Sozialgericht Augsburg:
Urteil vom 22. Januar 2015
Aktenzeichen: S 17 R 620/14

(SG Augsburg: Urteil v. 22.01.2015, Az.: S 17 R 620/14)

Ein zugelassener Rechtsanwalt, der in einer Steuerberatungsgesellschaft angestellt ist, kann die Befreiungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI für diese Tätigkeit jedenfalls dann erfüllen, wenn die beratende, vertretende und entscheidende Anwaltstätigkeit nicht im Verhältnis zum Arbeitgeber, sondern für die Mandanten der Gesellschaft erfolgt und eine standeswidrige Einflussnahme, die einer Tätigkeit im Sinne der freien Rechtspflege entgegensteht, nicht zu erwarten ist.

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, beim Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 16. Januar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 2014 für seine ab 1. November 2013 ausgeübte Tätigkeit für die Kanzlei D. die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht auszusprechen.

II. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten streitig ist, ob der Kläger antragsgemäß von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien ist.

Der am 1973 geborene Kläger stellte am 08.11.2013 bei der Bayerischen Versorgungskammer, Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung, Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI). Im entsprechenden Formblattantrag bestätigte der Arbeitgeber des Klägers, die Steuerberatungsgesellschaft D. und Partner, eine Tätigkeit des Klägers in sämtlichen Bereichen der Steuerrechtspflege als Teilbereich der allgemeinen anwaltlichen Beratung. Der Kläger werde für die Mandantschaft selbstständig beratend, gestaltend und rechtsentscheidend tätig. Dem Antrag beigefügt war eine Durchschrift des Anstellungsvertrages mit Tätigkeitsbeginn zum 01.11.2013.

Die Bayerische Versorgungskammer, Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung, leitete den Antrag an die Beklagte weiter und bestätigte eine seit 23.08.2007 bestehende Pflichtmitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer München.

Auf das Schreiben der Beklagten vom 08.11.2013, wonach die Kriterien der Rechtsentscheidung und Rechtsgestaltung nicht hinreichend erläutert seien, verwies der Kläger mit Schreiben vom 13.12.2013 darauf, dass er in einer klassischen Kanzlei für Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung arbeite, wogegen die ergänzenden Fragestellungen der Beklagten ausschließlich an ein Wirtschafts- oder Industrieunternehmen gerichtet seien. Die Tätigkeit sei geprägt von Eigenverantwortung und Zeichnungsrecht, es werde ein eigener Mandantenstamm betreut mit sämtlichen Elementen der Vertragsgestaltung, Rechtsberatung/Steuerberatung und verfahrensrechtlicher Begleitung mit selbstständiger Durchführung von Klagen vor dem Finanzgericht oder Bundesfinanzhof.

Mit Bescheid vom 16.01.2014 lehnte die Beklagte die beantragte Befreiung von der Rentenversicherung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI ab.

Nach den gesetzlichen Voraussetzungen könne eine Befreiung nur für die Beschäftigung erfolgen, wegen derer der Versicherte aufgrund gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versorgungseinrichtung und zugleich kraft Gesetzes Mitglied einer berufsständischen Kammer ist. Es müsse also ein innerer Zusammenhang bestehen zwischen der zu befreienden Tätigkeit und dem berufsspezifischen Versicherungsschutz durch die berufsständische Versorgungseinrichtung.

Bei Rechtsanwälten müsse daher eine typische anwaltliche Berufstätigkeit ausgeübt werden, nicht jede Beschäftigung eines als zugelassener Anwalt tätigen Juristen rechtfertige die Befreiung. Für eine berufsspezifische Tätigkeit bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber (Syndikusanwalt) könne eine Befreiung nur ausgesprochen werden, wenn diese Kriterien anwaltlicher Tätigkeit (Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung) kumulativ erfüllt seien und daher ausschließlich für Personen mit diesem beruflichen Hintergrund zugänglich seien. Ausweislich der Stellenbeschreibung seien die Merkmale der Rechtsgestaltung und Rechtsentscheidung nicht hinreichend gegeben. So sei hinsichtlich der Rechtsgestaltung nicht nachvollziehbar dargelegt worden, dass der Kläger befugt sei, Vertrags- und Einigungsverhandlungen mit den verschiedensten Partnern des Arbeitgebers selbstständig zu führen. Hinsichtlich der Rechtsentscheidung fehle ein nach außen wirksames Auftreten als rechtskundiger Entscheidungsträger verbunden mit einer durch Handlungsvollmacht umschriebenen eigenen Entscheidungskompetenz.

