Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg:
Beschluss vom 30. November 2009
Aktenzeichen: OVG 10 N 50.08

(OVG Berlin-Brandenburg: Beschluss v. 30.11.2009, Az.: OVG 10 N 50.08)

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 18. März 2008 wird abgelehnt.

Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens trägt der Kläger.

Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Der auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das Vorbringen des Klägers, das den Prüfungsumfang des Oberverwaltungsgerichts bestimmt (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO), zeigt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils auf, mit dem das Verwaltungsgericht die Klage gegen die Bewertung der mündlichen Prüfung und die Gesamtnote der zweiten juristischen Staatsprüfung des Klägers abgewiesen hat.

1. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach die Bewertung des Aktenvortrags des Klägers in der mündlichen Prüfung nicht zu beanstanden sei, hat der Kläger nicht wirkungsvoll in Zweifel gezogen; insbesondere ergibt sich aus seinen Ausführungen nicht, dass sein Antwortspielraum verletzt worden sein könnte.

In dem Vortrag ging es unter anderem darum, den Werbespruch €DIE GROSSE TAGESZEITUNG DER LANDESHAUPTSTADT DES LANDES BAYERN€ unter dem Gesichtspunkt einer irreführenden Werbung i.S.d. § 5 UWG zu prüfen. In der Begründung seines Widerspruchs hat der Kläger ausgeführt, er habe eine irreführende Werbung mit folgender Begründung verneint: Ob eine Irreführung vorliege, sei aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, verständigen und die situationsadäquate Aufmerksamkeit aufbringenden Verbrauchers zu beurteilen. Bei der Aussage €Die große Münchener Zeitung€ handele es sich um eine Tatsachenbehauptung. Darin sei keine Irreführung zu sehen, denn eine sogenannte Spitzenstellungswerbung sei nicht gegeben. Eine Superlativwerbung liege gerade nicht vor, außerdem weise die Zeitung eine Auflagenzahl auf, nach der man sie jedenfalls zu den €Großen€ rechnen könne. Soweit der Kläger in seiner Klagebegründung darüber hinaus vorgetragen hat, er habe zudem argumentiert, es sei davon auszugehen, dass der Verbraucher wisse, dass es nicht nur eine €große€ Tageszeitung in München gebe, und die Werbung daher nicht als Superlativwerbung verstehe, hat das Verwaltungsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass angesichts des deutlich anderen Akzents der im Widerspruchsverfahren vorgetragenen Begründung zweifelhaft sei, ob der Inhalt des Aktenvortrags in der Klage zutreffend wiedergegeben worden sei. Diese Zweifel werden zusätzlich dadurch gestützt, dass der Prüfungsausschussvorsitzende in seiner Stellungnahme vom 3. Juli 2006 sogar Zweifel angemeldet hat, inwieweit bereits die im Widerspruchsschreiben dargestellte Argumentation in dieser Argumentationsdichte überhaupt Gegenstand des Aktenvortrags des Klägers gewesen sei. Hierzu enthält der Berufungszulassungsantrag keine Ausführungen.

