Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. April 2010
Aktenzeichen: 35 W (pat) 458/08

(BPatG: Beschluss v. 27.04.2010, Az.: 35 W (pat) 458/08)

Tenor

1.

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Deutschen Patentund Markenamtes -Gebrauchsmusterabteilung I -vom 12. Juni 2008 aufgehoben.

2.

Das Gebrauchsmuster 201 22 563 wird im vollem Umfang gelöscht.

3.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

4.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Löschungsverfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe

I.

Die Antragsgegnerin (Beschwerdeführerin I und Beschwerdegegnerin zu II) ist seit 14. Juli 2006 in Rechtsnachfolge Inhaberin des von der U... (S.A.) unter der Bezeichnung

"Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften, das durch Tiefziehen ausgehend von einem gewalzten und insbesondere warmgewalzten und beschichteten Bandstahlblech in Form gebracht worden ist"

angemeldeten Gebrauchsmusters DE 201 22 563, welches am 11. Mai 2006 in das beim Deutschen Patentund Markenamt geführte Gebrauchsmusterregister eingetragen und für das der Zeitrang der Anmeldung FR 0004427 vom 7. April 2000 in Anspruch genommen worden ist, dessen Schutzdauer auf 10 Jahre verlängert wurde. Es umfasst in der eingetragenen Fassung 10 Schutzansprüche, von denen die drei nebengeordneten Ansprüche 1 bis 3 wie folgt lauten:

1.

"Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften, bestehend aus einem mit einer intermetallischen Legierungsverbindung beschichteten, tiefgezogenen Blechzuschnitt, der durch Zuschneiden eines gewalzten, insbesondere warmgewalzten Bandstahlblechs entstanden ist, wobei das Bandstahlblech mit einem Metall oder einer metallischen Legierung beschichtet ist, welche einen Schutz der Oberfläche und des Stahls sicherstellen, die intermetallische Legierungsverbindung aus einer Transformation der Beschichtung aus dem Metall oder der Metalllegierung vor oder nach dem Tiefziehen hervorgegangen ist, die intermetallische Legierungsverbindung an der Oberfläche durch die durch eine Temperaturerhöhung über 700¡ C realisierte Transformation gebildet ist und einen Schutz gegen die Korrosion und gegen die Entkohlung des Stahls sicherstellt sowie eine Schmierfunktion bewirkt, wobei das Metall oder die metallische Legierung der Beschichtung Zink oder eine Legierung auf der Basis von Zink ist.

2.

Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften, das durch ein Umformungsverfahren durch Tiefziehen ausgehend von einem gewalzten, insbesondere warmgewalzten Bandstahlblech erhalten wird, welches mit einem Metall oder einer metallischen Legierung aus Zink oder einer Legierung auf der Basis von Zink beschichtet ist, welche einen Schutz der Oberfläche und des Stahls sicherstellen, wobei in dem Verfahren das Blech zugeschnitten wird, um einen Blechzuschnitt zu erhalten, ein Warmtiefziehvorgang ausgehend von dem Blechzuschnitt ausgeführt wird, um das Werkstück zu erhalten, vor dem Tiefziehen an der Oberfläche eine intermetallische Legierungsverbindung realisiert wird, die einen Schutz gegen die Korrosion und gegen die Entkohlung des Stahls sicherstellt, und durch diese Verbindung eine Schmierfunktion bewirkbar ist, und die Verbindung durch eine Transformation der Beschichtung in eine intermetallische Legierung durch eine Temperaturerhöhung über 700¡ C erhalten wird, und die für den Tiefziehvorgang notwendigen Blechüberschüsse durch Zuschneiden entfernt werden.

3.

Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften, das durch ein Umformungsverfahren durch Tiefziehen ausgehend von einem gewalzten, insbesondere warmgewalzten Bandstahlblech erhalten wird, welches mit einem Metall oder einermetallischen Legierung aus Zink oder einer Legierung auf der Basis von Zink beschichtet ist, welche einen Schutz der Oberfläche und des Stahls sicherstellen, wobei in dem Verfahren das Blech zugeschnitten wird, um einen Blechzuschnitt zu erhalten, ein Kalttiefziehvorgang ausgehend von dem Blechzuschnitt ausgeführt wird, um das Werkstück zu erhalten, nach dem Tiefziehen an der Oberfläche eine intermetallische Legierungsverbindung realisiert wird, die einen Schutz gegen die Korrosion und gegen die Entkohlung des Stahls sicherstellt, und durch diese Verbindung eine Schmierfunktion bewirkbar ist, und die Verbindung durch eine Transformation der Beschichtung in eine intermetallische Legierung durch eine Temperaturerhöhung über 700¡ C erhalten wird, und die für den Tiefziehvorgang notwendigen Blechüberschüsse durch Zuschneiden entfernt werden."

Bezüglich der auf die nebengeordneten Schutzansprüche 1 bis 3 rückbezogenen eingetragenen Schutzansprüche 4 bis 10 wird auf die Gebrauchsmusterschrift DE 201 22 563 U1 verwiesen.

Die Antragsstellerin (Beschwerdeführerin II und Beschwerdegegnerin zu I) hat mit Schriftsatz vom 29. Juni 2006 die Löschung des Gebrauchsmusters in vollem Umfang wegen fehlender Schutzfähigkeit nach den §§ 1 bis 3 GebrMG beantragt. Zur Stütze ihres Vorbringens verweist sie u. a. auf die Druckschriften:

D1 EP0971044A1 A4 JP 6-158172 A5 Maschinenübersetzung der JP 6-158172 und Anlage 3: deutscheÜbersetzung der JP 6-158172 A6 Stahl im Automobilbau, Verlag Stahleisen GmbH, Düsseldorf, 1999, S. 60 bis 66 A8 alvannealed -Feinbleche für die Automobilindustrie, Stahl und Eisen 109 (1989) 3, S. 105 bis 110 A10 GB 1 411 999 Die Antragsgegnerin hat dem Löschungsantrag rechtzeitig widersprochen und beantragt die Zurückweisung des Löschungsantrags gemäß Hauptantrag mit den eingetragenen Schutzansprüchen und gemäß Hilfsantrag mit den in der mündlichen Verhandlung vom 12. Juni 2008 vor der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patentund Markenamtes vorgelegten Schutzansprüchen 1 bis 9. Die nebengeordneten Schutzansprüche 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag lauten:

1.

"Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften, bestehend aus einem mit einer intermetallischen Legierungsverbindung beschichteten, tiefgezogenen Blechzuschnitt, der durch Zuschneiden eines gewalzten, insbesondere warmgewalzten Bandstahlblechs entstanden ist, wobei das Bandstahlblech mit einem Metall oder einer metallischen Legierung beschichtet ist, welche einen Schutz der Oberfläche und des Stahls sicherstellen, die intermetallische Legierungsverbindung aus einer Transformation der Beschichtung aus dem Metall oder der Metalllegierung vor oder nach dem Tiefziehen hervorgegangen ist, die intermetallische Legierungsverbindung an der Oberfläche durch die durch eine Temperaturerhöhung über 700¡ C realisierte Transformation gebildet ist und einen Schutz gegen die Korrosion und gegen die Entkohlung des Stahls sicherstellt sowie eine Schmierfunktion bewirkt, wobei das Metall oder die metallische Legierung der Beschichtung Zink oder eine Legierung auf der Basis von Zink ist, und dass das Bandstahlblech in Gewichts % 0,15 bis 0,25 % Kohlenstoff, 0,8 bis 1,5 % Mangan, 0,1 bis 0,35 % Silizium, 0,01 bis 0,2 % Chrom, 0 bis 0,1 % Titan, 0 bis 0,1 % Aluminium, 0 bis 0,05 % Phosphor, 0 bis 0,03 % Schwefel und 0,0005 bis 0,01 % Bor enthält.

2.

Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften, das durch ein Umformungsverfahren durch Tiefziehen ausgehend von einem gewalzten, insbesondere warmgewalzten Bandstahlblech erhalten wird, welches mit einem Metall oder einer metallischen Legierung aus Zink oder einer Legierung auf der Basis von Zink beschichtet ist, welche einen Schutz der Oberfläche und des Stahls sicherstellen, wobei in dem Verfahren das Blech zugeschnitten wird, um einen Blechzuschnitt zu erhalten, ein Warmtiefziehvorgang ausgehend von dem Blechzuschnitt ausgeführt wird, um das Werkstück zu erhalten, vor dem Tiefziehen an der Oberfläche eine intermetallische Legierungsverbindung realisiert wird, die einen Schutz gegen die Korrosion und gegen die Entkohlung des Stahls sicherstellt, und durch diese Verbindung eine Schmierfunktion bewirkbar ist, und die Verbindung durch eine Transformation der Beschichtung in eine intermetallische Legierung durch eine Temperaturerhöhung über 700¡ C erhalten wird, und die für den Tiefziehvorgang notwendigen Blechüberschüsse durch Zuschneiden entfernt werden, und dass das Bandstahlblech in Gewichts % 0,15 bis 0,25 % Kohlenstoff, 0,8 bis 1,5 % Mangan, 0,1 bis 0,35 % Silizium, 0,01 bis 0,2 % Chrom, 0 bis 0,1 Titan, 0 bis 0,1 % Aluminium, 0 bis 0,05 % Phosphor, 0 bis 0,03 % Schwefel und 0,0005 bis 0,01 % Bor enthält.

3.

Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften, das durch ein Umformungsverfahren durch Tiefziehen ausgehend von einem gewalzten, insbesondere warmgewalzten Bandstahlblech erhalten wird, welches mit einem Metall oder einermetallischen Legierung aus Zink oder einer Legierung auf der Basis von Zink beschichtet ist, welche einen Schutz der Oberfläche und des Stahls sicherstellen, wobei in dem Verfahren das Blech zugeschnitten wird, um einen Blechzuschnitt zu erhalten, ein Kalttiefziehvorgang ausgehend von dem Blechzuschnitt ausgeführt wird, um das Werkstück zu erhalten, nach dem Tiefziehen an der Oberfläche eine intermetallische Legierungsverbindung realisiert wird, die einen Schutz gegen die Korrosion und gegen die Entkohlung des Stahls sicherstellt, und durch diese Verbindung eine Schmierfunktion bewirkbar ist, und die Verbindung durch eine Transformation der Beschichtung in eine intermetallische Legierung durch eine Temperaturerhöhung über 700¡C erhalten wird, und die für den Tiefziehvorgang notwendigen Blechüberschüsse durch Zuschneiden entfernt werden, und dass das Bandstahlblech in Gewichts % 0,15 bis 0,25 % Kohlenstoff, 0,8 bis 1,5 % Mangan, 0,1 bis 0,35 % Silizium, 0,01 bis 0,2 % Chrom, 0 bis 0,1 % Titan, 0 bis 0,1 % Aluminium, 0 bis 0,05 % Phosphor, 0 bis 0,03 % Schwefel und 0,0005 bis 0,01 % Bor enthält."

Wegen des Wortlauts der auf die nebengeordneten Ansprüche 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag rückbezogenen Ansprüche 4 bis 9 wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

Die Antragsgegnerin stützt sich in ihrem Widerspruch auf die Druckschriften:

AG5 THE BOOK OF STEEL, G. Beranger u. a., 1996, ins. S. 936 AG6 Tagungsunterlagen, Forum für Metallurgie, 2006 AG7 EP1013785B1 AG8 DE 699 33 751 T2 (Übersetzung von AG7) AG9 Auszug aus 5th. International Conference on Zinc and Zinc Alloy Coated Steel Sheet, GALVATECH« 2001, S. 385 ff.

Die Gebrauchsmusterabteilung I hat auf die mündliche Verhandlung vom 12. Juni 2008 das Streitgebrauchsmuster teilgelöscht, soweit es über die Fassung gemäß Hilfsantrag hinausgeht und im Übrigen den Löschungsantrag zurückgewiesen. Sie hat die Gegenstände der unabhängigen eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 3 gegenüber dem aus A10, die als nächstliegendem Stand der Technik anzusehen sei, und A4/A5 bekannten Stand der Technik nicht als erfinderisch erachtet. Die Gegenstände der zulässigen Schutzansprüche nach Hilfsantrag seien hingegen gegenüber den im Verfahren genannten Druckschriften neu und beruhten auf einem erfinderischen Schritt.