Sofern für die Beschäftigung des Klägers die zweite juristische Staatsprüfung keine objektiv unabdingbare Zugangsvoraussetzung sei und die Beschäftigung auch anderen, nicht verkammerten Berufsgruppen zugänglich sei, handele es sich nicht um eine Tätigkeit mit innerem Bezug zur anwaltstypischen Tätigkeit.

Hiergegen erhob der Kläger am 17.02.2014 Widerspruch.

Die stattgehabte eigenverantwortliche Bearbeitung von Steuerrechtsfällen sei Voraussetzung für die Anerkennung eines Fachanwaltstitels, dessen Erlangung zur vertraglichen Bedingung der Aufnahme in die Kanzlei gemacht worden sei. Die alltägliche Praxis beinhalte gesellschaftsrechtliche Gestaltungen, Nachfolgeregelungen mit erbschaftssteuerrechtlichen Fragestellungen, und die selbstständige und eigenverantwortliche Durchführung von Klagen vor dem FG oder dem BFH. Dem Kläger unterstehe ein Mitarbeiterstab, er bestimme zusammen mit den Partnern die Ausrichtung des Geschäftsbetriebes und arbeite außerdem seit 2007 unter eigener Kanzleiadresse als selbstständiger Anwalt. Das zweite juristische Staatsexamen sei für den Kläger unabdingbare Voraussetzung für die Tätigkeit in der Partnerschaft, zumal die Verpflichtung bestehe, den Fachanwalt für Steuerrecht zu erwerben. Qualifikation und Fallzahl sei nur in einer steuerberatenden Kanzlei erreichbar. Mit eigenem Zeichnungsrecht könne der Kläger gemäß § 3 Abs. 1 BRAO nur als zugelassener Rechtsanwalt agieren. Bestimmte Randbereiche des Steuerrechts könnten von originären Steuerberatern nicht bedient werden, sondern nur von anwaltlich vorgeprägten Mandatsträgern. Die Tätigkeit des Klägers unterscheide sich damit erheblich von einer bloßen Sachbearbeitertätigkeit.

Mit weiterem Schriftsatz vom 14.04.2014 wies der Kläger darauf hin, dass das Bundessozialgericht (BSG) mit seinen Entscheidungen vom 03.04.2014 die bis dahin vorherrschende 4-Kriterien-Theorie verworfen habe und stattdessen auf das fragliche anwaltliche Berufsbild als unabhängiges Organ der Rechtspflege abgestellt habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2014 wies die Beklagte den klägerischen Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen einer Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI lägen nicht vor, da die Tätigkeit in der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft/Steuerberatungsgesellschaft D. & Partner nach der 4-Kriterien-Theorie keine berufsspezifische Anwaltstätigkeit darstelle. Es genüge nicht, dass die juristische Ausbildung für die erfolgreiche Bewältigung der Arbeit nützlich sei, weil auch Personen mit anderer Ausbildung, wie zum Beispiel Diplomkaufleute oder Wirtschaftsjuristen (FH), generell geeignet und in der Lage seien, die Aufgaben zu erfüllen. Es sei nicht dargelegt, dass die mit dem zweiten juristischen Staatsexamen erlangte Befähigung zum Richteramt nach § 4 BRAO unabdingbare Voraussetzung für die Tätigkeit sei. Allein der Umstand, dass die Tätigkeit eines Steuerberaters auch durch Rechtsanwälte erfolgen dürfe, § 3 Abs. 1 BRAO, mache diese Tätigkeit nicht zu einer berufsspezifischen Tätigkeit. Dieselbe Befähigung hätten zum Beispiel auch Wirtschaftsprüfer bei der Beratung in steuerlichen Angelegenheiten.