Auch soweit das Verwaltungsgericht auf der Grundlage des in der Klage behaupteten Inhalts des gehaltenen Aktenvortrags Fehler bei der Bewertung verneint hat, ist diese Auffassung nicht zu beanstanden. Der Kläger wendet sich nur gegen einen Teilaspekt der vom Prüfungsausschuss genannten Begründung für die Bewertung dieses Prüfungsteils. Der Aktenvortrag und das anschließende Vertiefungsgespräch wurden in der mündlichen Prüfung mit €befriedigend€ (8 Punkte) bewertet. In seiner Stellungnahme vom 17. Januar 2006 hat der Prüfungsausschussvorsitzende verschiedene Gesichtspunkte aufgezählt, die als Defizite und Schwächen des Aktenvortrages gewertet worden seien, wie etwa eine nicht unerhebliche Zeitüberschreitung, eine zu breite Sachverhaltsdarstellung sowie fehlende Ausführungen zu einzelnen Paragraphen. Zu § 5 Abs. 1 UWG heißt es, dieser sei zwar geprüft, jedoch mit einer nicht überzeugenden Begründung abgelehnt worden. In der ergänzenden Stellungnahme vom 3. Juli 2006 wird hierzu erläutert, der Aktenvortrag habe eine weitergehende Auseinandersetzung mit der regionalen Bezugsgröße vermissen lassen. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe in einer Entscheidung aus dem Jahr 1998 ausgeführt, je größer der Markt sei, auf welchen sich die Werbeaussage beziehe, umso weniger könne aus der bloßen Verwendung des bestimmten Artikels mit einem nicht gesteigerten Eigenschaftswort geschlossen werden, es werde insoweit eine Spitzenstellung beansprucht. Grundlage für diese Entscheidung sei die Werbeanzeige €Die große deutsche Tages- und Wirtschaftszeitung€ gewesen. Eine weitere Auseinandersetzung mit der engeren geografischen Bezugsgröße im Vortragsfall sei also zu erwarten gewesen. Das Verwaltungsgericht hat in dieser Begründung keine Beurteilungsfehler erkennen können; die hiergegen erhobenen Einwendungen im Zulassungsverfahren vermögen nicht zu überzeugen.

Zweifelhaft ist bereits der Ansatz des Klägers, die angegriffene Bewertung der Prüfung des § 5 UWG als €nicht überzeugend€ als gerichtlich voll überprüfbare Fachfrage anzusehen. Zwar stellt es eine Fachfrage dar, ob bei der Behandlung eines Rechtsproblems die Prüfung eines bestimmten gesetzlichen Tatbestands geboten oder nur vertretbar ist, mit der Folge, dass im letzteren Fall der Prüfling auch berechtigt ist, von der Prüfung abzusehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1997 - 6 B 55.97 -, Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 385). Vorliegend hat der Prüfungsausschuss allerdings nicht die fehlende Prüfung eines bestimmten Tatbestandes oder einer bestimmten Norm moniert, sondern innerhalb der Prüfung der Norm Ausführungen zu einer bestimmten Thematik vermisst. Die Einschätzung der Qualität einer Darstellung und der Überzeugungskraft der einzelnen Argumente betrifft jedoch den prüfungsspezifischen Bewertungsspielraum der Prüfer (vgl. Niehues, Prüfungsrecht, 4. Aufl. 2004, Rn. 642). Der Prüfungsausschuss hat in seiner Kritik somit nicht - wie wohl vom Kläger unterstellt - gerügt, dass die Argumentation des Klägers fachlich nicht vertretbar sei, sondern hat nur die Überzeugungskraft dieser Argumentation bemängelt (vgl. kritisch zur Abgrenzung dieser Begründungen Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 581 m.w.N.). Aber auch wenn mit dem Kläger davon ausgegangen werden könnte, dass die Frage, ob der Prüfungsausschuss vorliegend das Fehlen von Ausführungen zur regionalen Bezugsgröße beanstanden durfte, der fachwissenschaftlichen Erörterung zugänglich ist, hat das Verwaltungsgericht zutreffend danach gefragt, ob der Prüfungsausschuss Ausführungen zur geografischen Bezugsgröße erwarten durfte. Der Antwortspielraum des Klägers wäre nur verletzt, wenn eine Erörterung dieses Aspekts für eine angemessene fachliche Erörterung des Rechtsproblems nicht erforderlich gewesen wäre. Denn nur in diesem Fall hätte der Prüfungsausschuss entsprechende Ausführungen nicht €erwarten€ und aus der Enttäuschung einer solchen Erwartung keine negative Bewertung ableiten dürfen. Dass ein solcher Antwortspielraum besteht, hat der Kläger jedoch nicht nachvollziehbar dargelegt.

