Bundespatentgericht:
Beschluss vom 30. Mai 2007
Aktenzeichen: 7 W (pat) 391/03

(BPatG: Beschluss v. 30.05.2007, Az.: 7 W (pat) 391/03)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen die Erteilung des Patents 101 58 613 mit der Bezeichnung "Ventil"", veröffentlicht am 30. April 2003, ist Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei.

Die Einsprechende hat zum Stand der Technik u. a. die Druckschriften DE 196 44 356 C2 und FR-OS 2 729 319, in der mündlichen Verhandlung auch noch die im Prüfungsverfahren schon berücksichtigte AT-PS 85911, in der Streitpatentschrift, Spalte 1, Abs. [0003] irrtümlich als DE 85 911 bezeichnet, genannt.

Sie macht geltend, der Gegenstand des Patents beruhe gegenüber dem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Sie stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrecht zu erhalten mit dem am 30. Mai 2007 überreichten Patentanspruch 1, Beschreibung und Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Sie vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des Streitpatents in der verteidigten Fassung des Patentanspruchs durch den Stand der Technik nach den entgegengehaltenen Druckschriften dem Fachmann nicht nahe gelegt sei.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"Ventil mit einem metallischen Ventilgehäuse, das einen in einem Durchgang angeordneten, als ursprünglich separates Teil in das Ventilgehäuse eingegossenen metallischen Sitzring als Gegenstück für ein Schließelement aufweist, wobei der Sitzring auf seiner von der lichten Innenseite abgekehrten Außenseite mit einer als zumindest teilweise umlaufenden Profilierung ausgebildeten Haltestruktur versehen ist und die Profilierung mindestens zwei umlaufende Halteabschnitte aufweist, die an die in Durchflussrichtung liegenden Stirnseiten des Sitzringes angrenzen, wobei die Profilierung außer den mindestens zwei Halteabschnitten zusätzlich mindestens einen in Durchflussrichtung in der Mitte nach außen vorstehenden separaten Verbindungsabschnitt aufweist, dessen von seiner Ansatzstelle am Sitzkörper bis zu seinem freien Ende reichende Länge um ein Vielfaches länger ist als seine Stärke, und wobei der Verbindungsabschnitt umlaufend zumindest in seinem freien Endbereich mit dem angrenzenden Gehäusematerial verschmolzen ist, wobei die Halteabschnitte in Durchflussrichtung eine mindestens so große Ausdehnung besitzen wie quer zu der Durchflussrichtung und einen rechtwinkligen Übergangsabschnitt oder eine Hinterschneidung im Übergang zu dem angrenzenden Bereich der Außenseite aufweisen, wobei die Halteabschnitte teilweise in das Ventilgehäuse eingegossen sind."

In der Streitpatentschrift (DE 101 58 613 C1) ist als Aufgabe der Erfindung genannt, bei einem Ventil mit einem metallischen Gehäuse und einem im (Medium-)Durchgang angeordneten metallischen Sitzring als Gegenstück für ein Schließelement (Abs. [0001]) eine zuverlässige Funktion bei sicherer Verbindung von Gehäuse und Sitzring und vereinfachter Herstellung zu gewährleisten (Abs. [0006]).

II.

Der Senat hält sich für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der - mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten - Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG noch aufgrund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG analog für zuständig (insoweit dem Beschluss des 23. Senats vom 19. Oktober 2006 folgend, Aktenzeichen 23 W (pat) 327/04).

Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig. Er ist auch begründet.

Der Gegenstand des angefochtenen Patents stellt keine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG §§ 1 bis 5 dar.

Als hier zuständiger Fachmann ist ein Maschinenbauingenieur anzusehen, der mehrjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet der Konstruktion und Herstellung von Ventilen besitzt.

