Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 11. Mai 2006
Aktenzeichen: I-2 U 86/05

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 11.05.2006, Az.: I-2 U 86/05)

Tenor

Unter teilweiser Aufhebung des rechtskräftigen Urteils des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. November 2003 (I-2 U 75/02) wird die Kostenentscheidung dieses Urteils wie folgt neu gefasst:

„Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Streithelferin der Beklagten werden der Klägerin auferlegt.“

Die Restitutionsbeklagte (Klägerin des Vorprozesses) hat die Kosten des Wiederaufnahmeverfahrens zu tragen, mit Ausnahme der durch die Anrufung des unzuständigen Landgerichts Düsseldorf entstandenen Kosten, diese trägt die Restitutionsklägerin zu 1..

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

In dem Rechtsstreit 4a O 242/00 LG Düsseldorf = 2 U 75/02 OLG Düsseldorf hatte die Restitutionsbeklagte die Restitutionsklägerin zu 1. auf Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen der behaupteten Verletzung des ihr vormals erteilten europäischen Patentes 0 199 XXXin Anspruch genommen. Die Restitutionsklägerin zu 2. war dem Rechtsstreit auf Seiten der Restitutionsklägerin zu 1. beigetreten. Das Landgericht Düsseldorf hat der Klage mit Urteil vom 30. April 2004 (Bl. 108 BA) vollumfänglich stattgegeben. Gegen das Urteil hatten die Restitutionsklägerinnen Berufung eingelegt. Nachdem die Restitutionsklägerin zu 1. im Berufungsverfahren eine Unterlassungserklärung abgegeben hatte, haben die Restitutionsklägerin zu 1. und die Restitutionsbeklagte den Rechtsstreit in der Berufungsinstanz insoweit für erledigt erklärt. Mit Urteil vom 27. November 2003 (Bl. 235 ff. BA) hatte der Senat die Klage bezüglich des nicht für erledigt erklärten Teils des Rechtsstreits (Rechnungslegung und Schadensersatz) abgewiesen und insoweit die Kosten des Rechtsstreits der Restitutionsbeklagten auferlegt. Bezüglich des für erledigt erklärten Teils im Rahmen der nach § 91 a ZPO veranlassten Kostenentscheidung hatte der Senat die Kosten des Rechtsstreits der Restitutionsklägerin zu 1. auferlegt, bzw. die Kosten der Streithilfe der Restitutionsklägerin zu 2.. Im Wesentlichen hatte der Senat festgestellt, dass eine Verletzung des damals erteilten Patents der Restitutionsbeklagten durch die Restitutionsklägerin zu 1. vorliege, ein Anspruch auf Rechnungslegung und Schadensersatz der Restitutionsbeklagten aber nicht gegeben sei, weil die Restitutionsbeklagte mit der Restitutionsklägerin zu 2. während des Berufungsverfahrens einen Vertrag geschlossen habe, der von seinen Rechtswirkungen her einen Schadensersatzanspruch und damit auch einen Anspruch auf Rechnungslegung gegen die Restitutionsklägerin zu 1. ausschließe. Wegen der Einzelheiten wird auf das damalige Urteil des Senates Bezug genommen.

Im Jahr 2000 hatte die Restitutionsklägerin zu 1. ein Nichtigkeitsverfahren gegen das der Restitutionsbeklagten erteilte Patent vor dem Bundespatentgericht anhängig gemacht. Diese Klage hatte das Bundespatentgericht mit Urteil vom 28. November 2001 abgewiesen. Auf die Berufung der Restitutionsklägerin zu 1. hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 5. Juli 2005 (X ZR 30/02) das europäische Patent 0 199 XXXder Restitutionsbeklagten mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Die Restitutionsklägerinnen sind der Ansicht, vorliegend sei bezüglich der im Urteil enthaltenen Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 6 ZPO gegeben.

Nach Hinweis durch den Senat beantragen die Restitutionsklägerinnen zu 1. und 2.,

wie erkannt.