Der Kläger hat im Ergebnis durchaus zutreffend ausgeführt, dass in der von ihm zitierten Rechtsprechung des BGH sowie des Kammergerichts Berlin sowohl die Frage der regionalen Bezugsgröße der Werbeaussage wie auch das Wissen der Verbraucher von den Marktverhältnissen diskutiert wird. Zu Unrecht leitet er jedoch aus dem Umstand, dass er - jedenfalls nach seinem Vorbringen im Klageverfahren - einen dieser Aspekte im Aktenvortrag angesprochen haben will, eine fachliche €Vertretbarkeit€ dieser Argumentation ab. Im Aktenvortrag ging es um die Frage, ob eine irreführende Werbung im Sinne einer Spitzenstellungsbehauptung vorlag, weil die Werbeaussage zwar keinen Superlativ, aber einen bestimmten Artikel in Verbindung mit einem Eigenschaftswort von empfehlender Bedeutung (€die große€) enthielt. In seinem Urteil vom 12. Februar 1998 (- I ZR 110/96 -, NJW 1998, 3349, 3350) hat der BGH hierzu unter Hinweis auf frühere Rechtsprechung ausgeführt, dass in der Bezeichnung eines Unternehmens oder Titels als €gro߀ unter Verwendung des bestimmten Artikels und einer geografischen Bezugsgröße wiederholt die Behauptung einer Spitzenstellung für den betreffenden geografischen Raum gesehen worden sei. Hieraus könne jedoch nicht gefolgert werden, dass jeder geografische Hinweis in Verbindung mit dem bestimmten Artikel ein solches Verkehrsverständnis erfordere. Je größer der Markt sei, auf welchen sich die Werbeaussage beziehe, umso weniger könne aus der bloßen Verwendung des bestimmten Artikels mit einem nicht gesteigerten Eigenschaftswort geschlossen werden, es werde insoweit eine Spitzenstellung beansprucht. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist es ohne Weiteres nachvollziehbar und auch naheliegend, dass eine problemorientierte Prüfung einer Werbeaussage, die einen bestimmten Artikel, ein empfehlendes Adjektiv sowie eine geografische Bezeichnung enthält, die Frage der Größe des regionalen Bezugsrahmens jedenfalls anspricht. Mehr hat auch der Prüfungsausschuss nicht erwartet.

Soweit der Kläger meint, mit Ausführungen zur regionalen Bezugsgröße habe sein vertretbares Ergebnis gar nicht folgerichtig begründet werden können, verkennt er den Inhalt der Prüferkritik. Die Prüfer erwarteten erkennbar nicht, wie der Kläger unterstellt, dass wegen des engen regionalen Bezugsrahmens €Landeshauptstadt München€ eine Spitzenstellungsbehauptung angenommen werden sollte. Sie erwarteten vielmehr lediglich den Hinweis, dass die geografische Enge des Bezugsrahmens möglicherweise für eine derartige irreführende Behauptung sprechen könnte. Auf der Grundlage dieser Überlegung hätte der Kläger auch zu dem von ihm in der Prüfung gefundenen und von den Prüfern als vertretbar gewerteten Ergebnis gelangen können. Nichts anderes hat auch das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Urteil festgestellt und zutreffend in diesem Zusammenhang auf die auch vom Kläger zitierte Rechtsprechung des Kammergerichts Berlin verwiesen. Dieses hatte die Bewerbung einer Tageszeitung als €Die Stimme Berlins€ nicht als Alleinstellungsberühmung gewertet, weil die Aussage sich zwar regional auf die Stadt Berlin beschränke, jedoch alles dafür spreche, dass der Verkehr wisse, dass auf dem Berliner Markt mehrere große Zeitungen nebeneinander existierten (Urteil vom 26. Mai 2000 - 5 U 1389/00 -, GRUR-RR 2001, 60 f.). Soweit der Kläger auf dieses Urteil verweist und vorträgt, auch das Kammergericht habe nicht entscheidend auf die Enge der geografischen Bezugsgröße abgestellt, verkennt er, dass das Gericht diesen Punkt erörtert, jedoch nicht für ausreichend zur Bejahung einer Alleinstellungsberühmung erachtet hat. Es hat damit genau jene Prüfung vorgenommen, die der Kläger in seinem Vortrag unterlassen hat und deren Fehlen die Prüfer beanstandet haben. Indem der Kläger die €fachliche Vertretbarkeit€ seiner Lösung verteidigt, übersieht er, dass es nicht nur darauf ankommt, eine vertretbare Lösung mit irgendwelchen in sich schlüssigen Argumenten zu begründen, sondern dass eine problembewusste Erörterung auf alle naheliegenden Gesichtspunkte argumentativ eingehen muss. Dass die Frage, welche Auswirkungen die geografische Enge des Bezugsrahmens €Landeshauptstadt München€ für die Frage einer Spitzenstellungsbehauptung hat, hier zu den naheliegend zu behandelnden Aspekten gehört, wird durch die vom Kläger selbst eingereichten Entscheidungen belegt.

