Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 20. Juli 1998
Aktenzeichen: 5 U 256/93

(OLG Köln: Urteil v. 20.07.1998, Az.: 5 U 256/93)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln vom 13.07.1993 - 83 O 93/91 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen. Die Kosten der Streithelfer tragen diese selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000,00 DM abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Den Parteien wird gestattet, die Sicherheit auch durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, Genossenschaftsbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu erbringen.

Tatbestand

Die Klägerin ist Gesellschafterin der Beklagten - einer Familiengesellschaft - und gehört zu einer Minderheitengruppe, die über insgesamt etwa 49,3 % der Geschäftsanteile verfügt. Zwischen dieser Gruppe und der Mehrheitsgruppe, die seit 1989 insgesamt etwa 50,7 % der Geschäftsanteile hält, ist es in den vergangenen Jahren zu zahlreichen Auseinandersetzungen und der Führung verschiedener Rechtsstreite gekommen; insbesondere wurden von der Klägerin, teilweise auch von anderen Gesellschaftern der Minderheitengruppe, die Jahresabschlüsse der Beklagten seit dem Jahre 1989 gerichtlich angegriffen.

Im vorliegenden Fall greift die Klägerin den Jahresabschluß der Beklagten für das Jahr 1990 und die Entlastung der Geschäftsführer der Beklagten für das Jahr 1990 an. Der Jahresabschluß 1990 wurde am 17.06.1991 mit dem uneingeschränkten Bestätigungsvermerk der Abschlußprüfer versehen; der Beschluß der Gesellschafterversammlung über die Feststellung des Jahresabschlusses, die Gewinnverwendung und die Entlastung der Geschäftsführer ist mehrheitlich in der Gesellschafterversammlung vom 29.08.1991 gefaßt worden.

Die Beklagte ist an einer größeren Anzahl von weiteren Gesellschaften beteiligt, die teils in Form von Personen-, teils in Form von Kapitalgesellschaften geführt werden. Bei einigen der Kapitalgesellschaften handelt es sich um reine Tochtergesellschaften der Beklagten, hinsichtlich derer sie 100 % der Geschäftsanteile hält. Dies ist u. a. der Fall bei der T. Sicherheits-Systeme GmbH ("TSS"), bei der Gesellschaft für technische Kunststoffe Gebr. von der W. GmbH ("GftK") und bei der Gesellschaft für Bauwerkabdichtungen mbH ("GfB").

Die Gesellschafterversammlungen der drei vorgenannten Kapitalgesellschaften haben die Beschlüsse zur Feststellung der jeweiligen Jahresabschlüsse für das Geschäftsjahr 1990 und die entsprechenden Gewinnverwendungsbeschlüsse gefaßt zu einem Zeitpunkt, in dem der Bestätigungsvermerk des Abschlußprüfers betreffend den Jahresabschluß 1990 der Beklagten bereits erteilt war, jedoch noch vor dem Beschluß der Gesellschafterversammlung der Beklagten über die Feststellung des Jahresabschlusses 1990, und zwar die Gesellschafterversammlung der "TSS" am 23.08.1991, die Gesellschafterversammlung der "GftK" am 14.08.1991 und die Gesellschafterversammlung der "GfB" am 20.08.1991.

Die Bilanzergebnisse der drei vorgenannten Tochtergesellschaften für das Jahr 1990 wurden bei der Feststellung des Jahresabschlusses 1990 der Beklagten in der Gesellschafterversammlung vom 29.08.1991 nicht berücksichtigt; statt dessen mit in den Jahresabschluß der Beklagten für das Jahr 1990 aufgenommen wurden vielmehr die Bilanzergebnisse dieser Tochtergesellschaften des Jahres 1989. Dies beruhte auf der von der Beklagten praktizierten Übung, die Bilanzergebnisse dieser Tochtergesellschaften jeweils um ein Jahr phasenverschoben im Folgejahr in den Jahresabschluß der Beklagten mit aufzunehmen. Diese Übung der Beklagten und damit zusammenhängende Fragen waren betreffend das Geschäftsjahr 1989 Gegenstand eines zwischen den Parteien anhängigen Rechtsstreits, der durch Urteil des Bundesgerichtshof rechtskräftig entschieden worden ist. Auf den Vorlagebeschluß des Bundesgerichtshofs in dem damaligen Verfahren vom 21.07.1994 - II ZR 82/93 - an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 27.06.1996 - C-234/94 - und das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 12.01.1998 - II ZR 82/93 - wird Bezug genommen.

