Bundespatentgericht:
Beschluss vom 28. März 2011
Aktenzeichen: 9 W (pat) 422/05

(BPatG: Beschluss v. 28.03.2011, Az.: 9 W (pat) 422/05)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Das Deutsche Patentund Markenamt hat nach Prüfung das am 31. Oktober 1997 angemeldete Patent mit der Bezeichnung

"Hydropneumatische Achsfederung für angetriebene Fahrzeugachsen"

erteilt. Gegen das Patent richten sich zwei Einsprüche. Die Einsprechenden meinen u. a., der Streitgegenstand sei nicht patentfähig. Die Einsprechende I verweist dazu insbesondere auf das gattungsbildende Achsfederungssystem gemäß EP 0 670 230 A2, durch dessen fachgerechte Anwendung bei einer Pendelachse sie den Streitgegenstand für nahegelegt hält.

Die Patentinhaberin widerspricht dem Einspruchsvorbringen und verteidigt das Streitpatent in beschränktem Umfang mit einem Hauptantrag. Sämtliche darin vorgenommenen Änderungen erachtet sie für zulässig. Gegenüber dem in Betracht gzogenen Stand der Technik sei die streitpatentgemäße Achsfederung neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent beschränkt aufrecht zu erhalten mit folgenden Unterlagen: Patentanspruch 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 28. März 2011, Patentansprüchen 2 bis 18, eingereicht mit Schriftsatz eingegangen am 23. Februar 2011, Beschreibung und Zeichnungen Figuren 1 bis 3 gemäß Patentschrift.

Die Einsprechenden beantragen übereinstimmend, das Patent zu widerrufen.

Nach Meinung der Einsprechenden I sind die Anspruchsänderungen zum Teil nicht zulässig. Abgesehen davon sei auch der verteidigte Gegenstand nicht erfinderisch gegenüber dem Stand der Technik.

Entsprechend ihrer schriftlichen Ankündigung vom 25. März 2011 hat die Einsprechende II an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet wie folgt:

1. Hydropneumatisches Achsfederungssystem für die angetriebene Achse eines landwirtschaftlichen Arbeitsfahrzeugs, insbesondere für die Vorderachse eines Ackerschleppers, mit zwei zwischen einem Fahrzeugaufbau (10) und einem pendelnd aufgehängten Achskörper (12) angeordneten Hydraulikzylindern (16, 17), deren Druckräume (26, 27) oben liegen und deren Kolbenstangen mit dem Achskörper (12) verbunden sind, wobei die Druckräume (26, 27) untereinander und mit einem oder mehreren parallel geschalteten Druckraumdruckspeichern (36, 36a) sowie die Ringräume (28, 29) untereinander und mit einem oder mehreren parallel geschalteten Ringraumdruckspeichern (38) unmittelbar in Verbindung stehen, und mit einer durch eine Hydraulikpumpe gespeisten Ventileinrichtung (34) zur Niveaueinstellung, die den Druck der Druckmittelspeicher (36, 36a, 38) in Abhängigkeit der Belastung des Achskörpers (12) einstellt, wobei die mechanischen und hydropneumatischen Komponenten für eine Federung unter maximaler Belastung des Achskörpers (12) ausgelegt sind und die Ventileinrichtung (34) derart ausgebildet ist und angesteuert wird, dass die Druckmittelspeicher (36, 36a, 38) bei allen Betriebsbedingungen des Fahrzeugs mit den zugehörigen Druckräumen (26, 27) in Verbindung stehen und dass ein ausreichender Druck aufrechterhalten wird, sodass die Federung unter keinen Betriebsbedingungen vollständig gesperrt werden kann, um unter allen Lastund Fahrbedingungen des Fahrzeugs ein Federn des Achskörpers (12) zu ermöglichen.

Auf diesen Patentanspruch 1 sind Patentansprüche 2 bis 18 rückbezogen.

II.

Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG in den vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassungen begründet.

Der Einspruch ist unbestritten zulässig. Er hat auch in der Sache Erfolg.

