Bundespatentgericht:
Beschluss vom 8. Dezember 2008
Aktenzeichen: 9 W (pat) 362/05

(BPatG: Beschluss v. 08.12.2008, Az.: 9 W (pat) 362/05)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das am 20. September 2000 angemeldete und am 3. Februar 2005 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung

"Druckeinheit"

ist von der Firma ... AG Einspruch erhoben worden.

Die Einsprechende hält den Gegenstand des Streitpatents für nicht patentfähig gegenüber dem nachgewiesenen Stand der Technik. Der erteilte Patentanspruch 1 sei der Patentkategorie "Vorrichtung" zuzuordnen, enthalte aber in den die Drehzahlen des Formzylinders und Übertragungszylinders betreffenden Merkmalen (jeweils mit der Formulierung "betrieben ist") Zweckangaben bzw. Anweisungen zu einer Verfahrensweise. In einem Vorrichtungsanspruch dürften solche Angaben nur als die Verfahrensweise maschinentechnisch ermöglichende Ausbildung der Vorrichtung interpretiert werden (im Sinne von "betreibbar ist"). Unter dieser Voraussetzung stünden dem mit streitpatentgemäßem Patentanspruch 1 beanspruchten Antrieb so gut wie alle Druckeinheiten mit mindestens vier Zylindern und Einzelantrieben der Zylinder entgegen, weil diese schon grundsätzlich die maschinentechnische Möglichkeit des Betreibens mit den besagten Drehzahlen aufwiesen. Im Übrigen weise der Stand der Technik aber auch konkret auf besagte Verfahrensweise hin. In der mündlichen Verhandlung beruft sich die Einsprechende hierzu u. a. auf die DE 196 24 394 C1.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrechtzuerhalten.

Sie hält den mit dem erteilten Patentanspruch 1 beanspruchten Antrieb einer Druckeinheit für patentfähig. Die von der Einsprechenden als Zweckangaben bezeichneten Maßnahmen sieht sie dabei als die Arbeitsweise des beanspruchten Antriebs kennzeichnende Merkmale, die den Antrieb durch diese Arbeitsweise konkret spezifizierten.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Antrieb einer Druckeinheit mit mindestens vier Zylindern (01; 02; 09; 11; 14; 16; 19; 21), welche ein erstes Paar (07; 08; 13; 18) aus einem ersten Formzylinder (01; 09; 14; 19) und einem ersten Übertragungszylinder (02; 11; 16; 21) sowie ein zweites Paar (07; 08; 13; 18) aus einem zweiten Formzylinder (01; 09; 14; 19) und einem zweiten Übertragungszylinder (01; 11; 16; 21) aufweist, wobei die Übertragungszylinder (02; 11; 16; 21) in einer DruckAn-Stellung zusammen wirken, und wobei die Zylinder (01; 02; 09; 11; 14; 16; 19; 21) jeden Paares (07; 08; 13; 18) jeweils durch einen eigenen Antriebsmotor ohne Antriebskopplung zueinander angetrieben sind und mindestens einer der Formzylinder (01; 09; 14; 16) unabhängig vom Übertragungszylinder (02; 11; 16; 21) mit einer von einer Produktionsdrehzahl (PFZ) und von einer Drehzahl Null (NFZ) verschiedenen Rüstdrehzahl (RFZ) betrieben ist, dadurch gekennzeichnet, dass gleichzeitig der diesem Formzylinder (01; 09; 14; 16) zugeordnete Übertragungszylinder (02; 11; 16; 21) mit einer von einer Produktionsdrehzahl (PÜZ) und von einer Drehzahl Null (NÜZ) verschiedenen Drehzahl (EÜZ) für ein Einziehen einer Bahn (06) betrieben ist."

An diesen Patentanspruch 1 schließen sich die Unteransprüche 2 bis 14 in der erteilten Fassung an.

II.

Die Zuständigkeit des Technischen Beschwerdesenats des Bundespatentgerichts ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG a. F. begründet.