Im vorliegenden Rechtsstreit wendet sich die Klägerin gegen die in der Gesellschafterversammlung am 29.08.1991 beschlossene Feststellung des Jahresabschlusses 1990 und hat dazu erstinstanzlich insbesondere vorgetragen, bestimmte Körperschaftsteuerrückstellungen und Darlehenskonten von stillen Gesellschaftern seien im Jahresabschluß der Beklagten unzutreffend erfaßt und Herstellungskosten einer bestimmten Mischanlage seien ebenso wie Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer der Beklagten pflichtwidrig nicht aktiviert worden. Darüber hinaus hat die Klägerin behauptet, unfertige Leistungen seien gezielt unzureichend aktiviert worden durch Manipulationen bei der Bewertung der Herstellungskosten. Weiterhin hat sie insbesondere die Auffassung vertreten, die bei den Tochtergesellschaften entstandenen Bilanzgewinne seien bei der Beklagten im Jahr der Entstehung zu aktivieren, wobei aufgrund eines in der Satzung der Beklagten enthaltenen Vollausschüttungsgebotes die Geschäftsführer der Beklagten als Gesellschafter der Tochtergesellschaften in den Gesellschafterversammlungen dieser Tochtergesellschaften verpflichtet gewesen seien, dort eine Vollausschüttung zu beschließen. Schließlich hat die Klägerin die Ansicht vertreten, bei Feststellung des Jahresabschlusses sei gegen § 12 Abs. 3 der Satzung der Beklagten verstoßen worden, da Handels- und Steuerbilanz nicht übereinstimmen würden.

Die Klägerin hat beantragt,

festzustellen, daß der Beschluß der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29.08.1991, mit dem der Jahresabschluß 1990 der Beklagten, der einen Jahresüberschuß von 235.224,53 DM - einschließlich Gewinnvortrag aus dem Vorjahr in Höhe von 451,83 DM einen Bilanzgewinn von 235.676,36 DM - ausweist, festgestellt worden ist, nichtig ist,

hilfsweise, den Beschluß der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29.08.1991, mit dem der Jahresabschluß 1990 der Beklagten, der einen Jahresüberschuß von 235.224,53 DM - einschließlich Gewinnvortrag aus dem Vorjahr in Höhe von 451,83 DM einen Bilanzgewinn von 235.676,36 DM - ausweist, festgestellt worden ist, für nichtig zu erklären,

die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 29.08.1991, durch die den Geschäftsführern G. von der W. und W. von der W. Entlastung erteilt worden ist, für nichtig zu erklären.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist dem Begehren der Klägerin in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht umfassend entgegengetreten und hat dabei insbesondere die Auffassung vertreten, die phasenverschobene Berücksichtigung der Bilanzergebnisse der Tochtergesellschaften bei dem Jahresabschluß der Beklagten sei zulässig und verstoße weder gegen Gesetz noch Satzung.

Das Landgericht hat die Klage durch am 13.07.1993 verkündetes Urteil, auf das wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, abgewiesen. Gegen dieses ihr am 27.07.1993 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.08.1993 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.11.1993 an diesem Tag fristgerecht begründet.