Die Restitutionsbeklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Klage wende sich allein gegen die in dem Urteil des Senats vom 27. November 2003 enthaltene Kostenentscheidung. Gegen eine solche sei eine Restitutionsklage nicht statthaft, wie sich aus § 99 Abs. 1 ZPO ergebe.

Die Klageschrift der Restitutionsklägerin zu 1. ist am 22.07.2005 beim Landgericht Düsseldorf eingegangen (Bl. 1 GA). Das Landgericht Düsseldorf hat sich mit Beschluss ohne Datum (Bl. 9 GA) für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Restitutionsklägerin zu 1. an das Oberlandesgericht verwiesen. Die Akte ist am 03.08.2005 beim Oberlandesgericht eingegangen (Bl. 15 GA). Die Restitutionsklage der Restitutionsklägerin zu 2. ist am 04.08. 2005 bei Gericht eingegangen (Bl. 16 GA). Beide Klagen sind der Restitutionsbeklagten am 18.08.2005 zugestellt worden (Bl. 27 GA).

Gründe

I.

Die Restitutionsklage ist zulässig.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf ist gemäß § 584 Abs. 1 ZPO sachlich und örtlich zuständig. Das angegriffene Urteil des Senats vom 27. November 2003 ist rechtskräftig. Die Restitutionsklägerinnen haben einen Wiederaufnahmegrund schlüssig behauptet, indem sie sich auf § 580 Nr. 6 ZPO stützen und insoweit unstreitig vortragen, das für die Restitutionsbeklagte erteilte europäische Patent 0 199 XXXsei vom Bundesgerichtshof mit Entscheidung vom 5. Juli 2005 mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt worden und das Urteil des Senats vom 27. November 2003 stütze sich auf die Rechtsbeständigkeit dieses Patents. Den Restitutionsklägerinnen ist es unmöglich gewesen, den Restitutionsgrund durch Rechtsmittel in dem früheren Verfahren geltend zu machen (§ 582 ZPO), da bei Erlass des Urteils des Senats im November 2003 die Entscheidung des Bundesgerichtshofes im Nichtigkeitsverfahren noch nicht vorlag und die Restitutionsklägerinnen im Übrigen eine Aussetzung des Vorverfahrens beantragt haben, dem aber nicht entsprochen worden ist.

Die Restitutionsklägerinnen haben die Klagefrist des § 586 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO eingehalten. Diese beträgt einen Monat und beginnt mit der Kenntnis der Restitutionsklägerinnen vom Restitutionsgrund, frühestens jedoch mit Eintritt der Rechtskraft des - angefochtenen - Urteils. Die Monatsfrist ist für die Restitutionsklägerin zu 1. eingehalten, da sie frühestens am 5. Juli 2005 mit der Verkündung des Nichtigkeitsurteils des BGH Kenntnis von dem Restitutionsgrund erlangt hat und ihre Klage am 22.07.2005 bei Gericht eingegangen ist. Dabei ist unschädlich, dass diese Klage bei dem unzuständigen Landgericht Düsseldorf eingegangen ist, da die Akte am 03.08.2005 bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist, mithin noch vor Ablauf eines Monats nach der Urteilsverkündung durch den Bundesgerichtshof im Nichtigkeitsverfahren. Die Klage der Restitutionsklägerin zu 2. ist am 04.08.2005 beim Oberlandesgericht eingegangen. Die Zustellung der Klagen an die Restitutionsbeklagte erfolgte demnächst, (§ 167 ZPO).

II.

Die Restitutionsklage ist begründet.

Das Urteil des Senats vom 27. November 2003 gründet sich auf der Rechtsbeständigkeit des europäischen Patents 0 199 274, dessen deutscher Teil durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. Juli 2005 für nichtig erklärt worden ist (§ 580 Nr. 6 ZPO analog).

1.

Eine Restitutionsklage ist begründet, wenn "das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist", (§ 580 Nr. 6 ZPO).

