Sozialgericht Fulda:
Beschluss vom 28. März 2012
Aktenzeichen: S 4 SF 1/11 E

(SG Fulda: Beschluss v. 28.03.2012, Az.: S 4 SF 1/11 E)

Tenor

1. Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Dezember 2010 wirddahingehend abgeändert, dass die von der Erinnerungsgegnerin an dieErinnerungsführerin zu erstattenden Kosten auf 345,10 EURfestgesetzt werden.

2. Die weitergehende Erinnerung wird zurückgewiesen.

3. Die Erinnerungsgegnerin hat der Erinnerungsführerin dieHälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zuerstatten.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Höhe der derErinnerungsführerin zu erstatteten außergerichtlichen Kosten.

In dem zugrunde liegenden Eilrechtsschutzverfahren S 11 KR 5/09ER machte die Erinnerungsführerin und damalige AntragstellerinLeistungen aus der Gesetzlichen Krankenversicherung geltend. MitSchriftsatz der Antragsgegnerin und jetzigen Erinnerungsgegnerinvom 9. Februar 2009 erkannte diese den geltend gemachten Anspruchan; dieses Anerkenntnis nahm die Erinnerungsführerin mitSchriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 16. Februar 2009 an.

Mit Schriftsatz vom 9. März 2009 erklärte dieErinnerungsgegnerin zudem Kostengrundanerkenntnis bezüglich dernotwendigen außergerichtlichen Kosten der Erinnerungsführerin.

Unter dem 26. Mai 2009 beantragte die Erinnerungsführerin, dieKosten für das Verfahren S 11 KR 5/09 ER gegenüber derErinnerungsgegnerin wie folgt festzusetzen:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG250,00 EURTerminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG200,00 EURPauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG20,00 EUR470,00 EUR19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG89,30 EUR559,30 EUR,Hiergegen wandte sich die Erinnerungsgegnerin und verwiesdarauf, dass die Verfahrensgebühr für ein Eilverfahren als überhöhtanzusehen sei; eine Terminsgebühr sei nicht angefallen.

Daraufhin setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle mitKostenfestsetzungsbeschluss vom 2. Dezember 2010 die Kosten wiefolgt fest:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG170,00 EURPauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG20,00 EURZwischensumme190,00 EUR19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG36,10 EUR226,10 EUR.Hiergegen wendet sich die Erinnerungsführerin mit ihrer vom 4.Januar 2011 datierenden Erinnerung. Die Verfahrensgebühr sei inHöhe der Mittelgebühr angemessen. Auch die Terminsgebühr seiangefallen, da die Voraussetzungen der Anmerkung Nr. 3 zu Nr. 3106VV RVG vorlägen. Es sei hierfür nicht erforderlich, dass einemündliche Verhandlung für das zugrunde liegende Verfahrenvorgeschrieben sei.

In Ihrer Stellungnahme vom 1. April 2011 verteidigt dieErinnerungsgegnerin die Festsetzung der Verfahrensgebühr in Höhevon 2/3 der Mittelgebühr. Zudem sei die Privilegierung einerfiktiven Terminsgebühr nur dort gerechtfertigt, wo eine mündlicheVerhandlung erwartet werden könne. Dies sei im Eilverfahren nichtder Fall.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wirdauf die Gerichtsakte und die Akten der Ausgangsverfahren Bezuggenommen.

II.

Die zulässige Erinnerung ist teilweise begründet.

Gem. § 3 Abs. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten derSozialgerichtsbarkeit, in denen das GKG nicht anzuwenden ist,Betragsrahmengebühren. In sonstigen Verfahren werden die Gebührennach dem Gegenstandswert berechnet, wenn der Auftraggeber nicht zuden in § 183 des SGG genannten Personen gehört. Da derErinnerungsführer zu dem Kreis der Personen nach § 183 SGG zähltund das GKG somit nicht anwendbar ist, entstehen vorliegendBetragsrahmengebühren.

Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG derRechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände,vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichenTätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens-und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen(Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zuberücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten zuersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nichtverbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm nachallgemeiner Meinung auch im Anwendungsbereich desRechtsanwaltsvergütungsgesetzes ein gewisser Toleranzrahmenzusteht. Unbilligkeit liegt vor, wenn er die Kriterien des § 14Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektivnicht hinreichend beachtet. Dabei ist für jede Rahmengebühr eineeigene Prüfung der Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG erforderlich.

1. Die Höhe der festgesetzten Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VVRVG ist nicht zu beanstanden Das streitgegenständlicheAusgangseilverfahren ist, gemessen an den Kriterien des § 14 RVG,als unterdurchschnittlich einzustufen. Die Festsetzung derVerfahrensgebühr € welche zutreffend aus Nr. 3102 VV RVGbestimmt wurde € in Höhe von 170 EUR erweist sich daher alsangemessen.

Ob der Ansicht, wonach in einem Eilverfahren generell einAbschlag von 1/3 der Mittelgebühr vorzunehmen ist (vgl. HessLSGBeschl. v. 24.1.2011 € L 2 SF 30/09 E € juris Rn. 31),gefolgt werden kann, bedarf vorliegend keiner abschließendenEntscheidung, denn selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgenwollte, lässt sich für das vorliegende Verfahren keineVerfahrensgebühr rechtfertigen, welche die hier angegriffeneFestsetzung übersteigt.

2. Die Erinnerungsführerin hat allerdings Anspruch aufFestsetzung der (fiktiven) Verfahrensgebühr gem. Anmerkung 3 zu Nr.3106 VV RVG, nachdem das zugrunde liegende (Eil-)Verfahren durchangenommenes Anerkenntnis beendet worden ist. Dem stehtinsbesondere nicht entgegen, dass für Eilrechtsschutzverfahrenkeine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (§§ 86b Abs. 4, 124Abs. 3 SGG).

Allerdings ist diese Rechtsfrage in Literatur und Rechtsprechungumstritten (für die Möglichkeit einer fiktivenTerminsgebühr auch im Eilrechtsschutzverfahren etwa BayLSG, Beschl.v. 26.8.2009 € L 15 B 950/06 AS KO €, ThürLSG, Beschl.v. 26.11.2008 € L 6 B 130/08 SF € jeweils juris,Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, VV 3106 Rn. 6;AnwK-RVG/Wahlen, 5. Aufl. 2010, VV 3106 Rn. 6; dagegenetwa LSG NW, Beschl. v. 6.9.2011 € L 7 B 194/08 AS € u.v. 20.7.2011 € L 16 AL 103/10 B €, LSG SchleswigHolstein, Beschl. v. 10.9.2009 € L 1 B 158/09 SK E €,SG Berlin, Beschl. v. 18.3.2011 € S 165 SF 1563/09 E €,jeweils veröffentlicht in juris). Die Argumente gegen den Anfallder fiktiven Terminsgebühr im Eilrechtsschutzverfahren überzeugenim Ergebnis jedoch nicht.

a) Ausgehend vom Wortlaut der Anmerkung 3 zu Nr. 3106 VV RVGentsteht €[D]ie Gebühr auch, (€) wenn das Verfahrennach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlungendet.€ Das hier zugrunde liegende Verfahren S 11 KR 5/09 ERendete auf diese Weise. Dass der Begriff des Verfahrens sich nurauf Klageverfahren bezieht, ist bisher nicht vertreten worden, wäreauch mit Satz 1 von Nr. 3106 VV RVG nicht vereinbar, in demallgemein von €Verfahren vor den Sozialgerichten€ dieRede ist. Im Übrigen wird der Begriff €Verfahren€ etwain Nr. 3102 VV RVG ebenfalls ohne Weiteres auch aufEilrechtsschutzverfahren angewandt.