Der Gegenstand des geltenden einzigen und als zulässig anzusehenden Patentanspruchs mag neu sein. Er beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Der geltende Patentanspruch lässt sich in folgende Merkmale gliedern:

1. Ventil mit einem metallischen Ventilgehäuse und 2. mit einem metallischen Sitzring, 2.1 der Sitzring ist als ursprünglich separates Teil in das Ventilgehäuse eingegossen, 2.2 der Sitzring bildet ein Gegenstück für ein Schließelement, 2.3 der Sitzring ist auf seiner von der lichten Innenseite abgekehrten Außenseite mit einer Haltestruktur versehen, wobei die Haltestruktur als zumindest teilweise umlaufende Profilierung ausgebildet ist, 2.3.1 die Profilierung weist mindestens zwei umlaufende Halteabschnitte auf, die an die in Durchflussrichtung liegenden Stirnseiten des Sitzringes angrenzen, 2.3.1.1 die Halteabschnitte besitzen in Durchflussrichtung eine mindestens so große Ausdehnung wie quer zur Durchflussrichtung, 2.3.1.2 die Halteabschnitte weisen einen rechtwinkligen Übergangsabschnitt oder eine Hinterschneidung im Übergang zu dem angrenzenden Bereich der Außenseite auf, 2.3.1.3 die Halteabschnitte sind teilweise in das Ventilgehäuse eingegossen, 2.3.2 die Profilierung weist zusätzlich mindestens einen nach außen vorstehenden separaten Verbindungsabschnitt auf, 2.3.2.1 der Verbindungsabschnitt befindet sich in Durchflussrichtung in der Mitte des Sitzringes, 2.3.2.2. der Verbindungsabschnitt hat eine Länge, die von seiner Ansatzstelle am Sitzkörper bis zu seinem freien Ende reicht und um ein Vielfaches länger ist als seine Stärke, 2.3.2.3 der Verbindungsabschnitt ist umlaufend zumindest in seinem freien Endbereich mit dem angrenzenden Gehäusematerial verschmolzen.

Kern der Lehre des Patentanspruchs ist nach den Ausführungen der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung die Ausbildung einer Haltestruktur am Außenumfang des Sitzringes in Form einer umlaufenden Profilierung mit an den beiden axialen Stirnseiten des Sitzringes angrenzenden Halteabschnitten und mit einem am Sitzring, in der Mitte der Sitzringhöhe, nach radial außen vorstehend angeordneten - also rippenartigen - Verbindungsabschnitt, dessen radiale Erstreckung um ein Vielfaches größer ist als dessen Dicke, und der zumindest in seinem freien Endbereich mit dem angrenzenden Gehäusematerial verschmolzen ist.

Bei Verwendung eines harten Metalls für den Sitzring könne so erreicht werden, dass durch das heiße Schmelzgut nur der relativ dünne Endbereich des Verbindungsabschnittes mit dem Gehäusematerial verschmelze und für eine umlaufend dichte Verbindung zwischen Sitzring und Gehäuse sorge, dagegen ein Verschmelzen des Sitzringes mit seinen relativ stabil ausgebildeten Halteabschnitten aber unterbleibe, so dass der sichere axiale Halt des Sitzringes nicht durch Materialverschmelzung, sondern im Wesentlichen durch Formschluss aufgrund der belastungsgemäßen geometrischen Ausgestaltung der teilweise in des Ventilgehäuse eingegossenen Halteabschnitte bewirkt werde, nach dem geltenden Anspruch insbesondere dadurch, dass die Halteabschnitte über die radiale Außenseite des Sitzringes rechtwinklig vorstehen oder durch eine Hinterschneidung im Bereich der Außenseite des Sitzringes gebildet sind und sich in Durchflussrichtung mindestens so weit erstrecken wie quer dazu.