Soweit der Kläger versucht, seine Lösung auf der Grundlage des sogenannten neuen Verbraucherleitbildes als alternative Lösungsmöglichkeit zu präsentieren, und auf die geänderte Rechtsprechung des BGH hinweist (Urteil vom 20. Oktober 1999 - I ZR 167/97 -, NJW-RR 2000, 1490 €Orient-Teppichmuster€), sind seine Ausführungen nicht nachvollziehbar. In der genannten Entscheidung hat der BGH entschieden, dass bei der Frage, ob eine Anzeigen- oder Beilagenwerbung einen irreführenden Eindruck vermittele, jedenfalls dann nicht auf den flüchtigen Verbraucher abzustellen sei, wenn es sich um Waren von nicht ganz unerheblichem Wert und einer nicht nur kurzen Lebensdauer handele. Dass diese Rechtsprechung für den vorliegenden Fall der Werbung für eine Tageszeitung, die gerade keinen erheblichen Wert und nur eine kurze Lebensdauer hat, von Bedeutung sein könnte, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen ist die Frage, auf welchen Verbraucher bei der Prüfung eines irreführenden Eindrucks abzustellen ist, zu unterscheiden von der Frage, welchen Eindruck die streitige Werbeaussage bei diesem Verbraucher erweckt. Während sich die Argumentation des Klägers zum gewandelten Verbraucherleitbild auf die erste Frage erstreckt, betreffen die Erwägungen zur regionalen Bezugsgröße den zweiten Aspekt. Beide Gesichtspunkte stehen nicht alternativ nebeneinander, sondern sind kumulativ bei der Prüfung einer möglicherweise irreführenden Spitzenstellungsbehauptung in die Erwägungen einzubeziehen.

2. Auch die Einwendungen des Klägers dagegen, dass das Verwaltungsgericht einen Anspruch auf erneute mündliche Prüfung wegen eines Verfahrensfehlers - hier: fehlende Kenntnis des Prüfungsausschussvorsitzenden von den Ausbildungszeugnissen - verneint hat, zeigen keine gewichtigen Bedenken gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils auf. Zur Frage der Auswirkungen eines etwaigen Verfahrensfehlers auf die Prüfungsentscheidung hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass die Kenntnis von den Ausbildungszeugnissen keinen Einfluss auf die Bewertung der mündlichen Prüfungsleistungen hat. Dies wird vom Kläger nicht nachvollziehbar in Frage gestellt. Soweit er in diesem Zusammenhang darauf hinweist, dass das in den Ausbildungszeugnissen vermittelte Bild des Prüflings für die Entscheidung des Prüfungsausschusses nach § 5 d Abs. 4 DRiG von Bedeutung sei, verkennt er, dass diese Entscheidung unabhängig von der Bewertung der mündlichen Prüfung unter Einbeziehung aller zuvor ermittelten Prüfungsergebnisse zu erfolgen hat. Ein Fehler bei der Entscheidung nach § 5 d Abs. 4 DRiG führt auch nicht ohne Weiteres dazu, dass die gesamte mündliche Prüfung wiederholt werden müsste, da sich die Korrektur von Prüfungsmängeln in der Regel auf die Teile der Prüfung zu beschränken hat, denen Prüfungsmängel anhaften, und die Entscheidung nach § 5 d Abs. 4 DRiG gegebenenfalls auch nachträglich auf der Grundlage des Prüfungsprotokolls, der erzielten Prüfungsnoten sowie des Zeugnisheftes getroffen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2001 - 6 C 14.01 -, DVBl. 2002, 973, zitiert nach juris, Rn. 32, Urteil vom 10. Oktober 2002 - 6 C 7.02 -, NJW 2003, 1063, zitiert nach juris, Rn. 17).

