Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 8. November 2007
Aktenzeichen: 28 U 100/07

(OLG Hamm: Urteil v. 08.11.2007, Az.: 28 U 100/07)

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 03. Mai 2007 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Münster abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.207,88 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07. März 2006 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

A.

Gemäß § 540 Abs. 2 i.V.m. § 313a Abs.1 S.1 und § 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO wird von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen abgesehen.

B.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

I. Die Klägerin kann von dem Beklagten gemäß § 280 Abs. 1 BGB die Zahlung von 6.207,88 € beanspruchen. Der Beklagte hat ihm gegenüber der Klägerin aufgrund des von ihm übernommenen, umfassenden und uneingeschränkten Mandates (1.) obliegende Pflichten verletzt (2.). Aufgrund dieser Pflichtverletzungen ist der Klägerin ein Schaden entstanden (3.), dessen Höhe mindestens den geltendgemachten Klagebetrag erreicht (4.)

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist ein Rechtsanwalt kraft des Anwaltsvertrages zwar nur innerhalb der Grenzen des übernommenen Mandats (vgl. BGH in NJW 2007, 2485 [2486 Rdn. 9-11]; NJW-RR 2007, 569 [570 Rdn. 10]; NJW 2002, 1413 ff.; VIZ 1998, 571 [572]; NJW 1997, 2168 [2169]; siehe auch Zugehör in "Handbuch der Anwaltshaftung", 2. Aufl., Rdn. 494, 500; Fahrendorf in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, "Die Haftung des Rechtsanwalts", 7. Aufl. 2005, Rdn. 439), welches das zu erreichende Ziel und somit die Maßnahmen bestimmt, die zur Erreichung desselben zutreffen oder anzuraten sind (BGH NJW 1988, 1079; NJW 1993, 2045; NJW 1996, 2648), verpflichtet, die Interessen seines Auftraggebers nach jeder Richtung und umfassend wahrzunehmen (BGH in NJW 2006, 3494 [3495 sub Rdn. 9]; NJW-RR 2000, 791 ff.; NJW 1998, 900 [901]; NJW 1988, 486 [487]; NJW 1988, 1079 [1080]; vgl. auch Borgmann in NJW 2000, 2953 [2955]). Entgegen der Ansicht des Beklagten beschränkte sich aber das von ihm übernommene Mandat nicht ausschließlich darauf, etwaige der Klägerin durch eine verzögerte Umschreibung des Erbbauwohnungseigentums entstehende Schäden gegenüber dem Verkäufer geltend zu machen. Es oblag ihm vielmehr, die Klägerin im Rahmen der Abwicklung des notariellen Kaufvertrages vom 17. Dezember 2001, sowie des ihm vorgeschalteten und mit ihm verbundenen Mietvertrages vom 08. Oktober 2001 umfassend zum Schutze ihrer Interessen zu beraten.

Ob dem Beklagten ein solches unbeschränktes Mandat erteilt worden ist, hat zwar grundsätzlich die Klägerin darzulegen und zu beweisen. Es gibt keinen Erfahrungssatz, dass ein Auftraggeber seinem Anwalt ein unbeschränktes Mandat erteilt (Zugehör, a.a.O.; Rdn. 505; BGH in NJW 2006, 3496 [sub Rdn. 7]; NJW 1997, 2168 [2169]; NJW 1996, 2929 [2931]; siehe auch Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 395 ff.). Der nicht fachkundige Mandant weiß in der Regel allerdings gar nicht, wie eine Angelegenheit umfassend in seinem Interesse geregelt werden kann, und begibt sich gerade deswegen in die Beratung eines Fachmannes. Deshalb trifft den Anwalt auch zunächst einmal die grundlegende Pflicht, das Rechtschutzziel des Auftraggebers sorgfältig abzuklären (vgl. Zugehör, a.a.O., Rdn. 507 ff.; Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 433, 434; BGH in NJW 2002, 1413) und ihm die Schritte zu empfehlen, die auf dem sichersten Weg zu dem erstrebten Ziel führen können. Insoweit hat der Anwalt den Auftraggeber so umfassend zu belehren, dass dieser eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen vermag (vgl. BGH NJW 2002, 292; BGH NJW - RR 2000, 791; BGH NJW - RR 1999, 641 [642]; NJW 1996, 2648 [2649]; NJW 1995, 449 [450]; NJW 1992, 1159 [1160]; Zugehör, a.a.O.; Rdn. 558; Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 509). Falls keine ausdrücklichen, abweichenden Vereinbarungen getroffen werden, kann deshalb von einem umfassenden und unbeschränkten Mandat ausgegangen werden (vgl. Sieg in "Zugehör, Handbuch der Anwaltshaftung", 2. Aufl.; Rdn. 43 ff.). Nur wenn der Mandant bei der Erörterung und Aufklärung seines Rechtsschutzzieles eindeutig auf einer, eine eigenverantwortliche Entscheidung ermöglichenden Grundlage zu erkennen gibt, dass er der fachlichen Hilfe des Anwaltes nur in einer bestimmten Art, Richtung und Reichweite bedarf, dann könnte der Mandant dem Anwalt nicht vorwerfen, dieser hätte dennoch über sein Mandat hinaus beraten und handeln müssen (BGH in NJW-RR 2007, 569 [570 sub Rdn. 10]; NJW 1997, 2168; 1996, 2929 [29331]).

