Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 5. Februar 2002
Aktenzeichen: 7 WF 20/02

(OLG Hamm: Beschluss v. 05.02.2002, Az.: 7 WF 20/02)

Tenor

Der angefochtene Beschluß wird dahin geändert, daß der Streitwert für die erste Instanz 9.050,00 DM beträgt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet (§ 25 Abs. 4 GKG).

Gründe

I.

Es geht um eine Beschwerde gegen eine erstinstanzliche Streitwertfestsetzung in einem Unterhaltsänderungsverfahren. Gegen den Beklagten bestanden Titel, nach denen er an die Klägerin zu 1) monatlich 275,00 DM, an die Klägerin zu 2) monatlich 212,00 DM zu zahlen hatte.

Mit der Klage verlangten die Klägerinnen auf der Grundlage eines ab Januar 2001 erhobenen Änderungsverlangens Rückstände für die Zeit von Januar 2001 in Höhe von 1.410,00 DM (Klägerin zu 1)) und 1.314,00 DM (Klägerin zu 2)) und laufend ab Juli 2001 eine Änderung der Unterhaltsrenten auf monatlich 525,00 DM (Klägerin zu 1)) und 444,00 DM (Klägerin zu 2)).

Im Laufe des Verfahrens erhob der Beklagte Widerklage mit dem Antrag, die Titel ab August 2001 dahin zu ändern, daß er keinen Unterhalt mehr an die Klägerinnen zu zahlen habe.

Das Amtsgericht setzte zunächst den Streitwert auf 8.268,00 DM fest. Auf Beschwerde der Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen setzte es ihn anderweitig auf 14.352,00 DM (Summe der Rückstände + voller Jahresbetrag nach dem Begehren der Klägerinnen) fest.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Beklagten, der einen Streitwert von 10.992,00 DM für richtig hält. Er macht geltend, die Streitwerte von Klage und Widerklage dürften nicht addiert werden, soweit sie denselben Gegenstand betreffen.

II.

Die Beschwerde hat teilweise Erfolg.

1.

Die Entscheidung ist anhand § 19 Abs. 1 S. 1 und 3 GKG zu treffen. Die entscheidende Frage ist danach, ob und inwieweit Klage und Widerklage denselben Gegenstand betreffen. Wenn und soweit das der Fall ist, sind die Streitwerte nicht zu addieren, vielmehr bestimmt der höhere Wert von Klage oder Widerklage insoweit den Streitwert.

2.

Das ist hier jedenfalls unproblematisch für die Zeit von Januar bis Juli 2001 (im wesentlichen Rückstände). Für diese Zeit gab es nur eine Klage. Es sind also auf jeden Fall die Rückstände für die Monate Januar bis Juni in Höhe von 1.410,00 und 1.314,00 DM bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen. Ob und wie die laufende Erhöhung ab Juli 2001, für die es keine zeitlich kongruente Widerklage gab, zu berücksichtigen ist, wird später erörtert.

3.

Ab August standen sich Klage und Widerklage mit folgenden Volumen gegenüber:

Klage:

12 x (525 - 275) = 3.000,00 DM

12 x (444 - 212) =2.784,00 DM

Summe der Klage 5.784,00 DM

Widerklage:

12 x 275 = 3.300,00 DM

12 x 212 =2.544,00 DM

Summe der Widerklage 5.844,00 DM.

Die Teilforderungen von Klage und Widerklage betreffend die beiden Klägerinnen betrachtet der Senat einheitlich. Danach ist der Wert der Widerklage hier insgesamt der höhere. Greift das Additionsverbot des § 19 Abs. 1 S. 3 GKG, so beträgt der Streitwert (5.844,00 DM + 1.410,00 DM + 1.314,00 DM) 8.568,00 DM.

Dieser Betrag wäre eventuell wegen des Erhöhungsverlangens für Juli 2001 noch um 250,00 DM + 232,00 DM zu erhöhen. Das soll auch hier nicht entschieden werden.

4.

Die Frage, ob - soweit zeitliche Deckung besteht - Klage und Widerklage auf Änderung eines bestehenden Titels "denselben Gegenstand" i.S.d. § 19 Abs. 1 S. 3 GKG betreffen mit der Folge, daß nicht zu addieren ist, ist sehr umstritten. Das strukturell selbe Problem stellt sich, wenn Eheleute mit Klage und Widerklage wechselseitig Zugewinn verlangen.

a)

Für dieses Problem gibt es eine unstreitige Ausgangsregel, die sich schon in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung findet (RGZ 145, 164; sie wird bei allen nachfolgend zitierten Autoren zustimmend aufgenommen). Danach ist derselbe Gegenstand betroffen, wenn die Ansprüche einander ausschließen, also die Zuerkennung des einen auch nur zu einem geringen Teil die volle Aberkennung des anderen zwingend nach sich zieht.

