Oberlandesgericht München:
Urteil vom 23. Februar 2010
Aktenzeichen: 25 U 5119/09

(OLG München: Urteil v. 23.02.2010, Az.: 25 U 5119/09)

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 07.10.2009 aufgehoben.

II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte in Hinblick auf gegen die Klägerin gerichtete Schadensersatzansprüche in Höhe von 104.235,86 €, welche mit Schreiben des Rechtsanwalts H.-A. vom 23.12.2006 geltend gemacht werden, Deckungsschutz zu gewähren hat.

III. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.118,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 13.08.2008 zu bezahlen.

IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

VI. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin, eine Rechtsanwältin, nimmt die Beklagte aus einer Berufshaftpflichtversicherung in Anspruch.

Die Klägerin war im Zeitraum vom 01.08.2000 bis 31.07.2005 als angestellte Rechtsanwältin in der Rechtsanwaltskanzlei M., St. und Kollegen in I. tätig; nach außen ist die Klägerin als echte Sozia aufgetreten, ihre Eigenschaft als angestellte Rechtsanwältin ist nicht aufgeschienen. In dieser Zeit war die Klägerin bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten als Rechtsanwältin mit einer Berufshaftpflichtversicherung in Form einer Einzelpolice versichert. Dem Versicherungsvertrag lagen die von der Beklagten als Anlage B 2 vorgelegten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und Patentanwälten (mit Risikobeschreibung) € AVA-A (im Folgenden: AVB) zugrunde. Die maßgeblichen Vorschriften lauten auszugsweise:

€§ 4 Ausschlüsse Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche€ 3. wegen Schäden durch Veruntreuung durch Personal, Sozien oder Angehörige des Versicherungsnehmers;€ 5. wegen Schadenverursachung durch wissentliches Abweichen von Gesetz, Vorschrift, Anweisung oder Bedingung des Auftraggebers oder durch sonstige wissentliche Pflichtverletzung. Der Versicherungsnehmer behält, wenn dieser Ausschlussgrund nicht in seiner Person und auch nicht in der Person eines Sozius vorliegt € unbeschadet der Bestimmungen des § 7 IV 2 € den Anspruch auf Versicherungsschutz.€€§ 12 Sozien I. 1. Als Sozien gelten Berufsangehörige, die ihren Beruf nach außen hin gemeinschaftlich ausüben, ohne Rücksicht darauf, ob sie durch Gesellschaftsvertrag oder einen anderen Vertrag verbunden sind.€ III. Ein Ausschlussgrund nach § 4, der in der Person eines Sozius vorliegt, geht zu Lasten aller Sozien.€Wegen der weiteren Einzelheiten des Versicherungsvertrags und der AVB wird auf die Anlagen B 1 und B 2 Bezug genommen.

Wegen der Veruntreuung von Mandantengeldern durch Gesellschafter der Sozietät, die Rechtsanwälte St. und M., wurde die Klägerin mit Schreiben des Rechtsanwalts H.-A. vom 23.12.2006 aufgefordert, Schadensersatz in streitgegenständlicher Höhe zu leisten; hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen.

Nachdem es die Beklagte mit Schreiben vom 12. und 13.08.2008 (Anlagen K 3 und K 4) abgelehnt hat, Versicherungsschutz zu gewähren, beantragt die Klägerin im Wege der vorweggenommenen Deckungsklage die Feststellung, dass die Beklagte ihr Deckungsschutz zu gewähren habe.

Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es könne sich der bisher in den Parallelverfahren ergangenen Rechtsprechung nicht anschließen, die von dem Urteil des Oberlandesgerichts München vom 08.08.2008 (Az.: 25 U 5188/07; veröffentlicht u.a. in VersR 2009, 59) geprägt sei.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr ursprüngliches Begehren weiter und beantragt:

1. Das am 07.10.2009 verkündete Endurteil des Landgerichts Ingolstadt € Az. 52 O 2218/08 wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte in Hinblick auf gegen die Klägerin gerichtete Schadensersatzansprüche in Höhe von 104.235,86 €, welche mit Schreiben des Rechtsanwalts H.-A. vom 23.12.2006, welches ausdrücklich zum Gegenstand dieses Antrages gemacht wird, geltend gemacht werden, Deckungsschutz zu gewähren hat.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.118,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 13.08.2008 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin macht sich die Rechtsauffassung des Senats zu Eigen, wie sie in der Entscheidung vom 08.08.2008 erstmals entwickelt worden ist. Die Regelung in § 12 Abs. 3 i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 AVB sei nach § 305 c Abs. 1 BGB unwirksam und benachteilige den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen im Sinn von § 307 Abs. 1 und 2 BGB.

