Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Oktober 2010
Aktenzeichen: 15 W (pat) 17/09

(BPatG: Beschluss v. 14.10.2010, Az.: 15 W (pat) 17/09)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

BPatG 152

Gründe

I.

Der Anmelder hat am 12. Juni 2007 beim Deutschen Patentund Markenamt einen Antrag auf Erteilung eines Patentes mit der Bezeichnung "... " mit einer Seite Be schreibung, acht Patentansprüchen sowie einer Zusammenfassung eingereicht. Gleichzeitig hat der Anmelder auch einen Antrag auf Verfahrenskostenhilfe gestellt und erklärt, dass er noch kein Geld verdient.

Auf der Grundlage der vom Anmelder vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat das Deutsche Patentund Markenamt seine Bedürftigkeit festgestellt.

Der Antragsteller wurde zunächst durch den Zwischenbescheid vom 8. Mai 2008 unter ausführlicher Darlegung des Sachverhalts darauf hingewiesen, dass für die Anmeldung keine hinreichende Aussicht auf Erteilung eines Patents bestünde, da beim Gegenstand der vorliegenden Anmeldung keinerlei Neuheit gegenüber dem Stand der Technik erkennbar sei. Darüber hinaus erfülle die vorliegende Anmeldung auch nicht die Anforderungen an eine technisch ausführbare Lehre.

Mit der Eingabe vom 25. Juli 2008 hat der Anmelder geltend gemacht, dass die vorgelegte Recherche nur bestimmte chemisch modifizierte Biomoleküle betreffen würde. Das Ergebnis der Prüfung würde bestätigen, dass es bestimmte chemisch modifizierte Moleküle gebe und dass daher die Erfindung ausführbar sei. Der Gegenstand des Anspruchs 4 sei bisher noch nicht recherchiert worden. Dieser Gegenstand sei erfinderisch und patentierbar. Die offensichtliche Ausführbarkeit der vorliegenden Erfindung zeige deutlich und bestätige, dass die vorliegende Anmeldung die Anforderung an eine technisch ausführbare Lehre erfülle. Die Prüfungsstelle werde daher gebeten, ihre Meinung zu überdenken und die Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen sowie das Patent zu erteilen.

Mit Beschluss vom 29. Januar 2009 wurde der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe von der Patentabteilung 44 des Deutschen Patentund Markenamtes wegen mangelnder Erfolgsaussicht der Patentanmeldung zurückgewiesen.

Dagegen richtet sich die am 31. März 2009 eingegangene Beschwerde des Antragstellers. Er stellt sinngemäß den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen.

Der Antragsteller führt aus, dass die Erfindung neu sei und ein Fachmann sie auch ausführen könne.

II.

Die gebührenfreie Beschwerde (Nr. 401 300 des Gebührenverzeichnisses zu § 2 Abs. 1 PatKostG) ist zulässig und insbesondere statthaft, § 135 Abs. 3 PatG. Sie hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der Beschwerdeführer ist zwar bedürftig, es besteht jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erteilung eines Patents im Sinne des § 130 Abs. 1 Satz 1 PatG. Einer späteren Patenterteilung stehen durchgreifende Bedenken entgegen, denn die Erfindung ist in der Anmeldung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, § 34 Abs. 4 PatG.

Gemäß der ursprünglichen Beschreibung betrifft die Erfindung "... ". Dabei ist die objektive Aufgabe der Erfindung, wie der Anmelder selbst zutreffend erkannt hat, darin zu sehen, Stoffgemische bereitzustellen, die gegenüber herkömmlichen Stoffgemischen Vorteile aufweisen.

Gelöst wird diese Aufgabe gemäß Patentanspruch 1 durch "neuartige Stoffgemische dadurch gekennzeichnet, dass sie chemisch modifizierte wie vorzugsweise fluorierte, bromierte, chlorierte, jodierte, selenierte, borierte Biomoleküle wie vorzugsweise Aminosäuren, Peptide, wie vorzugsweise Neuropeptide wie Substanz P, Neuropeptid Y, Enkephaline, Endorphine, Galanin, Leptin, Proteine, wie vorzugsweise Metallproteine, Coerulopasmin, Ferritin, Astakin, Strukturproteine wie Kristalline Alpha, Beta und Gamma, Kollagene, Keratine, Seidenfibroin, Lamprin, Abducin, Fibrin, Fibrinogen, Titin, Neuroproteine, Myelin Basisches Protein (MBP), GFAP (Glial fibrillary acidic protein), Immunglobuline, Speicherproteine wie Gliadine, Viciline, Bindeproteine und viele andere Proteine, Nukleinsäuren, Mono -, Oligo -oder Polysaccharide, wie Chitin, Chitosan, Cellulose, Hemicellulose, Pektin, Hyaloronsäure enthalten".

