Bayerischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 14. April 2008
Aktenzeichen: 22 C 07.2396

(Bayerischer VGH: Beschluss v. 14.04.2008, Az.: 22 C 07.2396)

Tenor

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 22. Januar 2007 und der Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 1. Juni 2007 werden abgeändert.

Die vom Kläger an den Beklagten im Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach zu erstattenden notwendigen Aufwendungen (Nr. I des Kostenfestsetzungsbeschlusses) werden auf 2.242,66 Euro festgesetzt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, in welcher Höhe die Prozessgebühr und die Beweisgebühr eines vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahrens im nachfolgenden Hauptsacheverfahren erstattungsfähig sind.

Der Kläger hat nach Durchführung eines gegen den Beklagten und die Beigeladene gerichteten selbstständigen Beweisverfahrens, dessen Gegenstandswert auf 50.000 DM (= 25.564,59 Euro) festgesetzt wurde, gegen den Beklagten und die Beigeladene Klage zum Landgericht Nürnberg-Fürth erhoben mit dem Ziel, dass beide Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt werden, auf einem Grundstück ein Gerinne zu errichten, das in bestimmter Weise geeignet ist, Hochwasser abzuführen. Mit Beschluss vom 5. August 1997 trennte das Landgericht die Klage gegen den Beklagten ab und verwies diese an das Verwaltungsgericht Ansbach. Das Verwaltungsgericht verurteilte den Beklagten zunächst antragsgemäß und setzte den Streitwert auf 16.000 DM fest. Mit Urteil vom 4. April 2005 (Az. 22 B 01.247) änderte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auf die Berufung des Beklagten hin das Urteil ab und wies die Klage ab. Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen wurden dem Kläger auferlegt. Das Urteil ist wegen Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 11.1.2006 Az. 7 B 53.05) rechtskräftig geworden. Die Klage gegen die Beigeladene ist noch beim Landgericht anhängig.

In seinem Kostenfestsetzungsantrag beantragte der Beklagte die Festsetzung einer Prozessgebühr und einer Beweisgebühr für das selbstständige Beweisverfahren, berechnet nach dem für dieses Verfahren festgesetzten Gegenstandswert von 50.000 DM. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts setzte für dieses Verfahren im Rahmen des Hauptsacheverfahrens vor dem Verwaltungsgericht nur eine Prozess- und Beweisgebühr fest, die nach der Höhe des Streitwerts des Hauptsacheverfahrens (16.000 DM) berechnet war.

Die hiergegen gerichtete Erinnerung wies das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 1. Juni 2007 zurück. Bei einer Verwertung eines Beweissicherungsverfahrens für mehrere nachfolgende Prozesse seien die Kosten des Beweissicherungsverfahrens anteilsmäßig den einzelnen Hauptsacheverfahren zuzurechnen. Eine andere Auffassung würde nicht berücksichtigen, dass am Landgericht Nürnberg-Fürth die Klage gegen die Beigeladene noch anhängig sei und die Kosten des Beweissicherungsverfahrens auch zu den Kosten dieser Hauptsache gehörten. Würde in beiden Verfahren die Gebühr aus jeweils 50.000 DM berechnet, so würde es zu einer weit überhöhten Kostenerstattung kommen.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Beschwerde.

Er führt aus, das Verwaltungsgericht berücksichtige nicht, dass vorliegend ursprünglich zwei Beklagte als Gesamtschuldner verklagt worden seien. Wenn sich ein Kläger entschließe, sowohl im Beweisverfahren als auch im Hauptsacheverfahren zwei Parteien voll als Gesamtschuldner heranzuziehen, die sich auch anwaltschaftlich vertreten ließen, dann trage er das Risiko, dass er bei einem Unterliegen beide Anwälte der Beklagten zu bezahlen habe. Es komme hier entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht zu einer erhöhten Kostenerstattung.

Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Beschwerde.

Die Ansetzung eines Streitwerts von nur 16.000 DM für das vorangegangene Beweisverfahren sei richtig, zumal der Rechtsstreit gegen die Beigeladene beim Landgericht Nürnberg-Fürth immer noch anhängig und deshalb eine Aufteilung des Streitwerts vorzunehmen sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg. Der Beklagte hat einen Anspruch auf Erstattung der Prozess- und Beweisgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens, berechnet nach der Höhe des in diesem Verfahren festgesetzten Gegenstandswerts von 50.000 DM. Der Kostenfestsetzungsbeschluss war dementsprechend zu ändern.

Der Verwaltungsgerichtshof entscheidet in der Sache, obwohl das Verwaltungsgericht verfahrensfehlerhaft in der Besetzung einer Einzelrichterin über die Kostenerinnerung entschieden hat. Für die Entscheidung über die Erinnerung gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss gemäß § 164 VwGO ist gemäß § 165 Satz 2, § 151 Satz 1 VwGO das Gericht des ersten Rechtszuges in der Besetzung zuständig, in der es die zugrunde liegende Kostenentscheidung getroffen hat (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 7 zu § 165 m.w.N.); vorliegend war dies die Kammer. Es steht im richterlichen Ermessen, ob bei einem solchen Verfahrensmangel die Sache gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Dem Beschwerdegericht obliegt es vorliegend, die Sache vollständig in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen, weshalb von einer Zurückverweisung abgesehen wird.

Der Beklagte hat Anspruch auf Erstattung der Prozess- und Beweisgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens, berechnet nach der Höhe des dort festgesetzten Gegenstandswerts von 50.000 DM (§ 31 Abs. 1 Nrn. 1 und 3, § 37 Nr. 3, § 48 BRAGO).