Mit ihrer Berufung greift die Klägerin das angefochtene Urteil nur insoweit an, als die Beklagte zum einen schon nach dem Gesetz, zum anderen jedenfalls aber aufgrund § 12 Abs. 3 der Satzung verpflichtet sei, die Bilanzergebnisse ihrer Tochtergesellschaften phasengleich im Jahr der Entstehung zu aktivieren; zu beiden Fragenkreisen wiederholt und vertieft die Klägerin ihre erstinstanzlichen Ausführungen. Darüber hinaus ist sie auch weiterhin der Auffassung, aufgrund eines für die Beklagte geltenden Vollausschüttungsgebotes seien die Gewinne der Tochtergesellschaften in voller Höhe auszuschütten, weshalb auch insoweit die Feststellung des Jahresabschlusses der Beklagten unrichtig sei. An ihren jeweiligen Auffassungen zu den verschiedenen Fragenkreisen hält die Klägerin auch fest angesichts der Entscheidungen des Bundesgerichtshof vom 07.02.1997 - II ZR 41/96 - und vom 12.01.1998 - II ZR 82/93 -, da die im vorliegenden Fall relevanten Fragen durch diese Entscheidungen nicht präjudiziert seien. Hinsichtlich der Bewertung der unfertigen Leistungen schließlich ist die Klägerin der Auffassung, ein näherer Vortrag sei ihr hierzu ohne Einsicht in die entsprechenden Geschäftsunterlagen der Beklagten nicht möglich, die von ihr angebotenen Beweise jedenfalls hätte das Landgericht nicht übergehen dürfen.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils,

festzustellen, daß der Beschluß der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29.08.1991, mit dem der Jahresabschluß 1990 der Beklagten, der einen Jahresüberschuß von 235.224,53 DM - einschließlich Gewinnvortrag aus dem Vorjahr in Höhe von 451,83 DM einen Bilanzgewinn von 235.676,36 DM - ausweist, festgestellt worden ist, nichtig ist,

hilfsweise, den Beschluß der Gesellschafterversammlung der Beklagten vom 29.08.1991, mit dem der Jahresabschluß 1990 der Beklagten, der einen Jahresüberschuß von 235.224,53 DM - einschließlich Gewinnvortrag aus dem Vorjahr in Höhe von 451,83 DM einen Bilanzgewinn von 235.676,36 DM - ausweist, festgestellt worden ist, für nichtig zu erklären,

die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 29.08.1991, durch die den Geschäftsführern G. von der W. und W. von der W. Entlastung erteilt worden ist, für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens entgegen und beruft sich für die Unbegründetheit der Berufung insbesondere auf die vorgenannten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 17.02.1997 und 12.01.1998, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren und auf die wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils sowie auf die erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst den dazu überreichten Anlagen Bezug genommen. Die Akten OLG Köln 5 U 255/93 waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Gründe

Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg, denn im Hinblick auf die von der Klägerin nunmehr im Berufungsverfahren allein noch geltend gemachten Gesichtspunkte sind die angegriffenen Beschlüsse der Gesellschafterversammlung vom 29.08.1991 betreffend den Jahresabschluß 1990 und die Entlastung der Geschäftsführer weder nichtig noch anfechtbar.

Unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom 17.02.1997 - II ZR 41/96 - und vom 12.01.1998 - II ZR 82/93 - stellt sich die Rechtslage hinsichtlich der in der Berufungsinstanz noch streitbefangenen Komplexe wie folgt dar:

I. Nichtigkeit

Aufgrund des Urteils des Bundesgerichtshofs vom 12.01.1998 steht nunmehr fest, daß unter den dort genannten Voraussetzungen die Beklagte zur phasengleichen Aktivierung der Töchtergewinne in ihrer Bilanz verpflichtet ist. In seiner Entscheidung stellt der Bundesgerichtshof dabei ausdrücklich darauf ab, daß zum Zeitpunkt des Bestätigungsvermerks des Abschlußprüfers betreffend die Bilanz der Beklagten die Bilanzfeststellungs- und Gewinnverwendungsbeschlüsse der Tochtergesellschaften bereits gefaßt waren, somit zum Zeitpunkt der Abschlußprüfung hätten bereits berücksichtigt werden können und aus den vom Bundesgerichtshof dargelegten Gründen auch hätten berücksichtigt werden müssen.

