Bundespatentgericht:
Beschluss vom 29. April 2004
Aktenzeichen: 11 W (pat) 329/02

(BPatG: Beschluss v. 29.04.2004, Az.: 11 W (pat) 329/02)

Tenor

Auf den Einspruch wird das Patent 195 03 367 widerrufen.

Gründe

I Die Erteilung des am 2. Februar 1995 angemeldeten und am 8. August 1996 offengelegten Patents mit der Bezeichnung "Dichtungsanordnung für einen Haushalts-Wäschetrockner" ist am 25. April 2002 veröffentlicht worden.

Gegen das Patent ist am 23. Juli 2002 von der M... Cie. KG in G... gem. § 59 PatG Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des Patents sei nach §§ 1 bis 5 PatG nicht patentfähig und deshalb aus den Gründen des § 21 Abs. 1, S. 1 PatG zu widerrufen.

Die Einsprechende hat mit Schriftsatz vom 23. Juli 2002 (Bl. 7, 15 GA) beantragt, das angefochtene Patent in vollem Umfang zu widerrufen, an der mündlichen Verhandlung hat sie, wie mit Schriftsatz vom 5. April 2004 angekündigt, nicht teilgenommen.

Die Patentinhaberin hat in allen Punkten widersprochen und beantragt, die beschränkte Aufrechterhaltung des Patents mit dem Patentanspruch 1 vom 29. April 2004 sowie den Patentansprüchen 2 bis 7, der Beschreibung und den Zeichnungen gemäß Patentschrift [Hauptantrag], hilfsweise mit einem aus dem Patentanspruch 1 vom 29. April 2004 und dem Patentanspruch 7 der Patentschrift gebildeten neuen Patentanspruch 1 sowie den Patentansprüchen 2 bis 6 der Beschreibung und den Zeichnungen gemäß Patentschrift [Hilfsantrag I], weiter hilfsweise mit einem aus dem Patentanspruch 1 vom 29. April 2004 und dem Patentanspruch 6 gebildeten neuen Patentanspruch 1 sowie den Patentansprüchen 2 bis 5 und 7, der Beschreibung und den Zeichnungen gemäß Patentschrift [Hilfsantrag II].

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet wie folgt:

1. Dichtungsanordnung für einen Haushalt-Wäschetrockner mit einer um eine wenigstens annähernd waagrechte Achse drehbaren, im wesentlichen zylindrischen Wäschetrommel, die im Trocknungsbetrieb von einer Trocknungsluft im wesentlichen axial durchströmt wird und zu diesem Zweck in einer der Bodenwände des Trommelzylinders mindestens eine Öffnung hat, die in einen feststehenden Trocknungsluft-Kanal mündet und deren Mündung von einer den Trocknungsluft-Kanal einschließenden und wenigstens mittelbar befestigten Ringdichtung mit einer an der Bodenwand der Wäschetrommel anliegenden und im wesentlichen radial gerichteten Fläche mit einem textilartigen Belag umgeben ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Ringdichtung (9, 15) im wesentlichen aus einer im entlasteten Zustand im Querschnitt gesehen wenigstens annähernd radial gerichteten elastischen Lippe (11, 15) besteht, deren Dichtungspartie (19) einen axialen Freiheitsgrad (12) zum Ausgleichen von Fertigungstoleranzen hat und dass die Lippe aus elastischem Werkstoff besteht, wobei die elastischen Rückstellkräfte innerhalb des Werkstoffs stark genug sind, um die Lippe ständig in der Anlage an der Bodenwand zu halten.

Nach dem Hilfsantrag I tritt zu den Merkmalen des vorstehenden Anspruchs 1 des Hauptantrags das Merkmal "dass die Lippe (11, 15) aus einem hochverschleißfesten Nitril-Kautschuk besteht", nach dem Hilfsantrag II das Merkmal "dass die der anliegenden Fläche gegenüberliegende Partie (20) der Bodenwand (4) wulstartig und ringförmig trommelauswärts tiefgezogen ist" hinzu.

Wegen der zu den jeweiligen Anträgen gehörigen Unteransprüche 2 bis 7 (Hauptantrag), 2 bis 6 (Hilfsantrag I) bzw. 2 bis 5 und 7 (Hilfsantrag II) und weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist gem. § 59 Abs. 1 PatG hinreichend substantiiert und damit zulässig.