Wie er seiner - von der Frage eines beschränkten oder unbeschränkten Mandates zunächst einmal unabhängigen - allgemeinen Pflicht, das Rechtsschutzziel der Klägerin sorgfältig abzuklären, so ausreichend nachgekommen sein will, dass er von einem ausschließlich auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beschränkten Mandat und einer im Übrigen allein von der Klägerin durchzuführenden Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber dem Verkäufer der Wohnung ausgehen durfte, hat der Beklagte weder schriftsätzlich, noch bei seiner Anhörung durch den Senat auch nur ansatzweise dargelegt. Dies oblag ihm aber nach den Grundsätzen der gestuften Darlegungslast (siehe dazu: Fischer in "Handbuch der Anwaltshaftung", 2. Aufl., Rdn. 958; Fahrendorf in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, "Die Haftung des Rechtsanwalts", 7. Aufl. 2005, Rdn. 656 ff.; NJW 2004, 3630 [3631] m.w.N.; NJW-RR 1999, 641 [642]; 1994, 3295 [3299 unter 2.]; NJW 1993, 1139 (1140 unter c); NJW 1987, 1322 ff.). Diese verwehren es ihm, das von der Klägerin in ihrer persönlichen Eingabe an das Landgericht vom 03. Mai 2007 und auch im Rahmen ihrer Anhörung durch den Senat nachvollziehbar und lebensnah geschilderte Rechtsschutzziel - Vermeidung der weiteren Zahlung von Bereitstellungszinsen für die von ihr aufgenommenen Darlehen und des Verlustes von Förderungsmitteln - nur schlicht und pauschal zu bestreiten. Er - und entgegen seiner Auffassung nicht die Klägerin hatte vielmehr zunächst einmal konkret darzulegen, was im Einzelnen zwischen ihm und der Klägerin erörtert worden ist und wie die Klägerin eindeutig auf einer, eine eigenverantwortliche Entscheidung ermöglichenden Grundlage zu erkennen gegeben hat, dass sie der fachlichen Hilfe des Beklagten nur wegen der Geltendmachung und Realisierung von Schadensersatzansprüchen bedurfte, und dies nicht etwa eine von ihm initiierte Einengung des Rechtsschutzzieles darstellte. Daran fehlt es. Daher gilt die Behauptung der Klägerin, den Beklagten umfassend um "Rechtsschutz" in ihrem Dilemma, einerseits Miete zahlen zu müssen, andererseits nicht nur gleichzeitig erhebliche Bereitstellungszinsen tragen, sondern auch den Verlust von Fördermitteln befürchten zu müssen, gebeten zu haben, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (vgl. BGH in NJW 1996, 2571 [sub II.3.a.]).