Als patentrechtlich zu definierenden Durchschnittsfachmann legt der Senat seiner nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik einen Maschinenbauingenieur zugrunde. Dieser ist bei einem Hersteller oder -zulieferer für landwirtschaftliche Arbeitsgeräte bzw. Traktoren in der Fahrzeugkonstruktion tätig. Er verfügt über mehrere Jahre Berufserfahrung in der Adaption von gefederten Fahrwerken an die Fahrzeugkarosserie. Demzufolge zählt zu seinem beruflichen Grundlagenwissen eine hinreichende Kenntnis der unterschiedlichen, fachnotorisch bekannten Konstruktionen für Traktorfahrwerke.

Die Zulässigkeit der im geltenden Patentanspruch 1 vorgenommenen Änderungen gegenüber der erteilten Fassung mag dahinstehen, denn das Streitpatent hat wegen mangelnder Patentfähigkeit seines Gegenstandes keinen Bestand.

Ein hydropneumatisches Achsfederungssystem für die angetriebene Achse eines landwirtschaftlichen Arbeitsfahrzeugs, insbesondere für die Vorderachse eines Ackerschleppers, mit den Merkmalen des Patentanspruchs 1 ergibt sich für den eingangs definierten Durchschnittsfachmann bei fachgerechter Anwendung der hydropneumatischen, niveaugeregelten Achsfederung gemäß EP 0 670 230 A2 auf eine übliche, pendelnd aufgehängte Vorderachse eines Traktors ohne erfinderische Tätigkeit.

Die EP 0 670 230 A2 offenbart eine hydropneumatische, niveaugeregelte Achsfederung für Arbeitsfahrzeuge. In der nachstehenden Fig. 1 der Druckschrift sind die wesentlichen elektrischen und hydraulischen Komponenten dieser Achsfederung am Beispiel eines Schaltplans für einen einzelnen Stellzylinder 1 gezeigt. Ein Druckraum 2a des Zylinders 1 liegt oben und stützt sich an dem abzufedernden Fahrzeugaufbau 3 ab. Eine von einem Ringraum 2b umgebene, in Fig. 1 unbezifferte Kolbenstange ist mit einem in Fig. 1 nicht dargestellten Achskörper 6 verbunden, vgl. insb. Sp. 3 Z. 15 bis 19. Der Druckraum 2a steht mit einem Druckmittelspeicher 16 und der Ringraum 2b mit einem Druckmittelspeicher 26 in unmittelbarer Verbindung. Weil in dieser Verbindung kein Ventil vorgesehen ist, stehen die Druckmittelspeicher 16 und 26 bei allen Betriebsbedingungen des Fahrzeugs mit den zugehörigen Druckräumen 2a, 2b in Verbindung. Fig. 1 zeigt auch, dass der Druckraum 2a und der Ringraum 2b mit einer durch eine Hydraulikpumpe 11 gespeisten Ventileinrichtung zur Niveaueinstellung (Niveauregelventilblock 8) verbunden sind. Die Ventileinrichtung 8 ist durch ein Steuergerät 21 mit geeigneter Sensorik (Niveauschalter 24) in der Lage, den Druck der Druckmittelspeicher 16, 26 in Abhängigkeit der Belastung des Achskörpers einzustellen, Sp. 2 Z. 8 bis 16 und Sp. 4 Z. 32 bis Sp. 5 Z. 14.

Der Betrieb eines Arbeitsfahrzeuges mit einer derartigen hydropneumatischen, niveaugeregelten Achsfederung ist in Sp. 5 Z. 45/46 ausdrücklich als "normal" bezeichnet. Bei einer Achsfederung, die für den Normalbetrieb geeignet ist, müssen für den Fachmann selbstverständlich die mechanischen und hydropneumatischen Komponenten der Federung für eine maximale Belastung des Achskörpers ausgelegt sein. Etwas anderes wäre nicht fachgerecht. Außerdem muss die Ventileinrichtung 8 derart ausgebildet sein und angesteuert werden, dass in den Druckmittelspeichern 16 und 26 ständig ein ausreichender Druck aufrechterhalten wird, um unter allen Lastund Fahrbedingungen des Fahrzeugs ein Federn des Achskörpers im Normalbetrieb zu ermöglichen.

