Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 27. März 2001
Aktenzeichen: 10 E 84/01

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 27.03.2001, Az.: 10 E 84/01)

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 10. Januar 2001 wird geändert. Auf die Erinnerung des Beigeladenen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 28. November 2000 dahin abgeändert, dass die von den Klägern als Gesamtschuldner an den Beigeladenen zu erstattenden Kosten auf 4.186,40 DM festgesetzt werden.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen als Gesamtschuldner.

Der Streitwert wird auf 1.891,63 DM festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beigeladene hat gegen die Kläger - über die durch den Beschluss vom 28. November 2000 festgesetzten Kosten i.H.v. 2.294,77 DM hinaus - einen Anspruch auf Erstattung von weiteren 1.891,63 DM, also auf Erstattung von insgesamt 4.186,40 DM.

Gemäß § 162 Abs. 2 VwGO sind die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts stets erstattungsfähig und dementsprechend nach § 164 VwGO auf Antrag festzusetzen. Dies schließt nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO die Gebühren und Auslagen des Vorverfahrens ein, wenn - wie hier - das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt hat.

Maßgebend für die Festsetzung der Gebühren des Rechtsanwalts ist nach § 9 Abs. 1 BRAGO der festgesetzte Streitwert, der hier 10.000,- DM beträgt. Die Ermittlung der Gebühren nach diesem Streitwert wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Prozessbevollmächtigten den Beigeladenen auch in den Parallelverfahren 1 K 1877/99 (VG Minden) und 1 K 1879/99 (VG Minden) vertreten haben. Dies hat nicht zur Folge, dass die Gebührenforderung auf der Grundlage eines gemäß § 7 Abs. 2 BRAGO aus den Einzelstreitwerten addierten Gesamtstreitwerts zu errechnen und sodann gegen die Kostenpflichtigen der jeweiligen Verfahren im Verhältnis der Einzelstreitwerte ihrer Verfahren festzusetzen ist. Denn die Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten in den Parallelverfahren betraf nicht dieselbe Angelegenheit im Sinne von § 7 Abs. 2 BRAGO.

Unter einer "Angelegenheit" ist das gesamte Geschäft zu verstehen, dass der Rechtsanwalt für den Auftraggeber besorgen soll. Gegenstand der Angelegenheit ist das Recht oder Rechtsverhältnis, auf dass sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts aufgrund des Auftrags bezieht. Eine Angelegenheit kann auch mehrere Gegenstände umfassen. Ob mehrere Gegenstände dieselbe oder mehrere Angelegenheiten darstellen, ist jeweils von den gesamten Umständen des konkreten Einzelfalls abhängig,

Hartmann/Albers, Kostengesetze, 30. Auflage 2001, § 13 BRAGO Rdnr. 14.

Dabei ist danach zu fragen, ob die mehreren Gegenstände von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt. Unter diesen Voraussetzungen ist es im Hinblick auf das der BRAGO zugrunde liegende Pauschsystem gerechtfertigt, eng zusammengehörige anwaltliche Tätigkeiten auch zu einer Gebührenbemessungseinheit zusammenzufassen.

BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2000 - 11 C 1/99 -, NJW 2000, 2289 f.; OLG Köln, Beschluss vom 11. November 1998 - 17 W 356/98 -, Jurisdokument Nr. KORE527369900; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. März 1997 - 10 W 27/97 -, JMBl.NW 1997, 251. Zum Vorliegen eines einheitlichen Auftrags mehrerer Auftraggeber vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1983 - III ZR 193/82 -, MDR 1984, 561 und OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 1992 - 3 E 1081/91 -.

Die Durchführung verschiedener gerichtlicher Verfahren wird insbesondere im Hinblick darauf, dass von den Möglichkeiten der objektiven Klagehäufung (§ 44 VwGO) oder der Verbindung von Verfahren (§ 93 VwGO) kein Gebrauch gemacht wurde, regelmäßig dafür sprechen, dass ein innerer Zusammenhang zwischen den Verfahrensgegenständen nicht besteht und der Rechtsanwalt wegen der unterschiedlichen materiellrechtlichen und prozessualen Voraussetzungen und Anforderungen an einer einheitlichen Vorgehensweise gehindert ist.

BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2000, a.a.O.; Hartmann/Albers, Kostengesetze, 30. Auflage 2001, § 13 BRAGO Rdnr. 16; Riedel/Sussbauer, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 6. Auflage 1988, § 13 Rdnr. 8; Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 11. Auflage 1991, § 13 Rdnr. 5.

Allerdings ist nicht ausnahmslos von der Identität von Verfahren und Angelegenheit in der Weise auszugehen, dass mehrere Verfahren auch zwingend mehrere Angelegenheiten darstellen. Ob ein Ausnahmefall vorliegt, ist in Anwendung der dargelegten allgemeinen Abgrenzungskriterien zu entscheiden, also danach, ob die Tätigkeiten in den verschiedenen Verfahren von einem einheitlichen Auftrag umfasst werden, zwischen ihnen ein innerer Zusammenhang besteht und der Rechtsanwalt einen einheitlichen Tätigkeitsrahmen wahrt.

BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2000, a.a.O.