Der Fall liegt hier betreffend die Bilanz 1990 jedoch anders, denn der Abschlußvermerk wurde hier am 17.06.1991 erteilt, wohingegen die Bilanzfeststellungs- und Gewinnverwendungsbeschlüsse der Tochtergesellschaften erst danach am 14., 20. und 23.08.1991 gefaßt wurden.

Ob bei dieser Sachlage - wie die Klägerin meint - ebenfalls eine Pflicht zur phasengleichen Aktivierung besteht, da die Bilanzfeststellungs- und Gewinnverwendungsbeschlüsse der Tochtergesellschaften jedenfalls noch vor der Gesellschafterversammlung der Beklagten gefaßt wurden, kann betreffend die geltend gemachte Nichtigkeit dahinstehen. Denn entsprechend den Ausführungen in dem genannten Urteil des Bundesgerichtshofs kommt eine etwaige Nichtigkeit nur dann in Betracht, wenn die Gesellschafter der Beklagten bei ihrem Bilanzbeschluß die Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft im Sinne von § 256 Abs. 5 Nr. 2 AktG vorsätzlich unrichtig wiedergegeben oder verschleiert hätten. Dies ist jedoch bei der Bilanzfeststellung 1990 ebensowenig der Fall wie bei der vom Bundesgerichtshof in dem genannten Urteil beurteilten Bilanzfeststellung 1989, da den Gesellschaftern angesichts des damaligen Standes der Rechtsprechung ein solcher Vorwurf nicht gemacht werden kann, denn die Rechtsprechung zur Pflicht der phasengleichen Aktivierung war zum Zeitpunkt der Beschlußfassung weder begründet noch absehbar.

Die übrigen von der Klägerin mit der Berufung noch geltend gemachten Gründe führen nicht zur Nichtigkeit, sondern allenfalls zur Anfechtbarkeit des Bilanzbeschlusses, weshalb der Antrag zu 1) unbegründet ist.

II. Anfechtung

1.

Soweit die Klägerin ihre Anfechtungsklage auf Satzungsverstöße - Verstoß gegen § 12 Abs. 3 (Übereinstimmung von Handels- und Steuerbilanz) und Verstoß gegen ein ihrer Ansicht nach in der Satzung enthaltenes Vollausschüttungsgebot - stützt, dringt sie damit nicht durch.

Hinsichtlich der Gründe wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.01.1998 Bezug genommen, und zwar im Hinblick auf § 12 Abs. 3 der Satzung auf die Ausführungen unter II. 1. b), wonach eine Berufung auf diese Regelung unabhängig davon, ob man sie für wirksam oder unwirksam erachtet, eine Anfechtbarkeit jedenfalls nicht begründet, und im Hinblick auf die Frage des Vollausschüttungsgebotes auf die Ausführungen unter II. 1. c) und die dort in Bezug genommene Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 17.02.1997, wonach mangels eines in der Satzung der Beklagten enthaltenen Vollausschüttungsgebotes eine Anfechtung insoweit nicht begründet ist.

2.

Die Anfechtungsklage ist auch im Hinblick auf die Tatsache, daß die Beklagte für das Jahr 1990 keine phasengleiche Aktivierung ihrer Töchtergewinne vorgenommen hat, nicht begründet. Zwar hat der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 12.01.1998 unter II. 1. a) ausdrücklich klargestellt, daß mangels Sonderprüfungsrechtes der Gesellschafter die Vorschrift des § 257 Abs. 1 Satz 2 AktG im GmbH-Recht nicht entsprechend anwendbar ist und daher ein Verstoß wie der hier in Rede stehende grundsätzlich zur Anfechtung berechtigt. Auch eine Fristversäumung kann der Klägerin hier anders als in dem vom Bundesgerichtshof betreffend die Bilanz 1989 entschiedenen Fall nicht vorgeworfen werden, da sie bereits in der Klageschrift diesen Gesichtspunkt im Prozeß rechtzeitig geltend gemacht hat. Auch die Anfechtungsbefugnis gemäß § 245 Nr. 1 AktG ist nicht zu verneinen. Zwar lagen der Klageschrift die darin genannten Anlagen, insbesondere das Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 29.08.1991, nicht bei; aufgrund des unbestritten gebliebenen Vortrages in der Klageschrift, wonach die Klägerin an der Gesellschafterversammlung teilgenommen hat bzw. jedenfalls dort vertreten war und die Anfechtungsklage bereits in der Gesellschafterversammlung angekündigt wurde, ist jedoch davon auszugehen, daß die Voraussetzungen des § 245 Nr. 1 AktG erfüllt sind.