Soll vor diesem Hintergrund die Terminsgebühr nicht gewährtwerden, folgt dies somit nicht aus dem Verfahrensbegriff alssolchem, sondern muss sich aus anderen Umständen, die bei derGesetzesauslegung zu beachten sind, ergeben. Dies ist jedoch nichtder Fall: Weder ergibt sich unter Beachtung des weiterenAnmerkungstextes zu Nr. 3106 VV RVG eine andereWortlautinterpretation, noch ist aus systematischen, teleologischenoder historischen Gründen ein anderes Ergebnis zurechtfertigen.

aa) Zu dem Text der Anmerkung 3 zu Nr. 3106 VV RVG ist nicht derRelativsatz €für das mündliche Verhandlung vorgeschriebenist€, wie er in Anmerkung 1 enthalten ist,€hinzuzulesen€; denn er findet sich eben nur in Nr. 1,nicht in Nr. 3. Er ist auch nicht mit Bezug auf alle drei Nummernder Anmerkung, gleichsam mit generalisierender Wirkung, €vordie Klammer€ gezogen, denn dies wäre nur dann der Fall, wenner vor Nr. 1 platziert worden wäre.

Soweit hierzu vertreten wird, die Verknüpfung der Nummern mit€oder€ weise darauf hin, dass in allen Fällen einevorgeschriebene mündliche Verhandlung erforderlich sei, geht diesfehl. Die €oder€-Verknüpfung belegt nichts Anderes alsdie alternative Gleichwertigkeit der so verbundenenAnwendungsfälle. Eine Übertragung von Inhalten der somitgleichgewichtigen Alternativen untereinander ergibt sich darausgerade nicht.

Soweit das SG Berlin (Beschl. v. 18. März 2011 € S 165 SF1563/09 E € Rn. 48 unter Bezugnahme auf Entscheidungen der127. Kammer des Gerichts) höchst feinsinnig aus der Verwendung desunbestimmten Artikels in Anmerkung Nr. 1 und des bestimmtenArtikels in Nr. 3 Schlussfolgerungen ziehen will, überzeugt diesnicht. Es verkennt dabei schon den Bezugsbegriff des€das€ in Nr. 3, der sich auf den Text Nr. 3106 VV RVGselbst bezieht, in dem es (allgemein) um das €Verfahren vorden Sozialgerichten€ geht. Wegen der bereits erwähnten€oder€-Verknüpfung stehen die Anmerkungen gleichrangignebeneinander, was dazu führt, dass eine Bezugnahme untereinanderund damit die Durchbrechung der Gleichrangigkeit undSelbstständigkeit deutlicher zum Ausdruck kommen müsste.Andernfalls bleibt nur der Bezug zur sprachlich-inhaltlich€höheren€ Ebene, also dem Text zu Nr. 3106 VV RVGselbst. Dass der Gesetzgeber zur Anwendbarkeit der fiktivenTerminsgebühr auch auf Eilverfahren €auch hier denunbestimmten Artikel (»ein Verfahren«)€ hätte verwenden€müssen€, ist in keiner Weise zwingend. Es dürfte auchdie Sprachgenauigkeit des Gesetzgebers bzw. der Entwurfsverfasserdes RVG überschätzen.

Diese Auslegung ist auch unvereinbar mit Nr. 3104 VV RVG. Dennhier findet sich in Absatz 1 der Anmerkung ebenfalls die paralleleVerwendung von unbestimmtem und bestimmtem Artikel in Nr. 1 und 3.Der Artikel €das€ in Nr. 3 hat hier keinerlei Bezug zuNr. 1, vielmehr wird hier sogar ausdrücklich €vor demSozialgericht€ ergänzt und damit eine selbstständigeKategorie gegenüber den vorhergehenden Nummern gebildet € undgleichwohl findet sich der bestimmte, nicht aber der unbestimmteArtikel. Dabei wäre hier der unbestimmte Artikel umso naheliegendergewesen, weil im tatbestandlichen Text von Nr. 3104 VV RVG derBegriff des €Verfahrens€ (im Gegensatz zu Nr. 3106 VVRVG) gar nicht auftaucht, auf den sich €das€ beziehenkönnte.

bb) Letzterer Umstand führt dazu, dass sich auch aussystematischer Auslegung kein Gegenteiliges Ergebnis rechtfertigenlässt. Der Vergleich mit Nr. 3104 VV RVG belegt vielmehr, dass derGesetzgeber jeweils drei separate Fälle mit eigenständigenRegelungen normiert hat.

