Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 22. September 2004
Aktenzeichen: 6 U 56/04

(OLG Köln: Urteil v. 22.09.2004, Az.: 6 U 56/04)

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 30.01.2004 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81 O 209/02 - wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 120 % der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagten zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Der weltweit tätige Konzern I. stellt hochwertige Damenhandtaschen her, darunter ein seit den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts produziertes Modell, welches wiederum seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter der Bezeichnung "Les Kellys" bzw. "Kelly-Bag" in der aus den Abbildungen gemäß den Anlagen K 3, 4 6 und 8 ersichtlichen Aufmachung in den Verkehr gebracht wird, sowie eine "Les Birkins" genannte und in Deutschland seit 1984 vertriebene Modellreihe, hinsichtlich deren Gestaltung auf die Anlagen K 3, 5, 7 und 9 verwiesen wird. Die Klägerin behauptet, innerhalb des Konzerns, welchem sie angehört, Herstellerin der I.-Damenhandtaschen zu sein.

Die Beklagte zu 1), deren Geschäftsführer der Beklagte zu 2) ist, vertreibt u.a. Damenhandtaschen, so die als Anlagen K 10 und 11 als Originalprodukte vorgelegten und nachstehend abgebildeten beiden Damenhandtaschen:

pp.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass es sich bei Handtaschen in der Gestaltungsform der Anlage K 11 um wettbewerblich unlautere Nachahmungen einer I.-Kelly-Bag bzw. bei Taschen in der äußeren Aufmachung der Anlage K 10 um solche einer I.-Birkin handele, und nimmt die Beklagten deshalb unter den Aspekten der vermeidbaren betrieblichen Herkunftstäuschung, der Rufanlehnung bzw. -ausbeutung sowie der Rufverwässerung bzw. -behinderung auf Unterlassung des Vertriebs, auf Auskunftserteilung sowie auf Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.

Mit Urteil vom 30.01.2004, auf dessen tatsächliche Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob die Klägerin überhaupt Herstellerin der fraglichen Taschen und damit für die geltend gemachten Ansprüche aktivlegitimiert sei. Den Taschen aus den Modellreihen "Kelly" und "Birkin" komme zwar eine schützenswerte wettbewerbliche Eigenart zu, hingegen fehle es an den Voraussetzungen eines im wettbewerblichen Sinne unlauteren Verhaltens der Beklagten. Zur Begründung hat die Kammer insoweit ausgeführt, dass die in Rede stehenden I.-Handtaschen als Produkte der höchsten Luxusklasse aufgrund ihres Preises, des exklusiven Vertriebsweges und des relativ geringen Absatzes mangels relevanter tatsächlicher Präsenz in der Vorstellung des Verbrauchers eine eher "phantomhafte" Existenz führten, sich überdies mit Duldung der Klägerin bereits eine Art "zweiter Markt" für Nachahmungen entwickelt habe, weil der Markt nämlich mit den Modellen "Kelly" bzw. "Birkin" der Klägerin mehr oder weniger ähnlichen Handtaschen diverser Hersteller "geradezu überschwemmt" sei.

Hiergegen wendet die Klägerin sich mit der Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihre erstinstanzlichen Behauptungen insbesondere zur Frage der auch in Ansehung von Kopien fortbestehenden wettbewerblichen Eigenart sowie zu dem herausragenden Ruf ihrer Taschen als Prestigeobjekte, wobei sie an ihrem Vorbringen festhält, dass die angegriffenen Taschen jeweils die charakteristischen Gestaltungsmerkmale einer "Kelly-Bag" bzw. "Birkin" nachahmten.

Sie nimmt die Beklagten weiterhin mit den bereits in erster Instanz geltend gemachten Klageanträgen, hinsichtlich deren Fassung Bezug genommen wird auf die Wiedergabe im Tatbestand des angefochtenen Urteils, in Anspruch. Mit Schriftsatz vom 13.09.2004 hat sie ihre auf Nachahmungen in der Gestaltungsform der Anlage K 11 bezogenen Ansprüche erstmals ergänzend gestützt auf markenrechtliche Ansprüche aus abgetretenem Recht der I. J. , welche Inhaberin einer im Übrigen nicht näher bezeichneten, am 02.08.2000 angemeldeten und zwischenzeitlich eingetragenen 3-D-Marke ist, welche aus der äußeren Form einer "Kelly-Bag" besteht.

Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil, wobei sie insbesondere ihren Vortrag dazu wiederholen und vertiefen, dass den fraglichen Taschen im Hinblick auf den allgemeinen Formenschatz bei Damenhandtaschen keine wettbewerbliche Eigenart zukomme; diese sei jedenfalls zum Kollisionszeitpunkt wieder entfallen wegen der jahrzehntelangen Überschwemmung des Marktes mit Nachahmungen der klägerischen Modelle in der Art der angegriffenen Produkte.

Die Akten der Parallelverfahren 6 U 55/04, 6 U 57/04 und 6 U 116/04 OLG Köln (81 O 249/02, 45/03 und 21/04 LG Köln), in welchen die Klägerin vergleichbare Ansprüche gegen weitere Vertreiber von Damenhandtaschen verfolgt, waren zu Informationszwecken beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin führt in der Sache nicht zum Erfolg. Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht Ansprüche der Klägerin aus ergänzendem wettbewerblichem Leistungsschutz i.S. des § 1 UWG a.F. verneint.

Es bedarf auch im Berufungsverfahren keiner Feststellungen dazu, ob die Klägerin die Herstellerin der Taschen aus den Modellreihen "Kelly" und "Birkin" und deshalb für die verfolgten Ansprüche aktivlegitimiert ist. Die Klageansprüche scheitern nämlich jedenfalls daran, dass sich das Inverkehrbringen der von den Beklagten angebotenen Damenhandtaschen in den aus den vorgelegten Originalexemplaren ersichtlichen Gestaltungsformen der Anlagen K 10 und 11 unter keinem der in Betracht kommenden rechtlichen Aspekte als wettbewerblich unlauter i.S der - im Berufungsverfahren nach Novellierung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb zugrunde zu legenden - §§ 3, 4 Nr. 9 a), b) UWG darstellt. Auf markenrechtliche Anspruchsgrundlagen kommt es nicht an, weil die Voraussetzungen einer zulässigen Klageerweiterung i.S. des § 533 ZPO nicht vorliegen.

1.

Der Senat hat die wettbewerbliche Eigenart sowohl der I.-"Kelly-Bag" als auch der "Birkin"-Taschen unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich tatsächlich jeweils um in verschiedenen (Leder-)Materialien, Farben und Größen angebotene Taschen, mithin also um Modellreihen handelt, verschiedentlich angenommen.

Zur "Kelly-Bag" hat der Senat mit Urteilen vom 04.12.2002 - 6 U 152/02 (81 O 74/02 LG Köln) - und vom 20.02.2002 - 6 U 95/92 (84 O 163/01 LG Köln) ausgeführt:

"Von wettbewerblicher Eigenart ist ein Erzeugnis, dessen konkrete Ausgestaltung oder einzelne Merkmale geeignet sind, im Verkehr auf seine betriebliche Herkunft oder Besonderheiten hinzuweisen (st. Rspr., vgl. zuletzt BGH WRP 2002, 1058/1062 -"Blendsegel"-). So liegt der Fall hier bei den Handtaschen der "Kelly"-Serie der Klägerin. Diese Erzeugnisse weisen eine Reihe von Merkmalen auf, die in ihrer Kombination geeignet sind, auf die betriebliche Herkunft des solcherart gestalteten Produkts hinzuweisen. Die herkunftshinweisende Funktion ergibt sich dabei zum einen aus der Form des Taschenkörpers, der bei seitlicher Sicht in der Art eines sich nach oben verjüngenden Keils gestaltet ist und bei frontaler Sicht eine leicht trapezförmige Kontur aufweist. Hinzu kommt ferner die den oberen Rand des Taschenkörpers überlappende Klappe, welche die Frontseite des Taschenkörpers zu etwa ¼ im oberen Bereich überdeckt, sowie deren an den seitlichen Rändern jeweils rechteckig eingeschnittene Einkerbungen aufweisende konkrete Form. Die aufgezeigte "bauchig" wirkende Form des Taschenkörpers sowie die durch das Größenverhältnis der in diesen hineinragenden Klappe geschaffene Proportion der Aufteilung lassen den Taschenkörper selbst dominieren und suggerieren auf diese Weise ein den Gebrauchszweck der Tasche gestalterisch betonendes Fassungsvermögen. In besonderem Maß wird das Gesamterscheinungsbild der I.-Kelly-Bag ferner durch den sich durch die Seiten des Taschenkörpers fädelnden, bis über die Klappe auf der Fontseite gezogenen sog. Taschengürtel mitbestimmt, dessen jeweilige Enden von polierten länglichen Metallstücken gefasst werden, in die wiederum Öffnungsschlitze eingelassen sind, welche das in der Frontseite angebrachte, in nämlichem Metall gehaltene Steckschloss aufnehmen können, das seinerseits mit einem kleinen Hängeschloss gesichert werden kann. In ihrem gestalterischen Zusammenwirken geben die dargestellten Merkmale der Handtasche ein sportlich solides, die Geräumigkeit und Sicherheit einer Tasche und damit deren Gebrauchszweck als Gepäck- und Transportbehälter betonendes optisches Erscheinungsbild, dem durch zusätzliches schmückendes Beiwerk eine insgesamt wertvolle, dabei distinguiert vornehm wirkende Anmutung verschafft ist. Mit Blick auf die für die Kreation von Handtaschen zur Verfügung stehende und im wettbewerblichen Umfeld bereits im Zeitpunkt des erstmaligen Marktzutritts der I.-Kelly-Bag Ende der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts und auch bei Inverkehrbringen der angegriffenen ...Tasche noch tatsächlich ... zur Akte gereichten Unterlagen sowie ferner auch aus den von der Beklagten als Anlagen zur Klagerwiderung vorgelegten Dokumentationen ... hervorgeht, ist das beschriebene Erscheinungsbild einer Handtasche von Hause aus in hohem Maße geeignet, auf die betriebliche Herkunft des solcherart gestalteten Produkts hinzuweisen."