Die Beklagte tritt dem entgegen. Sollte der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung festhalten, müsse jedenfalls wegen der entgegenstehenden Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 25.06.2009 (Az.: 3 U 115/08) die Revision zugelassen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 23.02.2009 verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts ist begründet. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest. Der geltend gemachte Anspruch ergibt sich aus der streitgegenständlichen Berufshaftpflichtversicherung, da § 12 Abs. 3 i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 1 AVB insoweit unwirksam ist, als ein angestellter Scheinsozius keinen Deckungsschutz gegen Schadensersatzansprüche von Mandanten wegen Veruntreuungen haben soll, die von echten Sozien begangen wurden.

201. Die genannte Regelung ist nach § 305 c Abs. 1 BGB unwirksam. Danach werden Klauseln nicht Vertragsbestandteil, mit denen der Vertragspartner nicht zu rechnen braucht. Eine generell nicht überraschende Klausel kann unter § 305 c Abs. 1 BGB fallen, wenn sie in den Text falsch eingeordnet, geradezu versteckt wird. Dies ist hier der Fall. Nicht beim Haftungsausschluss, der in § 4 AVB geregelt ist, wird die Gleichstellung von Sozien mit Scheinsozien vorgenommen, sondern bei den das Versicherungsverhältnis betreffenden Regelungen (Abschnitt C der AVB), wobei § 12 die Überschrift €Sozien€ trägt, was darauf hinweist, dass eine das Versicherungsverhältnis von Sozien betreffende Bestimmung gegeben ist. Für einen angestellten Rechtsanwalt ist danach nicht zu erwarten, dass sein Versicherungsverhältnis von dieser Regelung betroffen ist, insbesondere nicht, dass eine Bestimmung dahin enthalten ist, dass auch Angestellte als Sozien gelten.

Der Senat hat den Vortrag der Beklagten beachtet, dass eine Begriffsdefinition vorliegt. § 4 AVB, der die Haftungsausschlüsse regelt, stellt jedoch keinerlei Bezug zu der im Rahmen der Regelung des Versicherungsverhältnisses getroffenen Begriffsbestimmung (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 AVB) her; die Beklagte selbst verwendet heute € wie dem Senat aus Parallelverfahren bekannt ist € wesentlich andere Bedingungen, in denen die Begriffsdefinition von Sozien bereits in § 1 Abs. 3 der Bedingungen und somit in den Regelungen zum Versicherungsschutz (§§ 1 bis 4) enthalten ist. § 12 AVB ist auch nicht als Begriffsdefinition besonders hervorgehoben, die Überschrift des § 12 AVB weist nicht explizit auf eine Definition hin und hebt sich auch nicht von den Bezeichnungen der übrigen Versicherungsbedingungen ab.

22Insoweit kommt es auch nicht darauf an, dass die Versicherung die juristisch geschulte Personengruppe der Rechtsanwälte betrifft, da es um die versteckte Anordnung und nicht das Verständnis der Klausel geht. Insbesondere ist auch in der Regelung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden und AVB-WB (abgedruckt in Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., Seite 1502 ff.) die Definition der Sozien (§ 12) nicht unter den in III. das Versicherungsverhältnis betreffenden Regelungen (§§ 7 bis 11) enthalten, sondern in einem eigenen Abschnitt IV betreffend die Besonderheiten für Rechtsanwälte und Notare (§§ 12 und 13). Soweit die Beklagte darauf hinweist, dass Versicherungsnehmer allgemein gehalten sind, Versicherungsbedingungen insgesamt und nicht nur selektiv wahrzunehmen, ist dies grundsätzlich zutreffend. Der Überraschungseffekt der streitgegenständlichen Klauseln beruht indessen, wie oben dargelegt, nicht auf einer selektiven Wahrnehmung des Versicherungsnehmers, sondern auf der konkreten Gestaltung des Klauselwerkes durch die Beklagte. Ein anderes Verständnis würde der Anwendbarkeit des § 305 c Abs. 1 BGB die Grundlage entziehen.

