten, in jedem Fall einer Verlängerung der Entscheidungsfrist allein zur Rechtswahrung eine sofortige Beschwerde einzulegen. Dies läuft sowohl der Rechtsicherheit als auch dem vom Gesetz angestrebten raschen Abschluss des Vergabeverfahrens zuwider. Davon abgesehen besteht aufgrund der Verfügung des Vorsitzenden der Vergabekammer im Streitfall in der Sache keinerlei Veranlassung, am Vorliegen eines beachtlichen Grundes für die Verlängerung der Entscheidungsfrist zu zweifeln. In der Verfügung kommt klar zum Ausdruck, dass die Berichterstatterin der Vergabekammer innerhalb der gesetzlichen Entscheidungsfrist infolge Urlaubs oder anderweiter Ortsabwesenheit für eine abschließende Beratung der Sache und Abfassung der Entscheidung nicht zur Verfügung gestanden hat.

3. Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag mit Recht Erfolg zugesprochen. Das Angebot der Antragstellerin ist nicht ungewöhnlich niedrig und infolge eines Missverhältnisses zwischen Preis und Leistung nicht von der weiteren Wertung auszunehmen. Das Angebot bewegt sich innerhalb der Bandbreite der Rahmengebühren nach § 14 RVG und ist vom Antragsgegner deswegen fehlerhaft ausgeschlossen worden.

a) Allerdings folgt der Senat nicht der Auffassung der Vergabekammer, wonach die streitige Auftragsvergabe gemäß § 4 Abs. 4 VgV (i.V.m. Anhang I B, Kategorie 21 [Rechtsberatung], zur VOL/A) und § 5 Satz 2 VgV materiellrechtlich nach den Regeln der VOL/A durchzuführen ist. Im in Rede stehenden Vergabeverfahren sind die Bestimmungen der VOF zu beachten, weil es Dienstleistungen betrifft, die im Rahmen einer freiberuflichen (rechtsanwaltlichen) Tätigkeit erbracht werden sollen, und deren Gegenstand eine Aufgabe ist, deren Lösung vorab nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann. Streitentscheidend ist dies nicht, deswegen in Kürze:

aa) Der Senat hatte bislang in zwei Entscheidungen Anlass, den Begriff der vorab nicht eindeutig und erschöpfend beschreibbaren Leistung anzuwenden und zu erläutern (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 21.4.2010 - VII-Verg 55/09 [Rechtsanwaltsleistungen]; Beschl. v. 10.8.2011 - VII-Verg 36/11 [Nachrichtenleistungen]; vgl. dazu ferner zutreffend und im Wesentlichen übertragbar: Müller-Wrede in ders., Komm. zur VOF, 3. Aufl., § 2 VOF Rn. 64 ff., 72 ff.). Die Senatsentscheidungen stehen unter Beachtung der tatbestandlichen Unterschiede im Einklang mit den Entscheidungen des OLG Saarbrücken (Beschl. v. 20.9.2006 - 1 Verg 3/06, VergabeR 2007, 110), des OLG München (Beschl. v. 28.4.2006 - Verg 6/06, NZBau 2007, 59 = VergabeR 2006, 914, 920 f.) und des OLG Hamburg (Beschl. v. 24.9.2010 - 1 Verg 2/10, NZBau 2010, 780). Darauf sei verwiesen. Im Streitfall hat die Vergabekammer nicht genügend zwischen dem Erfordernis der Beschreibbarkeit der Leistung und deren bloßer Bestimmbarkeit differenziert. Der Umstand, dass die ausgeschriebene (freiberufliche) Leistung in den Vergabeunterlagen ihrem Gegenstand und ihrer Art nach beschrieben ist (und werden kann), und dass insofern die Zielvorstellungen und Rahmenbedingungen des Auftraggebers angegeben sind (faktisch allerdings nicht mehr als das dem Auftragnehmer obliegende Arbeitsprogramm), rechtfertigt lediglich die Feststellung, dass die Leistung bestimmbar ist und im Rechtssinn wirksam zum Gegenstand eines Vertrages gemacht werden kann. Dies sagt freilich nichts über den Inhalt der Aufgabenlösung aus, die im jeweiligen Einzelfall vom Auftragnehmer zu erbringen ist, ohne durch Verhandlungen im Vergabeverfahren näher konkretisiert werden zu können (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.8.2011 - VII-Verg 36/11). Auch sieht der Vertragsentwurf als Bestandteil der Vergabeunterlagen in § 5 Abs. 3 ("insbesondere") vor, dass die genannten Leistungen nicht als abschließend zu verstehen sind, sondern dass der Auftragnehmer zu weiteren Dienstleistungen herangezogen werden kann.