1.

Der Einspruch ist zulässig. Er hat Erfolg durch den Widerruf des Patents.

2.

Das Patent betrifft einen Antrieb einer Druckeinheit mit mindestens vier Zylindern. In der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift ist ausgeführt, dass bei einem Vierzylinderdruckwerk nach der DE 196 03 663 A1 in einer Betriebsart einer der Formzylinder für einen Plattenwechsel stillsetzbar sei, während der zugeordnete Übertragungszylinder zum anderen Formzylinder synchron weiterlaufe. Bei einer Fünfzylinder-Druckeinheit nach der DE 197 32 330 A1 könne der einem zwecks Plattenwechsel stillgesetzten Formzylinder zugeordnete Übertragungszylinder ebenfalls stillgesetzt oder stattdessen mit dem Formzylinder unabhängig von den übrigen drei Zylindern drehbar sein. Die EP 0 997 273 A2 offenbare eine Betriebsart einer Vierzylinder-Druckeinheit, bei der ein von den übrigen Zylindern abgestellter Formzylinder durch einen Antriebsmotor oder einen Hilfsmotor drehbar sei. Aus der DE 44 30 693 A1 sei es bekannt, die vier Zylinderpaare einer Druckeinheit durch jeweils einen einzelnen Antriebsmotor anzutreiben.

Das dem Patent zugrundeliegende und mit der Aufgabe formulierte technische Problem ist darin zu sehen, für eine Druckeinheit oder einen Zylinderverbund eine große Betriebsvielfalt und -variabilität zu schaffen (vgl. Streitpatentschrift Absatz 0008).

Dieses Problem soll durch den Antrieb nach dem erteilten Patentanspruch 1 gelöst werden.

3.

In den zwischen den Beteiligten in ihrem Bedeutungsinhalt strittigen Angaben, betreffend die Zylinderdrehzahlen in dem der Patentkategorie "Vorrichtung" zuzurechnenden Patentanspruch 1, sieht der Senat die Arbeitsweise des beanspruchten Antriebs. Die Arbeitsweise einer Vorrichtung ist als solche Kennzeichen der Vorrichtung. Im streitpatentgemäß vorliegenden Fall wird daher ein Antrieb in der durch die angegebene Arbeitsweise konkret festgelegten Betriebssituation beansprucht. Stand der Technik mit der bloß maschinentechnisch vorhandenen Möglichkeit zu einer entsprechenden Arbeitsweise steht daher nicht zwangsläufig entgegen. Vorliegend ist dies allerdings ohne Belang, denn der in Betracht gezogene Stand der Technik zeigt die maschinentechnische Realisierbarkeit besagter Arbeitsweise und gibt darüber hinaus auch Anregung zu ihrer Durchführung.

4.

Die Neuheit des zweifellos gewerblich anwendbaren Antriebs nach Patentanspruch 1 kann dahingestellt bleiben, denn das Streitpatent kann jedenfalls deswegen keinen Bestand haben, weil der beanspruchte Antrieb -auch im Hinblick auf die konkret beanspruchte Arbeitsweise mit den vorgeschriebenen Drehzahlbereichen der Druckwerkzylinder (s. o.) -dem Fachmann am Anmeldetag durch den Stand der Technik nahegelegt war.

Als Durchschnittsfachmann ist ein Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau zu sehen, der bei einem Druckmaschinenhersteller mit der Entwicklung von Druckwerk-Antrieben, insbesondere an Rollenrotationsdruckmaschinen, betraut ist und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung verfügt.

Zur Erleichterung von Bezugnahmen ist der Antrieb nach Patentanspruch 1 nachstehend in Form einer Merkmalsgliederung wiedergegeben:

1.