Die Patentansprüche 2 bis 8 haben folgenden Wortlaut:

2.

Stoffgemische nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass sie zusätzlich andere biomolekulare Strukturen oder Komponenten, enthalten sowie Komponenten, die biomolekulare Strukturen enthalten, wie vorzugsweise Zellen, Organellen, Mehl oder Körner wie Getreidekömer.

3.

Stoffgemische nach einem der Ansprüche 1 und 2, dadurch gekennzeichnet, dass sie noch mindestens eine andere Komponente oder Substanz enthalten.

4.

Verwendung von Stoffgemischen, die im Anspruch 1 erwähnt sind als Additiven oder Zusatzstoffe, sowie als Reinstoffe vorzugsweise als Waschmittel, Kosmetika, Parfum, Rauchergemische, Reinigungsmittel, Füllstoffe, als Medium zur Isolierung von Nukleinsäuren Sicherheitsmerkmale, z. B. gegen Fälschung, Antipiraterie -Markierungsstoffe, Markierungsstoffen, Farbstoffe, elektronische Materialien, wie Leiter, Halbleiter oder Nicht -Leiter, Disperisionsstoffe zur Veredlung und Verschönerung von künstlichen Schmuckstoffen wie vorzugsweise künstliche Diamanten, Perlen, Korallen, sowie zur Verbesserung vor allem der mechanischen, physikalischen Eigenschaften von Materialien, Baustoffe, Nicht -Metallen wie Bor, Phosphor, Kohlenstoff, Halbmetallen, wie Silizium, sowie Metallen wie Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Zinn, Blei, Zink, Legierungen, Oxiden und ähnlichem, bzw. beliebige Materialien, und als Isolationsmaterialien, Adsorptions und Filterstoffe.

5.

Jodierte, chlorierte, bromierte, selenierte und borierte Peptide und Proteine.

6.

Fluorierte, jodierte, bromierte, chlorierte, selenierte und borierte Nulkeinsäuren.

7.

Fluorierte, bromierte, selenierte, borierte Mono -, Oligo -und Polysaccharide wie vorzugsweise Chitin, Cellulose, Chitosan und Pektin.

8.

Anders chemisch modifizierte Biomoleküle nach einem der Ansprüche 5 -7.

In der Beschreibung wird darüber hinaus noch ausgeführt: "Diese chemisch modifizierte z. B. fluorierte Biomoleküle oder Biostrukturen aus mehreren Biomolekülen wie z. B. Proteine oder Getreidekörner können z. B. durch Gasfluorierung mit elementarem Fluorgas oder durch wässrige Fluorierung unter Zugabe von z. B. 0,4 -4 prozentigen Flusssäure herstellt werden. Ähnlich kann eine Jodierung, Bromierung und Chlorierung erfolgen.

Die Stoffgemische, die solche Komponenten enthalten, können in unterschiedlichen Bereichen z. B. in der chemischen Industrie und in der Nanotechnologie verwendet werden. Sie können z. B. als Additive oder Zusatzstoffe zu Reinigungs -und Waschmittel zum Abperlen von Flüssigkeiten von Oberflächen, zur Reinigung von Mikro -und Nanopumpen, zur Isolierung der Nukleinsäuren, als Additive für Kosmetika, als Kosmetika, als Isolationsmaterialien, als Parfüm, als Rauchergemische oder Zusätze für Rauchergemische, Sicherheitsmerkmale, z. B. gegen Fälschung, Antipiraterie -Markierungsstoffe, Markierungsstoffen, Farbstoffe, elektronische Materialien, wie Leiter, Halbleiter oder Nicht -Leiter, Stoffe wie Dispersionsstoffe zur Veredlung und Verschönerung und zur Verbesserung der optischen Eigenschaften von künstlichen Schmuckstoffen wie vorzugsweise künstliche Diamanten, Perlen, Korallen, sowie zur Verbesserung vor allem der mechanischen, physikalischen und Eigenschaften von Materialen, Baustoffe, Nicht -Metallen wie Bor, Phosphor, Kohlenstoff, Halbmetallen wie Silizium, Metallen wie Gold, Silber, Kupfer, Eisen, Zinn, Blei, Zink, Legierungen, Oxiden wie Germaniumoxid, Galliumoxid, bzw. beliebigen Materialien, und als Füllstoffe, Adsorptions und als Filterstoffe verwendet werden.

