Landgericht Bonn:
Beschluss vom 13. Februar 2012
Aktenzeichen: 27 Qs-410 Js 511/10-21/11

(LG Bonn: Beschluss v. 13.02.2012, Az.: 27 Qs-410 Js 511/10-21/11)

Tenor

Die Beschwerde der Beschwerdeführerin vom 31.10.2010 gegen den Ordnungsgeldbeschluss des Amtsgerichtes C vom 06.10.2011 wird als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Das Ausgangsverfahren richtet sich u.a. gegen den Beschuldigten C2 in seiner Eigenschaft als früherer Vorstandsvorsitzender der U I AG und Geschäftsführer der Firma U F2 GmbH sowie gegen weitere ehemalige und aktuelle Geschäftsführer der U-Gruppe (U F2 GmbH, U T2 GmbH und U N2 GmbH) wegen des Verdachts der lnsolvenzverschleppung und des gewerbsmäßigen Betruges. Im September 2009 wurde die Sozietät I3 mit der rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Beratung der U I AG und einzelner ihrer Tochtergesellschaften beauftragt (HA 07, Bl. ... ff.). In dem an die U I AG, Herrn B, gerichteten Schreiben der Beschwerdeführerin vom 16.10.2009, auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, wird hinsichtlich des Auftragsumfangs ausgeführt:

„Eine darüber hinausgehende Beratung der Geschäftsführer der U I AG und ihrer Gruppengesellschaften im Hinblick auf persönliche Belange, ob eventuell eine persönliche Haftung oder strafrechtliche Tatbestände erfüllt sein könnten, ist von unserer Beauftragung nicht umfasst, Sie haben mir gegenüber bestätigt, dass die Geschäftsführer hinsichtlich ihrer persönlichen Verantwortung bereits eine juristische Beratung haben.“

Rechtsanwalt Dr. D wurde am 01.09.2011 zum Insolvenzverwalter über die Vermögen der in der nachfolgenden Tabelle aufgeführten Gesellschaften bestellt:

Gesellschaft

Az. Insolvenzverfahren

Insolvenzverwalter

U I AG

... IN ...#/... AG C

Dr. D

U F2 GmbH

... IN ...#/... AG C

Dr. D

U E GmbH

... IN ...#/... AG C

Dr. D

U T2 GmbH

... IN ...#/... AG C

Dr. D

I2 GmbH

... IN ...#/... AG C

Dr. D

U G GmbH

... IN ...#/... AG C

Dr. D

U N2 GmbH

... IN ...#/... AG C

Dr. D

UT3 GmbH

... IN ...#/... AG C

Dr. D

U O GmbH

... IN ...#/... AG C

Dr. D

Am 22.09.2011 gab Rechtsanwalt Dr. D die folgende Erklärung ab (HA Bd. #, Bl. ...):

„in vorstehend bezeichneter Angelegenheit und im Anschluß an Ihr Telefax vom 15.09.2011 teile ich mit, daß ich die Rechtsanwaltskanzlei I3 in meiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der U I AG und ihrer Tochtergesellschaften, insbesondere der U F2 GmbH und der U N2 GmbH, von ihren Verschwiegenheitspflichten gegenüber den Ermittlungsbehörden entbinde. Einer Herausgabe von Unterlagen an die Ermittlungsbehörden durch die Rechtsanwaltskanzlei I3 stimme ich zu.“

Mit Schreiben vom 22.09.2011 wandte sich das Polizeipräsidium C an die Sozietät I3 und bat darum, die in der Sozietät über wirtschaftliche Rahmenbedingungen und die Hintergründe der seinerzeit aktuellen Liquiditätskrise der U-Gruppe angelegte Unterlagen, wie zum Beispiel Bewertungen oder Gutachten, herauszugeben. In dem Herausgabeersuchen wies es dabei auf die beigefügte Entbindungserklärung des Insolvenzverwalters Dr. D vom 22.09.2011 hin. Eine Aushändigung der Unterlagen erfolgte nicht.