Zweifelhaft mag allerdings die Auffassung des Verwaltungsgerichts sein, ein etwaiger Verfahrensfehler hätte keine Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung nach § 5 d Abs. 4 DRiG selbst. Es spricht viel für die Auffassung des Klägers, dass es für den Gesamteindruck im Sinne des § 5 d Abs. 4 Satz 1 DRiG nicht nur auf die Ausbildungsnoten sowie etwaige Auffälligkeiten in den Zeugnissen ankommt, sondern auf das durch die Beschreibungen in den Zeugnissen vermittelte Bild von dem Prüfling in seiner Gesamtheit. Der €Gesamteindruck des Prüflings€ erfordert eine Berücksichtigung aller hierfür erheblichen Umstände (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. August 1997 - 6 B 44.97 -, zitiert nach juris, Rn. 9). Hierzu gehören nicht nur die Endnoten, sondern der gesamte Inhalt der Einzelzeugnisse, die insgesamt nach Aussage, Gewicht und Stellenwert zu berücksichtigen sind (vgl. hierzu ausführlich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 9. Januar 2008, - 14 A 3658/06 -, DÖV 2008, 608, zitiert nach juris, Rn. 65). Gerade weil die Einschätzung, ob und in welchem Umfang eine Abweichung von der rechnerisch ermittelten Gesamtnote den Leistungsstand des Kandidaten besser kennzeichnet, das Ergebnis prüfungsspezifischer Wertungen ist und daher nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt, muss diese Einschätzung auf einer breiten Erkenntnisgrundlage beruhen, die dem Prüfungsorgan ein Gesamtbild vom Prüfling vermitteln kann. Aus diesem Grund dürfte das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen sein, dass jedenfalls der Prüfungsausschussvorsitzende, der nach § 29 Abs. 5 i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 3 JAO 2003 die übrigen Mitglieder des Prüfungsausschusses über den wesentlichen Inhalt der Prüfungsakten unterrichten soll, die Ausbildungszeugnisse nicht nur hinsichtlich der Noten, sondern in ihrem gesamten Inhalt zur Kenntnis nehmen muss, um das dadurch vermittelte Bild an die anderen Ausschussmitglieder weitergeben zu können. Dass das Verwaltungsgericht auch für den Fall einer unterbliebenen Lektüre der Ausbildungszeugnisse die Entscheidung des Prüfungsausschusses nach § 5 d Abs. 4 Satz 1 DRiG als nicht fehlerhaft bewertet hat, weil der Kläger keine Besonderheiten in den Zeugnissen aufgezeigt habe, erscheint daher bedenklich, bedarf hier aber keiner Entscheidung, weil die vom Verwaltungsgericht vorangestellte tragende Erwägung, wonach vorliegend nicht von einer unterbliebenen Kenntnisnahme der Ausbildungszeugnisse auszugehen sei, vom Kläger nicht mit hinreichend gewichtigen Argumenten in Zweifel gezogen worden ist.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Mitglieder der Prüfungsausschüsse in der Zweiten juristischen Staatsprüfung ihren verfahrensmäßigen Pflichten nachkommen und der Vorsitzende des Prüfungsausschusses die ihm zur Verfügung gestellten Prüfungsakten zur Kenntnis nimmt, die Ausbildungszeugnisse liest und den wesentlichen Inhalt den übrigen Ausschussmitgliedern vermittelt. Dem Kläger ist allerdings zuzugestehen, dass im vorliegenden Fall aufgrund besonderer Umstände Zweifel aufkommen könnten, ob dieser übliche Verfahrensverlauf eingehalten worden ist. So hat der Prüfungsausschussvorsitzende außergewöhnlich spät, nämlich erst am Mittag oder Nachmittag des Tages vor der mündlichen Prüfung, die Akten der vier Prüflinge erhalten. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass der Vorsitzende dennoch alle Ausbildungszeugnisse zur Kenntnis genommen hat, ist jedoch nicht zu beanstanden.