Danach hätte als zulässiges Vergabeverfahren vom Antragsgegner an sich das Verhandlungsverfahren beschritten werden dürfen (§ 3 Abs. 1 VOF). Infolge der Wahl des offenen Verfahrens ist jedoch weder eine Rechtsverletzung der Antragstellerin eingetreten (vgl. § 101 Abs. 7 Satz 1 GWB zur Vorrangigkeit des offenen Verfahrens), noch eine Beeinträchtigung ihrer Auftragschancen zu erkennen. Solche macht die Antragstellerin auch nicht geltend. Von daher besteht insoweit keine Veranlassung zu einem Eingriff in das Vergabeverfahren.

bb) Indes bestimmt § 1 Abs. 3 VOF, dass für die Vergabe nachrangiger Dienstleistungen, wie hier, lediglich die Vorschriften über die technischen Anforderungen (Spezifikationen) und über die nachträgliche Auftragsbekanntmachung zu gelten haben. Das bedeutet, dass für die Angebotsprüfung daneben lediglich die allgemeinen vergaberechtlichen Prinzipien - und nur eventuell konkrete Vorschriften in der einschlägigen Vergabeordnung - herangezogen werden dürfen (vgl. dazu OLG Düsseldorf NZBau 2006, 595; Beschl. v. 27.10.2004 - VII-Verg 52/04, VergabeR 2005, 252; OLG Stuttgart, Beschl. v. 7.6.2004 - 2 Verg 4/04; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 20.9.2006 - 1 Verg 3/06; BayObLG VergabeR 2002, 510; Müller-Wrede in ders., Komm. zur VOF, 3. Aufl., § 2 VOF Rn. 55; § 16 VOF Rn. 31 f.). Ob dazu die von der Vergabekammer angewandte Bestimmung des § 19 Abs. 6 EG VOL/A oder ein entsprechender allgemeiner Rechtssatz gehört, wonach auf ungewöhnlich niedrige und ein Missverhältnis zwischen Preis und Leistung aufweisende Angebote ein Zuschlag nicht erteilt werden darf, kann dahingestellt bleiben. Genauso kann offen bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen eine solche Vorschrift bieterschützend ist, m.a.W. der Beigeladenen zu 2 als Beschwerdeführerin überhaupt einen materiellen Rechtsschutz gegen Angebote von Wettbewerbern gewähren kann (einschränkend insoweit OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.12.2000 - Verg 28/00 und bislang ständige Rspr. des OLG Düsseldorf; a.A. u.a. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 29.10.2003 - 1 Verg 2/03, NZBau 2004, 117; OLG Celle, Beschl. v. 25.10.1999 - 13 Verg 1/99, NZBau 2001, 111).

b) Jedenfalls ist das Preisangebot der Antragstellerin nicht ungewöhnlich niedrig, sondern hält sich innerhalb der Bandbreite der zulässigen Rahmengebühr nach § 14 RVG, auch wenn dabei der Vergütungsrahmen nach unten ausgeschöpft worden ist. Das Angebot gerät deswegen aber nicht in die "Gefahrenzone" einer niedrigeren als der gesetzlichen, und dann rechtlich unstatthaften, Vergütung (vgl. zum Verbot einer Unterschreitung der gesetzlichen Vergütung § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 4 Abs. 1 RVG). Eine Vergütungsvereinbarung über die Rahmengebühr ist zulässig (§ 3a RVG).

aa) Der (schon in den Vergabeunterlagen vorgegebene) Ansatz von Rechtsanwalts-Rahmengebühren ist nicht zu beanstanden. Dazu bestimmt § 3 Abs. 1 RVG:

1In den Verfahren vor der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG nicht anzuwenden ist, entstehen Betragsrahmengebühren. 2In sonstigen Verfahren werden die Gebühren nach dem Gegenstandswert berechnet, wenn der Auftraggeber nicht zu den in § 183 des Sozialgerichtsgesetzes genannten Personen gehört.