Mit Beschluss vom 27.09.2011 (... Gs ...#/...) ordnete das Amtsgericht C auf Antrag der Staatsanwaltschaft C die Beschlagnahme von in den Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin befindlichen Akten und E-Mails ihrer Sachbearbeiter an (HA Bd. # Bl. ... ff.). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Beschlagnahmebeschluss Bezug genommen. Der Beschwerdeführerin, der dieser Beschluss am 30.09.2011 per Mail mit der Aufforderung zur Herausgabe der Unterlagen zur Verfügung gestellt worden war, teilte die Staatsanwaltschaft C am 05.10.2011 per E-Mail mit, sie sehe sich im Hinblick auf § 95 Abs. 2 S. 2 StPO nicht dazu in der Lage, dem Beschluss Folge zu leisten (HA Bd. # Bl. ...). Sie legte außerdem am 05.10.2011 Beschwerde gegen den Beschlagnahmebeschluss (HA Bd. #, Bl. ... ff.) ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, eine ausreichende Schweigepflichtentbindung liege nicht vor. Die Entbindung durch den Insolvenzverwalter der U I AG und ihrer insolventen Tochtergesellschaften genüge nicht. Erforderlich sei vielmehr die Erteilung der Entbindungserklärung durch alle ehemaligen und noch aktuellen Organe der Gesellschaften. Die Staatsanwaltschaft C beantragte daraufhin am ...10.2011 nicht nur einen Durchsuchungsbeschluss, sondern auch einen Ordnungsgeldbeschluss (BI. ... d.A.) zu erlassen. Am 06.10.2011 erließ das Amtsgericht C daraufhin einen Ordnungsgeldbeschluss mit folgendem Tenor:

„wird auf Antrag der Staatsanwaltschaft §§ 95 Abs. 1 und 2, 70 Abs. 1 S. 2 StPO gegen die Sozietät I3, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, X ..., ...# C ein Ordnungsgeld in Höhe von 1.000,00 € festgesetzt.“

Gegen diesen Ordnungsgeldbeschluss wendet sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde vom 29.10.2011 (HA Bd. #, Bl. ...). Zur Begründung bezieht sie sich auf die Begründung der Beschwerde gegen den Beschlagnahmebeschluss und führt weiter aus:

„Im Übrigen dürfte vorliegend jedenfalls "unstreitig" sein, dass die Frage, ob die Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters in Fällen vorhergehender insolvenzrechtlicher Beratung des Schuldnerunternehmens eine ausreichende Entbindungserklärung darstellt, umstritten ist. Es muss in diesem Falle einem beratenden Rechtsanwalt jedenfalls gestattet sein, diese (für ihn äußerst wichtige) Fragestellung durch die Einlegung eines Rechtsmittels einer weiteren Klärung zuzuführen.“

II.

Die zulässige Beschwerde ist in der Sache unbegründet.

Das Ordnungsgeld ist gemäß § 95 Abs. 2 StPO zu Recht verhängt worden. Die Beschwerdeführerin war gemäß § 95 Abs. 1 StPO verpflichtet, die angeforderten, in ihrem Gewahrsam befindlichen Unterlagen herauszugeben. § 95 Abs. 2 StPO stand der Verhängung eines Ordnungsgeldes nicht entgegen. Die Unterlagen, deren Herausgabe mit dem Beschlagnahmebeschluss verlangt wurde, waren nicht beschlagnahmefrei. Mit der Schweigepflichtentbindung des Insolvenzverwalters Dr. D entfiel hinsichtlich der Gesellschaften, über deren Vermögen er mit Eröffnung des jeweiligen Insolvenzverfahrens zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, ein entsprechendes Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO und damit auch die Beschlagnahmefreiheit der angeforderten Unterlagen.