Die wettbewerbliche Eigenart von Taschen aus der Modellreihe "Les Birkins" hat der Senat zuletzt mit am 29.10.2004 verkündetem Urteil in dem beigezogenen Parallelverfahren 6 U 116/04 in Anlehnung an die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 02.03.2004 - Aktenzeichen I - 20 U 64/03 - mit folgender Begründung bejaht:

"- die Handtaschen haben von der Schmalseite betrachtet eine beinahe dreieckige Form, wobei die Vertikalkanten nach oben schmal auslaufen; von den Längsseiten her betrachtet ist der obere Rand leicht nach oben konvex gebogen;

- die Handtaschen haben zwei Griffe, die parallel in Form eines unvollständigen Ovals ausgestaltet sind, wobei der Griff jeweils mit zwei Befestigungspunkten im oberen Bereich der Tasche befestigt ist;

- die Taschen weisen von der vorn liegenden Längsseite betrachtet eine (Schein-) Lasche auf, die die Tasche im geschlossenen Zustand etwa über ein Drittel ihrer Gesamthöhe im oberen Bereich der Taschenvorderseite bedeckt, wobei die Lasche an jedem der beiden Seitenränder in Höhe des Taschengürtels rechteckig ausgeschnitten ist und die Befestigungspunkte des Griffes schlüssellochartig ausgespart sind, wodurch die Taschenvorderseite in drei im Wesentlichen gleich große Teile geteilt wird, die (Schein-)Lasche ist unten gerade geschnitten; die beiden außen liegenden Bereiche der Lasche sind an ihrem jeweils außen liegenden Rand stumpfwinklig ausgeschnitten, das gleiche gilt von den Rändern an beiden Griffaussparungen; in Höhe der Aussparungen sind auf den äußeren Laschenteilen zwei Haken angebracht;

- der Taschengürtel ist zweigeteilt, wobei beide Teile dieses Gürtels jeweils vom äußeren Rand der Taschenrückseite durch den Seitenbereich hindurch auf die Vorderseite geführt sind und nach dem Austritt aus dem Seitenbereich der Tasche in gleicher Höhe auf der Vorderseite der Tasche verlaufen und dort mittig mit einem Verschlusselement zusammengehalten werden, wobei das Verschlusselement zusätzlich mit einem Schloss gesichert sein kann."

Daran hält der Senat grundsätzlich fest. Offen bleiben kann, ob die klägerischen Produkte infolge nachträglicher Veränderung der Umstände ihre ursprüngliche Hinweisfunktion wieder verloren haben, was dann der Fall sein könnte, wenn deren Form im Kollisionszeitpunkt bereits Allgemeingut geworden wäre (vgl. hierzu BGH GRUR 1985, 876, 878 -"Tchibo/Rolex I") und der Verkehr infolge der damit einhergehenden Überschwemmung des Marktes mit gleich aussehenden Nachahmungen die Unterscheidung zwischen der Originalware und den Kopien nicht mehr treffen könnte (vgl. BGH GRUR 1998, 830, 833 - "Les Pauls-Gitarren").