Soweit in diesem Zusammenhang angeführt wird, dass der Vergleichmit den Anmerkungen 1 und 2 zu Nr. 3106 VV RVG ergebe, dass diefiktive Terminsgebühr nur dann anfallen solle, wenn einRechtsanwalt die Durchführung einer mündlichen Verhandlungerzwingen könne, bleibt unerfindlich, warum dann für denGerichtsbescheid, dessen Erlass unter Verzicht auf eine mündlicheVerhandlung ebenfalls nicht von einem Einverständnis derBeteiligten abhängt und bei dem im Falle der Rechtsmittelfähigkeitebenfalls keine mündliche Verhandlung erzwungen werden kann, diefiktive Terminsgebühr gleichwohl ausdrücklich anfallen soll. DenAnmerkungen zu Nr. 3106 VV RVG ist also keineswegs gemeinsam, dasssie nur Fälle regeln, in denen ein Bevollmächtigter eine mündlicheVerhandlung erzwingen könnte.

Letztlich bleibt systematisch die Fixierung auf eine mündlicheVerhandlung auch deshalb äußerst fraglich, weil gemäß Absatz 3 derVorbemerkung 3 VV RVG die Terminsgebühr auch für die Teilnahme anErörterungsterminen gewährt wird. Dass dann eine Norm wie Anmerkung3 zu Nr. 3106 VV RVG, die nicht einmal den Begriff der mündlichenVerhandlung enthält, systematisch in einen Bezug zu einermündlichen Verhandlung gesetzt wird, überzeugt im Ergebnisnicht.

cc) Der Wille des historischen Gesetzgebers ist im Ergebnisnicht aussagekräftig. Zu Nr. 3106 VV RVG-E findet sich in derGesetzesbegründung nur der Verweis auf die Begründung zu Nr. 3102VV RVG-E. Darin ist aber das hier relevante Problem nichtangesprochen (BT-Drs. 15/1971, S. 213, 212).

Auch in der Begründung zu der wenigstens teilweise parallelenVorschrift Nr. 3104 VV RVG-E fehlen jegliche Ausführungen zu Nr. 3der Anmerkung des Absatzes 1 und damit zur Frage des angenommenenAnerkenntnisses. Allerdings wird hier zu einer Änderung gegenüberder BRAGO betreffen das Berufungsverfahren formuliert:

€Der in § 116 Abs. 2 Satz 2 BRAGO genannte Fall des § 153Abs. 4 SGG soll nicht in die neue Vorschrift aufgenommen werden.Nach dieser Vorschrift kann das Landessozialgericht die Berufungohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückweisen, wenn essie einstimmig für unbegründet erachtet. Da weder ein besondererAufwand des Anwalts ersichtlich ist, noch die Parteien eineEntscheidung ohne mündliche Verhandlung verhindern können, ist dieNotwendigkeit einer besonderen Terminsgebühr nichtersichtlich.€

Hier findet sich der historisch einzige nachweisbare Konnexzwischen der Kompetenz der Beteiligten, eine mündliche Verhandlungzu erzwingen, und der Gewährung einer fiktiven Terminsgebühr, wennauch bezogen auf das Berufungsverfahren. Allerdings ist dieArgumentation nicht schlüssig, da der fiktiven Terminsgebührregelmäßig kein terminsbezogener Aufwand des Anwalts zugrundeliegt, woraus sich ja ihr fiktiver Charakter erst ergibt. Dies istsomit kein Argument, sie auszuschließen. Die entsprechendeProblematik des Anerkenntnisses in Nr. 3 der Anmerkung wird jedochnicht thematisiert. Dies kann Viererlei bedeuten: Entweder derGesetzgeber wollte hier gerade eine andere Regelung und hat deshalbdas Anerkenntnis allgemein auch für Eilverfahren als Tatbestand fürdie fiktive Terminsgebühr angenommen und insoweit nichtsBegründendes ausgeführt. Oder er ging wie selbstverständlich davonaus, dass die Regel auf Eilverfahren keine Anwendung findet €insoweit liegen aber keine Hinweise vor.