Die Anfechtung greift jedoch nicht durch, da betreffend das Geschäftsjahr 1990 bei der Beklagten die Voraussetzungen für eine phasengleiche Bilanzierung der Töchtergewinne nicht erfüllt sind. Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 12.01.1998 für eine Pflicht zur phasengleichen Bilanzierung ausdrücklich den Zeitpunkt der Erteilung des Bestätigungsvermerk des Abschlußprüfers als maßgeblichen Zeitpunkt angesehen. Schon in seinem Vorlagebeschluß an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vom 21.07.1994 hat der Bundesgerichtshof diesen maßgeblichen Zeitpunkt benannt; unter dieser Voraussetzung und abstellend auf diesen Zeitpunkt hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften durch Urteil vom 27.06.1996 entschieden, daß die nationale Rechtsanwendung hinsichtlich der Pflicht einer phasengleichen Bilanzierung nicht gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaften verstößt. Der Senat ist auf der Grundlage der vorgenannten Rechtsprechung der Auffassung, daß eine Pflicht zur phasengleichen Bilanzierung nur dann besteht, wenn zum danach maßgeblichen Zeitpunkt des Bilanztestats die entsprechenden Bilanzfeststellungs- und Gewinnverwendungsbeschlüsse der Tochtergesellschaften bereits gefaßt sind, da sie nur dann als zu aktivierende Vermögenswerte der Beklagten bereits wirtschaftlich hinreichend konkretisiert sind und im Verfahren zur Aufstellung der Bilanz Berücksichtigung finden können.

Im vorliegenden Fall wurden wie bereits dargelegt die Bilanzfeststellungs- und Gewinnverwendungsbeschlüsse der Tochtergesellschaften der Beklagten erst nach Prüfung der Bilanz und Erteilung des Bestätigungsvermerks durch den Abschlußprüfer gefaßt, weshalb eine Pflicht zur phasengleichen Aktivierung nicht bestand. Unerheblich ist insoweit, daß die Bilanzfeststellungs- und Gewinnverwendungsbeschlüsse der Tochtergesellschaften noch vor der Feststellung des Jahresabschlusses 1990 durch die Gesellschafterversammlung der Beklagten am 29.08.1991 gefaßt wurden und damit zum Zeitpunkt der Beschlußfassung der Gesellschafterversammlung bereits vorlagen, denn maßgeblicher Zeitpunkt ist eben nicht die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschafterversammlung, sondern die Erteilung des Testats durch den Abschlußprüfer. Würde man die Beklagte auch in diesem Fall zur phasengleichen Aktivierung der Töchtergewinne verpflichtet ansehen, würde dies bedeuten, daß bei der Beklagten das gesamte Verfahren der Aufstellung, Prüfung und Testierung der Bilanz wegen der zwischenzeitlich gefaßten Beschlüsse der Tochtergesellschaften vor der Gesellschafterversammlung der Beklagten hätte wiederholt werden müssen, was nicht nur mit einer erheblichen Zeitverzögerung und einem zusätzlichen Kostenaufwand verbunden gewesen wäre, sondern wofür vor allem keine rechtliche Grundlage ersichtlich ist. Die Beklagte war auch nicht gehalten, mit der Aufstellung und Prüfung ihrer Jahresbilanz solange zuzuwarten, bis die Bilanzaufstellungs- und Gewinnverwendungsbeschlüsse der Tochtergesellschaften gefaßt waren. Auch dafür ist eine rechtliche Grundlage nicht ersichtlich, denn im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben handelt es sich bei dem Verfahren zur Aufstellung und Prüfung des Jahresabschlusses insbesondere hinsichtlich des Zeitpunktes um eine im gesellschaftlichen Ermessen stehende unternehmerische Entscheidung, die hinsichtlich der verschiedenen Gesellschaften von sehr unterschiedlichen und mannigfaltigen Gesichtspunkten abhängig sein kann. Zudem würde eine solche Pflicht dazu führen, daß etwa in einem mehrfach verschachtelten Konzern mit zahlreichen Tochter- und Enkelgesellschaften die Bilanzfeststellung bei der Muttergesellschaft unter Umständen nur sehr verzögert erfolgen könnte, wodurch die Gesellschaft in unvertretbarer Weise in ihren unternehmerischen Entscheidungen beeinträchtigt würde. Dahinstehen kann, ob diese Frage ggf. anders zu beantworten wäre, wenn sich die Muttergesellschaft bewußt treuwidrig verhält und durch Manipulation des Zeitpunktes des Abschlußvermerks ihre Gesellschafter schädigt, denn dies wird von der Klägerin nicht geltend gemacht und Anhaltspunkte dafür sind hier auch nicht ersichtlich.