Für die Entscheidung im Streitfall kann nämlich deshalb eine fortbestehende schützenswerte wettbewerbliche Eigenart beider Taschenmodelle unterstellt werden, weil es an den sonstigen für die Zuerkennung der Klageansprüche vorauszusetzenden materiellen Merkmalen der in Betracht kommenden Unlauterkeitstatbestände fehlt.

2.

Die beiden angegriffenen Taschen sind der Gestaltungsform einer "Kelly-Bag" bzw. "Birkin"-Tasche in deren eine wettbewerbliche Eigenart ausmachenden Merkmalen nur angenähert, ohne dieser i.S. einer identischen Nachahmung zu entsprechen.

Für die Beurteilung abzustellen ist insoweit auf die sich gegenüberstehenden Taschen in geschlossenem Zustand als der für das Tragen von Damenhandtaschen im Verkehr üblichen Situation. Ob die klägerischen Modelle oder zumindest die "Birkin" gelegentlich und als Ausdruck eines Modegags geöffnet bzw. mit geöffnetem Taschengürtel getragen werden, wie dies die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vorgetragen hat, kann dahinstehen. Die Richtigkeit dieses Einwandes unterstellt, wäre die Feststellung von Übereinstimmungen bzw. Unterschieden zwischen den Taschen insbesondere bezüglich der in besonderem Maße prägenden Frontpartie zwar erschwert. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht folgt hieraus aber nicht, dass sodann auch Taschen, welche ausschließlich in solcherart geöffnetem Zustand noch als identische Nachahmungen anzusehen wären, in die Beurteilung mit einzubeziehen wären. Auf die Form der in offenem Zustand getragenen Modelle der Klägerin - und deshalb auch nicht der angegriffenen - kann nämlich vorbehaltlich der Relevanz einer auf Ausnahmen beschränkten Benutzungssituation schon deshalb nicht abgestellt werden, weil sie sodann mangels besserer Wahrnehmungsmöglichkeit der die Gesamterscheinung maßgeblich prägenden Merkmale der Taschenvorderseiten ihre wettbewerbliche Eigenart insgesamt verlieren würden.

Die Würdigung der Ähnlichkeit hat zudem von den Taschen jeweils in ihrer Gesamtheit auszugehen und ist nicht etwa nur auf einen bestimmten Teil ihrer äußeren Erscheinungsform zu begrenzen. Die im Verhandlungstermin betonte, gegenteilige Auffassung der Klägerin, wonach nur auf das obere Drittel der Taschenvorderfront und die dieses prägenden Formbestandteile abzuheben sein soll, liefe auf einen dem ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz fremden und allenfalls dem Sonderrechtsschutz zugänglichen Elementenschutz hinaus.

a)

Das beanstandete Modell gemäß der Anlage K 10 ist einer Tasche des Typs "Birkin" nur insoweit angenähert, als die Grundform des Taschenkörpers ähnlich ist, zwei Griffe vorhanden sind sowie im oberen Drittel der Vorderseite ein Dekorationselement in der Art einer dreiteiligen Lasche zu erkennen ist. Die Gesamtgestaltung, gerade auch bei dem letztgenannten Formteil, weicht allerdings in hohem Maße von der einer "Birkin" ab.

Das die äußere Form der "Birkin" ganz maßgeblich prägende Merkmal einer nach unten dreigeteilten (Überschlag-)Lasche, die den oberen Bereich der Taschenvorderseite bedeckt und von einem horizontalen ‚Taschengürtel’ gehalten wird, findet sich bei dem angegriffenen Modell nur als ein seiner Funktionen beraubtes, allenfalls wie ein Zitat des "Originals" wirkendes und rein schmückendes Beiwerk wieder. Die Tasche wird mit einer Reißverschlusskonstruktion geschlossen und nicht mittels eines Überschlags; Vorder- und Rückpartie des Taschenkörpers sind deshalb anders als bei einer "Birkin" gleich hoch geschnitten und in der Mitte ist ein breiter Reißverschluss eingenäht. Der sog. Taschengürtel hat deshalb auch keine schließende Funktion, sondern eine auf die Vorderseite beschränkte und rein dekorative mit der Folge, dass die metallenen Halteösen vollständig geschlossen sind, der Gürtel nämlich nicht ein- und ausgehängt werden kann. Die an die Lasche der "Birkin" erinnernde Lederdekoration ist im Übrigen zwar auch nach unten dreigeteilt; die einzelnen Teile sind aber nicht annähernd gleich groß geschnitten wie bei dieser, sondern zwei schmale Elemente umrahmen ein breiteres Mittelteil.