Dass es im Rahmen des Mandates nicht nur und ausschließlich um etwaige Schadensersatzansprüche wegen der verzögerten Eigentumsumschreibung ging, zeigen im Übrigen auch die eigenen Schreiben des Beklagten. Schon in seinen Schreiben vom 10. April 2002 an den Verkäufer ging es -unter dem Betreff "Kaufvertrag vom 28. 12.2001" - keineswegs nur um die wegen der Verzögerung der Eigentumsumschreibung der Klägerin entstandenen Schäden, sondern auch darum, dass die Klägerin "grundsätzlich nach wie vor bereit ist den Kaufvertrag zu erfüllen", jedoch unter der Bedingung, dass eine ordnungsgemäße notarielle Abwicklung stattfinden würde. Als Alternative wurde auch die Bereitschaft der Klägerin mitgeteilt, für sie ein lebenslanges Mietrecht zu begründen. Auch in dem Schreiben des Beklagten vom 23. Mai 2002 an den Verkäufer werden zunächst die weiterhin bestehende Bereitschaft der Klägerin mitgeteilt, die Wohnung käuflich zu erwerben, dann des langen und breiten die Eintragungsverzögerungen, die zur Auszahlung bereiten Finanzierungsmittel, der mögliche Verlust der Fördermittel und die aufgelaufenen Bereitstellungszinsen geschildert, wegen des bisher entstandenen Schadens hinsichtlich der Mietzahlung zunächst ein Zurückbehaltungsrecht unter dem Vorbehalt einer Aufrechung geltend gemacht und schließlich zum Schluss gefordert, dass der Eigentumswechsel unverzüglich vonstatten geht. Auch diese Schreiben und die vom Beklagten mit dem Verwalter wegen der angemahnten Mieten geführte Korrespondenz belegen, dass der Beklagte keineswegs ein ausschließlich auf die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen - von denen nach der Einrichtung des Notaranderkontos und Überweisung des Kaufpreises durch die Klägerin zunächst auch keine Rede mehr war und die dann erst im Rahmen des Mietprozesses wieder aufgegriffen wurden - beschränktes (zudem auch nicht zum Abschluss geführtes) Mandat übernommen hatte, sondern umfassend in die Abwicklung der verzögerten Eigentumsumschreibung eingebunden war und insoweit die Interessen der Klägerin wahrnehmen sollte.

Auch bezüglich der Einrichtung des Notaranderkontos beschränkte sich die Tätigkeit des Beklagten gemäß dem von seinem Sozius N2 verfassten Schreiben vom 31. Mai 2002 für einen aufmerksamen und sorgfältigen Erklärungsempfänger - auf den hinsichtlich des gemäß den §§ 133, 157 BGB durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt des Mandates (vgl. insoweit Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 381; BGH in NJW 1997, 2168 [2169 sub II.1.]) abzustellen ist objektiv erkennbar nicht etwa darauf, lediglich als "Bote" eine telefonisch erfolgte "Anregung" des Notars zu übermitteln und alles weitere der Klägerin überlassen zu wollen. Dieses Telefonat erfolgte - so ausdrücklich das Schreiben - als Reaktion auf das an den Verkäufer gerichtete Schreiben des Beklagten vom 23. Mai 2002, in dem ein unverzüglicher Eigentumswechsel zur Vermeidung weiterer Bereitstellungszinsen und eines möglichen Verlustes der Fördermittel verlangt worden war. Insoweit konnte und durfte die Klägerin erwarten, dass der Beklagte zur Wahrnehmung ihrer Interessen prüfte, ob die Errichtung eines solchen Anderkontos zur Erfüllung der Forderungen in dem Schreiben vom 23. Mai 2002 geeignet war. Dass insoweit ein Beratungs und Belehrungsbedarf bestand, hat der Sozius N2 des Beklagten damals selbst gesehen. Er hat die Klägerin ausdrücklich gebeten, sich "diesbezüglich" mit dem Unterzeichner in Verbindung zu setzen. Damit war die Angelegenheit auch nicht etwa für den Beklagten abgeschlossen, sondern die Klägerin beklagte sich in ihrer eMail vom 03. Juni 2002 gegenüber dem Beklagten, dass kein Treuhandkonto des Verkäufers bei der Sparkasse eingerichtet sei, auf das sie den Kaufpreis einzahlen konnte, und befürchtete, wiederum nur vertröstet zu werden. Dies nahm wiederum der Beklagte zum Anlass, sich mit Schreiben vom 21. Juni 2002 unter Bezugnahme auf den Schriftwechsel und das Telefonat vom 28. Mai 2002 an den Notar zu wenden und unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit (Zahlung der Bereitstellungszinsen und der nur noch für einen begrenzten Zeitraum gewährleisteten Bewilligung öffentlicher Mittel) nunmehr die Einrichtung eines Notaranderkontos zu erbitten. An den Beklagten erfolgten dann wiederum die Antworten des Notars vom 09. Juli und 30. Juli 2002, in denen die Errichtung dieses Kontos mitgeteilt wurden. Auch insoweit ging die Errichtung dieses Kontos keineswegs an den Beklagten völlig vorbei, sondern er war in den Vorgang eingebunden, weshalb der die Klägerin vor absehbaren Schäden zu bewahren und dementsprechend zu beraten und zu belehren hatte.