Lediglich als Option für besondere Betriebsbedingungen ist bei der vorbekannten Achsfederung eine Blockierung vorgesehen. Dies ergibt sich für den Fachmann zwangslos aus folgender Formulierung in der Beschreibung, Sp. 5 Z. 46 bis 48: "Sollte es in gewissen Betriebseinsätzen vorteilhaft sein, mit ausgeschalteter Federung zu arbeiten, ....". Die Ventileinrichtung 8 bietet dazu die Möglichkeit, die Federung durch vollständige Druckabsenkung im Druckraum 2a zu blockieren, vgl. insb. Sp. 5 letzter Abs.

Wendet der Durchschnittsfachmann diese bekannte Achsfederung bei einem Ackerschlepper mit pendelnd aufgehängter und angetriebener Vorderachse fachgerecht an, muss er zwei Hydraulikzylinder 1 vorsehen, mit denen der Fahrzeugaufbau 3 an dem Achskörper 6 abgestützt ist. Denn nur durch Anheben oder Absenken beiderseits des Pendelgelenks einer Pendelachse kann die vorgesehene Niveauregelung überhaupt wirksam werden. Bei einer derartigen Zylinderanordnung ist zwingend erforderlich, die jeweiligen Druckund Ringräume der Hydraulikzylinder parallel untereinander zu verbinden. Denn nur so ist ein Pendeln des Achskörpers möglich, wobei ein gegenläufiger Ausgleich von Hydraulikflüssigkeit zwischen den Druckbzw Ringräumen der beiden Zylinder 1 erfolgt. Und nur so ist gleichzeitig eine Federung des Fahrzeugaufbaus gegen die Vorspannung der Druckspeicher 16, 26 gewährleistet.

Von dieser Achsfederung unterscheidet sich die streitpatentgemäße Lösung nur dadurch, dass die Federung unter keinen Betriebsbedingungen vollständig gesperrt werden kann. Mit anderen Worten wird auf die bei der vorbekannten Achsfederung vorhandene Option der abschaltbaren Federung verzichtet. Dazu bedurfte es keiner erfinderischen Tätigkeit, denn es lag bereits im beliebigen Ermessen eines jeden Benutzers der hydropneumatischen, niveaugeregelten Achsfederung gemäß der EP 0 670 230 A2, deren Abschaltoption nicht zu verwenden.

Die Patentinhaberin wendet dagegen ein, eine angetriebene Pendelachse sei in der der EP 0 670 230 A2 mit keinem Wort erwähnt. Aus der Darstellung nur eines Zylinders 1 in Fig. 1 entnehme der Fachmann vielmehr, dass diese Achsfederung für eine Einzelradfederung vorgesehen sei. Davon konnte sie den Senat nicht überzeugen. Auf eine bestimmte Konstruktion der lediglich "angedeuteten Fahrzeugachse" (Sp. 3, Z. 18, 19), mit welcher die Kolbenstange 4 des Zylinders 1 verbunden ist, ist die vorbekannte Achsfederung der Anmelderin Xaver Fendt GmbH & Co. nicht beschränkt. Daher wird der Durchschnittsfachmann diese Achsfederung ohne Einschränkung bei jeder bekannten, angetriebenen oder nicht angetriebenen Achse eines landwirtschaftlichen Arbeitsfahrzeuges, insbesondere der Vorderachse eines Ackerschleppers, verwenden. Neben Starrachsen und Einzelradaufhängungen zählen pendelnd aufgehängte Achskörper zweifellos zu den fachnotorisch bekannten Achskonstruktionen bei landwirtschaftlichen Arbeitsfahrzeugen. Dass die Anzahl der Stellzylinder an die jeweilige Achskonstruktion angepasst sein muss, versteht sich für den Durchschnittsfachmann von selbst. Daher folgt für ihn aus der beispielhaften Darstellung nur eines Zylinders im Ausführungsbeispiel keineswegs zwingend eine Eignung der Achsfederung ausschließlich für Einzelradaufhängungen. Gegen diese Auffassung der Patentinhaberin spricht zudem der Wortlaut des Anspruchs 1: ".... der für die Niveauregelung des Fahrzeugaufbaus erforderlichen Stellzylinder ....", vgl. insb. Sp. 6 Z. 35 bis 37. Durch diesen Hinweis im Plural auf so viele Stellzylinder wie für die Niveauregelung erforderlich sind, erfährt der Durschnittsfachmann eine deutliche Anregung zur Anpassung der in EP 0 670 230 A2 beschriebenen Federung an bekannte Achskonstruktionen.

