Bundespatentgericht:
Urteil vom 15. Juli 2003
Aktenzeichen: 4 Ni 40/02
(BPatG: Urteil v. 15.07.2003, Az.: 4 Ni 40/02)
Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung
Das Bundespatentgericht hat in dem Urteil vom 15. Juli 2003 (Aktenzeichen 4 Ni 40/02) das europäische Patent 0 755 692 für nichtig erklärt. Die Klägerin hat beantragt, das Patent für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären, da die Lehre des Patents nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Beklagte, Inhaberin des Patents, hat die Klage abgewiesen und das Patent als bestandfähig verteidigt. Das Gericht ist jedoch zu dem Schluss gekommen, dass der Gegenstand des Patents weder neu noch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Es bezieht sich dabei auf verschiedene Druckschriften, die bereits ähnliche Einrichtungen zur Ionisierung von Gasen beschreiben. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung. Daher wird das europäische Patent 0 755 692 für nichtig erklärt.
Die Gerichtsentscheidung im Volltext:
BPatG: Urteil v. 15.07.2003, Az: 4 Ni 40/02
Tenor
1. Das europäische Patent 0 755 692 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 755 692 (Streitpatent), das am 12. Juli 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung 295 12 163 vom 28. Juli 1995 angemeldet worden ist. Das in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen Patentamt unter der Nummer 596 06 227 geführt wird, betrifft eine Einrichtung zum Ionisieren von Gasen. Es umfasst 10 Ansprüche, von denen Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:
"Einrichtung zur Ionisierung von Gasen, insbesondere von Sauerstoff für eine Sauerstofftherapie, zur Verbindung mit einer Atemmaske oder dergleichen unter Verwendung einer Schlauchverbindung zur Gasversorgung und eines Hochspannungserzeugers, wobei das Gas (2) und die Hochspannung (3) einem an die Atemmaske anschließbaren Ionisator zugeleitet werden, dadurch gekennzeichnet, dass der Ionisator als Hohlkörper zweiteilig derart aufgebaut ist, dass in einem Unterteil (1) die Anschlüsse für Gas (2) und Hochspannung (3) verbunden sind und in einem betriebsmäßig davon lösbaren Oberteil (4) - Ionisationskammer - eine metallische mit einem Gasauslass verbundene Bezugselektrode (17, 31), Ionisationselektroden (20, 32) und im Bereich des Maskenanschlusses (12) ein für das ionisierte Gas durchlässiger Berührungsschutz (21) angeordnet sind."
Wegen der unmittelbar und mittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 10 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
Mit der Behauptung, die Lehre des Streitpatents sei nicht neu bzw beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, verfolgt die Klägerin das Ziel, das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären. Zur Begründung beruft sie sich auf folgende Druckschriften:
- DE 90 10 571 U1 (Anlage 4)
- DE 93 01 194 U1 (Anlage 5), im folgenden E2 genannt - DE 693 21 920 T2 (Anlage 6)
- DE 43 03 693 A1 (Anlage 7)
Die KIägerin beantragt, das europäische Patent 0 755 692 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist dem Vorbringen der Klägerin entgegengetreten und hält das Streitpatent im verteidigten Umfang für bestandsfähig.
Die Parteien wurden vom Senat auf die im Prüfungsverfahren vor der Erteilung genannte Druckschrift US 5 396 882 hingewiesen.
Gründe
Die Klage, mit der der in Art II § 6 Absatz 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Absatz 1 lit a EPÜ iVm Artikel 54 Abs 1, 2 und Art 56 EPÜ vorgesehene Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist zulässig und begründet.
1. Das Streitpatent betrifft eine Einrichtung zum Ionisieren von Gasen, insbesondere von Sauerstoff für eine Sauerstofftherapie, zum Anschluss ua an eine Atemmaske. Nach der Patentbeschreibung wird bei einer Sauerstoff-Inhalationstherapie eine bestimmte Mischung von medizinischem und ionisiertem Sauerstoff zu präventiven und therapeutischen Zwecken eingesetzt. Dabei werde der Sauerstoff durch einen von einem Hochspannungsgenerator mit Spannung versorgten Ionisator geleitet. Die im Stand der Technik bekannten, unmittelbar einer Atemmaske zugeordneten Ionisatoren seien zwar in der Lage, die Gase sehr wirksam zu ionisieren, seien aber nicht ausreichend hygienisch, so dass die Gefahr bestehe, über die Atemmaske Infektionskrankheiten auf den nachfolgenden Benutzer zu übertragen.
2. Der Erfindung liegt deshalb die Aufgabe zugrunde, einen für Atemmasken einsetzbaren Ionisator derart zu gestalten und technisch durchzubilden, dass alle mit dem Maskenträger in direkten oder indirekten Kontakt kommenden, also der Atemmaske zugeordneten, Teile zumindest problemlos gereinigt, vorzugsweise aber desinfiziert oder sterilisiert werden können.