Schließlich nahm er dann auch noch nach Einrichtung des Anderkontos und Einzahlung des Kaufpreises im Rahmen seines Schreibens vom 14. Oktober 2002 nochmals umfassend zur Entwicklung des Vollzuges des Kaufvertrages Stellung, griff erneut die Frage einer mietrechtlichen Nutzung der Wohnung auf und stellte eine mögliche Rückabwicklung des Kaufvertrages in den Raum. Im weiteren Schreiben vom 22. September 2003 ist schließlich die Rede davon, dass der Beklagte beabsichtigte, "die Angelegenheit abzuschließen", wenn eine ordnungsgemäße Eintragung erfolgen sollte. Auch dies legt das Verständnis nahe, dass die Eigentumsverschaffung und nicht nur die "begleitenden" Schäden das von der Klägerin mit anwaltlicher Hilfe des Beklagten angestrebte Zielt war.

Insgesamt gesehen ergab sich aus der dynamischen Entwicklung des Mandates (vgl. dazu auch Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 385 ff.; Zugehör, a.a.O.; Rdn. 585 ff.) ein umfassendes Mandat, aufgrund dessen der Beklagte verpflichtet war, zu prüfen und dementsprechend die Klägerin zu belehren, ob die Errichtung eines Notaranderkontos und die Einzahlung des Kaufpreises auf das Konto geeignet waren, den im Schreiben vom 23. Mai 2002 aufgestellten Forderungen zu genügen, und ihr gegebenenfalls gangbarere Handlungsalternativen aufzuzeigen.

2. Diese Pflichten hat der Beklagte schon nach eigener Erklärung verletzt. Er hat die "Anregung" des Notars zur Zahlung der Mieten auf ein Anderkonto ohne jegliche Rechtsprüfung an die Klägerin weitergeleitet. Dies widersprach seiner Pflicht, die Klägerin vor Nachteilen zu bewahren, auch wenn sie nur für einen Rechtskundigen voraussehbar und vermeidbar waren (vgl. Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 535 m.w.N.; BGH in NJW 2006, 3494 [3495 sub Rdn. 9]).

a. Da treuhänderisch gebundene Zahlungen auf ein Notaranderkonto grundsätzlich keine Erfüllungswirkung besitzen, sondern es dazu einer besonderen ausdrücklichen Vereinbarung bedarf (vgl. BGH in NJW-RR 2007, 845 [846 Rdn. 12]; NJW 1998, 746 [747 zu 3.]; NJW 1994, 1403 [1404 zu 1.]; NJW 1989, 230 [231 zu 1.b.]; NJW 1983, 1605 [1606 zu 2.a.]), durfte sich der Beklagte nicht darauf verlassen, ob eine solche Zahlung als wirtschaftlicher Übergang i.S.d. des zwischen der Klägerin und dem Verkäufer abgeschlossenen Mietvertrages verstanden werden konnte, und aus diesem Grunde nunmehr die Pflicht zur Zahlung der vereinbarten Miete entfiel. Die dazu erforderliche Auslegung war mit beträchtlichen Risiken verbunden, die sich dann im Mietprozess auch zu Lasten der Klägerin verwirklicht hatten. Insoweit wäre es Aufgabe des Beklagten gewesen, für eine klare, keiner Auslegung bedürfenden Formulierung einer Vereinbarung Sorge zu tragen (vgl. BGH in NJW 1996, 2648 ff.; NJW 1998, 2048 ff.; NJW 2002, 1048 [1049]; Sieg in Zugehör, "Handbuch der Anwaltshaftung", 2. Aufl., Rdn. 745; Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 560).