In der Streitpatentschrift, Spalte 1, Absatz [0002] ist bereits zutreffend ausgeführt, dass ein Ventil mit den Merkmalen 1. bis 2.3 gemäß vorstehender Gliederung aus der Druckschrift DE 196 44 356 C2 bekannt sei. Das ist u. a. aus den Ansprüchen 1 und 13 dieser Druckschrift i. V. m. z. B. Figuren 1 und 5 herzuleiten. Gemäß dieser Druckschrift kann bei entsprechender Temperaturführung erreicht werden, dass während des Gießvorgangs das flüssige Gehäusematerial den Rohling des Sitzringes benetzt und oberflächlich mit diesem verbäckt, wodurch eine fluiddichte, stoffschlüssige Verbindung in der Übergangszone zwischen Sitzring und Ventilgehäuse geschaffen wird (Sp. 2 Z. 28 - 34). Nach Anspruch 15 dieser Druckschrift ist demgegenüber auch ein oberflächliches Anschmelzen des Sitzringes beim Gießvorgang und damit ein Verschmelzen mit dem Gehäusematerial möglich.

Am Außenumfang des bekannten Sitzringes kann zusätzlich eine Profilierung durch eine oder mehrere umlaufenden Rippen vorgesehen sein (Anspruch 8, Fig. 1 u. 5, Sp. 3 Z. 47 - 49). Aufgrund der spitzwinkligen Ausbildung der Rippen gemäß Figur 5 mit einer Länge (Rippenhöhe), die ein Vielfaches ihrer Dicke beträgt, und mit der Anordnung einer der Rippen (35c) in etwa der Mitte des Sitzringhöhe bilden sie Verbindungsabschnitte, die die Merkmale 2.3.2 bis 2.3.2.2 des angefochtenen Anspruchs erfüllen. Bei nur einer Rippe als Verbindungsabschnitt liegt im Übrigen die mittige Anordnung auf der Hand (s. a. Fig. 1). Entgegen anderer Ausführungen in dieser Entgegenhaltung, die lediglich auf ein Verbacken abzielen (Sp. 4 Z. 15 - 19; Sp. 5 Z. 33 - 34), lehrt - wie schon erwähnt - diese Druckschrift auch eine oberflächliche Verschmelzung zwischen Sitzring und Gießmaterial (Anspruch 15). Bezogen auf die Profilierung mit Rippen gemäß Figur 5 ergibt sich danach als bekannt, u. a. die umlaufenden Rippen bzw. die Verbindungsabschnitte mit dem Gehäusematerial zu verschmelzen.

Als unterschiedlich verbleibt beim Patentgegenstand nach dem verteidigten Patentanspruch das Merkmal 2.3.2.3 insoweit, als (nur) der Verbindungsabschnitt umlaufend, zumindest in seinem freien Endbereich, mit dem angrenzenden Gehäusematerial verschmolzen ist. Nach der Streitpatentschrift ist nämlich kein oberflächliches Anschmelzen, sondern ein Aufschmelzen des Verbindungsabschnittes, zumindest seines freien Endes, gemeint (Sp. 2 Z. 48 - 53). In der Entgegenhaltung sind ferner keine Halteabschnitte aufgezeigt, die an den beiden Stirnseiten des Sitzringes angrenzen (Merkmal 2.3.1) und zugleich nur teilweise in das Ventilgehäuse eingegossen sind (Merkmal 2.3.1.3), in Durchflußrichtung sich mindestens so weit erstrecken wie quer dazu (Merkmal 2.3.1.1) und einen rechtwinkligen bzw. hinterschneidenden Übergang zum angrenzenden Außenbereich des Sitzringes aufweisen (Merkmal 2.3.1.2).

Diese Unterschiede vermögen jedoch eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen.