Eine Tätigkeit, die objektiv nicht zwingend eine Qualifikation als Volljurist und die Befähigung zum Richteramt nach § 3 BRAO voraussetze, könne nicht einer Anwaltstätigkeit gleichgesetzt werden. Aus der Stellen- und Funktionsbeschreibung gehe eine von allen Weisungen unabhängige alleinige Entscheidungsbefugnis nicht hervor. Aus der jüngeren Rechtsprechung des BSG ergebe sich, dass eine von einem Anwalt ausgeübte Tätigkeit die Pflichtmitgliedschaft in Versorgungswerk und Rechtsanwaltskammer gerade begründen muss.

Am 16.06.2014 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Augsburg. Die klägerische Tätigkeit in der Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungskanzlei mit vereinbartem Ziel des Übergangs in eine Tätigkeit als Fachanwalt für Steuerrecht sei gleichzusetzen mit der Anwaltstätigkeit als freies Organ der Rechtspflege, nach der BSG-Rechtsprechung genüge seine Verpflichtung zur eigenverantwortlichen, weisungsfreien und unabhängigen Bearbeitung von steuerrechtlichen Mandaten. Ein Rechtsanwalt könne unabhängiger Berater in allen Rechtsangelegenheiten, also auch Steuersachen sein. Die Steuerberatung sei Unterfall der allgemeinen Rechtsberatung. Daher bestehe auch die Möglichkeit einer Spezialisierung anwaltlicher Tätigkeit zum Fachanwalt für Steuerrecht. Die berufliche Unabhängigkeit des Steuerberaters sei mit der des Rechtsanwalts vergleichbar, das Standesrecht sei nahezu identisch.

Mit Schriftsätzen vom 31.07.2014, 22.08.2014 und 05.11.2014 verwies die Beklagte darauf, dass bei nicht anwaltlichen Arbeitgebern abhängig beschäftigte Rechtsanwälte (Syndikus-Anwälte) nach den aktuellen BSG- Entscheidungen kein Recht auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht hätten. § 6 Abs.1 S.1 SGB VI sei eng nach seinem Wortlaut auszulegen. Wer als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Arbeitsverhältnis stehe, sei in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig, die Tätigkeit des Klägers als Angestellter in der Steuerberatungsgesellschaft führe nicht zur Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Kammer und Versorgungseinrichtung.

Nach der Doppelberufstheorie könne der Kläger, der bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber beschäftigt ist, für diesen nicht anwaltlich tätig sein. Damit erfülle die fragliche Beschäftigung nicht das vom BSG herausgearbeitete qualifizierende Befreiungserfordernis.

Allein die Begründung, dass Beratung und Vertretung in Steuersachen, welche zum Inhalt des Steuerberaters nach § 33 StBerG zählten, auch durch Rechtsanwälte erfolgen könne, reiche nicht aus, da diese Tätigkeit auch anderen Berufsgruppen gestattet sei. Die jüngste Rechtsprechung des BSG bestätige die Auffassung der Beklagten. Dabei sei ein als Rechtsanwalt zugelassener Syndikus, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis bei einem bestimmten Arbeitgeber stehe, nicht befreiungsfähig im Sinne der gesetzlichen Regelung. Der Kläger sei auch nach der Ausgestaltung des Arbeitsvertrages nicht in der Lage, im erforderlichen Sinne unabhängig und weisungsfrei seine Aufgaben wahrnehmen zu können, § 46 BRAO finde Anwendung.