b. Ferner war zu bedenken, ob wegen der schon in dem notariellen Vertrag vereinbarten Auflassung des Wohnungserbbaurechtes überhaupt eine formfreie Abänderung der Zahlungsmodalitäten für den Kaufpreis erfolgen konnte (vgl. dazu Palandt-Grüneberg, 66. Aufl., BGB § 311b Rdn. 42 ff.), oder nach dem Grundsatz des sichersten Weges eine notarielle Beurkundung der Vereinbarung ernsthaft in Erwägung zu ziehen war (Grüneberg, a.a.O., Rdn. 41), um dem im Mietprozess erhobenen Einwand der Formnichtigkeit begegnen zu können.

c. Weder hat der Beklagte diese einer schlichten Befolgung der "Anregung" des Notars entgegenstehenden Rechtsfragen geprüft, noch die Klägerin unter Hinweis auf die Risiken eines solchen Vorgehens entsprechend belehrt und ihr gegebenenfalls zu beschreitende Alternativen - etwa die Wiederaufnahme der Mietzahlungen und Schaffung der Voraussetzungen für die Geltendmachung der der Klägerin entstehenden Verzögerungsschäden - aufgezeigt. Solche Vermögensschäden und eine Ersatzpflicht des Verkäufers lagen keineswegs fern. Da die Vertragsparteien bei Abschluss des Vertrages übereinstimmend davon ausgingen, dass der Kaufvertrag innerhalb von höchstens 2 Monaten abgewickelt werden würde, und der Kaufpreis innerhalb einer Woche nach Mitteilung der Fälligkeitsvoraussetzungen durch den Notar zu zahlen war, hatte die Klägerin beim Abschluss der zur Finanzierung des Kaufpreises aufzunehmenden Darlehen den im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ins Auge gefasste Zeitrahmen zugrundezulegen. Sie konnte nicht erst nach der nicht voraussehbaren, allein aus in der Geschäftssphäre des Verkäufers liegenden Gründen mehr als ein Jahr verzögerten Mitteilung der Fälligkeitsvoraussetzungen mit den Kreditverhandlungen beginnen. Der gegenteiligen Ansicht des Gerichts in dem Mietrechtsstreit 6 C 968/04 Amtsgericht Münster liegt eine von der Lebenswirklichkeit nicht getragene, abstrakt juristische Deduktion zugrunde.

Soweit der Beklagte der Klägerin bei der Übernahme des Mandates erklärt haben will, dass sie vertraglich gebunden sei und die vereinbarte Miete zahlen müsse, reichte dies nicht aus, um den erheblich veränderten tatsächlichen Grundlagen der Abwicklung der Verträge Rechnung zu tragen. Es zeichnete sich nunmehr deutlich ab, dass sich der Vollzug des Vertrages wegen des Streites zwischen dem Verkäufer und den anderen Grundeigentümern über die zur Bildung des Wohnungserbbaurechtes erforderliche, zu ändernde Teilungserklärung erheblich verzögern würde und die bei weitem nicht den geschuldeten Mietzins erreichenden Bereitstellungszinsen nicht auf unbefristete Zeit im Wege des Zurückbehaltungsrechtes gegenüber dem gesamten Mietzinsanspruch geltend gemacht werden konnten. Insoweit ergab sich aufgrund der dynamischen Entwicklung des Mandates eine neue Beratungslage, die eine erneute Belehrung und Beratung der Klägerin in der Frage der Mietzahlungen erforderte.

Soweit der Beklagte ohne zureichende Rechtprüfung von der "Wirksamkeit" der nunmehr getroffenen Vereinbarung ausgegangen sein sollte, so hat er es zudem pflichtwidrig unterlassen, für eine beweiskräftige Dokumentation der "Vereinbarung" Sorge getragen (vgl. insoweit Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 454, 562; siehe auch BGH in NJW 1995, 521 [523 zu b.]).