2. Die genannten Bestimmungen benachteiligen den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen im Sinn von § 307 Abs. 1 und 2 BGB.

24a. Die Erreichung des Vertragszwecks ist gefährdet (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB), da durch eine wesentliche Ausweitung der nach § 51 BRAO zulässigen Haftungsausschlüsse der durch den Vertrag bezweckte Versicherungsschutz nicht gewährleistet ist. Wenn eine Versicherung, die nach § 158 b Abs. 2 VVG a. F. dem Versicherungsnehmer bescheinigt, dass eine dem Gesetz entsprechende Haftpflichtversicherung besteht, erwartet dieser, dass das ihm von der Pflichtversicherung angebotene Produkt den gesetzlichen Vorgaben genügt. Die hier einschlägigen Regelungen der BRAO - § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO (Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung) und § 51 Abs. 3 Nr. 5 BRAO (Ersatzansprüche wegen Veruntreuung durch Personal, Angehörige oder Sozien des Rechtsanwalts) - sind als Ausnahmetatbestände grundsätzlich eng auszulegen. Die vom Gesetzgeber vorgesehenen Ausnahmeregelungen lassen weder nach ihrem Wortlaut noch nach ihrem Sinn erkennen, dass die Haftung von Scheinsozien nach Rechtsscheingrundsätzen vom Versicherungsschutz ausgenommen werden kann: Sofern nach § 51 Abs. 3 Nr. 5 BRAO die Haftung für Ersatzansprüche wegen Veruntreuung durch Personal, Angehörige oder Sozien des Rechtsanwalts ausgeschlossen werden kann, ist diese Regelung schon nach dem Wortlaut der Bestimmung auf Sozien, d. h. Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft begrenzt. Nach ihrem Sinn, u.a. einer Kollusion vorzubeugen (Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, Rn. 2122), lässt die Regelung eine Begrenzung der Haftpflicht der Versicherung zu. Einer auf €echte€ Sozien bezogenen Auslegung entspricht auch, dass ein Rechtsanwalt als Kanzleiinhaber oder Sozius auf Personal, wozu auch die Klägerin als angestellte Rechtsanwältin gehört, auf Angehörige und auf Mitgesellschafter Einflussmöglichkeiten hat. Demgegenüber ist im Verhältnis des Angestellten zum Dienstberechtigten ein solcher Einfluss nicht gegeben, so dass im Interesse der Versicherung dem Zweck der Regelung, Kollusion zu verhindern, entsprechend kein Bedürfnis für einen Haftungsausschluss besteht. Soweit auch die Beschränkung des Haftungsrisikos teilweise zur Begründung des Ausschlusses herangezogen wird, kann dies nicht zur erweiternden Auslegung der klaren gesetzlichen Regelung führen, da auch die Interessen des Versicherungsnehmers zu berücksichtigen sind. Diese sind bei einer angestellten Rechtsanwältin einem Arbeitgeber bzw. Sozius nicht vergleichbar.

25Soweit in § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung ausgeschlossen werden können, entspricht dies dem im privaten Versicherungsrecht geltenden Prinzip (§ 61 VVG a.F.), dass der Versicherer von der Leistungspflicht frei wird, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. § 152 VVG a. F. trifft eine Sonderregelung für die Haftpflichtversicherung dahin, dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich den Eintritt der Tatsache, für die er dem Dritten verantwortlich ist, widerrechtlich herbeigeführt hat. Der Vorsatz braucht sich nicht auf den Schadenseintritt beziehen. Es genügt, dass der Schaden auf einer wissentlichen Pflichtverletzung beruht (Henssler/Prütting, 2. Aufl., § 51 BRAO, Rn. 97). Eine wissentliche Pflichtverletzung der Klägerin als Versicherungsnehmerin, die einen Ausschluss nach § 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO begründen kann, liegt nicht vor. Es kann dahinstehen, ob die Erweiterung des Ausschlusses auch im Falle, dass der Ausschlussgrund in der Person eines Sozius vorliegt (§ 4 Nr. 5 AVB), zulässig ist. Jedenfalls stellt die Erweiterung auf sog. Scheinsozien in § 12 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 AVB eine unangemessene Benachteiligung dar, da in der Person der Klägerin der Haftungsausschlussgrund €wissentliche Pflichtverletzung€ (§ 51 Abs. 3 Nr. 1 BRAO) nicht gegeben ist und insoweit der nach § 51 Abs. 1 BRAO zwingend vorgeschriebenen Versicherungspflicht nicht genügt wird.