Gegen diesen Beschluss richten sich die Beschwerden der Antragsstellerin und der Antragsgegnerin.

Die Antragsgegnerin verteidigt das Gebrauchsmuster in der mündlichen Verhandlung am 27. April 2010 gemäß Hauptantrag im Umfang der eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 10, hilfsweise im Umfang der mit Schriftsatz vom 21. Januar 2010 eingereichten Schutzansprüche 1 bis 9 und weiter hilfsweise mit den gemäß Hilfsantrag in der mündlichen Verhandlung vom 12. Juni 2008 vor der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patentund Markenamtes vorgelegten Schutzansprüchen 1 bis 9.

Die Schutzansprüche in der mit Schriftsatz vom 21. Januar 2010 hilfsweise eingereichten Fassung entsprechen den Schutzansprüchen gemäß Hauptantrag, wobei in den unabhängigen Schutzansprüchen 1 bis 3 bezüglich der sehr hohen mechanischen Eigenschaften des Werkstücks jeweils die Angabe "durch Abschreckhärtung bei einer über der kritischen Abschreckgeschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit erhaltenen" hinzugefügt ist, im Schutzanspruch 4 bezüglich der Abkühlung "des warm umgeformten Werkstücks" ergänzt ist und der Schutzanspruch 7 gestrichen ist.

Bezüglich des Wortlauts der Schutzansprüche 1 bis 9 gemäß dieser hilfsweise verteidigten Fassung wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Die Gebrauchsmusterinhaberin legt dar, dass die Gegenstände des Streitgebrauchsmusters Werkstücke mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften seien, die ausgehend von mit Zink oder einer Zinklegierung beschichteten härtbaren Stahlblechen, ausstanzen der Stücke, Transformation der Schicht und Härtung durch Abschrecken erhältlich seien. Beim Stand der Technik würden dagegen lediglich nicht härtbare Stähle für eine Verzinkung zugrunde gelegt, wogegen bei härtbaren Stählen nur eine Aluminiumbeschichtung verwirklicht würde. Der Fachmann würde auch die Erhitzung einer auf einem Bandstahlblech aufgebrachten Zinkschicht über den Schmelzpunkt des Zinks zur Bildung einer legierenden Verzinkung nicht in Betracht ziehen, da er davon ausgehe, dass Zink bei diesen Temperaturen abschmelze und damit eine effektive Verzinkung des Bandstahlbleches unmöglich sei. Als weiteren Beleg hierfür legt sie die nachveröffentlichte Druckschrift AG12 EP 1 439 240 A1 vor. Die Gegenstände der Ansprüche 1 bis 3 beruhten daher auf einem erfinderischen Schritt.

Die Antragsgegnerin (Beschwerdeführerin I) beantragt:

den angefochtenen Beschluss aufzuheben, hilfsweise den Löschungsantrag im Umfang des mit Schriftsatz vom 21. Januar 2010 eingereichten Hilfsantrags zurückzuweisen, weiter hilfsweise die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Antragsstellerin (Beschwerdeführerin II) beantragt:

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Gebrauchsmuster vollständig zu löschen, hilfsweise die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Zur Stützung ihres Vorbringens verweist sie auf die bereits im Löschungsverfahren herangezogenen Dokumente D1, A6 und A8 sowie auf die im Beschwerdeverfahren zusätzlich vorgelegten Dokumente DJ deutsche Übersetzung der japanischen Anmeldung JP 62-23975 C1 Broschüre "Zinc Recycling", Ed. EUROFER A.S.B.L und IZA-Europe, 1999 S. 1 bis 18, GB 1 490 535 und Lendvai A., Journal of Materials Science Letters 5, 1986, S. 1219 bis 1220 Nach Ansicht der Antragstellerin beruhten die Gegenstände der Schutzansprüche 1 bis 3 ausgehend von D1 als nächstkommendem Stand der Technik nicht auf einem erfinderischen Schritt. Denn im Hinblick auf das durch A6 und A8 dokumentierte Fachwissen sei es für den Fachmann naheliegend, anstelle des bei D1 zur Beschichtung härtbarer Stahlbleche verwendeten Aluminium gemäß DJ eine legierende Verzinkung auch auf härtbare Stahlbleche aufzubringen. Das von der Antragsgegnerin behauptete Vorurteil, dass eine Verzinkung vorliegend nicht in Frage komme, da die Erhitzung einer Zinkschicht über deren Schmelzpunkt zum Abschmelzen der Zinkschicht führe, existiere in der Fachwelt nicht, wie DJ und A8 belegten.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragsstellerin ist begründet, weil der geltend gemachte Löschungsgrund der fehlenden Schutzfähigkeit (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG) besteht. Sie führt zur vollständigen Löschung des streitbefangenen Gebrauchsmusters.