Der Unterschied in der Gestaltung insbesondere bezüglich der Art und Weise, in der die Tasche zu öffnen/zu schließen ist, ist deutlich und aus allen Perspektiven zu erkennen, weil der Reißverschluss bzw. dessen lederne Endstücke seitlich herausragen und die Tasche zudem wegen der breit angelegten Reißverschlusspartie auch dann oben weit auseinanderklafft, wenn der Reißverschluss zugezogen ist. Letzterer Umstand führt im Übrigen weiter dazu, dass die für die "Birkin" in der Seitenansicht typische Dreiecksform mit spitzem Abschluss nach oben nicht erreicht wird.

b)

Hinsichtlich des Modells gemäß der Anlage K 11 verweist die Klägerin zwar zutreffend darauf, dass der Taschenkörper dem einer "Kelly" ähnelt und ebenso wie bei dieser eine die Vorderseite teilweise bedeckende Lasche vorhanden ist, über welcher ein Taschengürtel mit metallenen Endstücken geschlossen werden kann. Der Gesamteindruck der angegriffenen Tasche ist dennoch ein anderer als der der klägerischen Produkte. Deren das Erscheinungsbild wesentlich prägende Vorderseite hebt sich nämlich in ihrer Gesamtanmutung von der der eleganten, raffiniertschlichten und den Blick allenfalls auf die metallene Gürtelschließe lenkenden "Kelly" deshalb ab, weil anders als bei dieser in deutlich stärkerem Maße von dem Einsatz von Metallelementen Gebrauch gemacht wird, und zwar solchen aus einem besonders hochglänzenden, goldfarbenen Material. So sind die Metallhalterungen des Tragegriffs wesentlich größer, massiv und eckig gehalten; die Austrittsöffnungen des Taschengürtels sind mit dem fraglichen goldfarbenen Metall eingefasst und solcherart stark betont, bei der "Kelly" demgegenüber ledergefasst und deshalb fast unsichtbar. Außerdem verfügt die beanstandete Tasche auf der Frontseite über andere, für die "Kelly" gerade untypische Proportionen. Der Überschlag ist weiter nach unten gezogen, was dem Taschenkörper die für die "Kelly" wesentliche Dominanz nimmt, und der Gürtel ist nicht nur auffallend breiter, sondern gleichfalls tiefer angesetzt mit der Folge, dass er die vordere Lasche nicht in ihrer Mitte schneidet wie bei der "Kelly", sondern eher im unteren Drittel. Bei einer "Kelly" ist der Gürtel überdies schon auf der Taschenrückseite seitlich außen angenäht und von dort über die Seiten nach vorne gefädelt, wohingegen die Rückseite bei dem Modell K 11 glatt und ohne Gürtelansatz gestaltet ist.

3.

Lässt sich mithin nicht feststellen, dass die angegriffenen Modelle die Taschen der Klägerin identisch nachahmen, fehlt es an die Unlauterkeit der vorgeworfenen Handlungen begründenden Umständen.

a)

Eine auf einer vermeidbaren betrieblichen Herkunftstäuschung i.S. des § 4 Nr. 9 a) UWG beruhende Unlauterkeit kommt zunächst unabhängig von der Frage, in welchem Maße die beanstandeten Taschen einer I.-Tasche ähnlich sind, schon aus sonstigen Gründen nicht in Betracht. Der Senat hält insoweit an den durch den Klagevortrag nicht entkräfteten, nachfolgend wiedergegebenen - und für die Modelle der "Birkin"-Reihe entsprechend geltenden - Erwägungen in den Urteilen vom 04.12.2002 - 6 U 152/02 - und vom 20.12.2002 - 6 U 95/02 - fest:

"Die Gefahr von Verwechslungen ist angesichts des bereits dargestellten Bewusstseins des Verkehrs vom gleichzeitigen Vorhandensein von Original und Kopie ausgeschlossen. Denn weiß der Verkehr, dass auf dem Markt für Handtaschen sowohl das Original als auch dessen Kopien vertrieben werden, so wird er seine Vorstellung von der konkreten betrieblichen Herkunft des ihm begegnenden Produkts nicht allein an der äußeren Gestaltung festmachen, sondern sich anhand anderer Merkmale zunächst Klarheit darüber verschaffen, wer die äußerlich gleich aussehenden Handtaschen hergestellt hat. Er wird daher die Handtaschen, bei denen es sich ohnehin um Artikel handelt, die erst nach genauer Begutachtung erworben zu werden pflegen, erst nach sorgfältiger Prüfung einem bestimmten Hersteller zuordnen. Vor diesem Hintergrund scheidet sowohl die Gefahr unmittelbarer als auch mittelbarer Verwechslungen aus. Denn bei genauerer Begutachtung wird der Verkehr bei der Tasche der Antragsgegnerinnen das Fehlen eines auf die Antragstellerin hinweisenden Kennzeichens bemerken. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin ihre Produkte ganz überwiegend in eigenen als solche gekennzeichneten "I.-Geschäften" oder in solchen Verkaufsstätten veräußert, in denen eigene, als solche kenntlich gemachte "I."-Abteilungen existieren ... Dies würdigend kann die Gefahr ausgeschlossen werden, dass ein mehr als nur unbeachtlicher Teil des Verkehrs der Gefahr unmittelbarer Produktverwechslungen unterliegt oder die angegriffene Tasche derselben betrieblichen Herkunft wie das Klagemodell zuordnet und daher mittelbaren Verwechslungen erliegt. Gleiches gilt hinsichtlich der Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne. Denn konkrete Anhaltspunkte für etwaige Lizenzverbindungen, für deren Bestehen kein Lebenserfahrungssatz spricht, existieren nicht." - (Senatsurteil vom 04.12.2002 - 6 U 152/02).

b)

Der Tatbestand des § 4 Nr. 9 b) UWG trägt das Klagebegehren nicht.

Der Senat lässt offen, ob die Taschen "Kelly" und "Birkin" aus dem Hause I. in der Öffentlichkeit eine "Wertschätzung" i. S. dieser Vorschrift genießen.

Auch wenn diese Frage zu bejahen sein sollte, liegen im Streitfall die Voraussetzungen eines wettbewerblich unzulässigen Verhaltens nicht vor.

Eine unlautere Anlehnung an den Prestigewert und den guten Ruf einer Ware kommt dann in Betracht, wenn zwar nicht der Erwerber über die betriebliche Herkunft des Produkts irrt, wohl aber das dieses Produkt sodann wahrnehmende Publikum über die Echtheit getäuscht werden kann, und der Kaufinteressent durch diese von ihm bedachte Möglichkeit, mit einem billigen Nachahmerprodukt die Wirkung eines Luxusgegenstands erreichen zu können, zu einem Kauf des Nachahmerprodukts verleitet wird (vgl. BGH a.a.O. - "Tchibo/Rolex I" und das dieser Entscheidung folgende Senatsurteil vom 04.12.2002 - 6 U 152/02). So liegt der Fall hier aber nicht. Sofern im Sinne der Klage überhaupt als richtig unterstellt wird, dass die maßgeblichen Verkehrskreise zwischen Original und Kopie zu unterscheiden wissen, und zudem die "Kelly"- und "Birkin"-Modelle als herausragend geschätzte und bekannte, als "berühmte" Taschen wahrnehmen, so wird der den beiden beanstandeten Taschen begegnende Verbraucher angesichts der aufgezeigten und von ihm ohne weiteres wahrnehmbaren Unterschiede einer Annahme, die "Originale" vor sich zu haben, nicht unterliegen. Damit entfällt aber gleichzeitig für den potentiellen und an einer Steigerung seines Prestiges interessierten Erwerber der als solchen erkannten Nachahmungen der Anreiz zum Erwerb, und damit auch ein die Beklagten treffender Vorwurf, sich unlauter an den guten Ruf der Klägerin und ihrer Produkte anzuhängen. Der Umstand allein, dass die Gestaltung der beanstandeten Taschen Assoziationen an die Produkte der Klägerin weckt, reicht für die Annahme einer Rufausbeutung nicht aus (vgl. Baumbach/Hefermehl/Köhler, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl., § 4 Rn. 9.53).

c)

Das Unterlassungsbegehren und die diesem folgenden Annexanträge rechtfertigen sich auch nicht unter dem Aspekt einer unangemessenen Beeinträchtigung der Wertschätzung der klägerischen Taschen.