26Eine wissentliche Pflichtverletzung ist auch nicht darin zu sehen, dass die Klägerin als angestellte Anwältin auf dem Briefkopf einer Rechtsanwaltssozietät ohne einen Hinweis auf das Angestelltenverhältnis aufgetreten ist, da dies berufsrechtlich nach § 8 BORA zulässig ist. Die Beklagte trägt nicht vor, dass ihre Rechtsvorgängerin vor Abschluss des Versicherungsvertrages nach dem Auftreten nach Außen gefragt hat. Diese hat die Bestätigung für einen den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Versicherungsschutz erteilt. Die Erreichung des Vertragszweckes wird gefährdet, weil durch die Versicherungsbedingungen der bestimmungsgemäße Versicherungsschutz eingeschränkt ist.

Auch über § 13 AVB wäre für eine angestellte Rechtsanwältin eine andere Vertragskonstruktion nicht in Betracht gekommen. Diese Bestimmung betrifft die Erweiterung des versicherten Risikos des Arbeitgebers durch Anstellung eines zuschlagspflichtigen Mitarbeiters, der nicht Sozius im Sinne von § 12 Abs. 1 Nr. 1 AVB ist. Die Klägerin, die nach § 51 BRAO eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen hatte, hatte nach den Versicherungsbedingungen der Beklagten ausweislich der Regelung in § 4 Nr. 4 AVB keinen Versicherungsschutz aus der Tätigkeit als angestellte Rechtsanwältin. Wird die Tätigkeit als Rechtsanwalt in einem Angestelltenverhältnis ausgeübt, so besteht im Rahmen der eigenen Berufshaftpflichtversicherung hierfür kein Versicherungsschutz. Es ist darauf zu achten, dass eine solche Tätigkeit über den Versicherungsvertrag des Prinzipals erfasst wird. Daneben ist jedoch der Abschluss einer eigenen Berufshaftpflichtversicherung erforderlich, um den Erfordernissen der BRAO im Hinblick auf das Führen der Berufsbezeichnung €Rechtsanwalt€ zu entsprechen (Sassenbach in Münchner Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, herausgegeben von Terbille, 2. Aufl., § 18 Rn. 7).

28b. Eine unangemessene Benachteiligung liegt auch darin, dass die Regelung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Im Versicherungsrecht erfolgt die Zurechnung vorsätzlichen Verhaltens durch eine dritte Person im Verhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung nur dann, wenn der Dritte Repräsentant des Versicherungsnehmers ist. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (BGH VersR 1996, 1229, 1230 unter 2. b aa). Dies ist nicht der Fall. Die Klägerin hat keinerlei Aufgaben und Befugnisse auf die Sozien übertragen. Sie war ihrerseits als Angestellte in deren Auftrag tätig. Die Zurechnung eines durch einen Sozius begangenen Verstoßes auf freie Mitarbeiter oder Angestellte stellt faktisch eine Ausweitung der Repräsentantenhaftung durch Allgemeine Versicherungsbedingungen dar und benachteiligt den Versicherungsnehmer unangemessen. Der Senat schließt sich deshalb v. Rintelen in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl., § 26, Rn. 296 an. Selbstverständlich hat der Versicherer ein Interesse daran, für wissentliche Pflichtverletzungen und Veruntreuungen in keinem Fall € auch nicht im Wege des Versicherungsschutzes für die Rechtsscheinhaftung von Scheinsozien € einstehen zu müssen und bezüglich der Haftung von Sozien und Scheinsozien gegenüber Dritten in gleicher Weise die versicherungsrechtliche Deckung auszuschließen. Die Beklagte hat aber durch die streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen ihre Leistungsfreiheit einseitig zu Lasten der aus Rechtsscheinsgesichtspunkten in Anspruch genommenen Scheinsozien durchgesetzt.