Damit erweist sich die Beschwerde der Antragsgegnerin als unbegründet.

1. Die gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2 verteidigten Schutzansprüche sind zwar aus den eingetragenen Unterlagen ableitbar. Denn dem Hauptantrag liegen die eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 10 zugrunde, die Schutzansprüche 1 bis 9 des Hilfsantrags 1 gehen auf die eingetragenen Ansprüche 1 bis 10 i. V. m. S. 3 Z. 11 bis 13 und S. 2 Z. 30 bis 36 der Eintragungsunterlagen zurück, und die Schutzansprüche 1 bis 9 des Hilfsantrag 2 leiten sich von den eingetragenen Schutzansprüchen 1 bis 10 ab. Auch die Charakterisierung der Werkstücke durch Herstellungsverfahren mittels productbyprocess-Ansprüchen ist zulässig, da auf diese Weise charakterisierte Erzeugnisse dem Gebrauchsmusterschutz zugänglich sind (vgl. Bühring Gebrauchsmustergesetz 6. Aufl. § 1 Rdn. 156).

2.

Die Gegenstände der Schutzansprüche 1 bis 3 nach Hauptantrag sowie der Schutzansprüche 1 bis 3 nach den Hilfsanträgen 1 und 2 sind aber nicht schutzfähig, da sie nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhen (§ 1 GebrMG).

3.

Aufgabe des Streitgebrauchsmusters ist es, gewalzte Stahlbleche von 0,2 bis ungefähr 4 mm Dicke, die vor einer Warmumformung bzw. Wärmebehandlung beschichtet worden sind, sowie ein durch Warmumformung aus einem solchen Stahlblech realisiertes Werkstück bereitzustellen, wobei eine Temperaturerhöhung vor, während und nach der Wärmeumformung oder der Wärmebehandlung ohne Entkohlung und Oxidation des Stahlblechs sichergestellt ist (vgl. Streitgebrauchsmuster, Abs. [0004]).

Gelöst wird diese Aufgabe durch die Gegenstände der eingetragenen nebengeordneten Schutzansprüche 1 bis 3 nach Hauptantrag. Der Schutzanspruch 1 weist folgende Merkmale auf:

a) Werkstück mit sehr hohen mechanischen Eigenschaften, b) bestehend aus einem mit einer intermetallischen Legierungsverbindung beschichteten, c) tiefgezogenen Blechzuschnitt, d) der durch Zuschneiden eines gewalzten, insbesondere warm gewalzten Bandstahlblechs entstanden ist, e) wobei das Bandstahlblech mit einem Metall oder einer metallischen Legierung beschichtet ist, f) welche einen Schutz der Oberfläche und des Stahls sicherstellen, g) die intermetallische Legierungsverbindung aus einer Transformation der Beschichtung aus dem Metall oder der Metalllegierung vor oder nach dem Tiefziehen hervorgegangen ist, h) die intermetallische Legierungsverbindung an der Oberfläche durch die durch eine Temperaturerhöhung über 700¡ C realisierte Transformation gebildet ist, i) und einen Schutz gegen die Korrosion und gegen die Entkohlung des Stahls sicherstellt sowie eine Schmierfunktion bewirkt, j) wobei das Metall oder die metallische Legierung der Beschichtung Zink oder eine Legierung auf der Basis von Zink ist.