Er hat aus den nachfolgend dargelegten Gründen Erfolg und führt zum Widerruf des Patents.

Die Erfindung betrifft eine Dichtungsanordnung für einen Haushalt-Wäschetrockner.

Bei aus dem Stand der Technik bekannten Dichtungsanordnungen wird von der Patentinhaberin als nachteilig erachtet, dass diese sehr instabil seien und eine dauerhafte Dichtigkeit nicht gewährleisteten (Patentschrift Sp. 1, Z. 29 - 37). Andere bekannte Dichtungsanordnungen könnten nur geringe axiale Fertigungstoleranzen der Wäschetrommel und des Lagers an der Rückwand der Wäschetrommel ausgleichen (Patentschrift Sp. 1, Z. 55 - 58).

Davon ausgehend liegt der Erfindung gemäß der Patentschrift (Sp. 1, Z. 59 - 64) das technische Problem (die Aufgabe) zugrunde, bei einem bekannten Wäschetrockner eine Dichtungsanordnung zu finden, die ihre Dichtungsfunktion bei der Montage automatisch herstellt, Toleranzen in der Größenordnung bis zu 10 mm ausgleicht und über eine längere Lebensdauer ihre Funktion beibehält.

Die Lösung dieser Aufgabe wird in einer Dichtung nach Anspruch 1 in der Fassung nach Hauptantrag bzw. den Hilfsanträgen gesehen.

1. Dieser Anspruch 1 ist in allen Fassungen zulässig, da der patentierte Anspruch 1 inhaltlich dem am Anmeldetag eingegangenen Anspruch 1 entspricht und seine dem gegenüber nunmehr hinzugekommenen Merkmale ursprünglich und in der Patentschrift offenbart sind. Das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 des Hauptantrages findet sich ursprünglich auf Seite 3 unten und in der Patentschrift in Spalte 2, Z. 11 bis 13. Die im Anspruch 1 der Hilfsanträge darüber hinaus aufgenommenen Merkmale entstammen den ursprünglichen und unverändert erteilten Ansprüchen 6 bzw. 7. Die Korrektur der Ausrichtung der Dichtfläche von "axial" in "radial" im Oberbegriff des jeweiligen Anspruchs 1 ist lediglich die Beseitigung eines offensichtlichen Fehlers. Sie ergibt sich notwendig aus dem Gesamtzusammenhang, insbesondere im Hinblick auf das kennzeichnende Merkmale "radial gerichtete elastische Lippe" und die Zeichnung sowie zugehörige Beschreibung.

2. Es kann dahinstehen, ob die gewerblich anwendbare Dichtungsanordnung des geltenden Anspruchs 1 aller Fassungen die erforderliche Neuheit aufweist, da sie für den Fachmann, hier einen Diplomingenieur mit wenigstens Fachhochschulabschluss im allgemeinen Maschinenbau und mit langjähriger Berufserfahrung im Bau von Hausgeräten vornehmlich zur Wäschebehandlung, in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik hervorgeht und somit jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

2.1. Der Fachmann findet nämlich schon im deutschen Gebrauchsmuster 81 36 238 [im Folgenden kurz mit EH4 bezeichnet] eine Dichtungsanordnung für einen Haushalt-Wäschetrockner, die eine Lösung des der vorliegenden Erfindung zugrunde gelegten Problems darstellen kann, denn sie vermag größere Toleranzen auszugleichen (siehe EH4: S.7, Z. 35).

Die EH4 ist in der mündlichen Verhandlung ausführlich diskutiert worden. Sie ist der Patentinhaberin bereits im Zusammenhang mit dem Ergebnis einer Druckschriftenermittlung nach § 43 PatG zur Kenntnis gebracht worden (siehe Anlage 1 zur Mitteilung über die ermittelten Druckschriften gemäß § 43 des Patentgesetzes vom 08./16. Juni 1998).