In seiner Stellungnahme vom 17. Januar 2006 hat der Prüfungsausschussvorsitzende ausgeführt, die in den Prüfungsakten dokumentierten Leistungen seien Gegenstand der Beratung über die Gesamtnote gewesen. Diese Formulierung legt nahe, dass die in den Akten enthaltenen schriftlichen Zeugnisse und nicht nur die im vorangegangenen Satz zitierte €Aufstellung über die von dem Widerspruchsführer erbrachten Leistungen in den Ausbildungsstationen€ gemeint waren. Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht aus dem Wortlaut der Stellungnahme des Prüfungsausschussvorsitzenden vom 3. Juli 2006. Auch darin wird zunächst eine €Aufstellung über alle in den Akten dokumentierten Leistungen des Vorbereitungsdienstes€ erwähnt und sodann ausgeführt, der Prüfungsausschuss habe bei der Beratung der Gesamtnote €alle von dem Widerspruchsführer während des Vorbereitungsdienstes erbrachten und in den Akten dokumentierten Leistungen in seine Ermessensentscheidung mit einbezogen€. Auch hier rechtfertigt die Unterscheidung zwischen der Aufstellung der in den Akten dokumentierten Leistungen (also der Zusammenfassung der Zeugnisse durch Angabe von Ausbildungsstelle/Ausbilder und Note) und den in den Akten dokumentierten Leistungen selbst (also der Zeugnisse) die Annahme, dass letztere Grundlage der Entscheidung waren. Auch wenn der Prüfungsausschussvorsitzende trotz der mehrfach formulierten Zweifel an seiner Kenntnis vom Inhalt der Zeugnisse nicht ausdrücklich erwähnt hat, dass er die Zeugnisse gelesen hat, kann daraus noch nicht im Sinne eines €beredten Schweigens€ geschlossen werden, er habe bewusst eine Äußerung dazu unterlassen, weil er die Akten tatsächlich nicht gelesen habe. Auch der Umfang der Zeugnisse (insgesamt vier Prüflinge, im Falle des Klägers 15 teilweise sehr kurze Zeugnisse, keines über zwei Seiten lang) lässt es nicht unwahrscheinlich erscheinen, dass der Prüfungsausschussvorsitzende auch bei dieser Prüfung die Prüfungsakten einschließlich der Ausbildungszeugnisse inhaltlich zur Kenntnis genommen und die übrigen Prüfungsmitglieder - wie üblich und in der vorformulierten Prüfungsniederschrift im Übrigen ausdrücklich bestätigt - über den wesentlichen Inhalt der Akten informiert hat. Die vom Kläger aufgezeigten Bedenken aufgrund der besonderen Umstände des Falles sind jedenfalls nicht von einem solchen Gewicht, dass sie die Zulassung der Berufung rechtfertigen könnten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG. Der Senat orientiert sich dabei nicht an Nr. II.36.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung Juli 2004, NVwZ 2004, 1327), weil es nicht um das Bestehen oder Nichtbestehen der den Vorbereitungsdienst abschließenden Staatsprüfung geht, sondern lediglich um eine Notenverbesserung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. Januar 2007 - OVG 12 L 13.07 - und Beschluss vom 19. Oktober 2006 - OVG 7 L 43.06 -, ebenso OVG Hamburg, Beschluss vom 17. Juli 2008 - 3 Bf 351/07.Z -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. März 2007 - 14 E 398/07 -, jeweils zitiert nach juris).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).






OVG Berlin-Brandenburg:
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