Im vorliegenden Fall ist die Vorschrift des § 580 Nr. 6 ZPO nicht direkt anwendbar, da es sich bei dem erteilten Patent nicht um ein "Urteil eines ordentlichen Gerichts..." handelt, auf das sich das Urteil (des Senats) gründet und das durch ein anderes rechtskräftiges Urteil (des Bundesgerichtshofes im Nichtigkeitsverfahren) wieder aufgehoben worden ist.

Die Vorschrift des § 580 Nr. 6 ZPO ist auf den vorliegenden Fall jedoch analog anwendbar.

Die Restitutionsklage ermöglicht es, rechtskräftige Urteile zu überprüfen, wenn ihre Grundlagen für jedermann erkennbar in einer für das allgemeine Rechtsgefühl unerträglichen Weise erschüttert sind (BGH, NJW 1988, 1914, 1915 m.w.N.). Dies ist grundsätzlich dann der Fall, wenn eine Legislativentscheidung, auf der das Urteil beruht, nachträglich beseitigt wird. Dies muss auch für eine Exekutiventscheidung (Verwaltungsakt = Patenterteilung) gelten, deren Richtigkeit das entscheidende Gericht nicht überprüfen kann, weil sie eine unbedingte Bindungswirkung entfaltet (vgl. LG Düsseldorf, GRUR 1987, 628 - Restitutionsklage). Die Analogie ist gerechtfertigt, weil bei der Aufhebung einer bindenden Verwaltungsentscheidung, ähnlich wie bei der Aufhebung eines präjudiziellen Urteils, die allen Restitutionsgründen gemeinsame evidente Erschütterung der Grundlagen des angefochtenen Urteils gegeben ist. Wegen der Tatbestandswirkung der Patenterteilung als Verwaltungsakt darf sich das Verletzungsgericht über den Erteilungsakt nicht hinwegsetzen, wenn es das Patent nicht für schutzfähig hält. Wird aber das vom Verletzungsgericht bis dahin als bestehend hinzunehmende Patent nachträglich vernichtet, ist die Urteilsgrundlage eines wegen Patentverletzung verurteilenden Erkenntnisses in gleicher Weise erschüttert, wie eine auf ein anderes Urteil gestützte gerichtliche Entscheidung (Benkard/Rogge, PatG, 9. Aufl., § 139, Rdnr. 149; Kraßer, Patentrecht, 5. Aufl., § 36, S. 917; Busse-Keukenschrijver, PatG, 6.Aufl., § 143, Rdnr. 389 f.; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 580, Rdnr. 18; Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 580, Rdnr. 12).

Der gegenteiligen Auffassung von Schickedanz (GRUR 2000, 570 ff.), wonach eine analoge Anwendung der §§ 578 ff. ZPO in Patentsachen aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht komme, da das Patentgesetz nicht generell auf die Vorschriften der ZPO verweise, sondern nur an einzelnen Stellen regele, ob und wie weit die ZPO anzuwenden sei und sich ein Verweis auf §§ 587 ff. ZPO nicht finde, ist abzulehnen. Das Patentgesetz enthält nur an wenigen Stellen und unvollständig eigene prozessrechtliche Regelungen, insbesondere unterstellt es den Verletzungsprozess ohne Einschränkungen der Zivilgerichtsbarkeit. Daraus folgt, dass die ZPO auf die Verletzungsprozesse Anwendung findet mit Ausnahme der Vorschriften, die durch das Patentgesetz explizit abweichend geregelt werden. Anders als in den von Schickedanz aufgeführten Fällen (a.a.O., S. 7), in denen es eigene Verfahrensordnungen gibt (SGG, FGG, FGO, VwGO), trifft dies für den Verletzungsprozess im Patentrecht nicht zu. Sind demgemäß im Verletzungsprozess ohne weiteren Verweis die Rechtsmittel der Berufung und der Revision statthaft, gilt dies in gleicher Weise für die Vorschriften über die Wiederaufnahme des Verfahrens.

2.

Die Senatsentscheidung vom 27. November 2003 beruht auf der Annahme der Rechtsbeständigkeit des Patents. Zwischen dem Nichtigkeitsurteil des Bundesgerichtshofs und der Vorentscheidung besteht ein ursächlicher Zusammenhang. Dem angegriffenen Urteil ist durch den Restitutionsgrund eine der Grundlagen, auf denen es beruht, entzogen worden.