3. Durch diese Pflichtverletzungen des Beklagten ist der Klägerin auch ein nach den Grundsätzen der Differenzhypothese zu beurteilender (vgl. BGH in NJW 2000, 2669 [2670]) Schaden erwachsen. Ihre Vermögenslage würde sich bei pflichtgemäßen Verhalten des Beklagten anders darstellen, als es nunmehr der Fall ist (vgl. Fischer in "Handbuch der Anwaltshaftung" Rdn. 1087; BGH in NJW 2001, 673 [674]; NJW-RR 1999, 19 [21]; NJW 1997, 1008).

a. Dass die Klägerin der einzig vernünftigen und der Rechtslage entsprechenden Empfehlung des Beklagten gefolgt wäre, entweder eine hieb und stichfeste (notarielle) Vereinbarung einer mit Erfüllungswirkung zu leistenden Zahlung des Kaufpreises auf ein Notaranderkonto zu verlangen oder zumindest ansonsten von einer solchen keine Vorteile, sondern ausschließlich Nachteile durch den Anfall der höheren Darlehenszinsen bringenden Zahlung abzusehen, kann schon aufgrund der Vermutung des beratungsgemäßen Verhaltens (siehe dazu BGH in BeckRS 2007 02730 [Rdn. 21]; NJW-RR 2005, 784 [785 sub II.1.]; NJW 2005, 3275 [3276 sub 3.a.]; NJW 2002, 593 [594 sub II.2.]; NJW 2000, 2814 [2815]; NJW-RR 1999, 641 [642]; NJW 1998, 749 [750]; NJW 1994, 3295 [3298]; NJW 1993, 3259; NJW 1992, 1159 [1160, 1161]; siehe auch Fischer in "Handbuch der Anwaltshaftung", 2. Aufl., Rdn. 1004 ff.; Fahrendorf in Rinsche/Fahrendorf/Terbille, "Die Haftung des Rechtsanwalts", 7. Aufl. 2005, Rdn. 720 ff.) festgestellt werden.

b. Ob sich allerdings auch der Verkäufer zur notariellen Beurkundung einer Vereinbarung bereit gefunden hätte, dass schon die Zahlung auf das Anderkonto zur Erfüllung der Kaufpreisschuld ausreichte, ist so zweifelhaft, dass keine gesicherte Grundlage für eine solche in dem hier zu beurteilenden Bereich der haftungsausfüllenden Kausalität gemäß § 287 ZPO zu treffende Annahme erkennbar ist. Für das Verhalten Dritter greift die Vermutung des beratungsgemäßen Verhaltens grundsätzlich nicht ein (vgl. Fahrendorf, a.a.O., Rdn. 733 ff. m.w.N.). Wenn auch der Anwaltsnotar, der in Widerspruch zu § 45 Abs. 1 Nr. 1 BRAO zu diesem Zeitpunkt die Beratung des Verkäufers übernommen hatte, nach seinen schriftlichen Äußerungen die Einrichtung eines Notaranderkontos befürwortete, so ist keineswegs gesichert, auf welcher Grundlage er seinen Mandanten anwaltlich beriet. An und für sich sprach mehr gegen als für eine solche Vereinbarung. Der Verkäufer war auf die Mietzahlungen der Klägerin angewiesen, um seinen Darlehensverpflichtungen gegenüber seiner ihn finanzierenden Bank nachkommen zu können. Durch Einzahlungen auf das Anderkonto, die durch eigene Treuhandauflagen der Bank der Klägerin - Eintragung entsprechender Grundpfandrechte, die noch keineswegs gesichert war - blockiert waren, erhielt der Verkäufer keine Verfügungsgewalt über das Konto. Es stand auch durchaus noch eine Rückabwicklung des Vertrages im Raume, die dem Verkäufer das eingezahlte Geld wieder entziehen konnte, so dass die Einzahlung kein auch nur halbwegs geeignetes Äquivalent für die Aufgabe der Mietzahlungen darstellte.