Oder ihm war € drittens € die Problematik nichtbewusst; dafür könnte die plausible Erwägung von Röhl(jurisPR-SozR 19/2010 Anm. 6) sprechen, dass die Autoren des vordem 1. Januar 2005 in Kraft getretenen RVG die quantitativeRelevanz sozialgerichtlicher Eilverfahren infolge derZuständigkeitsänderung für Streitigkeiten nach dem SGB II und XIInicht kennen konnten und daher der kostenrechtlichenEilverfahrensproblematik im Sozialprozess keine Aufmerksamkeitgewidmet haben. Ist dies so, lässt sich nur spekulieren, was derGesetzgeber gewollt hätte, wenn es ihm bewusst gewesen wäre. Darauslässt sich aber keine Erkenntnis für die Rechtsauslegung gewinnen.Denkbar wäre dann letztendlich auch, dass die RVG-Entwurfsverfasserangesichts der aus ihrer Sicht geringen Zahl sozialgerichtlicherEilverfahren keine Sonderregelung für nötig hielten; dann sprächedies allerdings für die fiktive Terminsgebühr auch inEilrechtsschutzverfahren.

Im unlängst vorgelegten Referentenentwurfs eines ZweitenGesetzes zur Modernisierung des Kostenrechts (Stand: 13.12.2011)wird die Thematik nunmehr aufgegriffen. In Nr. 3104 VV RVG-E sollparallel zu Nr. 3106 VV RVG-E die fiktive Terminsgebühr im Falledes angenommenen Anerkenntnisses davon abhängig gemacht werden,dass mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Die Begründung (S.419 des Entwurfs) hierzu führt aus:

€Im Verfahren vor den Sozialgerichten entsteht die fiktiveTerminsgebühr auch, wenn das Verfahren nach angenommenemAnerkenntnis ohne mündliche Verhandlung endet. Mit dieser Gebührsoll dem Anwalt das Interesse genommen werden, das Anerkenntnis nurdeshalb nicht anzuerkennen, um einen Termin zu erzwingen. Daher hatdie überwiegende Rechtsprechung die fiktive Terminsgebühr in diesenFällen davon abhängig gemacht, dass grundsätzlich eine mündlicheVerhandlung vorgeschrieben sein muss (z. B. LSG Schleswig-Holstein,AGS 2010, 23 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen v. 1.3.2011, L 7 B 247/09AS, zitiert bei juris. m. w. N.). Die Vorschrift soll im Sinnedieser Rechtsprechung klargestellt werden.€

Soll dies also eine Klarstellung bedeuten, ist davon auszugehen,dass es bisher schon so gemeint war, aber nicht deutlich genug zumAusdruck kam. Hiernach wäre ein Wille des Gesetzgebers zuunterstellen, dass auch bisher keine Terminsgebühr in Eilverfahrenanfallen soll. Allerdings vermag aus Sicht der Kammer die bloßeFormulierung eines Referentenentwurfs, zukünftig etwas€klarstellen€ zu wollen, nicht, um einen Willen deshistorischen Gesetzgebers zu belegen.

Allerdings wird dann im Referentenentwurf betreffend dieBestimmung der Höhe der künftigen fiktiven Terminsgebühr Nr. 3106VV-RVG-E in prozentualer Abhängigkeit von der Verfahrensgebührausgeführt (S. 420 des Entwurfs):

€Bei der fiktiven Terminsgebühr kommt es darauf an, demAnwalt das gebührenrechtliche Interesse an der Durchführung einesTermins zu nehmen.€

Diese eindeutige Zweckdefinition des Referentenentwurfs für eineRegelung de lege ferenda dürfte aber ebenfalls nicht zureindeutigen Bestimmung der Rechtslage de lege lata herangezogenwerden können.