Für die Gebühren des Rechtsanwalts ist also zu unterscheiden zwischen Verfahren, in denen das GKG anwendbar ist oder nicht. Das richtet sich zunächst nach § 183 SGG. Der Antragsgegner zählt nicht zu dem in § 183 SGG genannten Personenkreis (Versicherte, Leistungsempfänger etc., Rechtsnachfolger). Von daher ist an sich der Weg zu streitwertabhängigen Gebühren eröffnet (vgl. auch Dinkat in Mayer/Kroiß, RVG, 4. Aufl., § 3 Rn. 5, 6).

§ 197a Abs. 1 SGG schreibt insoweit jedoch ergänzend vor:

Gehört in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 genannten Personen …, werden Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes erhoben.

Nur, wenn keine am Rechtsstreit beteiligte Partei zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört, sind mithin streitwertabhängige Kosten nach dem GKG anzusetzen. Indes zählt im Streitfall regelmäßig der Kläger zu dem in § 183 SGG angezogenen Personenkreis (Leistungsempfänger), so dass eine derartige Berechnung ausscheidet und das GKG nicht anzuwenden ist.

Für die § 183 SGG nicht unterfallenden Personen regelt § 184 SGG:

Kläger und Beklagte, die nicht zu den in § 183 genannten Personen gehören, haben für jede Streitsache eine Gebühr zu entrichten. …

(2) Die Höhe der Gebühr wird für das Verfahren

vor den Sozialgerichten auf 150 Euro,

vor den Landessozialgerichten auf 225 Euro,

vor dem Bundessozialgericht auf 300 Euro

festgesetzt.

Im Kostensystem des SGG haben Parteien, die nicht zum Personenkreis des § 183 SGG zählen, folglich eine Pauschalgebühr zu entrichten, deren Höhe sich - nicht streitwertabhängig - aus § 184 Abs. 2 SGG ergibt. In diesen Fällen ist im System des SGG das GKG demnach nicht anzuwenden, sondern trifft das SGG eine Sonderregelung (bestimmte Pauschgebühren) und liegt infolgedessen eine Rechtslage vor, bei der nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG für den Rechtsanwalt Betragsrahmengebühren entstehen (so auch Dinkat in Mayer/Kroiß, RVG, 4. Aufl., § 3 Rn. 7). Der Umstand, dass gemäß § 184 Abs. 3 SGG § 2 GKG entsprechend gelten soll (mit der Folge der Kostenfreiheit u.a. für die vom Bund verwalteten öffentlichen Kassen, wie der des Antragsgegners), ändert daran nichts. Dabei handelt es sich um eine Ausnahmebestimmung, welche das GKG mit seinen gegenstandswertabhängigen Gebühren nicht prinzipiell anwendbar werden lässt. Aufgrund dessen ist eine Berechnung der Rechtsanwaltsvergütung auf der Grundlage von Betragsrahmengebühren nach § 3 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht zu beanstanden.

bb) Die von der Antragstellerin angebotene Rahmengebühr bewegt sich innerhalb des dem Rechtsanwalt nach § 14 RVG zugestandenen billigen Ermessens, auch wenn sie sich an der Untergrenze des Gebührenrahmens orientiert. Die maßgebenden Gründe hat die Vergabekammer im angefochtenen Beschluss zutreffend herausgearbeitet. Darauf wird verwiesen (VKB 17 bis 19). Zusammenfassend und ergänzend ist zu bemerken:

Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt nach § 14 Abs. 1 RVG die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ein besonderes Haftungsrisiko des Rechtsanwalts kann bei der Bemessung herangezogen werden. Bei Rahmengebühren, die sich nicht nach dem Gegenstandswert richten, ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen. Die Ermessensausübung des Rechtsanwalts ist von den Gerichten und Nachprüfungsinstanzen nach allgemeinen Grundsätzen nur in begrenztem Umfang und kurz zusammengefasst darauf zu kontrollieren, ob ihr zutreffende Sachverhalte zugrunde gelegt worden sind sowie kein Ermessensfehl- oder Nichtgebrauch anzunehmen und die Ermessensentscheidung im Ergebnis vertretbar ist. Mit Blick darauf ist die Vergütungskalkulation der Antragstellerin nicht zu kritisieren.