c. Auf einer gesicherten Grundlage kann aber gemäß § 287 ZPO festgestellt werden, dass zumindest die zweite, vom Beklagten der Klägerin aufzuzeigende Handlungsalternative keine Zahlung auf das Anderkonto, sondern Wiederaufnahme der Mietzahlungen zum Tragen gekommen wäre, die die Klägerin auch zur Grundlage ihres Hauptvorbringens gemacht hat. Wäre aber die Zahlung auf das Anderkonto nicht erfolgt, sondern stattdessen auf die pflichtgemäße Empfehlung des Beklagten die Mietzahlung wieder aufgenommen und fortgesetzt worden, dann wären weiterhin allenfalls die Bereitstellungszinsen zu zahlen gewesen und der spätere Mietzahlungsprozess nicht geführt worden. Die Prozesskostenschäden und die Verurteilung zur Zahlung von Verzugszinsen für die rückständigen Mieten, sowie die höheren Darlehenszinsen wären bei dem (im Falle eines Unterlassens) hinzuzudenkenden pflichtgemäßen Verhalten (vgl. BGH in NJW-RR 2006, 694 [697 Rdn. 33]; NJW 2005, 68 [71 zu b.aa.]; NJW 2003, 295 [296 zu II.2.a. m.w.N.]; MünchKomm-Oetker, 5. Aufl., BGB § 249 Rdn. 98) vermieden worden. Insoweit spricht auch allgemein eine Vermutung für aufklärungsrichtiges Verhalten, wenn eine vertraglich geschuldete Aufklärungspflicht unterlassen worden ist (vgl. BGH in NJW 1993, 257 [258 zu 6.]; Staudinger-Schiemann (2005), BGB § 249 Rdn. 10).

4. Der Klägerin ist ein Schaden zumindest in Höhe von 6.207,88 € entstanden.

a. Die der Klägerin in dem Rechtsstreit 6 C 968/04 Amtsgericht Münster erwachsen Kosten von 1.722,46 € (Gerichtskosten und Anwaltskosten der Gegenseite) und 1.336,32 € (eigene Kosten der Klägerin) ergeben sich zum einen aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des Amtsgerichts Münster vom 08. Oktober 2005 und zum anderen aus dem Kostenausgleichungsantrag des Beklagten vom 06. September 2005. Die Berechnung der vom Amtsgericht Münster ausgeurteilten Verzugszinsen für die rückständigen Mieten (Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz von 13.153,43 € ab dem 11. März 2004 bis zum 11. Februar 2005) in Höhe von 742,95 € ist von dem Beklagten nicht bestritten worden. Daraus ergibt sich insgesamt ein Schadensbetrag von (1.722,46 € + 1.336,32 € + 742,95 € =) 3.801,73 €.

b. Durch die von der Klägerin im Verhandlungstermin vorgelegten Kreditunterlagen sind nunmehr Zinsschäden in Höhe von mindesten (6.207,88 € - 3.801,73 € =) 2.406,15 € belegt.

aa. Für den unter der KontoNr. ......#/...... aufgenommenen, durch Darlehensmittel der X am Schlusse der Laufzeit zu tilgenden Kredit von 30.298,92 € fielen gemäß der nunmehr vorgelegten Vertragesurkunde Bereitstellungszinsen von 3 %, nach Auszahlung des Darlehens jedoch variable Zinsen in der Höhe zwischen 7,25 % und 6,30 % an. Nach ihren unbestritten gebliebenen Angaben zu den schon erstinstanzlich vorgelegten Kontoauszügen hat die Klägerin in der Zeit zwischen dem 20. August 2002 und dem 17. Dezember 2003 Zinsen in Höhe von insgesamt 3.098,34 € gezahlt, während für die Bereitstellungszinsen nur ein Betrag von 1.206,91 € aufzuwenden gewesen wäre. Daraus ergibt sich nach der insoweit unstreitigen Berechnung der Klägerin ein Zinsschaden von 1.891,43 €.