Die Dichtungsanordnung der EH4 ist - wie beim Streitpatent - für einen Wäschetrockner mit einer um eine wenigstens annähernd waagrechte Achse drehbaren, im wesentlichen zylindrischen Wäschetrommel 12, die im Trocknungsbetrieb von einer Trocknungsluft im wesentlichen axial durchströmt wird und zu diesem Zweck in einer der Bodenwände des Trommelzylinders mindestens eine Öffnung hat, die in einen feststehenden Trocknungsluft-Kanal mündet und deren Mündung von einer den Trocknungsluft-Kanal einschließenden und wenigstens mittelbar befestigten Ringdichtung 19 mit einer an der Bodenwand 16 der Wäschetrommel 12 anliegenden und im wesentlichen radial gerichteten Fläche mit einem textilartigen Belag 21 umgeben ist, vorgesehen. Sie ist in weiterer Übereinstimmung mit dem Streitgegenstand nach Anspruch 1 derart ausgestaltet, dass die Ringdichtung 19 im wesentlichen aus einer im entlasteten Zustand im Querschnitt gesehen wenigstens annähernd radial gerichteten elastischen Lippe 23 aus elastischem Werkstoff besteht, deren Dichtungspartie 21, 24, 28 einen axialen Freiheitsgrad zum Ausgleichen von Fertigungstoleranzen (vgl. EH4: S. 7, Z. 34 bis S. 8, Z. 4) hat.

Die zum Ausgleich der Toleranzen erforderlichen elastischen Rückstellkräfte werden dort ausschließlich von einem zusätzlichen Schaumstoffring 27 aufgebracht und bestimmt (S.7, Z. 33, 34), der zwischen dem Steg 23 und dem Fußteil 20 der Lippe angeordnet ist und auf die Lippe rückstellend wirkt, da die radial gerichtete Lippe selbst keine ausreichende Rückstellung gewährleistet. Durch den Schaumstoffring 27 ist diese bekannte Dichtungsanordnung mehrteilig und, wie der Fachmann zu erkennen vermag, vergleichsweise kompliziert im Aufbau und insgesamt aufwendig in der Herstellung.

Somit unterscheidet sich die Dichtungsanordnung nach Anspruch 1 des Hauptantrages davon dadurch, dass die elastischen Rückstellkräfte (allein) innerhalb des Werkstoffs der Lippe stark genug sind, um diese ständig in der Anlage an der Bordwand zu halten Dem Fachmann ist aus der deutschen Offenlegungsschrift 25 02 585 [im Folgenden kurz EH2] noch eine weitere Dichtungsanordnung für einen Wäschetrockner bekannt, bei welcher gerade diese Eigenschaft gegeben ist.

Die Dichtungsanordnung der EH2 arbeitet prinzipiell auf die gleiche Weise, wie die aus der EH4 bekannte Dichtung und ermöglicht wie diese den Ausgleich von Herstellungstoleranzen (siehe EH2, S. 6, Z. 30, 31).

Die dort als Stützstreifen 14 bezeichnete Lippe ist dagegen selbst aus geeigneten Materialien gebildet, um den Abnutzungsstreifen 16 (Anspruch 5: Filz) gegen die Trommel 12 mit vorbestimmter Kraft zu drücken. Die Lippe besteht also aus solch einem elastischen Werkstoff, dass die Rückstellkräfte innerhalb des Werkstoffs selbst stark genug sind, um die Lippe ständig in der Anlage an der Bordwand zu halten. Dies ermöglicht dem Fachmann den Verzicht auf den zusätzlichen Schaumstoffring der NH4.

Obschon bei jener bekannten Dichtungsanordnung zumindest nach dem dort in Fig. 1 dargestellten Ausführungsbeispiel die Dichtungsfläche mit dem textilartigen Belag im Wesentlichen axial gerichtet ist und die Dichtungspartie den zum Ausgleich von Fertigungstoleranzen erforderlichen Freiheitsgrad in radialer Richtung aufweist, sieht der Fachmann dennoch sofort die grundsätzliche Eignung einer solchen Ausgestaltung auch für eine durch die EH4 vorgegebene Einbaulage. Dies gilt um so mehr, als er durch die EH2 selbst darauf hingewiesen wird, dass er die Dichtung an die räumliche Ausbildung irgendeines Trocknergehäuses und einer Trommel (S. 6, Z. 22 - 25) anpassen kann. Er erkennt zudem, dass die dort gegenüber einem anderen (überholten) Stand der Technik hervorgehobenen Vorteile der Einfachheit und Kostengünstigkeit (S. 6, Z. 31, 32), auch gegenüber der aus der EH4 bekannten (und jüngeren) Dichtung gilt, weil der Schaumstoffring wegfallen kann.