Mit Schriftsatz vom 07.09.2014 verwies der Kläger darauf, dass das BSG die Befreiungsfähigkeit einer Tätigkeit im Angestelltenverhältnis dann für gegeben erachtet, wenn sie sich unter dem Anwaltsberuf "zusammenziehen" lasse. Dies sei bei der steuerberatenden Tätigkeit als Untermenge zur Anwaltschaft mit gleichem Standesrecht gegeben. Auch sei die gerichtliche Vertretung vor dem BFH gemäß § 62 Abs. 2 FGO nur Anwälten vorbehalten. Ohne die Zulassung als Anwalt könne er insoweit nicht tätig sein.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Kläger zur näheren Ausgestaltung seiner Tätigkeit für die Steuerberatungsgesellschaft D. & Partner befragt. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheides vom 16.01.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2014 die Befreiung des Klägers von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht für die ab 01.11.2013 in der Kanzlei D. ausgeübte Tätigkeit festzustellen.

Die Bevollmächtigte des Beklagten beantragte

die Abweisung der Klage.

Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung

Gründe

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- Verpflichtungsklage zulässig, § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Begehrt wird eine positive Entscheidung der Beklagten durch Verwaltungsakt über den Antrag auf Befreiung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch, Sechstes Buch (SGB VI), insoweit ist neben der Anfechtung der ergangenen ablehnenden Bescheide auch der Verpflichtungsantrag zulässig.

Die Klage ist auch begründet, da der Kläger durch die ergangenen streitgegenständlichen Ablehnungsbescheide rechtswidrig beschwert ist und Anspruch auf Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI besteht.

Der Kläger übt mit seiner Beschäftigung im Anstellungsverhältnis eine grundsätzlich gemäß § 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtige Beschäftigung aus, welche bei einem über der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Entgelt auch nicht nach §§ 5 Abs. 2 SGB VI i.V.m. 8 Sozialgesetzbuch, Viertes Buch (SGB IV) versicherungsfrei ist. Gleichzeitig ist er als zugelassener Rechtsanwalt obligatorisch Pflichtmitglied der zulassenden Rechtsanwaltskammer, § 12 BRAO und damit nach § 15 der Satzung der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung zugleich auch Pflichtmitglied der Rechtsanwaltsversorgung.

Nach § 6 Abs. 1 S 1 Nr. 1 SGB VI in der Neufassung von Art 1 Nr. 3 Buchst. a des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn

a) am jeweiligen Ort der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit für ihre Berufsgruppe bereits vor dem 01.01.1995 eine gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der berufsständischen Kammer bestanden hat,

b) für sie nach näherer Maßgabe der Satzung einkommensbezogene Beiträge unter Berücksichtigung der Beitragsbemessungsgrenze zur berufsständischen Versorgungseinrichtung zu zahlen sind und

c) aufgrund dieser Beiträge Leistungen für den Fall verminderter Erwerbsfähigkeit und des Alters sowie für Hinterbliebene erbracht und angepasst werden, wobei auch die finanzielle Lage der berufsständischen Versorgungseinrichtung zu berücksichtigen ist.

Eine Tätigkeit, die eine Pflichtmitgliedschaft in der Bayerischen Rechtsanwaltskammer und Rechtsanwaltsversorgung bedingt, erfüllt regelmäßig die unter obenstehenden Ziffern a - c genannten besonderen Befreiungsvoraussetzungen, ohne dass hierauf näher eingegangen werden muss (vgl. im Einzelnen Dankelmann in: jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 6 SGB VI, Rdnr. 43 ff m.w.Nw).

Streitentscheidend ist vorliegend deshalb, inwieweit der Kläger die allgemeine Befreiungsvoraussetzung erfüllt, dass gerade die zu befreiende Tätigkeit auch die Ursache für die bestehende Pflichtversicherung in der Rechtsanwaltskammer und Rechtsanwaltsversorgung bildet. Im Ergebnis ist dies für die vorliegende Tätigkeit des Klägers zu bejahen.