Beschlagnahmefrei sind nach § 97 Abs. 1 StPO schriftliche Mitteilungen zwischen dem Beschuldigten und den Personen, die nach § 52 oder § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 b StPO das Zeugnis verweigern dürfen, und Aufzeichnungen, welche die in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 b StPO Genannten über die ihnen vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder über andere Umstände gemacht haben, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt. Soweit eine Entbindungserklärung vorliegt, unterliegen diese Gegenstände, da das Zeugnisverweigerungsrecht in Wegfall gerät, der Beschlagnahme und damit auch der Herausgabepflicht gemäß § 95 Abs. 1 StPO. Grundsätzlich kann einen der in § 53 StPO genannten Berufsträger nur derjenige von der Verschwiegenheitspflicht entbinden, zu dessen Gunsten diese Pflicht begründet ist. Sind mehrere Personen „Träger des Geheimhaltungsinteresses“, ist eine - gemeinsame oder getrennte - Befreiungserklärung aller zur prozessrechtlich wirksamen Entbindung von der Schweigepflicht erforderlich (Vgl. KK—StPO/Senge, § 53 Rn. 47). Der Anvertrauende und der Geschützte brauchen nicht identisch zu sein (Vgl. OLG Hamburg, NJW 1962, 689, 691). Hat dem Zeugen die Tatsache jemand anvertraut, der nicht zugleich geheimnisgeschützt ist, genügt die Entbindung durch den Geheimnisgeschützten (Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 6. Auflage 2010, RN. 427). Das Geheimnis der Gesellschaft wird dabei nicht dadurch zu einem Geheimnis des Organmitglieds, dass dieses als für die Gesellschaft handelndes Organ das Geheimnis dem entsprechenden Berufsträger mitteilt. Dies gilt auch dann, wenn das Organmitglied dem Berufsgeheimnisträger Tatsachen über eigene, seine Schadensersatzpflicht begründende Handlungen mitteilt, denn die persönlichen Verhältnisse des Organmitglieds sind nicht Gegenstand des Mandats zwischen Gesellschaft und Berufsgeheimnisträger. Der Geheimnisträger befindet sich nur im Verhältnis zur Gesellschaft in einem Pflichtenwiderstreit. Die einzelnen Organmitglieder stehen außerhalb des Vertragsverhältnisses, das eben nur zwischen der Gesellschaft und dem Berufsträger besteht, und des daraus resultierenden Vertrauensverhältnisses.

Trägerin des Geheimhaltungsinteresses waren hier die U I AG, einzelne ihrer Tochtergesellschaften sowie die U N2 GmbH. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin waren Gegenstand der Beratung insbesondere Fragestellungen im Hinblick auf eventuelle Insolvenzantragsgründe der U I AG und einzelner ihrer Tochtergesellschaften sowie der U N2 GmbH. Weiterhin standen Fragestellungen im Raum betreffend die Ausführung von Zahlungen - der Gesellschaften - durch ihre Vorstände und Geschäftsführer. Eine Schutzpflicht ist damit nur zu Gunsten der beauftragenden Gesellschaften, nicht indessen ihrer Organe begründet worden. Soweit sich die U I AG und ihre Tochtergesellschaften zur Vermittlung des anzuvertrauenden Geheimnisses notwendigerweise ihrer Organe bedient haben, wurde dadurch - wie ausgeführt - das geschäftliche Geheimnis der jeweiligen juristischen Person nicht zu einem Geheimnis des jeweiligen Organs. Träger des Geheimhaltungsinteresses blieb vielmehr ausschließlich die beauftragende juristische Person, zumal schon nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin eine persönliche Beratung der Vorstände der U I AG und der Geschäftsführer der Tochtergesellschaften ausdrücklich nicht erfolgen sollte.