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens zu den Kosten des anschließenden Hauptsacheverfahrens gehören und von der darin getroffenen Kostenentscheidung mitumfasst werden (vgl. zuletzt BGH vom 9.2.2006 BauR 2006, 865 m.w.N.). Voraussetzung hierfür ist, dass Parteien und Streitgegenstand des Beweisverfahrens und des Hauptsacheverfahrens identisch sind, was stets dann der Fall ist, wenn im Hauptsacherechtsstreit vom Antragsteller des Beweisverfahrens ein dortiger Antragsgegner nunmehr als Beklagter hinsichtlich eines Mangels in Anspruch genommen wird, wegen dessen sich auch das Beweisverfahren bereits gegen diesen Antragsgegner gerichtet hatte. So liegt der Fall hier; insoweit sind sämtliche Beteiligte sich einig. Dass am Beweisverfahren noch ein weiterer Antragsgegner, nämlich die Beigeladene, beteiligt war, ist dabei grundsätzlich unerheblich und führt nicht dazu, dass die Kosten des Beweisverfahrens grundsätzlich nur anteilig zu erstatten sind. Vielmehr hat die obsiegende Partei Anspruch auf Erstattung ihrer gesamten Verfahrenskosten, so auch des Beweisverfahrens, wenn der im Beweisverfahren in Anspruch genommene Gegner in der Hauptsache wegen des gesamten Gegenstandes des Beweisverfahrens unterliegt (vgl. BGH vom 22.7.2004 BauR 2004, 1809). Nichts anderes kann grundsätzlich bezüglich der Verfahrenskosten eines im Beweisverfahren in Anspruch genommenen Gegners gelten, der - wie hier - in der Hauptsache obsiegt.

Dem o.g. Beschluss des Bundesgerichtshofs lag ein Fall zu Grunde, in dem der weitere Antragsgegner des Beweisverfahrens nicht verklagt wurde. Die Erwägungen, die der Bundesgerichtshof insoweit angestellt hat, gelten in gleicher Weise für die vorliegende Fallgestaltung, dass beide Gegner des Beweisverfahrens gesamtschuldnerisch vom Kläger wegen des im Beweissicherungsverfahren untersuchten Mangels verklagt werden und unterschiedliche Gerichte über den geltend gemachten Anspruch zu entscheiden haben. Trotz des Umstands, dass am Beweisverfahren ein weiterer Antragsgegner beteiligt war, bleibt es im Hauptsacheverfahren im hier allein maßgeblichen Verhältnis des Klägers zu dem Beklagten bei der erforderlichen Parteiidentität. Nachdem die Beigeladene und der Beklagte gesamtschuldnerisch verklagt wurden, wären die dieses Prozessrechtsverhältnis betreffenden Verfahrenskosten einschließlich derjenigen des Beweisverfahrens nicht geringer, wenn der weitere Antragsgegner des Beweisverfahrens (die Beigeladene) hinweggedacht würde. Dadurch, dass der Kläger beide Gegner gesamtschuldnerisch verklagt, geht er von vorneherein das Risiko ein, dass beide Parteien sich von jeweils einem Rechtsanwalt vertreten lassen und er bei einem Unterliegen die Kosten beider gegnerischen Anwälte zu erstatten hat. Insoweit kommt es dadurch, dass der Kläger vielleicht Gefahr läuft, auch vor dem Landgericht gegen die Beigeladene zu unterliegen, nicht zu einer weit überhöhten Kostenerstattung, wenn für die Berechnung der Prozess- und Beweisgebühr des Beweisverfahrens ein Wert von 50.000 DM angesetzt wird. Denn jede am Rechtsstreit beteiligte und auf die volle Leistung verklagte Partei kann ihre Rechtsanwaltskosten entsprechend der Kostenentscheidung des Gerichts gegenüber der unterlegenen Partei geltend machen; hier verwirklicht sich nur das oben genannte Risiko, das der Kläger dadurch eingeht, dass er im nachfolgenden Hauptsacheverfahren mehrere Gegner gesamtschuldnerisch für dieselbe Leistung in Anspruch nimmt, unabhängig davon, wie die unterschiedlichen Gerichte den Wert der erstrebten Leistung für den Kläger in den jeweiligen Hauptsacheverfahren ansetzen. Die Gerichtsgebühren für das Beweisverfahren bemessen sich nämlich nicht nach den in den Hauptsacheverfahren festgesetzten Streitwerten, sondern nach dem Gegenstandswert des Beweisverfahrens (vgl. BGH vom 9.2.2006 BauR 2006, 865).

Die Höhe der dem Beklagten somit zustehenden Prozess- und Beweisgebühr - berechnet aus einem Gegenstandswert von 50.000 DM - ergibt sich aus der für das Beweisverfahren (noch) geltenden Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung. Eine Gebühr entspricht gemäß § 11 BRAGO und der zugehörigen Gebührentabelle der Höhe nach der von ihm beantragten Gebühr von jeweils 1425 DM statt der im Kostenfestsetzungsbeschluss angesetzten Gebühr von jeweils 805 DM (jeweils mit Umsatzsteuer). Insoweit ergibt sich eine Differenz von 735,44 Euro zu dem bisher für den ersten Rechtszug festgesetzten, zu erstattenden Betrag von 1507,22 Euro. Da sonstige Einwände gegen die Richtigkeit der Kostenfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich sind, ist der Kostenfestsetzungsbeschluss in Höhe des vollen Unterschiedsbetrags zu ändern.

Die Entscheidung über die Kosten (außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens) folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Eine Streitwertfestsetzung war nicht erforderlich (vgl. Nr. 5502 der Anlage 1 zum GKG).






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Beschluss v. 14.04.2008
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