Die Vorteile resultieren oder ergeben sich als Eigenschaften von definierbaren chemisch modifizierten Biomolekülen, die durch ihre Strukturen als Nano -und Mikropartikeln agieren können."

Diese Angaben in den Patentansprüchen und in der Beschreibung reichen jedoch nicht aus, dass ein Fachmann, ein Diplomchemiker mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Biotechnologie, die beanspruchte Erfindung, nämlich die Schaffung von neuartigen Stoffgemischen, die gegenüber herkömmlichen Stoffgemischen Vorteile aufweisen, mit hinreichender Aussicht auf Erfolg ausführen kann.

Eine für die Ausführbarkeit hinreichende Offenbarung liegt nur dann vor, wenn der Fachmann ohne erfinderisches Zutun und ohne unzumutbare Schwierigkeiten in der Lage ist, die Lehre des Patentanspruchs aufgrund der Gesamtoffenbarung der Patentschrift in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen praktisch so zu verwirklichen, dass der angestrebte Erfolg -im vorliegenden Fall ist dies die Schaffung von neuartigen Stoffgemischen, die gegenüber herkömmlichen Stoffgemischen Vorteile aufweisen -erreicht wird (ständige Rechtsprechung, BGH GRUR 1980, 166, 168 -Doppelachsaggregat, zuletzt BGH v. 11.5.2010 X ZR 51/06 Tz. 31 -Polymerisierbare Zementmischung, in juris). Die hierfür notwendigen Einzelangaben brauchen zwar nicht in den Patentansprüchen enthalten sein, sie müssen sich jedoch aus der allgemeinen Beschreibung oder den Ausführungsbeispielen entnehmen lassen (BGH GRUR 2003, 223, 225 -Kupplungsvorrichtung II).

Im vorliegenden Fall fehlt dem Fachmann eine ausreichend konkrete Anleitung zum technischen Handeln. Auf der Grundlage der vorliegenden Unterlagen ist nämlich nicht erkennbar, dass mit den offenbarten Maßnahmen im erforderlichen Umfang ein Stoffgemisch erhalten werden kann, das voraussehbar gegenüber bekannten Stoffgemischen Vorteile aufweist, ohne dass der Fachmann hierbei selbst noch erfinderisch tätig werden muss. In der vorliegenden Anmeldung finden sich nämlich keinerlei konkrete Hinweise darauf, welche Verwendung mit welchem Stoffgemisch zu bewerkstelligen ist und welche Vorteile sich dadurch ergeben. In den vorliegenden Unterlagen findet sich auch kein Ausführungsbeispiel, das wenigstens einen Weg zur Herstellung eines für eine der offenbarten Verwendungen geeigneten modifizierten Biomoleküls nacharbeitbar offenbart.

Im Beschluss vom 29. Januar 2009 hat die Patentabteilung zutreffend ausgeführt, dass im Hinblick auf den vorläufig ermittelten Stand der Technik D1 K. Dax et. al., Carbohydr. Res., 327 (2000) 47-86 D2 K. W. Pankiewicz, Carbohydr. Res., 327 (2000) 87-105 D3 EP1009726B1 D4 US 2005/0136001 A1 D5 EP 0884 323 A1 D6 L. D. Hall et. al., Can. J. Chem. 49,118 (1971) D7 S. Hara et. al., Tetrahedron Lett. 45 (2004) 1287-89 beanspruchte Stoffgemische, die chemisch modifizierte Biomoleküle im Sinne der Patentanmeldung enthalten, nicht mehr neu sind. Beispielhaft werden in D1 fluorierte Kohlenhydrate behandelt; in D2 fluorierte Nukleoside; D3 beschreibt fluorierte Proteine und Peptide; D4 beschreibt die Verwendung von fluorierten Kohlenhydraten; D5 beschreibt Reaktionen von Proteinen mit fluorhaltigen Reagenzien; D6 und D7 behandeln fluorierte Kohlenhydrate.