Antrieb einer Druckeinheit, 2.

die Druckeinheit hat mindestens vier Zylinder, 2.1 die Druckeinheit weist ein erstes Paar aus einem ersten Formzylinder und einem ersten Übertragungszylinder auf, 2.2 die Druckeinheit weist ein zweites Paar aus einem zweiten Formzylinder und einem zweiten Übertragungszylinder auf, 3.

die Übertragungszylinder wirken in einer Druck-An-Stellung zusammen, 4.

die Zylinder eines jeden Paares sind jeweils durch einen eigenen Antriebsmotor ohne Antriebskopplung zueinander angetrieben, 5.

mindestens einer der Formzylinder ist unabhängig vom Übertragungszylinder mit einer Rüstdrehzahl betrieben, 5.1 die Rüstdrehzahl des Formzylinders ist von einer Produktionsdrehzahl verschieden, 5.2 die Rüstdrehzahl des Formzylinders ist von einer Drehzahl Null verschieden,

-Oberbegriff 6. gleichzeitig ist der diesem Formzylinder zugeordnete Übertragungszylinder mit einer Drehzahl für ein Einziehen einer Bahn betrieben, 6.1 diese Drehzahl des Übertragungszylinders ist von einer Produktionsdrehzahl verschieden, 6.2 diese Drehzahl des Übertragungszylinders ist von einer Drehzahl Null verschieden.

-Kennzeichen -

Ein Antrieb einer Druckeinheit mit vier Zylindern ist aus DE 196 24 394 C1 bekannt. Die Druckeinheit weist ein erstes Zylinderpaar bestehend aus einem ersten Formzylinder 93 und einem ersten Übertragungszylinder 95 sowie ein zweites Zylinderpaar bestehend aus einem zweiten Formzylinder 94 und einem zweiten Übertragungszylinder 96 auf (vgl. hier wiedergegebene Figur 5). Die beiden Übertragungszylinder 95, 96 wirken in einer DruckAn-Stellung zusammen. Jeder Zylinder ist durch einen eigenen Antriebsmotor 22 angetrieben (Spalte 3, Zeilen 2 bis 9 i. V. m. Figuren 2, 5), wobei während des Waschens des zugehörigen Übertragungszylinders eine Druckformherstellung am Formzylinder innerhalb der Maschine vorgenommen werden kann (Spalte 1, Zeilen 34 bis 39). Der Formzylinder ist dann unabhängig vom Übertragungszylinder mit einer Rüstdrehzahl (nämlich für die Druckformherstellung) betrieben. Der vorbekannte Antrieb weist mit dieser Ausgestaltung die o. g. Merkmale 1 bis 5 auf.

Nicht expressis verbis in der DE 196 24 394 C1 angegeben ist, dass die für den dort erwähnten Rüstvorgang der Druckformherstellung einzustellende Drehzahl von der Produktionsdrehzahl und von Null verschieden ist. Eine bei der inline-Bebilderung von der Produktionsdrehzahl abweichende und von Null verschiedene Rüstdrehzahl ist allerdings fachüblich (wie z. B. die DE 198 22 893 A1 zeigt; vgl. dort Spalte 2, Zeilen 43 bis 46) und für den Fachmann an sich selbstverständlich. Der Fachmann liest deshalb bei dem vorbekannten Antrieb die streitpatentgemäß beanspruchten Bedingungen für die Rüstdrehzahl des Formzylinders nach den Merkmalen 5.1 und 5.2 ohne Weiteres mit.