Bei den von § 580 Nr. 6 ZPO geforderten drei staatlichen Akten handelt es sich um einen präjudiziellen Verwaltungsakt (das erteilte Patent 0 199 274), das mit der Restitutionsklage angegriffene rechtskräftige Urteil des Senats vom 27. November 2003 und das rechtskräftige Urteil des Bundesgerichtshofes vom 5. Juli 2005, durch die der präjudizielle Verwaltungsakt (Patent) förmlich aufgehoben worden ist.

Die in der Entscheidung des Senats vom 27. November 2003 enthaltene Kostenentscheidung nach § 91 a ZPO beruht auf der Annahme der Bestandskraft des Patents. Der Senat hatte über die Kosten des Rechtsstreits bezüglich des von der Restitutionsbeklagten begehrten Unterlassungsanspruchs, den die Parteien des Vorprozesses aufgrund einer Unterwerfungserklärung der Restitutionsklägerin zu 1. übereinstimmend für erledigt erklärt haben, zu entscheiden und für die Kostenentscheidung den Rechtsstreit nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigung zu würdigen und dabei zur Grundlage seiner Entscheidung die Frage zu machen, ob der Unterlassungsanspruch begründet gewesen wäre, weil die Restitutionsklägerin zu 1. das Patent der Restitutionsbeklagten verletzt hat. Dies hat der Senat bejaht und die Kosten des Rechtsstreits und der Streithilfe insoweit der Restitutionsklägerin zu 1. bzw. der Restitutionsklägerin zu 2. auferlegt. Dabei hatte der Senat aufgrund der Bindungswirkung an das erteilte Patent davon auszugehen, dass das erteilte Patent bestandskräftig ist.

Die Restitutionsbeklagte macht geltend, dass eine isolierte Anfechtung der Kostenentscheidung nicht zulässig sei (§ 99 Abs. 1 ZPO). Um eine solche isolierte Anfechtung einer Kostenentscheidung handelt es sich vorliegend jedoch nicht. § 99 Abs. 1 ZPO verhindert nur den Streit über den Kostentenor, wenn die materiellrechtliche Entscheidung des Gerichts gar nicht angegriffen werden soll. In den Fällen, in denen das Gericht eine Entscheidung nach § 91 a ZPO fällt, ob als alleiniger Beschluss oder inzidenter innerhalb der Kostenentscheidung des Rechtsstreits, manifestiert sich die materiellrechtliche Entscheidung des Gerichts in der Kostenentscheidung, so dass auch diese angegriffen werden kann (Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., Vor § 578, Rdnr. 14 m.w.N.).

III.

Die Kostenentscheidung des Vorprozesses beruht auf §§ 91, 91a, 101 Abs. 1 ZPO.

Nach dem Sach- und Streitstand zum Zeitpunkt der Erledigungserklärung sind die Kosten des Rechtsstreits sowie die Kosten der Streithilfe der Restitutionsbeklagten (Klägerin des Vorprozesses) aufzuerlegen. Das Unterlassungsbegehren der Restitutionsbeklagten war zum Zeitpunkt der Erledigung unbegründet, weil der deutsche Teil des europäischen Patents 0 199 XXXder Klägerin für nichtig erklärt worden ist und diese Erklärung auf den Zeitpunkt der Erteilung zurückwirkt, §§ 22 Abs. 2, 21 Abs. 3 Satz 1 PatG.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 281 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Es besteht keine Veranlassung, die Revision zuzulassen, da die Gründe des § 543 Abs. 3 ZPO nicht vorliegen.

Der Streitwert für die Klage der Restitutionsklägerin zu 1. beträgt 8.000,-- €.

Der Streitwert für die Klage der Restitutionsklägerin zu 2. beträgt 5.000,-- €.

R1 R4 R3






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 11.05.2006
Az: I-2 U 86/05


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