Dabei weist das Gericht zunächst darauf hin, dass den insbesondere von der Beklagten zitierten höchstrichterlichen und obergerichtlichen Entscheidungen betreffend der Tätigkeit zugelassener Anwälte im Angestelltenverhältnis für nicht anwaltliche Arbeitgeber (Syndikus-Anwalt) deutlich abweichende Sachverhalte zu Grunde lagen. So hat das BSG zuletzt mit Urteilen vom 03.04.2014, Az: B 5 RE 13/14 R, B 5 RE 9/14 R und B 5 RE 3/14 über die Befreiungsanträge von zugelassenen Rechtsanwälten entschieden, welche in ihrem Angestelltenverhältnis wesentlich mit der Beratung und Vertretung der Rechtsangelegenheiten ihres Arbeitgebers selbst befasst sind und keine der Sache nach unabhängige Beratungstätigkeit gegenüber Dritten i.S. des § 3 BRAO ausüben.

Die auf den zitierten Entscheidungen gründende Auffassung der Beklagten, dass Syndikus-Anwälte generell keinen Anspruch auf Befreiung hätten, lässt die nach Auffassung des Gerichts wesentliche Unterscheidung außer Acht, ob Inhalt der Tätigkeit die rechtliche Beratung und Vertretung des Unternehmens selbst ist (dann keine Befreiung möglich), oder aber, ob eine anwaltsgleiche, eigenverantwortliche und in der Sache nicht weisungsgebundene Beratung und Vertretung von Mandaten des Unternehmens erfolgt.

Ob die ausgeübte Tätigkeit selbst die Pflichtmitgliedschaften in Rechtsanwaltskammer und Rechtsanwaltsversorgung im Sinne des § 6 Abs. 1 S 1 Nr. 1 SGB VI bedingt oder eine Pflichtversicherung nach der sog. Doppelberufstheorie nur aufgrund der für die streitgegenständliche Angestelltentätigkeit eigentlich nicht erforderlichen Rechtsanwaltszulassung eintritt, erfordert die Unterscheidung, ob überhaupt im Sinne der verwendeten Definition des Syndikusanwalts eine beratende und entscheidende Tätigkeit für die Belange des Unternehmens erfolgt (z.B. in der Rechtsabteilung/Steuerabteilung eines Großunternehmens), oder ob die Tätigkeit zwar im Anstellungsverhältnis auf Rechnung des Unternehmens ausgeübt wird, sich aber inhaltlich und standesrechtlich als anwaltliche Tätigkeit gleich einem Organ der Rechtspflege mit freier Entscheidungsbefugnis darstellt.

Stellt sich die Tätigkeit in diesem Sinne als freie, dem eigenen Gewissen unterworfene beratende und allgemein vertretende Tätigkeit dar, welche im Einklang mit den Einschränkungen der Vertretungsbefugnis für die Belange des eigenen Dienstherrn steht i.S. des § 46 BRAO, entspricht auch diese innerhalb einer Unternehmensgesellschaft erfolgende Tätigkeit in allen wesentlichen Punkten einer Rechtsanwaltstätigkeit nach §§ 1 ff BRAO. Die Möglichkeit, eine Anwaltstätigkeit auch im Angestelltenverhältnis der Sache nach frei und unabhängig auszuüben, ergibt sich dabei direkt aus § 46 BRAO (vgl. BayLSG, Urteil vom 18.12.2013, L 14 R 816/12, Rdnr. 43).

Dabei ist es bereits verfassungsrechtlich geklärt, dass die Zulässigkeit der Bildung einer Partnergesellschaft i.S. einer Gesellschaft von Rechtsanwälten nach § 59c BRAO oder einer beruflichen Zusammenarbeit von Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer mit Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung i.S. des § 59a BRAO nicht davon abhängt, dass die Geschäftsführung der Gesellschaft mehrheitlich durch Rechtsanwälte erfolgt und diesen die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte zustehen muss, vgl. BVerfGE vom 14.01.2014 I 111 - 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12.