Insgesamt muss vor diesem Hintergrund somit festgestellt werden,dass sich bei historischer Auslegung keine durchgreifenden Gründeerkennen lassen, die gegen den Anfall einer fiktiven Terminsgebührauch im Eilverfahren sprechen.

dd) Auch aus teleologischer Sicht ergeben sich keinedurchgreifenden Argumente gegen die Anwendung der Anmerkung 3 zuNr. 3106 VV RVG im Eilverfahren. Dabei ist zunächst schon dasgrundsätzliche methodische und demokratietheoretische Problem zubeachten, dass es äußerst begründungsbedürftig ist, einem Gesetzeinen Zweck zu zuzuschreiben, wenn dieser sich nicht auch aus denGesetzesmaterialien ergibt. Denn dann gelangt der Auslegende nur zueinem telos, wenn er diesen als solchen selbst bestimmt.Damit dies nicht willkürlich subjektiv geschieht, müssenausreichende Anhaltspunkte im Gesetz selbst zu finden sein. Hieranfehlt es im Ergebnis. Ausweislich der vorstehenden Erwägungenergibt sich kein klares Bild aus den übrigenAuslegungsmethoden.

Allgemein wird hierbei jedoch € angesichts derAusführungen unter cc) durchaus nicht ohne Anknüpfungspunkte€ angenommen, dass die fiktive Terminsgebühr im Eilverfahrenausgeschlossen sein soll, weil hierfür eine mündliche Verhandlungnicht vorgeschrieben sei. Daher bedürfe es auch keines finanziellenAnreizes für einen Anwalt, um ihm das (bloße) Vergütungsinteressean der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu nehmen und aufdiesem Weg zu einer Arbeitserleichterung zu gelangen. DiesesArgument greift jedoch nicht durch, weil dann eben nicht erklärbarist, warum der Gesetzgeber dieses Kriterium in Nr. 1 der Anmerkungausdrücklich erwähnt hat, in Nr. 3 aber nicht. Wäre es der Sinn derfiktiven Terminsgebühr, einen Anreiz zu schaffen für einen Anwalt,auf einen Termin zu verzichten, den er ansonsten erzwingen könnte,wäre dies doch leicht €vor die Klammer€ zu ziehengewesen. Da dies der Gesetzgeber nicht getan hat, kann dies auchnicht als genereller Zweck der fiktiven Terminsgebührangesehen werden. Anders könnte man nur entscheiden, wenn manmeint, der Gesetzgeber habe dies versehentlich nur in Nr. 1 stattübergeordnet normiert. Hierfür fehlt es aber an Anhaltspunkten (soauch Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, Nr. 3106 VV Rn.6).

Zudem greift dieser Zweck auch bereits in Nr. 2 der Anmerkungnicht (mehr), da auch eine Entscheidung mittels Gerichtsbescheidohne mündliche Verhandlung durch Beteiligte nicht verhindert werdenkann € jedenfalls bei Rechtsmittelfähigkeit der Entscheidung.Entsprechend konsequent wird nun de lege ferenda imReferentenentwurf für das Zweite Gesetzes zur Modernisierung desKostenrechts (Stand: 13.12.2011) die fiktive Terminsgebühr beiErlass eines Gerichtsbescheids davon abhängig gemacht, dass€eine mündliche Verhandlung beantragt werden kann€.Aktuell findet sich dies aber gerade nicht im Gesetzeswortlaut.

