Sozialgericht Aachen:
Urteil vom 19. April 2005
Aktenzeichen: S 13 KR 15/05

(SG Aachen: Urteil v. 19.04.2005, Az.: S 13 KR 15/05)

Tenor

Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 13.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2005 verurteilt, dem Kläger weitere 324,80 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2005 zu zahlen. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der zu erstattenden Kosten eines Vorverfahrens.

Der 1936 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er ist erheblich pflegebedürftig und wird in einem Pflegeheim vollstationär gepflegt. Am 14.10.2004 beantragte er bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Wechseldruckmatratze unter Vorlage einer entsprechenden hausärztlichen Verordnung. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 18.10.2004 (ohne Rechtsmittelbelehrung) ab mit der Begründung, Wechseldruckmatratzen seien Hilfsmittel, die bei vollstationärer Pflege grundsätzlich vom Heimträger aufgrund des Heimvertrages zur Verfügung zu stellen seien. Der Kläger verwies auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24.09.2002 (B 3 KR 15/02 R) und bat erneut um Übernahme der Kosten für eine Wechseldruckmatratze. Die Beklagte lehnte den Antrag durch weiteren Bescheid vom 12.11.2004 (mit Rechtsmittelbelehrung) erneut ab.

Dagegen legte der Kläger, nunmehr vertreten durch seine Bevollmächtigte, Widerspruch ein. Diese wiesen ebenfalls auf das Urteil des BSG vom 24.09.2002 hin und legten dar, dass die vom BSG aufgestellten Kriterien für die Leistung einer Wechseldruckmatratze im Fall des Klägers erfüllt seien.

Daraufhin half die Beklagte durch Bescheid vom 02.12.2004 dem Widerspruch ab; sie teilte dem Kläger mit, sie habe ein Sanitätshaus mit der Auslieferung der beantragten Wechseldruckmatratze beauftragt. Darüber hinaus übernahm die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.

Mit Schreiben vom 07.12.2004 bezifferten die Bevollmächtigten des Klägers die Kosten des Vorverfahrens wie folgt:

- Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2500 VV 240,00 EUR - Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1005 VV 280,00 EUR - Entgelt für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7002 VV (pauschal) 20,00 EUR Zwischensumme 540,00 EUR - 16% Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV 86,40 EUR Endsumme 626,40 EUR

Durch Bescheid (ohne Rechtsmittelbelehrung) vom 13.12.2004 anerkannte die Beklagte Kosten in Höhe von 301,60 EUR, die sie an die Kläger-Bevollmächtigten überwies. Die darüber hinaus geltend gemachten Kosten lehnte sie ab mit der Begründung, es sei keine zusätzliche Erledigungsgebühr angefallen; aus den Anmerkungen zu der Vergütungsnummer 1002 VV Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) ergebe sich, dass eine Erledigungsgebühr nur dann entstehe, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung des mit dem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch anwaltliche Mithilfe erledige. Dies treffe vorliegend nicht zu, da neben der Einlegung des Widerspruches keine weitere anwaltliche Mitwirkung an der Sache erfolgt sei.

Den dagegen am 23.12.2004 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 26.01.2005 als unbegründet zurück.