Dies bedeutet, dass eine anwaltliche Tätigkeit im Angestelltenverhältnis entgegen der Auffassung der Beklagten auch dann vorliegen kann, wenn es sich um einen nicht anwaltlichen Arbeitgeber handelt. Ob eine freie Anwaltstätigkeit vorliegt, welche dem Standesrecht unterliegt und als Organ der Rechtspflege ausgeübt wird, ist individuell nach dem jeweiligen zu Grunde liegenden Beschäftigungsverhältnis zu beurteilen. Dabei ist eine mit der erforderlichen institutionellen Unabhängigkeit des tätigen Anwalts vereinbare Anstellung auch bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber zumindest dann möglich, wenn dieser selbst vergleichbaren standesrechtlichen Pflichten zur unabhängigen Wahrung der Belange des Mandanten unterläge, würde er die im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses übertragene Beratung und Vertretung des Mandanten selbst übernehmen (vgl. Singer, BRAK-Mitteilungen 6/2014, S. 287, Ziffer 4c). Vorliegend unterliegen die Gesellschafter der D. & Partner mbB als Steuerberater selbst vergleichbaren standesrechtlichen Pflichten, vgl. §§ 1 Abs. 1 BOStB, 33 StBerG. Auch § 58 StBerG regelt vergleichbar wie § 46 BRAO die Möglichkeit einer freien Ausübung des Berufes als Steuerberater im Angestelltenverhältnis. Der Kläger muss daher bei seiner Tätigkeit nicht befürchten, mit aus unternehmerischen Gesichtspunkten getroffenen Weisungen seines Arbeitgebers zulasten der Interessen der von ihm vertretenen Mandanten in Konflikt zu kommen.

Das BSG hat insoweit unter Verweis auf die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts und des BGH zum Bild des Anwaltsberufes betont, dass eine beratende Tätigkeit des Syndikus-Anwalts für seinen Dienstherrn nicht dem Berufsbild des Anwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege entspricht und typische Wesensmerkmale der freien Berufsausübung, die das Bild des Anwalts bestimmen, nicht gegeben sind (vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2014, B 5 RE 13/14 R, Rdnr. 35 ff m.w.Nw.).

Damit hat das BSG zugleich den Rahmen einer Abgrenzung und Unterscheidung innerhalb der Gruppe der bei einem Dienstherren angestellten Anwälten gesteckt. Entscheidend ist im Ergebnis nicht die Frage, auf wessen Rechnung der Anwalt seine Tätigkeit ausübt, sondern, ob die Tätigkeit selbst die Kriterien einer freien Berufsausübung in unreglementierter Selbstbestimmung erfüllt und sich damit als Tätigkeit eines Organs der Rechtspflege nach § 1 BRAO darstellt.

Nach dem Anstellungsvertrag und den Angaben des Klägers und seines Arbeitgebers im Verwaltungsverfahren erfolgt die steuerrechtliche Beratung und Vertretung Dritter durch den Kläger eigenverantwortlich und inhaltlich weisungsfrei. Die Befragung des Klägers in der mündlichen Verhandlung hat ergeben, dass dieser insbesondere Rechtsangelegenheiten aus dem Steuerrecht mit fachübergreifenden Berührungen erbrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Fragen gleich einem Anwalt bearbeitet, in dem er beratend, kautelarjuristisch, vertretend und entscheidend tätig wird. Insbesondere gleicht auch die erfolgende Mandantenvertretung vor Finanzverwaltung und Finanzgericht in jeder Hinsicht einer freien Anwaltstätigkeit. Vorgaben und Entscheidungsvorbehalte werden vom Arbeitgeber nicht gemacht und sind auch nicht zu befürchten. Eine bedeutsame Einschränkung der freien Rechtspflegetätigkeit des Klägers durch standeswidrige Weisungen kommt bei einem Arbeitgeber, der den gleichen Standesgrundsätzen unterliegt, nicht in Betracht. Eine etwaige verbleibende allgemeine Weisungsbefugnis des klägerischen Arbeitgebers unterscheidet sich nicht von der für die Annahme einer freien Rechtspflege unschädlichen allgemeinen Weisungsbefugnis, wie sie arbeitsgebende Rechtsanwälte über angestellte Kollegen zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs ausüben.

Damit erfüllt die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit alle Kriterien für eine Befreiung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI, so dass der Klage mit der Kostenfolge nach § 193 SGG stattzugeben war.






SG Augsburg:
Urteil v. 22.01.2015
Az: S 17 R 620/14


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