Als zuständiger Fachmann ist hier ein Team aus einem in der Metallindustrie tätigen, anorganischen Chemiker mit mehrjähriger Berufserfahrung und speziellen Kenntnissen auf dem Gebiet der Veredelung von Stahlblechen und einem auf dem Gebiet der Metallurgie tätigen Ingenieur anzusehen.

Zur Lösung der Aufgabe konnte der Fachmann von D1 als Sprungbrett ausgehen. D1 betrifft ein warmund kaltgewalztes Stahlblech mit sehr hoher Beständigkeit und hoher mechanischen Festigkeit nach Wärmebehandlung. D1 liegt ähnlich dem Streitgebrauchsmuster die Aufgabe zugrunde, ein warm -oder kaltgewalztes beschichtetes Stahlblech einer gewünschten Dicke herzustellen, das es ermöglicht, nach einer thermischen Behandlung eine mechanische Festigkeit über 1000 MPa zu erhalten, wobei es möglich sein soll, ein Warmumformverfahren mit einer Härtung im Werkzeug zu erzielen (vgl. Abs [0001, 0004]).

Nach D1 wird ein warmgewalztes Stahlblech, das je nach gewünschter Dicke kaltgewalzt werden kann, mit einem Metall beschichtet, das das Basisblech insbesondere gegen Korrosion in warmem wie auch in kaltem Zustand schützt und Formgebungen, insbesondere durch Tiefziehen gestattet. Aus diesem beschichteten Blech wird ein Werkstück hergestellt, bei dem am fertigen Werkstück oder bei dem Warmumformungsprozess eine Wärmebehandlung durchgeführt wird, wobei das Werkstück auf eine Temperatur von über 750¡ C erwärmt wird. Durch die Wärmebehandlung bildet die Beschichtung eine Schicht, in der Eisen verteilt ist bzw die eine Legierung aus dem Beschichtungsmetall und Eisen darstellt, mit hoher Abrasions-, Verschleiß-, Ermüdungsund Stoßfestigkeit und gute Korrosionsbeständigkeit, wobei durch das Vorhandensein der Beschichtung während der Wärmebehandlung der Werkstücke eine Entkohlung des Basismetalls sowie Oxidierungen vermieden werden. Nach der Wärmebehandlung wird eine hohe mechanische Festigkeit, die 1500 MPa überschreiten kann, erhalten (vgl. Abs. [0007, 0008, 0012, 0013, 0019, 0022]). Aus D1 sind damit Werkstücke bekannt, die die Merkmale a) bis i) des Gegenstandes des Schutzanspruchs 1 des Streitgebrauchsmusters aufweisen. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 unterscheidet sich von den aus D1 bekannten Werkstücken lediglich dadurch, dass anstelle des bei D1 zur Beschichtung herangezogenen Aluminiums gemäß Merkmal j) Zink oder eine Legierung auf der Basis von Zink das Metall oder die metallische Legierung der Beschichtung ist.

Die Werkstücke der D1 werden für Strukturteile und/oder "Anti-Intrusions"-Teile oder für den Unterbau motorgetriebener Landfahrzeuge also den Automobilbau verwendet (Anspruch 8). Dem Fachmann ist seit langem bekannt, dass mit Zinkoder Zinklegierungen veredelte Feinbleche gleichfalls im Automobilbau verwendet werden, die spezifische Anforderungen hinsichtlich der Gebrauchsund Verarbeitungseigenschaften erfüllen (A6 S. 61 Abs. 4 und 6). Galvannealed-Feinblech ist dabei ein kaltgewalztes Feinblech, das durch einen dichten, gleichmäßigen, fest haftenden Überzug aus Zn mit 7 -11 % Fe gegen Korrosion geschützt ist, bei dem der Zinküberzug durch eine gezielte Wärmebehandlung unmittelbar nach dem Durchlaufen des Bandes durch das Zinkbad über Interdiffusion von Zink und Eisen in einen Zn-Fe-Legierungsüberzug umgewandelt wird (A6 S. 63/64 übergr. Abs; A8, Bilder 2, 4, 5 i. V. m. mit den Ausführungen hierzu auf S. 106 bis 108). Diese Legierungen weisen eine stark steigende Liquiduslinie mit zunehmendem Fe -Gehalt auf, sodass sogar eine 40 m hohe senkrechte Galvanealing-Einrichtung betrieben werden kann, bei der ein durch ein flüssiges Zinkbad gefördertes Stahlband durch Heizzonen nach oben gefördert wird, ohne dass flüssiges Zink abläuft (A8 S. 107 Bild 4 li. Sp. Abs. 3, S. 108 Bild 7 i. V. m. re. Sp. Abs. 2). Zink stand also als Beschichtungsmetall für Stähle im Automobilbau im Blickfeld des Fachmanns.