Die Patentinhaberin vertritt außerdem die Auffassung, bei der Anordnung mehrerer Zylinder werde der Fachmann keine Parallelschaltung der Druckräume vorsehen, sondern jeden Zylinder separat genau so hydraulisch anschließen, wie konkret in Fig. 1 der EP 0 670 230 A2 dargestellt. Dagegen spricht nach Überzeugung des Senats das fachlich nachvollziehbare Bemühen des Durchschnittsfachmannes um eine möglichst einfache und wirtschaftliche Lösung bei der Adaption dieser Achsfederung an eine bekannte Achskonstruktion. Dieses Bemühen gekoppelt mit der vorstehend erläuterten Wirkungsweise einer hydropneumatischen Federung bei einer Pendelachse führt den Fachmann in naheliegender Weise zu einer Parallelschaltung der Druckräume. Jede andere (technisch funktionierende) Lösung wäre demgegenüber baulich deutlich aufwändiger, beispielsweise durch Verwendung eines Niveauregelventils, eines Hydrospeichers und einer Pumpe pro Stellzylinder. Sie wäre auch steuerungstechnisch anspruchsvoller und damit fehleranfälliger. Im Vergleich mit derart aufwendigen Lösungen muss dem Durchschnittsfachmann die Parallelschaltung der Druckräume als die naheliegendste Lösung unterstellt werden.

Schließlich macht die Patentinhaberin noch geltend, die mechanischen und hydropneumatischen Komponenten der Achsfederung gemäß EP 0 670 230 A2 seien nicht für maximale Last ausgelegt, weil die maximale Last erst bei Blockierung der Federung erreicht werde. Dem steht die ausführlich beschriebene Wirkungsweise der Niveauregelung bei Laständerungen, beginnend ab Sp. 4 Z. 20 bis Sp. 5 Z. 44 i. V. m. dem anschließenden Satz "Das Fahrzeug kann jetzt normal betrieben werden." (Sp. 5 Z. 45/46) klar entgegen. Denn diese Beschreibung vermittelt dem Durchschnittsfachmann unübersehbar, dass gerade die Aufnahme eines Arbeitsgerätes mit Hilfe der fahrzeugeigenen Hubvorrichtung oder die Aufnahme einer Last z. B. mit der Schaufel eines Frontladers im Normalbetrieb, also bei eingeschalteter Federung erledigt werden soll. Das lässt für ihn nur den Schluss zu, sämtliche mechanischen und hydropneumatischen Komponenten der Achsfederung im Normalbetrieb auf maximale Last auszulegen. Alles andere macht technisch keinen Sinn und kann daher auch nicht überzeugen. Hinzu kommt, dass die Ausschaltung der Federung in der Druckschrift lediglich optional "in gewissen Betriebseinsätzen vorteilhaft" (Sp. 5 Z. 46/47) offenbart ist. Als ein solcher Betriebseinsatz ist ohne Weiteres das präzise Absetzen einer Last vorstellbar. Dies unterstreicht für den Durchschnittsfachmann sozusagen im Umkehrschluss, dass die Ausschaltung der Federung im Kontext der EP 0 670 230 A2 nicht zwingend die Maximalbelastung voraussetzt.

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen ist das hydropneumatische Achsfederungssystem gemäß geltendem Patentanspruch 1 nicht patentfähig.

Mit ihm fallen die rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 18, denn die darin enthaltenen Merkmale haben offensichtlich keine eigenständige erfinderische Bedeutung. Dies hat die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung auch nicht geltend gemacht.

Pontzen Bork Bülskämper Paetzold Ko






BPatG:
Beschluss v. 28.03.2011
Az: 9 W (pat) 422/05


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