Geht man von dieser Regel aus, so ist der vorliegende Fall klar. Es ist nicht zu addieren. Ändert man nämlich auf die Klage den Unterhalt um auch nur den geringsten Betrag (die Wesentlichkeitsgrenze des § 323 Abs. 1 ZPO spielt im vorliegenden Argumentationszusammenhang keine Rolle) nach oben, steht damit fest, daß die Widerklage ganz abgewiesen werden muß. Dasselbe gilt auch umgekehrt.

b)

Die ganz herrschende Meinung (Göttlich-Mümmler, BRAGO, 20. Aufl., Stichwort Widerklage; Anders/Gehle, Streitwertlexikon, 3. Aufl., Stichwort Widerklage, Rdn. 5 ff.; Schneider-Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl., Rdn. 2625 ff.; Oestereich/ Winter/Hellstab, Streitwerthandbuch, 2. Aufl., Stichwort Widerklage; Markl-Meyer, GKG, 4. Aufl., § 19 Rdn. 12 ff.; OLG Bamberg, FamRZ 1995, 492) macht für Fälle der vorliegenden Art und für strukturell ähnliche Fälle Ausnahmen. Danach soll eine Addition erfolgen, wenn Klage und Widerklage "verschiedene Teilansprüche aus demselben Rechtsverhältnis (Schneider-Herget, a.a.O., Rdn. 26/27, Schneider, MDR 1965, 947) betreffen, wenn "verschiedene Teile einer einheitlichen Forderung" geltend gemacht werden (Markl-Meyer, a.a.O.), wenn "die wirtschaftliche Einheit" fehlt (Stein-Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 5 Rdn. 34 f.), wenn "nicht dasselbe ökonomische oder außerökonomische Interesse betroffen ist" (Göttlich-Mümmler, BRAGO, 20. Aufl., Stichwort "Widerklage").

Das Durchmustern der verschiedenen Erörterungen zeigt schon wenig überzeugende Differenzierungen. Das sei nur an zwei Beispielen aufgezeigt. Bei Oestereich/ Winter/Hellstab wird am angegebenen Ort die oben zitierte allgemein anerkannte Regel aufgezeigt (Bejahung der Klage auch nur zu einem geringen Teil bedeutet Verneinung der Widerklage). Es wird weiter ausgeführt, daß auf diese Weise § 19 Abs. 1 GKG dem Gesichtspunkt Rechnung trage, daß die gemeinschaftliche Behandlung von Klage und Widerklage zusätzlichen Arbeitsaufwand erspare. Wenn dann ausgeführt wird, es handele sich z.B. um denselben Gegenstand i.S.d. § 19 Abs. 1 S. 3 GKG bei wechselseitigen Zugewinnausgleichsklagen von Ehegatten und gleichzeitig für die vorliegende Konstellation ausgeführt wird, es handele sich nicht um denselben Streitgegenstand, so ist das nicht nachzuvollziehen.

Ähnliches gilt (nur beispielsweise) für die Ausführungen bei Anders/Gehle, a.a.O., wo wiederum ausgehend von der anerkannten Regel für gegensätzliche Zugewinnausgleichsklagen die Nichtaddition damit begründet wird, der Zugewinnausgleichsanspruch könne nur in einer Richtung begründet sein, während für wechselseitige Änderungsklagen die Addition befürwortet wird mit der Begründung, es seien verschiedene Teile des materiellen Anspruchs betroffen.

In beiden Fällen ist es so, daß gerade fraglich ist, in welcher Höhe ein materieller Anspruch für wen besteht. Diese Argumentation geht also völlig ins Leere.

Von ähnlicher Beliebigkeit sind, soweit überhaupt vorhanden, die weiteren Begründungen in Literatur und Rechtsprechung.

Hinter all den Kriterien, die für eine Addition entgegen der Anordnung des § 19 Abs. 1 S. 3 GKG angeführt werden, steckt derselbe Gedanke: Die zusätzliche Arbeit soll für Rechtsanwälte und Fiskus honoriert werden. Das mag, sofern eine zusätzliche Arbeit vorliegt, richtig sein. Jedenfalls für die hier vorliegende Fallstruktur trägt das nicht. Hier greift vielmehr der Grundsatz, daß Rechtsanwälte und Fiskus, wenn sie in einem Arbeitsgang das Problem von Klage und Widerklage zwingend einheitlich entscheiden müssen, nur nach dem höheren Wert bezahlt werden sollen.

Man denke sich vorliegend nur die Klage:

Die Kläger tragen schlüssig vor (Alter, keine eigenen Einkünfte, Abstammungsverhältnis, Hinweis auf Tabellenwerte usw.). Der Beklagte verteidigt sich substantiiert mit einer Darlegung seiner Leistungsunfähigkeit. All das müssen Gerichte und Anwälte durcharbeiten und durchdenken. Was immer man zu dieser Klage dann bei dem Durcharbeiten und Durchdenken annimmt, entscheidet zugleich über das Schicksal eines denkbaren gegenläufigen Begehrens.

Das Gericht und die Rechtsanwälte müssen nichts mehr durcharbeiten, wenn der Beklagte zusätzlich (in welchem Umfang auch immer) unter Berufung auf seine bereits zur Verteidigung gegen die Klage vorgetragene Leistungsunfähigkeit Widerklage erhebt.

In solchen Fällen greift der den streitenden Bürger begünstigende Grundsatz, daß nicht zu addieren ist, wenn die Zuerkennung der Klage zwingend die Abweisung der Widerklage bedingt.

5.

Insgesamt ergibt sich damit ein Streitwert von

Rückstände 1.410,00 DM

1.314,00 DM

Klage für 7/01 250,00 DM

232,00 DM

höhere Widerklage ab 8/015.844,00 DM

9.050,00 DM.






OLG Hamm:
Beschluss v. 05.02.2002
Az: 7 WF 20/02


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