Röhl (jurisPR-SozR 19/2010 Anm. 6) zieht als zweitentelos einer fiktiven Terminsgebühr den gebührenrechtlichen Schutzder gerechtfertigten Erwartung eines Anwalts einer mündlichenVerhandlung heran, die im Fall des Gerichtsbescheids ohneEinflussmöglichkeit des Anwalts entfalle. Dies ist nicht von derHand zu weisen, denn bei der wirtschaftlichen Bewertung derÜbernahme eines sozialgerichtlichen Mandats wird ein Rechtsanwaltin der Tat erwägen, dass er jedenfalls Verfahrens- undTerminsgebühr wird erhalten können. Einer solchen Kalkulation wirddie Grundlage entzogen, wenn das Gericht mittels einesGerichtsbescheides faktisch die Terminsgebühr€streichen€ könnte. Hier könnte dann betreffendEilrechtsschutzmandate eine andere Sichtweise angezeigt sein, weilhier regelmäßig eine mündliche Verhandlung nicht stattfindet. Diesüberzeugt jedoch nicht; denn nach der Vorbemerkung 3 zum VV RVGentsteht die Terminsgebühr auch bei Teilnahme anErörterungsterminen. Und im typisch eilrechtsschutzgeprägtenRechtsgebiet des SGB II dürfte die Durchführung einesErörterungstermins die Regel, zumindest aber in der Mehrzahl derVerfahren üblich sein. Daher kann nicht per se davon ausgegangenwerden, dass die Erwartung eines Rechtsanwalts, eine Terminsgebührzu verdienen, sich auf Hauptsacheverfahren beschränkt.

b) Nach alledem ergibt sich ein sehr uneindeutiges Bild; wieRöhl jüngst (jurisPR-SozR 6/2012 Anm. 6) in anderemZusammenhang treffend ausgeführt hat, kann sich auch hier derRechtsanwender €aus dem Argumentebaukasten der juristischenMethodenlehre weitgehend frei bedienen, um das von ihm gewünschteErgebnis zu begründen€. Das Ergebnis dürfte daher, wenn nicht€rein€ vom gewünschten Ergebnis, so doch jedenfallsdavon abhängen, welche Methode bevorzugt wird bzw. welchem Argumentin der subjektiven Gewichtung des Rechtsanwenders der Vorzuggebührt.

Ausgehend von der eingangs dargestellten Prämisse, dass durchden Wortlaut der Anmerkung Nr. 3 zu Nr. 3106 VV RVG die fiktiveTerminsgebühr im Falle eines angenommenen Anerkenntnisses ohneEinschränkung auf das Vorgeschriebensein einer mündlichenVerhandlung für beendete €Verfahren€ gewährt wird unddie übrigen Auslegungsmethoden ein gegenteiliges Ergebnis letztlichnicht zwingend begründen, fällt auch in Eilverfahren eineTerminsgebühr an, wenn diese € wie hier € durchangenommenes Anerkenntnis enden.

c) Betreffend die Höhe der festzusetzenden Terminsgebühr hältdie Kammer die Wertungen des HessLSG betreffend die fiktiveTerminsgebühr bei Erledigung der Untätigkeitsklage durchAnerkenntnis im Rechtssinne (Beschl. v. 28.11.2011 € L 2 AS517/11 B € juris Rn. 24) auf den Fall der fiktivenTerminsgebühr nach Anerkenntnis übertragbar; daher ist die halbeMittelgebühr in Ansatz zu bringen.

Somit ergibt sich folgende Kostenfestsetzung:

Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV RVG170,00 EURTerminsgebühr, Nr. 3106 VV RVG100,00 EURPauschale für Post- und Telekommunikation, Nr. 7002 VV RVG20,00 EUR290,00 EUR19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG55,10 EUR345,10 EUR.3. Die notwendige Kostenentscheidung (vgl. SG Fulda, Beschl. v.10.2.2010 € S 3 SF 22/09 E € juris Rn. 68 ff.; sonunmehr auch Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10.Aufl. 2012, § 197 Rn. 10) folgt aus § 193 SGG. Dabei war zuberücksichtigen, dass die Erinnerungsführerin neben dem anteiligenObsiegen in Bezug auf die geltend gemachte (weitere) Vergütung (ca.36 %) mit der Terminsgebühr grundsätzlich durchgedrungen ist, wasden Erstattungsanspruch erhöht.

4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 197 Abs. 2 SGG).






SG Fulda:
Beschluss v. 28.03.2012
Az: S 4 SF 1/11 E


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