Die Klägerin befürchtet, dass der schon aufgrund des Preises von mindestens mehreren tausend Euro pro Exemplar kleine Kreis der Besitzer von echten I.-Taschen sowie der als Erwerber solcher Modelle in Betracht kommenden Personen sich beim gehäuften Auftreten von Billignachahmungen der angegriffenen Art in seinem Anspruch und Wunsch nach prestigeträchtigen Objekten enttäuscht sieht und deshalb von einem (Wieder-)Kauf der von Massenware nicht mehr zu unterscheidenden Luxusobjekte absieht. Diesen Gedanken einer Vulgarisierung der Produkte der Klägerin hat der Senat im Zuge der Entscheidung vom 20.12.2002 - 6 U 95/02 - wie folgt gewürdigt:

"Auch der von der Klägerin angeführte Aspekt einer Behinderung infolge der "Vulgarisierung" bzw. "Bagatellisierung" der Gestaltungsform der I.-Kelly-Bag", welche sie in dem Bemühen beeinträchtigen könnte, den von ihr geschaffen Ruf ihrer Ware aufrechtzuerhalten, vermag den Klagebegehren nicht zum Erfolg zu verhelfen. Schon angesichts des ins Auge fallenden gestalterischen Abstands der ...Tasche in der angegriffenen Gestaltungsform, in welcher der Verkehr zwar die I.-Kelly-Bag zitiert findet, der aber deutlich macht, dass es sich eben nicht um eine "Original-Kelly" handelt, ist eine solche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Verwertbarkeit des Rufs bzw. des Prestigewerts der I.-Kelly-Bag zu verneinen. Hinzu kommt, dass angesichts der oben beschriebenen Marktverhältnisse, die durch das Nebeneinander des Originals und mehr oder weniger ähnlicher Kopien gekennzeichnet sind, jede Erwerberin und/oder jeder Erwerber einer I.-Kelly-Bag von vornherein damit rechnen muss und rechnet, dass Kopien vorhanden sind. Wenn sie oder er sich in dieser Situation zum Kauf des teuren Originals der Kelly-Bag entschließt, so geschieht dies entweder wegen des subjektiven Wertbewusstseins und der etwa empfundenen Befriedigung, den der Kauf des Originals gegenüber dem Erwerb einer Kopie verschafft, oder aber in dem Vertrauen darauf, dass zumindest ein Teil des Verkehrs das Original erkennt und daher die Trägerin der Handtasche einem elitären Personenkreis zurechnet, der sich in gehobenen, luxuriöse Anschaffungen erlaubenden Lebensverhältnissen bewegt."

An diesen gleichermaßen für Taschen des Modells "Birkin" geltenden Feststellungen hält der Senat auch in Ansehung der abweichenden Auffassung des OLG Düsseldorf, welche dieses u.a. in dem zitierten Urteil vom 02.03.2004 (I-20 U 64/03) vertreten hat, jedenfalls für den Fall des Vertriebs nur angenäherter Gestaltungsformen der im Streitfall angegriffenen Art fest. Die Zulassung der Revision beruht auf dieser Divergenz.

4.

Vorbehaltlich erheblicher Bedenken an einer schlüssigen Darlegung der tatbestandlichen Voraussetzungen eines - aus abgetretenem Recht verfolgten - markenrechtlichen Unterlassungsanspruchs vermag die Klägerin mit diesem erstmals im Berufungsverfahrens eingeführten und deshalb nach § 533 ZPO zu beurteilenden Streitgegenstand nicht durchzudringen.

Die Voraussetzungen einer zulässigen Klageerweiterung im Sinne des § 533 ZPO liegen nämlich nicht vor. Dies gilt unabhängig davon, ob der Senat sie für sachdienlich hält, weil sie nicht auf Tatsachen gestützt werden kann, die der Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zulegen sind, § 533 Nr. 2 ZPO.

5.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.






OLG Köln:
Urteil v. 22.09.2004
Az: 6 U 56/04


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