Dagegen hat der Kläger am 00.00.0000 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, dass eine "Erledigung" im Sinne der Nr. 1002 VV RVG dann vorliege, wenn eine abschließende streitige gerichtliche Entscheidung in der Hauptsache ganz oder auch nur teilweise nicht mehr notwendig sei. Ein gegenseitiges Nachgeben sei ebensowenig erforderlich wie eine übereinstimmende Erledigungserklärung. Eine Voraussetzung sei jedoch, dass die Behörde von einem gegenüber dem Antragsteller eingenommenen ungünstigen Rechtsstandpunkt ganz oder teilweise abgerückt sei; sie müsse also einen erlassenen Verwaltungsakt ganz oder teilweise abändern oder aufheben. Die Erledigungsgebühr sei in erster Linie eine Erfolgsgebühr. Sie sei aber auch eine Tätigkeitsgebühr; der Anwalt erhalte sie nur, wenn er an dem eingetretenen Erfolg – Erledigung – mindestens mitursächlich "mitgewirkt" habe. Die Tätigkeit des Anwalts habe vorliegend darin bestanden, Widerspruch einzulegen und nach dem Erlass der Abhilfeentscheidung diese mit dem Antragsteller zu besprechen. Jede Tätigkeit des Anwalts im Hinblick auf die Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens sei nach dem Willen des Gesetzgebers für den Anfall der sogenannten Erfolgsgebühren ausreichend, weil letztendlich die außergerichtliche Erledigung von Streitfällen auch im Sinne einer Entlastung der Gerichte belohnt werden solle. An die geforderte Mitwirkung des Anwalts dürften keine überhöhten Anforderungen gestellt werden; es genüge vielmehr ein irgendwie geartetes Tätigkeitwerden mit dem Ziel der Abänderung des Verwaltungsaktes; ein solches Tätigwerden liege auch bereits in der Einlegung des Widerspruchs.

Der Kläger beantragt dem Sinne seines schriftsätzlichen Vorbringens nach,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 13.12.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26.01.2005 zu verurteilen, ihm 324,80 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2005 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die bloße Vornahme von Verfahrenshandlungen, z.B. der Fertigung der Widerspruchsschrift, für welche bereits die entsprechenden Tätigkeitsgebühren – hier die Geschäftsgebühr nach Nr. 2500 VV RVG – entstünden, reiche nicht aus, um zusätzlich auch die Erledigungsgebühr auszulösen. Die Erledigungsgebühr nach den Nrn. 1002, 1005 VV RVG setzt voraus, dass sich die Rechtssache insbesondere durch die anwaltliche Mitwirkung erledige. An einer solchen fehle es vorliegend, da die Bevollmächtigten des Klägers nur förmlich Widerspruch erhoben und diesen durch Wiederholung der Bezugnahme auf das BSG-Urteil begründet hätten.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

Gründe

Die Kammer konnte über die Streitsache ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hierzu übereinstimmend ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Erstattung der gesamten mit Schreiben vom 07.12.2004 gegenüber der Beklagten geltend gemachten Kosten in Höhe von 626,40 EUR, da diese Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – SGB X). Soweit es sich dabei um die Gebühren und die Auslagen seiner Bevollmächtigten handelt, sind sie erstattungsfähig, weil die Zuziehung eines Bevollmächtigten notwendig war (§ 63 Abs. 2 SGB X). Soweit die Beklagte nur Kosten in Höhe von 301,60 EUR anerkannt und die Zahlung der weiteren 324,80 EUR abgelehnt hat, verkennt sie, dass neben der – unstreitigen – Geschäftsgebühr Nr. 2500 des Vergütungsverzeichnis (V V) zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) auch eine Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1005 i.V.m. Nr. 1002 VV RVG entstanden ist.