Diesen Erwägungen steht auch nicht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in NJW 2007, 2490 entgegen, wonach das deliktische Verhalten eines Scheinsozius wegen des gesetzten Rechtscheins der Sozietät entsprechend § 31 BGB zuzurechnen ist. Diese Entscheidung betrifft nicht die Frage, inwieweit im Verhältnis zur Versicherung ein Dritter Repräsentant des Versicherungsnehmers ist. Repräsentant kann nur sein, wer befugt ist, selbständig in einem gewissen, nicht ganz unbedeutenden Umfang für den Versicherungsnehmer zu handeln (BGH VersR 1996, 1229, 1230). Dies setzt voraus, dass ihm vom Versicherungsnehmer wesentliche Aufgaben und Befugnisse zur selbständigen umfassenden Erledigung übertragen worden sind. Weder die Sozietät noch deren Gesellschafter sind im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsverhältnisses Repräsentanten der Klägerin.

III.

Die geltend gemachten vorgerichtlichen Kosten sind nach §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu ersetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat auch die Kosten der Berufung zu tragen (Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl., § 97 Rn 8).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Es ist nicht ersichtlich, dass über den vorliegenden Fall hinaus die Entscheidung für die Allgemeinheit von Bedeutung ist. Eine entscheidungserhebliche klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BVerfG NJW 2009, 572, 573), liegt nicht vor. Gegenstand der Beurteilung ist die spezielle Regelung in den konkreten Versicherungsbedingungen der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Weder in den von der Beklagten selbst verwendeten Bedingungen noch in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen zur Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden und AVB-WB (abgedruckt in Prölss/Martin, 27. Aufl., Seite 1502 ff.) ist die Sozienklausel in entsprechender Weise versteckt eingegliedert. Ein abstraktes Klärungsinteresse, ob die Regelung wegen der konkreten Einordnung in das Klauselwerk überraschend ist, kann angesichts der speziellen Regelung nicht bejaht werden. Selbst wenn bei der Beklagten per August 2009 noch 18.010 Versicherungsverträge mit dem streitgegenständlichen Bedingungswerk geführt werden, ergibt sich hieraus nicht, dass sich die klärungsbedürftige Rechtsfrage tatsächlich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen wird. Die Beklagte war selbst nicht in der Lage, neben den die ehemalige Kanzlei M., St. und Kollegen betreffenden Fällen weitere aktuelle Fälle zu benennen, weshalb sie sich veranlasst sah, sich auf eine entsprechende Fallkonstellation zu beziehen, über die der Bundesgerichtshof im Jahre 1990 zu befinden hatte. Dass ein Rechtsanwalt als Mitglied einer Sozietät Mandantengelder veruntreut, für die ein angestellter Scheinsozius in Anspruch genommen wird, dürfte eine absolute Ausnahmesituation darstellen.

Ob die Revision im Hinblick auf die Frage eines Verstoßes der Regelung gegen § 307 BGB zuzulassen wäre, kann letztlich dahinstehen. Denn diese Frage ist hier nicht entscheidungserheblich, weil bereits nach dem im konkreten Einzelfall verwendeten Bedingungswerk die in Frage stehenden Klauseln nach § 305 c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil geworden sind. Die hierzu unter II 1 dargelegten Gründe tragen die Entscheidung. Die Zulassung der Revision setzt voraus, dass die zu klärende Rechtsfrage entscheidungserheblich ist. Daran fehlt es, wenn € wie hier € die Entscheidung auf eine zweite Begründung gestützt wird, die das Ergebnis trägt (Musielak/Ball, 6. Aufl., § 543 ZPO Rn 9 k).

Die Zulassung der Revision ist auch zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Die Entscheidung des OLG Frankfurt am Main vom 25.6.2009 (Az.: 3 U 115/08) betrifft eine völlig andere Fallkonstellation, wie das OLG Frankfurt am Main in seiner Entscheidung (S. 8 und 10) selbst hervorhebt, weshalb sich dem Senat nicht erschließt, warum das OLG Frankfurt am Main angesichts seiner eigenen Ausführungen die Revision zugelassen hat.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.






OLG München:
Urteil v. 23.02.2010
Az: 25 U 5119/09


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