3. Patentanspruch 1 beschreibt demgemäß in der geltenden Fassung (die mit Gliederungspunkten versehen worden ist) folgenden Gegenstand:
1. Einrichtung zur lonisierung von Gasen, insbesondere von Sauerstoff für eine Sauerstofftherapie, zur Verbindung mit einer Atemmaske oder dergleichena) unter Verwendung einer Schlauchverbindung zur Gasversorgung und eines Hochspannungserzeugers, b) wobei das Gas (2) und die Hochspannung (3) einem an die Atemmaske anschließbaren lonisator zugeleitet werden, dadurch gekennzeichnet, dass 2. der lonisator als Hohlkörper zweiteilig derart aufgebaut ist, dassa) in einem Unterteil (1) die Anschlüsse für Gas (2) und Hochspannung (3) verbunden sind undb) in einem betriebsmäßig davon lösbaren Oberteil (4) - lonisationskammer -
) eine metallische mit einem Gasauslass verbundene Bezugselektrode (17, 31),
) lonisationselektroden (20, 32) undc) im Bereich des Maskenanschlusses (12) ein für das ionisierte Gas durchlässiger Berührungsschutz (21) angeordnet sind.
4. a) Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents ist neu, denn keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften weist eine Einrichtung zur Ionisierung von Gasen auf, bei der das Oberteil betriebsmäßig vom Unterteil lösbar ist, unter der Berücksichtigung, daß betriebsmäßig lösbar als "ohne Werkzeug" lösbar zu verstehen ist. Es erübrigt sich jedoch, auf die Frage der Neuheit näher einzugehen, dennb) diese Einrichtung beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus der Druckschrift E2 ist eine Einrichtung zur Ionisierung von Gasen, insbesondere von Sauerstoff für eine Sauerstofftherapie, zur Verbindung mit einer Atemmaske oder dergleichen (Merkmal 1.; E2, S 1, Abs 1 bis 3) bekannt unter Verwendung einer Schlauchverbindung zur Gasversorgung (erster Teil des Merkmals 1. a); E2, S 4, 1. Abs Sauerstoffanschluss 9) und eines Hochspannungserzeugers (zweiter Teil des Merkmals 1. a); E2, Hochspannungsanschluss 7). Hierbei werden das Gas und die Hochspannung einem an die Atemmaske anschließbaren Ionisator zugeleitet (Merkmal 1. b); E2, S 2, 4. Abs, Figur). Der Ionisator ist als Hohlkörper zweiteilig ausgebildet (Merkmal 2.; E2, zylindrisches Gehäuse 2 mit innenliegendem Ionisator und Halterung 6), nämlich einem Unterteil in dem die Anschlüsse für Gas und Hochspannung verbunden sind (Merkmal 2. a); E2, Halterung 6 und Sauerstoffanschluss 9 sowie Leitung 7 für die Hochspannung) und einem davon lösbaren Oberteil - Ionisationskammer - (Teil des Merkmals 2. b). Die Lösbarkeit nach dem Gegenstand von E2 ergibt sich aus der Beschreibung Seite 4, 3. Absatz, wo es heißt: "Vorzugsweise werden die Teile gegeneinander dauerhaft verklebt. Falls dies gewünscht wird, kann jedoch ganz oder teilweise auch eine Schraub- oder Klemmverbindung vorgesehen werden". Somit ist bei dieser Einrichtung im Falle des Vorsehens der Schraubverbindung das Oberteil vom Unterteil lösbar. Im Oberteil schließlich ist eine metallische, mit einem Gasauslass verbundene Bezugselektrode (Merkmal 2. b) ); E2, Gegenelektrode 4) angeordnet. Diese Bezugselektrode besteht beispielsweise aus einem metallischen Rohr (S 4, le Abs) und erstreckt sich bis in den sich verjüngenden Teil des Gehäuses 2 an dem die Atemmaske angeschlossen wird und der den Gasauslass darstellt. Somit ist die Bezugselektrode auch beim Gegenstand von E2 "als mit dem Gasauslass verbunden" im Sinne des Merkmals 2. b) ) anzusehen. Außerdem sind die Ionisationselektroden im Oberteil (Merkmal 2. b) ); E2, Elektrode 3 im Bereich des Gehäuses 2) und ein für das ionisierte Gas durchlässiger Berührungsschutz (Merkmal 2. c); E2, Schutzgitter 1, Beschreibung S 4, Z 1 bis 3) im Bereich des Maskenanschlusses angeordnet.
Damit unterscheidet sich der Gegenstand des Anspruchs 1 vom Stand der Technik nach E2 lediglich dadurch, dass Oberteil und Unterteil betriebsmäßig voneinander lösbar sind.
Mit dieser Trennmöglichkeit soll beim Gegenstand des Anspruchs 1 erreicht werden, dass alle mit dem Maskenträger in direkten oder indirekten Kontakt kommenden Teile, also die der Atemmaske zugeordneten Teile, zumindest problemlos gereinigt, vorzugsweise aber desinfiziert oder sterilisiert werden können (vgl Abs [0007] nach Streitpatentschrift).