Aus DJ ist bekannt, dass Stahlbleche, die nach dem Feuerverzinken eine Hitzbehandlung erfahren haben, für den Karosseriebau im Hinblick auf Korrosionsfestigkeit nach dem Anstrich, Haftfestigkeit der Beschichtung sowie Punktschweißbarkeit geeignet sind, ohne eine Fragilität bei der Bearbeitung aufzuweisen (S. 5 Abs. 1, S. 6 Abs. 1, S. 7/8 übergr. Abs). Diese aus DJ bekannten feuerverzinkten Stahlbleche weisen einen Eisengehalt von 15 bis 35 % in der Plattierungsschicht auf und werden nach der Feuerverzinkung bis zu einer Temperatur von 650¡ C und mehr sowie 8500C und weniger erhitzt und anschließend schnell auf mindestens 500¡ C abgekühlt. Durch diese Wärmebehandlung bis 650 bis 850¡ C wird eine Zink-Eisen-Legierung der Plattierungsschicht mit einem Eisengehalt von 15 bis 35 % erreicht, die für die Anwendung der Bleche im Automobilbau besonders geeignet ist (S. 8 Abs. 2 bis S. 10 Abs. 1 und S. 13 Abs. 2 bis S. 14 Abs. 1). Die Zinkbeschichtung wird damit auf Temperaturen erwärmt, die auch für die Wärmebehandlung des Werkstücks zur intermetallischen Legierungsbildung aus der Transformation der Beschichtung aus dem Metall oder der Metalllegierung gemäß Schutzanspruchs 1 des Streitpatents erforderlich sind. Zink eignet sich also trotz des gegenüber Aluminium deutlich niedrigeren Schmelzpunkts als Beschichtungsmetall für Stahlbleche, die nach der Beschichtung bei Temperaturen über 700¡ C wärmebehandelt werden. Nachdem für den Fachmann Zinkbeschichtungen für Stahlbleche zur Verwendung im Automobilbau im Focus standen, erhält er damit aus DJ die Anregung die Werkstücke gemäß D1 mit Zink zu beschichten. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 ist damit vom Stand der Technik nahegelegt.

4.

Auch die Gegenstände der nebengeordneten eingetragenen Schutzansprüche 2 und 3 gemäß Hauptantrag sind vom Stand der Technik entsprechend dem Gegenstand des Schutzanspruchs 1 nahegelegt. Der Gegenstand des Schutzanspruchs 2 ist auf die vom Schutzanspruch 1 gemäß Merkmal g) umfasste Variante beschränkt, nach der ein Warmtiefziehvorgang ausgehend von dem Blechzuschnitt ausgeführt wird und vor dem Tiefziehen an der Oberfläche eine intermetallische Legierungsverbindung realisiert wird und der Schutzanspruch 3 auf die andere vom Schutzanspruch 1 vom Merkmal g) umfasste Variante beschränkt, bei der ein Kalttiefziehvorgang ausgehend von dem Blechzuschnitt ausgeführt wird und nach dem Tiefziehen an der Oberfläche eine intermetallische Legierungsverbindung realisiert wird. Wie vorstehend dargelegt, umfasst D1 beide Varianten. Bei D1 wird nämlich am fertigen Werkstück oder mit einem Warmumformungsverfahren eine Wärmebehandlung durchgeführt, d. h. entweder das beschichtete Werkstück wird umgeformt (Kalttiefziehvorgang) und dann wärmebehandelt oder es wird wärmebehandelt und dann umgeformt (Warmtiefziehvorgang). Das weitere Merkmal der Schutzansprüche 2 und 3, dass die für den Tiefziehvorgang notwendigen Blechüberschüsse durch Zuschneiden entfernt werden, ist für den Fachmann beim Tiefziehen von Blechen selbstverständlich.