Die Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG entsteht, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsaktes durch die anwaltliche Mitwirkung erledigt (Satz 1). Das gleiche gilt, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise durch Erlass eines bisher abgelehnten Verwaltungsakts erledigt (Satz 2). Die Nr. 1002 VV RVG greift in Satz 1 die Formulierung des früher geltenden § 24 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) auf, enthält aber in Satz 2 eine darüber hinausgehende Regelung, die bisher von Rechtsprechung und Literatur anerkannt war. Über den Wortlaut des § 24 BRAGO hinausgehend wurde die Erledigungsgebühr auch dann zuerkannt, wenn sich eine Verwaltungsangelegenheit durch den Erlass eines früher abgelehnten Verwaltungsaktes erledigt hatte. Notwendig aber auch ausreichend war, dass die Verwaltungsbehörde bereits einen bestimmten, dem Auftraggeber des Rechtsanwalts ungünstigen Standpunkt eingenommen - nicht lediglich Bedenken geäußert – hatte und dass es der Tätigkeit des Rechtsanwalts gelungen war, diesen Standpunkt zugunsten seines Auftraggebers zu ändern (vgl. von Eicken, in: Gerold/Schmidt, Kommentar zur BRAGO, 14. Aufl. 1999 § 24 Rn. 4 m.w.N.). Diese in Rechtssprechung und Literatur bereits zu § 24 BRAGO vertretene Auffassung hat der Gesetzgeber des RVG ausdrücklich in die Erledigungsgebühr der Nr. 1002 VV RVG einbezogen (vgl. dazu die Gesetzesbegründung zu Nr. 1002 VV RVG in: Bundestags-Drucksache 15/1971, S. 204). Die Erledigungsgebühr entsteht deshalb auch dann, wenn der Rechtsanwalt gegen einen Ablehnungsbescheid Widerspruch einlegt, auf tatsächliche Umstände und rechtliche Aspekte (auch Rechtsprechung) hinweist, die Behörde daraufhin ihren Standpunkt aufgibt und den begehrten Bewilligungsbescheid erlässt. Genauso war es im vorliegenden Fall. Die Erledigungsgebühr ist (auch) eine Erfolgsgebühr; sie will die außergerichtliche Erledigung von Streitfällen, die durch eine anwaltliche Tätigkeit bewirkt worden ist, belohnen.

Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2500 VV RVG und die Erledigungsgebühr nach Nr. 1005 VV RVG sind Rahmengebühren. Bei Rahmengebühren bestimmt der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen. Ist die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 14 Abs. 1 Satz 1 und 4 RVG). Der Gebührenrahmen der Nrn. 2500 und 1005 VV RVG reicht jeweils von 40,- bis 520,- EUR (Mittelgebühr: 280,- EUR). Eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2500 VV RVG von mehr als 240,- EUR kann jedoch nur gefordert werden, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Ansonsten ist die Mittelgebühr der angemessene Betrag, wenn als Ergebnis aller nach § 14 Abs. 1 Satz 1 anzustellenden Erwägungen die Feststellung zu treffen ist, dass es sich um einen Durchschnittsfall handelt (vgl. LSG NRW, Urteil vom 20.04.2003 – L 4 RJ 94/02). Dies ist für den vorliegenden Fall, in dem es um die Übernahme der Kosten für eine Wechseldruckmatratze ging, zu bejahen.

Den Bevollmächtigten des Klägers stehen somit folgende Gebühren zu, die von der Beklagten als notwendige Aufwendungen des Klägers für das Vorverfahren zu ersetzen sind:

- Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2500 VV RVG 240,00 EUR - Erledigungsgebühr gemäß Nr. 1005 VV RVG 280,00 EUR - Pauschale für Entgelt für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR - 16% Umsatzsteuer gemäß Nr. 7008 VV RVG 86,40 EUR insgesamt 626,40 EUR

Da die Beklagte durch Bescheid vom 13.12.2004 von diesem Betrag bereits 301,60 EUR anerkannt hat, war sie noch zur Zahlung des Differenzbetrages in Höhe von 324,80 EUR – der Klageforderung – zu verurteilen.

Der Zinsanspruch ist aus dem Gesichtspunkt des Verzugs begründet. Die Beklagte ist spätestens durch die Erhebung der Klage (00.00.0000) in Verzug geraten (vgl. § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB). Von diesem Zeitpunkt an macht der Kläger auch erst Zinsen geltend. Die Höhe des Zinsanspruchs ergibt sich aus § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB; danach ist eine Geldschuld während des Verzugs für das Jahr mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Kammer hat gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Berufung zugelassen, weil sie der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zumisst. Denn zu den Vergütungsvorschriften des RVG gibt es noch keine ober- oder höchstgerichtlichen Entscheidungen.






SG Aachen:
Urteil v. 19.04.2005
Az: S 13 KR 15/05


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