Im Hinblick auf die von der Klägerin begehrte Anfechtung kommen hinzu die Gesichtspunkte der Verhältnismäßigkeit und Rechtsmißbräuchlichkeit, auf die der Senat in dem Rechtsstreit der Parteien 5 U 156/92 in seinem Urteil vom 18.03.1993 hingewiesen und die der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 12.01.1998 ausdrücklich gebilligt hat. Eine Anfechtbarkeit unterstellt würde nämlich bedeuten, daß die Beklagte den dann unwirksam festgestellten Jahresabschluß 1990 neu erstellen, prüfen lassen und sodann von der Gesellschafterversammlung erneut feststellen lassen müßte. Dies ist nicht nur bei der Beklagten mit einem erheblichen Aufwand verbunden und verursacht Kosten in nicht unbeträchtlicher Höhe, sondern führt darüber hinaus auch zu steuerlichen Konsequenzen, da ggf. entsprechende Nacherklärungen erforderlich werden. Zudem hat die entsprechende Neufeststellung der Bilanz 1990 auch Einfluß auf die Bilanzen der folgenden Jahre, die ebenfalls entsprechend berichtigt werden müßten.

Die insoweit erforderlichen Aufwendungen und Kosten stehen außerhalb jeden Verhältnisses zu den rechtlichen und wirtschaftlichen Vorteilen, die die Klägerin hierdurch erlangen könnte. Vorgetragen hat sie hierzu im einzelnen nichts; besondere Vorteile sind auch nicht ersichtlich. Denn die nicht erfolgte phasengleiche Aktivierung führt lediglich dazu, daß wie auch in den Jahren zuvor die Gewinne der Tochtergesellschaften um ein Jahr verschoben in der Bilanz der Beklagten aktiviert werden; etwaige Gewinne gehen der Klägerin nicht verloren, sondern kommen lediglich um ein Jahr verschoben zur Einstellung in den Jahresabschluß. Über die verschiedenen Jahre hinweg betrachtet erleidet die Klägerin hinsichtlich ihrer Gewinnanteile keinen Nachteil, da sie jedenfalls in einem der Jahre zu aktivieren sind und auch aktiviert wurden. Daß die Gesellschaft oder die Klägerin durch die verschobene, nicht phasengleiche Aktivierung der Töchtergewinne von 1990 einen sonstigen - etwa steuerlichen - Nachteil erlitten haben, ist nicht vorgetragen.