Durch die EH2 wird der Fachmann also dazu bei Bedarf angeregt, die aus der EH4 bekannte Dichtung einfacher zu gestalten, indem er unter Verzicht auf den Schaumstoffring die Lippe wie beim Vorbild so ausbildet, dass sie selbst die erforderlichen Rückstellkräfte aufweist. Hierfür bedarf es keiner erfinderischen Tätigkeit.

Der mit dem Hauptantrag verteidigte Anspruch 1 kann deshalb mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand haben.

2.2. Die Dichtungsanordnung nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag I unterscheidet sich über das Vorstehende hinaus von jener der EH4 (und EH2) noch dadurch, dass als Werkstoff für die Lippe hochverschleißfester Nitril-Kautschuk vorgegeben ist.

Doch kennt der Fachmann Nitril-Kautschuk (Kurzzeichen NBR) als einen verschleißfesten und alterungsbeständigen Werkstoff, der als Standardmaterial besonders bei Dichtungen höchst gebräuchlich ist. Deshalb ist gerade dieser Werkstoff für ihn wegen seiner vorteilhaften Eigenschaften erste Wahl für die Lippe der Dichtungsanordnung der EH4, da er das in der EH2 (S. 5, Z. 1), die ja dem Fachmann das Vorbild für die selbst rückstellende Lippe liefert, geforderte geeignete Material dafür darstellt. Die Verwendung von Nitril-Kautschuk für die Lippe der Dichtungsanordnung gemäß Anspruch 1 des Hilfsantrages I ergibt sich dem Fachmann demzufolge auf der Grundlage seines Fachwissens in naheliegender Weise.

Auch der mit dem Hilfsantrag I verteidigte Anspruch 1 kann deshalb mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand haben.

2.3. Die Dichtungsanordnung nach Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag II unterscheidet sich über diejenige des Anspruchs 1 des Hauptantrages hinaus von jener der EH4 (und EH2) noch dadurch, dass die mit der Dichtung zusammenwirkende Fläche wulstartig und ringförmig trommelauswärts tiefgezogen ist. Anders als bei der EH4 (oder EH2) wirkt somit bei der streitpatentgemäßen Dichtungsanordnung in der Fassung des Hilfsantrages II eine ebene Dichtungspartie mit einer gewölbten Gegenfläche zusammen, während bei der EH4 (und der EH2) die Gegenfläche ebenfalls eben ausgebildet ist. Doch kennt der Fachmann die prinzipiell möglichen Flächenpaarungen bei einer Gleitringdichtung, wie sie die Erfindung (so auch die Dichtungsanordnungen der EH2 und EH4) dem Wesen nach darstellt. Das Variieren der eher gleichflächigen Dichtung der EH4 (oder EH2) hin zu einer eher linienförmigen Dichtung durch das Vorsehen einer Wulst, führt bekanntermaßen zu einer höheren spezifischen und damit wirksameren Dichtkraft bei gleichbleibender absoluter Andruckkraft. Diese Umstände sind dem Fachmann ganz geläufig. Somit stellt die Ausgestaltung der Dichtungsanordnung nach Anspruch 1 des Hilfsantrages II mit einem Wulst eine für den Fachmann naheliegende alternative Ausgestaltung der Gegenflächen der aus der EH4 (oder EH2) bekannten Dichtungsanordnungen dar. Zu dieser Ausgestaltung gelangt der Fachmann ebenfalls auf der Grundlage seines Fachwissens ohne erfinderisch tätig zu werden.

Auch der mit dem Hilfsantrag II verteidigte Anspruch 1 kann deshalb mangels erfinderischer Tätigkeit keinen Bestand haben.

Ohne rechtsbeständigen Hauptanspruch können auch die darauf zurückbezogenen, jeweils verbleibenden Unteransprüche (2 bis 7 nach Hauptantrag bzw. 2 bis 6 - in angepasster Nummerierung - nach den Hilfsanträgen I und II), die bauliche Maßnahmen beinhalten und weitere Ausgestaltungen der Dichtungsanordnung des Anspruchs 1 des jeweiligen Antrags aufweisen, nicht bestehen bleiben.

Bei dieser Sachlage war das Patent zu widerrufen.

Dellinger Richter v. Zglinitzki ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert.

Dellinger Harrer Schmitz Bb






BPatG:
Beschluss v. 29.04.2004
Az: 11 W (pat) 329/02


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