Der Ansatz von Mittelgebühren, die der Antragsgegner allerdings zur Kontrolle des Preisangebots der Antragstellerin verwendet hat, ist in den Vergabeunterlagen nicht vorgegeben worden. Die Antragstellerin hat mit Mindestgebühren kalkulieren dürfen. Damit unterschreitet sie nicht die gesetzliche Rechtsanwaltsvergütung (vgl. § 49b Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 4 Abs. 1 RVG). Ein Marktpreis existiert insoweit nicht. Das ist allein deswegen praktisch auszuschließen, weil der Antragsgegner Prozessvertretungen bislang im eigenen Geschäftsbereich wahrgenommen hat.

Die Antragstellerin hat bei ihrer Kalkulation beanstandungsfrei verschiedene, insbesondere den Bearbeitungsaufwand maßgeblich beschränkende Gesichtspunkte berücksichtigt, die sich bei praktisch vertretbarer Ermessensanwendung als gebührenreduzierend erweisen können. Insofern sind zu nennen:

Zusammenarbeit mit einer öffentlichen Stelle,

es kann infolgedessen von einer geordneten Aktenführung ausgegangen werden,

persönlicher Gesprächaufwand ist eher gering einzuschätzen (Schrift-, E-Mail-Verkehr und/oder telefonische Abstimmung reichen in aller Regel aus),

in einem sehr großen Teil der übertragenen Fälle (ca. 90 %) ist vom Antragsgegner bereits eine Klageerwiderung angebracht, die Verteidigungslinie mithin schon angezeigt, wenn nicht sogar vorgegeben worden,

berechtigte Erwartung einer hohen Vergleichsquote (so auch die Vergabebekanntmachung und die Vergabeunterlagen: bis zu zwei Dritteln),

Spezialisierung der Kanzlei auf Sozialrecht und entsprechende forensische Erfahrung,

Synergieeffekte aufgrund der Vielzahl der übertragenen Fälle (zumindest annähernd: Massenverfahren),

nicht in allen Fällen muss eine mündliche Verhandlung vor dem Sozialgericht eingeplant werden,

sofern ein Gerichtstermin wahrzunehmen ist, erscheint die Zeitkalkulation der Antragstellerin (ca. eine halbe Stunde) nicht praxisfremd. Sie ist keineswegs durch die Vorlage von "Terminsrollen" widerlegt, wonach das Sozialgericht in der Vergangenheit (in Einzelfällen, nicht aber repräsentativ zu nennen) im Stundenabstand verhandelt hat. Davon abgesehen kann ein Stundentakt bei den Verhandlungen auch durch das Erfordernis einer abschließenden Beratung der Sachen mit den ehrenamtlichen Richtern veranlasst gewesen sein.

Auf die einzelnen Verfahren entfällt im Ergebnis ein vergleichsweise geringer Arbeitsaufwand.

Praktisch kein Kostenausfallrisiko, weil ein öffentlicher Auftraggeber für die Vergütung gerade steht.

Auf gegenübergestellte betriebswirtschaftliche Kostenberechnungen der Beigeladenen zu 2 ist nicht abzuheben; sie beruhen auf bloßen Vermutungen, nicht aber auf den tatsächlichen Kostenparametern, die dem Angebot der Antragstellerin zugrunde liegen und die nicht offen gelegt werden müssen.

Bei diesem Befund sind ebenso wenig begründete, und zwar auf einer gesicherten Erkenntnis fußende Zweifel (vgl. OLG Düsseldorf 24.5.2007 - VII-Verg 12/07 m.w.N.), daran anzubringen, dass die Antragstellerin die vertragliche Leistung zum angebotenen Preis nicht ordnungsgemäß wird erbringen können. Ihr Angebot ist in die zu wiederholende Angebotswertung einzubeziehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 78, 120 Abs. 2 GWB. Der Beigeladene zu 1 hat sich am Beschwerdeverfahren nicht nennenswert beteiligt. Er ist deswegen zu den Kosten nicht heranzuziehen.

Dicks Frister Rubel






OLG Düsseldorf:
Beschluss v. 02.01.2012
Az: VII-Verg 70/11


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/002fa78aa849/OLG-Duesseldorf_Beschluss_vom_2-Januar-2012_Az_VII-Verg-70-11




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share