bb. Für das unter der KontoNr. ......#/...... aufgenommene Tilgungsdarlehen von 15.400,00 DM = 7.873,89 € hatte die Klägerin nach dem Darlehensvertrag Bereitstellungszinsen in Höhe von 3 % und bei Auszahlung (bis zum Jahre 2010 feste) Darlehenszinsen in Höhe von 4,6 % zu zahlen. Aufgrund der Zinsdifferenz von 1,6 % hat die Klägerin für die Zeit zwischen der durch die vorgelegten Kontoauszüge belegten Auszahlung des Darlehens auf das Notaranderkonto am 20. August 2002 und der am 17. Dezember 2003 erfolgten Auszahlung an den Verkäufer eine Mehrbelastung von (7.873,89 € * 1,6% / 365 * 484 = 167,56 €) ~ 167,28 € errechnet. Zwar berücksichtigt diese Berechnungsmethode an sich nicht, dass sich die "Darlehenszinsen" nicht gleich bleibend nach dem ursprünglichen Kapitalbetrag von 7.873,89 € richteten, sondern aufgrund der gleichzeitig aufgenommenen Tilgung des Darlehens in Höhe von 1% des Darlehensbetrages die Zinsbelastung grundsätzlich kontinuierlich abnahm. Aus den von der Klägerin bereits mit der Klageschrift überreichten Jahreskontoauszügen ergibt sich aber, dass sich dies allenfalls minimal auf die Zinsbelastung in den vorliegend zu beurteilenden, ersten rd. 16,5 Monaten der regulären Darlehenszahlungen der Klägerin auswirkte. Die höchste für September 2002 ausgewiesene Zinsrate von 30,18 € hat sich bis einschließlich Dezember 2003 monatlich um durchschnittlich 0,03 € bis auf 29,82 € gesenkt. Daraus ergibt sich eine gleich bleibende mittlere monatliche Zinsbelastung von ((30,18 € + 29,82 €)/2 =) 30,00 €. Für 16,5 Monate hatte die Klägerin nach dieser Berechnungsmethode tatsächlich rd. 495,00 € Zinsen zu zahlen. An Bereitstellungszinsen wären dagegen nur (7.873,89 € * 3% / 12 * 16,5 =) 324,80 € angefallen, so dass sich gegenüber den gezahlten 495,00 € sogar eine Differenz von 170,20 € ergäbe.

cc. Auch für das unter der KontoNr. ......#/...... aufgenommene Tilgungsdarlehen über 100.000,00 DM = 51.129,19 € hatte die Klägerin nach dem Darlehensvertrag Bereitstellungszinsen in Höhe von 3 % und bei Auszahlung (bis zum Jahre 2010 feste) Darlehenszinsen in Höhe von 4,6 % zu zahlen. Aus der Zinsdifferenz von 1,6 % für die Zeit zwischen der durch die vorgelegten Kontoauszüge belegten Auszahlung des Darlehens auf das Notaranderkonto am 20. August 2002 und der am 17. Dezember 2003 erfolgten Auszahlung an den Verkäufer hat die Klägerin eine Mehrbelastung von (51.129,19 € * 1,6% / 365 * 484 = 1.084,78 €) ~ 1.086,21 € errechnet. Nach der unter bb. dargelegten Berechnungsmethode ergeben sich folgende Zahlen: Die für den September 2002 ausgewiesene höchste Zinsbelastung betrug 195,99 €. Für Dezember 2003 ist - aufgrund einer durchschnittlichen monatlichen Senkung von 0,17 € eine Zinsbelastung von 193,65 € ausgewiesen. Daraus ergibt sich eine mittlere monatliche Zinsbelastung von ((195,99 € + 193,65 €) / 2 =) 194,82 € und für 16,5 Monate eine tatsächliche Zinsbelastung von 3.214,53 €. An Bereitstellungszinsen hätte die Klägerin für diese Zeit einen Betrag von (51.129,19 € * 3% / 12 * 16,5 =) 2.109,08 € zu zahlen gehabt, woraus sich gegenüber den tatsächlichen Belastungen von 3.214,53 € eine Mehrbelastung von 1.105,45 € ergäbe.

dd. Von einer exakten taggenauen finanzmathematischen Abrechnung der beiden Tilgungsdarlehen hat der Senat gemäß § 287 ZPO abgesehen. Die Differenz von 738,77 € zwischen den eingeklagten 6.207,88 € und den nach den Berechnungen der Klägerin entstandenen Schäden in Höhe von 6.946,65 € ist so groß, dass etwaige Unschärfen der zwar überschlägigen, aber in den vorliegenden Dokumenten eine gesicherte Grundlage findenden Zinsberechnungen des Senates gegenüber einer taggenauen finanzmathematischen Zinsberechnung nicht einer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit möglichen Feststellung entgegenstehen, dass der Klägerin (zumindest) ein Schaden in der eingeklagten Höhe entstanden ist. Einer Fortsetzung der mündlichen Verhandlung zur exakten mathematischen Berechnung des Zinsschadens bei den Tilgungsdarlehen bedurfte es nicht.

II. Die Zinsentscheidung folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 1 S. 2 BGB.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.

V. Der Senat hat die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO geprüft. Sie sind nicht erfüllt.






OLG Hamm:
Urteil v. 08.11.2007
Az: 28 U 100/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/fae0a3c2ae44/OLG-Hamm_Urteil_vom_8-November-2007_Az_28-U-100-07




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