Dass beanspruchte Stoffe oder Stoffgemische bereits bekannt sind, kann im Hinblick auf die Ausführbarkeit der Erfindung jedoch nicht weiterhelfen. Das Erfordernis der Ausführbarkeit einer technischen Lehre ist nicht schon dann gegeben, wenn ein in der Anmeldung genannter Gegenstand überhaupt hergestellt werden kann. Es ist dem Fachmann im vorliegenden Fall sicherlich ohne weiteres gegeben, Biomoleküle oder Biostrukturen aus mehreren Biomolekülen wie z. B. Proteine oder Getreidekörner durch Gasfluorierung mit elementarem Fluorgas oder durch wässrige Fluorierung unter Zugabe von z. B. 0,4 -4 prozentiger Flusssäure zu modifizieren. Der Fachmann ist sicherlich auch in der Lage mit irgendeinem bekannten Verfahren bromierte, chlorierte, jodierte, selenierte oder borierte Biomoleküle herzustellen, um Produkte mit irgendwelchen Eigenschaften zu erhalten. Ausführbarkeit liegt jedoch erst dann vor, wenn das Endprodukt einer zielgerichteten Handlungsweise in einem gewissen Umfang den Zweck auch erfüllt, den es erfindungsgemäß erfüllen können soll. Der von der Erfindung geforderte technische Erfolg -hier die Schaffung von neuartigen Stoffgemischen, die gegenüber herkömmlichen Stoffgemischen Vorteile aufweisen -muss also vom Fachmann erreicht werden können. Zwar ist nicht notwendig, dass eine Ausführungsform (vollständig) offenbart ist. Die in der Anmeldung oder dem Patent enthaltenen Angaben müssen dem fachmännischen Leser aber so viel an technischen Informationen vermitteln, dass er mit seinem Fachwissen und seinem Fachkönnen in der Lage ist, die Erfindung erfolgreich auszuführen. Bestehen Unvollständigkeiten, so muss er diese ohne eigenes erfinderisches Bemühen ergänzen können, wobei er sich notfalls mit Hilfe orientierender Versuche Klarheit verschaffen kann (ständige Rechtsprechung, z. B. BGH GRUR 1991, 518 -Polyesterfäden, zuletzt BGH vom 13.7.2010 Xa ZR 126/07 -Klammernahtgerät, in juris).

Bei der vorliegenden Anmeldung handelt es sich jedoch um eine bloße Aufzählung von denkbaren und schon vielfach realisierten chemisch modifizierten Biomolekülen. Auch bei den aufgeführten Verwendungen (siehe Patentanspruch 4) handelt es sich wie bei den Stoffgemischen um eine beliebig erscheinende Aufzählung von denkbaren Verwendungen für chemische Stoffe ohne irgendeinen Offenbarungsgehalt. Es werden keine konkreten Hinweise gegeben, welche Verwendung mit welchem Stoffgemisch zu bewerkstelligen ist. Die offenbarte Lehre ist daher so weit gefasst, dass sie nur eine Aufforderung erfinderisch tätig zu werden darstellt. Orientierende Vorversuche können im vorliegenden Fall keine Klarheit verschaffen.

Die offenbarten Angaben sind für ein erfolgreiches Nacharbeiten der Erfindung nicht ausreichend. In den eingereichten Unterlagen findet sich kein Ausführungsbeispiel, das wenigstens einen Weg zur Herstellung eines Stoffgemisches, das gegenüber herkömmlichen Stoffgemischen Vorteile aufweist, oder wenigstens eine konkrete verbesserte Verwendung eines Stoffgemisches nacharbeitbar offenbart. Somit sind die für die Erreichung der erstrebten Wirkung notwendigen Erfordernisse nicht vollständig in den ursprünglichen Unterlagen genannt. Der Fachmann konnte am Anmeldetag die beanspruchte technische Lehre auch nicht anhand seines allgemeinen Fachwissens ergänzen und ausführen, sondern er musste zusätzlich erfinderisch tätig werden, um auf der Grundlage der Offenbarung einen gangbaren Weg zur Lösung der der Anmeldung zu Grunde liegenden Aufgabe, die Schaffung von neuartigen Stoffgemischen, die gegenüber herkömmlichen Stoffgemischen Vorteile aufweisen, zu finden. Dieser Offenbarungsmangel kann nachträglich - etwa durch Einreichung von Beispielen - nicht mehr geheilt werden, da die Erfindung am Anmeldetag offenbart sein muss.

Damit liegen die für die Gewährung von Verfahrenkostenhilfe nach § 130 Abs. 1 Satz 1 PatG i. V. m. § 114 ZPO vorausgesetzten hinreichenden Erfolgsaussichten des Antrags auf Erteilung eines Patents nicht vor, so dass im angegriffenen Beschluss zutreffend der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen wurde.

Dr. Feuerlein Schwarz-Angele Dr. Egerer Dr. Lange Bb






BPatG:
Beschluss v. 14.10.2010
Az: 15 W (pat) 17/09


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