Wenn an den Fachmann, das ist hier der mit Entwicklung und Herstellung solcher Ionisationseinrichtungen befaßte Techniker, vom Anwender herangetragen wird, dass es bei dem Gerät zB nach E2 Hygieneprobleme gibt, da nacheinander verschiedene Benutzer mit dem selben Gerät versorgt werden müssen, so ist dieser nach Auffassung des Senats ohne weiteres in der Lage, Maßnahmen zu ergreifen, um dieses Problem zu vermeiden. Schon aufgrund seines Fachwissens ist ihm bekannt, dass es in allen Bereichen der Technik üblich ist, bestimmte Geräte, die nicht insgesamt im Bedarfsfall einer Reinigung unterzogen werden können, zu zerlegen und die relevanten Einzelteile entsprechend ihrem jeweiligen Einsatzfall entweder nur zu reinigen oder, zB im medizinischen Bereich, zu desinfizieren oder auch zu sterilisieren. Hierzu bietet es sich im vorliegenden Fall an, die gemäß E2, Seite 4, 3. Absatz vorgegebene schraubbare Trennung zwischen der Halterung 6 und dem Gehäuse 2 - nach der Terminologie des Streitpatents Ober- und Unterteil - heranzuziehen und diese so zu gestalten, dass die Trennung "betriebsmäßig" erfolgen kann. Unter "betriebsmäßig" ist hier zu verstehen, wie vorstehend schon angedeutet und von der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung dargelegt worden ist, dass eine Trennung von Ober- und Unterteil zB vor oder nach einem Behandlungseinsatz ohne besondere Werkzeuge möglich ist. Für eine derartige Maßnahme bedarf es keiner erfinderischen Tätigkeit, da der Fachmann stets bestrebt ist, Geräte so einfach und bedienerfreundlich wie möglich zu gestalten. Dazu gehört auch eine Trennmöglichkeit ohne Werkzeug.
Damit beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Beklagte vermochte den Senat auch nicht mit dem Einwand zu überzeugen, gemäß dem Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents sei das lösbare Oberteil mit der Bezugselektrode und den Ionisationselektroden verbunden, bilde also eine Einheit. Auch ein so verstandenes Merkmal vermag nicht die erfinderische Tätigkeit zu begründen. Bei der Einrichtung nach E2 ist die Bezugselektrode bereits mit dem als Oberteil aufzufassenden Gehäuse 2 verbunden, vergleiche Seite 4, letzter Absatz, wonach die Gegenelektrode aus einer aufgeklebten Metallfolie aus zB Kupfer, Edelstahl oder aus einer auf die Innenseite des Gehäuses 2 aufgalvanisierten Metallschicht besteht.
Wenn der Fachmann aus den vorstehend genannten Gründen in nicht erfinderischer Weise die Einrichtung nach E2 "betriebsmäßig lösbar" ausbildet, so bestehen bezüglich der Anordnung der Ionisationselektroden (Elektroden 3) zwei Möglichkeiten: er belässt sie im Unterteil (Halterung 6) oder er ordnet sie dem Oberteil (Gehäuse 2) zu. Da im erstgenannten Fall die Ionisationselektroden beim Entfernen des Unterteils quasi ungeschützt vorstehen, wird er, falls es dadurch beim Reinigungsvorgang zu Beschädigungen kommt, die zweite Alternative wählen und die Ionisationselektroden dem Oberteil zuordnen, also damit verbinden. Wie er diese Verbindung bewerkstelligt, bleibt dabei seinem fachlichen Können überlassen - auch beim Gegenstand des Anspruchs 1 muss er entsprechende handwerkliche Maßnahmen ergreifen. Somit kann auch in der Anordnung von Ionisationselektrode und Bezugselektrode im Oberteil nichts Erfinderisches gesehen werden.
5. Die ebenfalls angegriffenen nachgeordneten Ansprüche 2 bis 10 teilen das Schicksal des Hauptanspruchs.
Ihre Gegenstände beruhen ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Gegenstand des Anspruchs 2 wird dem Fachmann durch die Druckschrift US 5 396 882 nahegelegt. Deren Gegenstand betrifft ein Inhalationsgerät mit einem Filter, das Bakterien und unerwünschte Komponenten aus der eingeführten Luft zurückhält (Fig 1 mit zugehöriger Beschreibung, insbes Sp 5, Z 19 bis 24). Der Fachmann erhält hieraus die Anregung, bei medizinischen Geräten, die die Atemluft beaufschlagen, Filter vorzusehen. So wird er im Bedarfsfall auch bei einer Einrichtung nach E2 ein solches Filter einsetzen und selbstverständlich auch eine geeignete Aufnahme für dieses Filter einbauen.
Die Gegenstände der Unteransprüche 3 bis 9 beinhalten nur handwerkliche Ausgestaltungen. Beim Gegenstand des Anspruchs 10 handelt es sich um übliche Materialien, die bei den in Rede stehenden Einrichtungen eingesetzt werden (vgl hierzu zB auch E2, S 3, 3. Abs).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG iVm § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG iVm § 709 ZPO.
Müllner Klosterhuber Dr. Strößner Schuster Dr. Maksymiw Be
BPatG:
Urteil v. 15.07.2003
Az: 4 Ni 40/02
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/gerichtsentscheidung/6a7faffa6319/BPatG_Urteil_vom_15-Juli-2003_Az_4-Ni-40-02