Mit der Entbindungserklärung des Insolvenzverwalters Dr. D vom 22.09.2011 lag die danach erforderliche Entbindungserklärung des Geheimnisträgers hinsichtlich der Gesellschaften, über deren Vermögen er zum Insolvenzverwalter bestellt worden war, vor. Einer Entbindung durch die vormaligen Vertretungsorgane der Gesellschaft bedurfte es nicht. Die Kammer verkennt nicht, dass in Literatur und Rechtsprechung die Frage umstritten ist, wer nach einem Wechsel in der Person des Geschäftsführers oder Vorstands einen der in § 53 StPO genannten Berufsträger von der Verschwiegenheitspflicht entbinden kann, insbesondere, ob die Entbindung durch den Insolvenzverwalter ausreicht. Die Kammer folgt der Auffassung nicht, nach der der Insolvenzverwalter allein eine wirksame Entbindungserklärung nicht abgeben können soll, sondern es auch entsprechender Erklärungen der vormals vertretungsberechtigten Organe der juristischen Person bedürfen soll (OLG Koblenz NStZ 1985, 426; Schmitt wistra 1993, 9; Schroers DStR 1994, 1173; Weyand wistra 1995, 240). Sie schließt sich vielmehr der Gegenauffassung an, nach der die Befreiung durch den Insolvenzverwalter ausreicht (OLG Oldenburg NJW 2004, 2176; OLG Nürnberg, NZI 2009, 817, 818; LG Lübeck NJW 1981, 1014; Kiethe, NZI 2006, 267, 269). Wie bereits ausgeführt, ist allein die juristische Person in ihren „Geheimnissen“ geschützt. Nur diese hat somit die Entscheidungsbefugnis, eine von ihr beauftragte und mit der betriebswirtschaftlichen Prüfung beauftragte Person, im Sinne von § 53 Abs. 2 S. 1 StPO von der Schweigepflicht zu entbinden. Ob dies im Interesse der juristischen Person liegt, entscheidet damit allein der gesetzliche Vertreter zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung. Früheren gesetzlichen Vertretern, gleich aus welchem Grund sie ausgeschieden sind, steht diese Befugnis nicht mehr zu, so dass es auf deren (zusätzliche) Erklärung nicht ankommt (so auch LG Hamburg NStZ-RR 2002, 12; OLG Oldenburg NJW 2004, 2176; Weyand wistra 1995, 240; Schäfer wistra 1985, 209). Die Einräumung einer (Mit-)Verfügungsgewalt des Organmitglieds über das Geheimnis würde den Interessen der Gesellschaft, die Geheimnisträgerin ist, widersprechen. Ihre Interessen kollidieren regelmäßig mit denjenigen der Gesellschaft, wenn ihr pflichtwidriges oder sogar strafbares Verhalten Regress- oder Entschädigungsansprüche der Gesellschaft bzw. Insolvenzmasse nach sich zieht (§§ 64 GmbHG, 92, 93 AktG; vgl. Kiethe, NZI 2006, 267, 269). Für die alleinige Entbindungsbefugnis des Insolvenzverwalters im Strafverfahren spricht, worauf das Landgericht Hamburg zutreffend hingewiesen hat, auch die Einheit der Rechtsordnung. Im Zivilverfahren hat die Rechtsprechung anerkannt, dass die Entbindungserklärung eines Konkursverwalters (Insolvenzverwalter) einer juristischen Person ausreichend ist (BGH NJW 1990, 510; vgl. auch Weyand wistra 1995, 240 [241] mit Hinweis auf OLG Düsseldorf ZIP 1993, 1807), obwohl der Geschäftsführer, insbesondere bei umfangreichen Regress- und Entschädigungsansprüchen, ebenfalls ein nachvollziehbares Interesse daran haben kann, dass der Berufsgeheimnisträger nicht als Zeuge aussagt.

Die Höhe des Ordnungsgeldes begegnet keinen Bedenken. Das Gericht hat die Höhe des Ordnungsgeldes mit 1.000,00 € innerhalb des von 5,00 € bis 1.000,00 € reichenden Betragsrahmens des Art. 6 Abs. 1 EG StGB festgesetzt. Maßgebend für die Höhe eines Ordnungsgeldes sind insbesondere die Bedeutung der Rechtssache, die Bedeutung der herauszugebenden Unterlagen für das Verfahren und die Schwere der Pflichtverletzung. Die herausragende Bedeutung des Ermittlungsverfahrens und der herauszugebenden Unterlagen rechtfertigt hier die Ausschöpfung des Ordnungsmittelrahmens. Den schutzwürdigen Belangen der Beschwerdeführerin war schon dadurch Rechnung getragen worden, dass nach dem ersten Herausgabeverlangen zunächst ein Beschlagnahmebeschluss herbeigeführt worden ist, um die Problematik des Zeugnis- und damit Herausgabeverweigerungsrechts der Beschwerdeführerin einer gerichtlichen Klärung zuzuführen. Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin gegen den Beschlagnahmebeschluss vom 27.09.2011 Beschwerde eingelegt hat, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Beschwerde kommt gemäß § 307 Abs. 1 StPO keine aufschiebende Wirkung zu. Auch einer anfechtbaren Anordnung ist ein unbedingter Befolgungsanspruch immanent, der allein durch entgegenstehende rechtliche Auffassungen nicht an Durchsetzbarkeit verliert.

Die nachträglich im Zuge der Durchsuchung der Kanzleiräume erfolgte Sicherstellung von Unterlagen lässt das Ordnungsmittel unberührt (vgl. Meyer-Goßner, § 95 StPO Rn. 9).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.






LG Bonn:
Beschluss v. 13.02.2012
Az: 27 Qs-410 Js 511/10-21/11


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