Nach diesen Grundsätzen waren die Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen in den jeweiligen Klageverfahren sowie den zugehörigen Vorverfahren nicht in derselben Angelegenheit tätig. Dafür spricht schon, dass die Prozessbevollmächtigten in drei selbstständigen Klageverfahren aufgetreten sind, die das Gericht nicht gemäß § 93 VwGO zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden hat. Ein Ausnahmefall, in dem trotz einer solchen Konstellation dieselbe Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne gegeben ist, liegt nicht vor. Ungeachtet der Frage nach dem Vorliegen eines einheitlichen Auftrages fehlt es jedenfalls an dem notwendigen inneren Zusammenhang zwischen den Gegenständen der anwaltlichen Tätigkeit in den Parallelverfahren. Ein innerer Zusammenhang zwischen den Gegenständen mehrerer selbstständiger Parallelverfahren ist nur dann gegeben, wenn der Rechtsanwalt keine nennenswerten unterschiedlichen materiellrechtlichen und prozessualen Besonderheiten zu beachten hat oder er ausnahmsweise - ungeachtet des etwaigen Vorliegens rechtlicher Besonderheiten - in den Verfahren auftragsgemäß im Wesentlichen gleichgerichtet vorgeht.

vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 2000, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 1992 - 3 E 1081/91 -.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

Die Vertretung des Bauherrn gegen eine Baunachbarklage erfordert eine Auseinandersetzung mit dem Klägervortrag und die Überprüfung der Erfolgsaussichten der Klage sowie der geeigneten Schritte zur Rechtsverteidigung. Zu diesem Zweck muss der Prozessbevollmächtigte den rechtlich potentiell relevanten Sachverhalt auch unabhängig vom Vortrag der Beteiligten in den Blick nehmen. Wenden sich - wie hier - mehrere Nachbarn gegen einen Bauvorbescheid und eine Baugenehmigung, so hat der Prozessbevollmächtigte des beigeladenen Bauherrn dem durch eine Überprüfung der Klagen auf etwa bestehende rechtliche Besonderheiten und jeweils abweichendes Klagevorbringen Rechnung zu tragen. Bereits dies schließt im Allgemeinen den erforderlichen inneren Zusammenhang und damit die Annahme derselben Angelegenheit im gebührenrechtlichen Sinne aus, es sei denn, es drängt sich von vornherein auf, dass beachtliche Besonderheiten der einzelnen Verfahren nicht bestehen, oder der Prozessbevollmächtigte geht in den Verfahren auftragsgemäß im Wesentlichen gleichgerichtet vor. Diese Vermutung für das Fehlen eines inneren Zusammenhanges gilt regelmäßig unabhängig davon, ob der Prozessbevollmächtigte nach Überprüfung der unterschiedlichen Argumentation sowie der jeweiligen Sachverhalte Veranlassung sieht, auf etwa bestehende Besonderheiten der Klagen jeweils schriftsätzlich gesondert einzugehen.

Davon ausgehend, fehlt es an einem inneren Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten der Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen in den vorliegenden gerichtlichen Parallelverfahren, denn es drängt sich nicht von vornherein auf, dass beachtliche Besonderheiten der einzelnen Verfahren nicht bestehen. Vielmehr ist schon das Vorbringen der Kläger in den parallelen Klageverfahren nicht identisch. Zwar haben die Kläger zur Begründung ihrer Klagevorbringen übereinstimmend vorgetragen, der erforderliche Abstand zwischen ihrem Grundstück und dem Bauvorhaben sei nicht eingehalten. Der Kläger des Verfahrens 1 K 1877/99 hat sich aber darüber hinausgehend auf eine Beeinträchtigung seines Gaststättenbetriebes und des hierzu geplanten Biergartens berufen und der Kläger des Verfahrens 1 K 1879/99 hat zusätzlich die fehlende Erschließung des Bauvorhabens des Beigeladenen gerügt. Zudem stellte sich allein für den letztgenannten Kläger die Frage, inwieweit es beachtlich ist, dass dieser in gleicher Entfernung zu seinem Wohnhaus selbst Putenhaltung betreibt. Die Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen sind auch nicht etwa auftragsgemäß im Wesentlichen gleichgerichtet vorgegangen, so dass der erforderliche innere Zusammenhang zwischen den Parallelverfahren auch nicht dadurch ausnahmsweise begründet wird. Es spricht schon nichts dafür, dass der Beigeladene seinen Prozessbevollmächtigten vorgegeben hätte, aus im Wesentlichen identischen rechtlichen Gesichtspunkten einheitlich gegen die Widersprüche und die sich anschließenden Klagen vorzugehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass er die Verfahrenshandhabung seinen Prozessbevollmächtigten überlassen hat. Abgesehen davon sind die Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen jedenfalls nicht in sämtlichen Verfahren im Wesentlichen gleichgerichtet vorgegangen. Ungeachtet der zwischen den Verfahren bestehenden Gemeinsamkeiten haben sie ihr Verhalten augenscheinlich an den Besonderheiten der jeweiligen Klagen orientiert, wie die von der in den Parallelverfahren abweichende Klageerwiderung vom 29. Dezember 1999 in dem Verfahren 1 K 1879/99 (VG Minden) zeigt.

Ist danach von einem Streitwert in Höhe von 10.000,- DM auszugehen, so errechnen sich die festzusetzenden Gebühren und Auslagen in der aus der Beschlussformel ersichtlichen Höhe. Insoweit nimmt der Senat auf die zutreffende Berechnung in dem Kostenfestsetzungsantrag der Prozessbevollmächtigten des Beigeladenen vom 7. September 2000 (Gerichtsakte Blatt 96) Bezug.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2, 162 Abs. 3 VwGO; die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 13 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).






OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 27.03.2001
Az: 10 E 84/01


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