5.

Die Gegenstände der Schutzansprüche 1 bis 3 nach dem 1. Hilfsantrag sind ebenfalls vom Stand der Technik nahegelegt.

Diese Schutzansprüche weisen gegenüber den eingetragenen Schutzansprüchen 1 bis 3 jeweils das Merkmal auf, dass die durch Abschreckhärtung bei einer über der kritischen Abschreckgeschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit erhaltenen Werkstücke sehr hohe mechanischen Eigenschaften aufweisen sollen. Die aus D1 bekannten Werkstücke weisen gleichfalls durch Abschreckhärtung bei einer über der kritischen Abschreckgeschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit erhaltene sehr hohe mechanische Eigenschaften auf, denn sie werden aus den gleichen härtbaren Stählen, wie im eingetragenen Schutzanspruch 8 angegeben, hergestellt und die Abkühlgeschwindigkeit ist schneller als die kritische Härtegeschwindigkeit (D1 Anspruch 1 und Abs. [0023]). Auch die mit Zink beschichteten Bleche gemäß DJ werden mit einer über der kritischen Abschreckgeschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit abgekühlt (S. 14 Abs. 2 bis S. 15 Abs. 2). Es verbleibt damit auch hier gegenüber dem aus der Zusammenschau von D1 mit DJ gebildeten Stand der Technik kein Überschuss, der einen erfinderischen Schritt begründen könnte.

6.

Die Gegenstände der jeweiligen Schutzansprüche 1 bis 3 nach dem in der mündlichen Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung I des deutschen Patentund Markenamts vorgelegten Hilfsantrag (Hilfsantrag 2) beruhen ebenfalls nicht auf einem erfinderischen Schritt.

Diese Schutzansprüche weisen jeweils das Merkmal auf, dass das Bandstahlblech in Gewichts % 0,15 bis 0,25 % Kohlenstoff, 0,8 bis 1,5 % Mangan, 0,1 bis 0,35 % Silizium, 0,01 bis 0,2 % Chrom, 0 bis 0,1 % Titan, 0 bis 0,1 % Aluminium, 0 bis 0,05 % Phosphor, 0 bis 0,03 % Schwefel und 0,0005 bis 0,01 % Bor enthält.

Aus D1 ist bekannt, Bandstahlbleche dieser Zusammensetzung zur Herstellung von Werkstücken zu verwenden, vgl. Anspruch 1 und 8. D1 legt damit dem Fachmann nahe, Bleche dieser Zusammensetzung für die Werkstücke gemäß den Schutzansprüchen 1 bis 3 des Hilfsantrags 2 zu verwenden. Nachdem eine Zinkbeschichtung nicht härtbarer Bleche mit niedrigem Kohlenstoffgehalt aus DJ, wie vorstehend erläutert, bekannt war, besteht für den Fachmann im Gegensatz zur Auffassung der Antragsgegnerin keine Veranlassung von einer Beschichtung mit Zink solcher härtbaren Bleche dieser Zusammensetzung entsprechend D1 abzusehen.

6.

Die nachgeordneten Schutzansprüche 4 bis 10 nach Hauptantrag bzw. jeweils 4 bis 9 nach den Hilfsanträgen 1 und 2 betreffen Merkmale, die im entgegengehaltenen Stand der Technik D1 und DJ bereits weitgehend beschrieben sind. Ein bestandsfähiger Rest ist für den Senat in diesen Ansprüchen nicht zu erkennen. Die Antragsgegnerin hat auch nicht vorgetragen, dass ihnen ein eigenständiger schutzfähiger Gehalt zukäme. Sie werden von dem Löschungsausspruch zum Hauptantrag und den Hilfsanträgen erfasst.

7.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 Satz 1 und 2 PatG, § 91 Abs. 1 ZPO. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.

Müllner Dr. Gerster Dr. Schuster Pr






BPatG:
Beschluss v. 27.04.2010
Az: 35 W (pat) 458/08


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