Die FR 2 729 319 A1 (insb. Fig. 2 bis 4 und zugehörige Beschreibungsteile) zeigt und beschreibt einen aus hartem, nichtrostendem Stahl bestehenden Sitzring 4, der in ein metallisches Ventilgehäuse eingegossen wird. Der Sitzring mit trapezförmigem Querschnitt weist an seiner Innenseite eine geneigt zur Gehäuseachse verlaufende Ventilsitzfläche 10 und zwei parallele, quer zur Gehäuseachse liegende, die axialen Kräfte eines Schließgliedes aufnehmende Stütz- bzw. Stirnflächen auf, die Halteabschnitte darstellen und ebenso wie die der Sitzfläche gegenüberliegende Außenseite (Mantelfläche) des Sitzrings vom Gehäusematerial umgossen sind. An der Außenseite des Sitzringes sind etwa in Verlängerung der beiden axialen Stützflächen zwei zusätzliche Verbindungselemente 8 in Gestalt dünner, umlaufender Rippen ausgebildet, die derart dimensioniert sind, dass ihre freien Enden beim Gießvorgang aufschmelzen bzw. mit dem Gießmaterial verschmelzen bis etwa zu einem Abstand d von der Außenseite (Fig. 2 u. 3). Ein An- oder Aufschmelzen der Halteabschnitte und der Außenseite des Sitzringes wird auf diese Weise gezielt vermieden. Somit vermittelt die französische Druckschrift dem Fachmann ein Befestigungskonzept für einen aus Hartmetall bestehenden Sitzring in einem Ventilgehäuse, bei dem durch Aufschmelzen nur der freien Enden dünner Rippen eine umlaufend fluiddichte stoffschlüssige Verbindung zwischen Sitzring und Ventilgehäuse erreicht, dabei aber ein die Erweichung des harten Sitzringes fördernder Wärmeeintrag in den massiven Ringkörper und ein oberflächliches Verschmelzen mit dem Gehäusematerial vermieden wird, und ferner die an den beiden Stirnflächen angrenzenden Halteabschnitte eine lediglich formschlüssige axiale Abstützung des Sitzringes gewährleisten.

Dieses bekannte Befestigungskonzept auf eine Sitzringanordnung in einem Ventilgehäuse gemäß DE 196 44 356 C2 anzuwenden, bei dem der Sitzring nicht vollständig innerhalb einer Gehäusenut abgestützt ist, liegt nahe, wenn der Fachmann bei dem aufgezeigten Gegenstand als nachteilig erkennt, dass die oberflächliche Anschmelzung bei Einsatz eines harten Ringmaterials schwer zu realisieren ist (StrPS Sp. 1 Z. 27 - 31) und eine Nacharbeitung wie eine erneute Härtung des Sitzringes im eingebauten Zustand erforderlich ist. Überträgt er das Konzept der französischen Entgegenhaltung auf den Gegenstand nach Figur 5 der DE 196 44 356 C2 gelangt er aber noch nicht zur vollständigen Lehre des geltenden Patentanspruchs, da noch die anspruchsgemäßen Ausbildungen der Halteabschnitte fehlen. Derartige Ausgestaltungen liegen jedoch bei fehlenden oder nicht hinreichend voll umfänglichen Gehäusevorsprüngen im Griffbereich des Fachmannes, wie die AT-PS 85911 (Fig. 1, S. 1 Z. 21 - 24) belegt. Wie in Figur 1 dieser Schrift zu erkennen ist, weist der Sitzring f an seinem oberen Ende einen über seine Außenseite kragenförmig vorstehenden Halteabschnitt auf, der, weil er über das Ventilgehäuse nach oben herausragt, auch nur teilweise in das Ventilgehäuse eingegossen ist. Welche Maßverhältnisse der Kragen hat, lässt sich der Zeichnung zwar nicht entnehmen. Der Fachmann wird diese aber ohne erfinderisches Zutun stets den Beanspruchungen gemäß vorgeben. Einen entsprechenden Kragen auch auf der gegenüberliegenden Stirnseite des Sitzringes anzuordnen, liegt für den Fachmann nahe, wenn eine noch bessere Verankerung des Sitzringes angestrebt wird. Sie bietet sich ihm auch an zur Vermeidung eines seitenverkehrten Einsetzens des Rings in die Gießform, da hierfür ein höhensymmetrischer Aufbau des Sitzringes erforderlich ist.

Nach alledem war die Lehre des geltenden Patentanspruchs 1 dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt.






BPatG:
Beschluss v. 30.05.2007
Az: 7 W (pat) 391/03


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