Angesichts dieser Umstände und der unwidersprochen gebliebenen und damit unstreitigen Tatsache, daß die Beklagte seit dem Jahre 1995 dazu übergegangen ist, eine phasengleiche Aktivierung vorzunehmen, spätestens zu diesem Zeitpunkt damit die in der Vergangenheit gemachten Fehler durch Aufholung behoben sind, gebietet es der Klägerin die ihr gegenüber der Beklagten obliegende gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, sich mit weniger einschneidenden Maßnahmen als der Nichtigerklärung des Bilanzbeschlusses 1990 abzufinden und Ausgleich von der Beklagten auf andere Weise zu erlangen, soweit ein solcher überhaupt erforderlich ist. Dies gilt erst recht unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die nicht erfolgte phasengleiche Bilanzierung wegen der damals noch nicht bekannten oder absehbaren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Gesellschafterversammlung nicht vorwerfbar ist.

3.

Die Anfechtungsklage und damit die Berufung der Klägerin bleiben schließlich auch insoweit erfolglos, als die Klägerin behauptet, die unfertigen Leistungen seien in dem Jahresabschluß 1990 zu niedrig bewertet worden. Mit dem entsprechenden erstinstanzlichen Vorbringen der Klägerin hat sich das Landgericht in zutreffender Weise sehr ausführlich und dezidiert auseinandergesetzt. Dem folgt der Senat. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die dazu gemachten Ausführungen in dem angefochtenen Urteil auf S. 12 - 16 Bezug genommen. Diese im angefochtenen Urteil enthaltenen Ausführungen werden mit der Berufung nicht substantiiert angegriffen. Über die von der Klägerin erstinstanzlich vorgetragenen Verdachtsmomente - als substantiierte Behauptungen kann das entsprechende Vorbringen der Klägerin nicht angesehen werden - hinaus ist eine Ergänzung des Sachvortrags nicht erfolgt, obwohl die Klägerin zwischenzeitlich hinreichend Gelegenheit hatte, sich - notfalls mit gerichtlicher Hilfe - Einblick in die Bauakten und sonstigen Unterlagen der Beklagten zu verschaffen und ihren Vortrag sodann zu substantiieren. Bei dieser Sachlage aber wurde eine Beweiserhebung zur angeblich zu niedrig erfolgten Aktivierung der unfertigen Leistungen vom Landgericht weder verfahrensfehlerhaft übergangen noch kommt eine solche durch den Senat in Betracht, denn eine solche Beweiserhebung käme einer Ausforschung gleich.

Mangels begründeter Anfechtung ist somit auch der Hilfsantrag zu 2.) unbegründet.

III. Geschäftsführerentlastung

Da nach den unter II. und III. gemachten Ausführungen eine Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit des Bilanzfeststellungsbeschlusses 1990 ausscheidet, kommt eine begründete Anfechtung des Beschlusses zur Geschäftsführerentlastung mangels vorwerfbarer Handlungen nicht in Betracht, weshalb auch der Antrag zu 3.) unbegründet ist.

Soweit die Streithelfer durch nach Schluß der mündlichen Verhandlung eingegangen Schriftsatz vom 14.07.1998 ihren Beitritt erklärt haben, bestand kein Anlaß zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO, da neue Gesichtspunkte nicht vorgetragen wurden; der Streitbeitritt nach Schluß der mündlichen Verhandlung als solcher macht eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht erforderlich (BGH LM § 73 Nr. 1; OLG Köln MDR 1983, 409). Soweit die Streithelfer mit ihrem Beitritt in rechtlicher Hinsicht die Vorlage des Rechtsstreits an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften angeregt haben, war dies nicht erforderlich, da der Senat wie dargelegt im Hinblick auf die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 27.06.1996 und des Bundesgerichtshofs vom 12.01.1998 den in diesen Entscheidungen genannten maßgeblichen Zeitpunkt als Voraussetzung für eine Pflicht zur phasengleichen Bilanzierung berücksichtigt hat. Der weiterhin angeregten Zulassung der Revision bedarf es gemäß § 546 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf § 97 Abs. 1, § 101 Abs. 1, § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer der Klägerin unter Berücksichtigung der erstinstanzlichen Wertfestsetzung: 90.000,- DM






OLG Köln:
Urteil v. 20.07.1998
Az: 5 U 256/93


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