Des Weiteren lehrt die DE 196 24 394 C1, den Einzelantrieb der Zylinder dahingehend zu nutzen, den Formzylinder betreffende Rüstvorgänge und andere, den Übertragungszylinder betreffende Rüstvorgänge gleichzeitig durchzuführen. Die in diesem Zusammenhang konkret bezeichneten Rüstvorgänge Druckformherstellung (Formzylinder) und Waschen (Übertragungszylinder) sind dabei nicht ausschließend, sondern ausdrücklich beispielhaft und damit stellvertretend für -zumindest übliche -Rüstvorgänge beliebiger Art dargestellt (Spalte 1, Zeilen 34 bis 39). Auf diese Weise erhält der Fachmann Anregung, während eines am Formzylinder ablaufenden Rüstvorganges einen beliebigen der üblicherweise am bzw. mit dem Übertragungszylinder durchzuführenden Rüstvorgänge vorzunehmen. Ein solcher üblicher Rüstvorgang ist auf jeden Fall auch das Einziehen einer Bahn, denn dieses ist bei jedem erstmaligen "Laden" der Druckmaschine mit dem Druckträger und z. B. auch bei Bahnrissen durchzuführen. Dabei bietet es sich zumindest bei einer Druckmaschine mit horizontal angeordneten Druckeinheiten aus einfachen technischen Erwägungen heraus an, die Übertragungszylinder mit einer der Einzieh-Transportgeschwindigkeit der Bahn entsprechenden Umfangsgeschwindigkeit zu betreiben. Denn auf diese Weise kann mit den bereits "geladenen" Druckeinheiten eine das weitere Einziehen der Bahn unterstützende Führungsund Förderwirkung auf die Bahn ausgeübt oder zumindest -falls ein Anstellen der Übertragungszylinder nicht vorgenommen wird -im Falle einer nicht gewünschten Berührung zwischen Bahn und Zylindermantelfläche eine gegenseitige (translatorische) Reibwirkung ausgeschlossen werden. Das Betreiben des Übertragungszylinders mit einer "Drehzahl für ein Einziehen einer Bahn" im Sinne deso. g. Merkmals 6 ist dem Fachmann deshalb nahegelegt. Dass das Einziehen einer Bahn regelmäßig mit gegenüber der laufenden Produktion geringerer Geschwindigkeit erfolgt, ist dem Fachmann zweifellos bekannt. Die Drehzahl des Übertragungszylinders für das Einziehen der Bahn muss demnach entsprechend geringer sein als die Produktionsdrehzahl und selbstverständlich größer Null. Die in den Merkmalen 6.1 und 6.2 angegebenen Drehzahlgrenzen für das Einziehen wird der Fachmann damit in selbstverständlicher Weise verwirklichen. Dem Fachmann ergibt sich so ein Antrieb für eine Druckeinheit, der alle in Patentanspruch 1 angegebenen Merkmale (o. g. Merkmale 1 bis 6.2) einschließlich der mit ihnen beanspruchten Arbeitsweise aufweist.

Dem steht auch nicht entgegen, dass -wie die Patentinhaberin geltend macht der Rüstvorgang des Bahneinziehens nicht nur einen Druckwerk-Zylinder und insbesondere nicht eine Maßnahme am Übertragungszylinder, sondern die Druckmaschine als Ganzes betrifft. Auch dass -wie die Patentinhaberin weiter ausführt -in dem in Betracht gezogenen Stand der Technik der Einziehvorgang einer Bahn als solcher im Gegensatz zu anderen Rüstvorgängen wie Waschen, Belichten, Formwechsel nicht erwähnt ist und der Fachmann deshalb aus diesem Stand der Technik keinen direkten Hinweis zur Einbeziehung des Einziehvorgangs in andere Rüstvorgänge erhält, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn wie obenstehend ausgeführt, gehört das Einziehen der Bahn zu den üblichen Rüstvorgängen, mit deren pauschaler Erwähnung allein der Fachmann auch das Einziehen einer Bahn in Betracht zieht. Das Einbeziehen der Übertragungszylinder in die Führung und Förderung der Bahn und die sich daraus zwangsläufig ergebende "Einzieh-Drehzahl" ergibt sich dem Fachmann zudem in naheliegender Weise aus den oben dargelegten Gründen.

Angesichts dieser Sachlage mangelt es dem mit streitpatentgemäßen Patentanspruch 1 beanspruchten Antrieb an der erfinderischen Tätigkeit.

5. Mit dem Patentanspruch 1 fallen die auf ihn rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 14.

Pontzen Friehe Reinhardt Dr. Höchst Ko






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Az: 9 W (pat) 362/05


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