VerfGH des Landes Berlin:
Beschluss vom 16. Mai 2002
Aktenzeichen: 122/01

(VerfGH des Landes Berlin: Beschluss v. 16.05.2002, Az.: 122/01)

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I.

1. Die Beschwerdeführerin, die seit August 1998 unter der im Rubrum angegebenen Bezeichnung firmiert, produziert und vertreibt seit Jahren weltweit Knieschienen und Bandagen unter der Bezeichnung €M€. Sie ist Rechtsnachfolgerin der im Jahr 1981 ins Handelsregister eingetragenen MR GmbH, die in den 80iger Jahren zwei Umfirmierungen erfuhr. Geschäftsführer der GmbH war der Beteiligte zu 2. zunächst bis zum Jahr 1986 und danach wieder ab April 1989. Nachdem der Beteiligte zu 2. die von ihm außerdem an der GmbH gehaltenen Geschäftsanteile im Jahr 1991 veräußert hatte, firmierte die GmbH im selben Jahr in EB GmbH um. Nach einer weiteren Umfirmierung der GmbH endete die Geschäftsführertätigkeit des Beteiligten zu 2. im November 1995. Der Beteiligte zu 2. wurde danach Geschäftsführer bei der Beteiligten zu 3., deren Unternehmensgegenstand der Betrieb zur Herstellung und zum Verkauf von medizinischen und gesundheitsfördernden Produkten ist und die ebenfalls Knieschienen und Bandagen produziert.

Die den Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens bildende Bezeichnung €M€ war durch eine damalige Mitgesellschafterin der Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin, der Firma Me-Produkte GmbH, deren geschäftsführender Gesellschafter wiederum der Beteiligte zu 2. gewesen war, beim Deutschen Patent- und Markenamt zur Eintragung als Wortmarke in der Leitklasse 10 angemeldet und im Jahr 1983 im Markenregister unter der Registernummer 1044095 eingetragen sowie veröffentlicht worden. Auf eine weitere Anmeldung der Me-Produkte GmbH wurde die Bezeichnung €M€ außerdem als Wort-/Bildmarke im Jahr 1985 in der Leitklasse 10 unter der Registernummer 1082912 eingetragen und veröffentlicht.

Der Beteiligte zu 2. veräußerte im Jahr 1986 seine Anteile an der Me-Produkte GmbH an den J. Konzern, der danach im Jahr 1994 die €M€-Marken an die I. Corporation übertrug. Die I. Corporation veräußerte ihrerseits die Marken im selben Jahr an die EB GmbH, mithin die Rechtsvorgängerin der Beschwerdeführerin, deren Geschäftsführer zu diesem Zeitpunkt noch der Beteiligte zu 2. war. Da sämtliche Übertragungen der Marken dem Deutschen Patent- und Markenamt nicht angezeigt wurden, blieb allerdings in der Markenrolle als Markeninhaberin die Me-Produkte GmbH eingetragen. Am 21. August 2000 wurde die Wortmarke zur Registernummer 1044095 auf den Antrag eines Mitarbeiters der Beteiligten zu 3. gelöscht. Die Wort-/Bildmarke zur Registernummer 1082912 ist zwischenzeitlich löschungsreif.

Im Jahr 1999 meldete die Beteiligte zu 3. die Bezeichnung €M€ beim Deutschen Patent- und Markenamt in der Leitklasse 5 und den weiteren Klassen 9, 10, 14 und 40 als Wortmarke an. Die Marke wurde unter der Registernummer 399031588 eingetragen und veröffentlicht. Nachdem die Beschwerdeführerin von dieser Markeneintragung sowie der Löschung der Wortmarke zur Registernummer 1044095 Kenntnis erlangt und die Beteiligte zu 3. vergeblich abgemahnt hatte, beantragte sie im Oktober 2000 gegen die Beteiligten zu 2. und 3. den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Dem Antrag entsprechend untersagte das Landgericht Berlin durch Urteil vom 21. November 2000 € 15.O.595/99 € den Beteiligten zu 2. und 3. unter anderem,

im geschäftlichen Verkehr, insbesondere zum Vertrieb von Knieschienen und Bandagen, das Zeichen €M€ zu verwenden;

Rechte oder Ansprüche gegen die Beschwerdeführerin aus der beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Registernummer 399031588 eingetragenen Wortmarke €M€ für die in den Klassen 5, 9, 10, 14 und 40 enthaltenen Waren bzw. Dienstleistungen geltend zu machen bzw. abzuleiten.

Zur Begründung führte das Landgericht aus, es könne dahinstehen, ob die Beschwerdeführerin tatsächlich Markeninhaberin geworden sei, da ihr die geltend gemachten Ansprüche jedenfalls aus § 1 UWG zustünden. Es stehe außer Frage, dass die Beschwerdeführerin an der Bezeichnung €M€ für Knieschienen und Bandagen einen wertvollen Besitzstand erlangt habe. Die Beteiligte zu 3. habe als unmittelbare Konkurrentin der Beschwerdeführerin hiervon Kenntnis gehabt. Es sei davon auszugehen, dass die von ihr veranlasste Anmeldung der Marke im Januar 1999 zu Behinderungszwecken erfolgt sei. Ein rechtfertigender Grund für die Markenanmeldung sei nicht ersichtlich.

Gegen das Urteil legten die Beteiligten zu 2. und 3. Berufung ein, mit der sie im Rahmen einer eidesstattlichen Versicherung des Beteiligten zu 2. vom 22. März 2001 vortrugen, dass sie für die Markenanmeldung berechtigte sachliche Gründe gehabt hätten, da sie die Marke nicht für Knieschienen und Bandagen, sondern nur für chirurgische Implantate hätten benutzen wollen, für die die Beschwerdeführerin das Zeichen €M€ nie benutzt habe. Denn von der früheren Firma Me-Produkte GmbH seien jahrelang viele chirurgische Implantate unter der Marke €M€ hergestellt und vertrieben worden. Deswegen sei der Wunsch entstanden, für den im Fall von Verschleißerscheinungen bei Reoperationen erforderlich werdenden Austausch der alten Implantate gegen neue Teile die nach den originalen Maßen und Spezifikationen gefertigten Erzeugnisse auch so zu benennen. Gleichzeitig gaben die Beteiligten zu 2. und 3. eine eingeschränkte Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, mit der sie sich verpflichteten, die Verwendung des Zeichens €M€ für Knieschienen und Bandagen im geschäftlichen Verkehr und/oder die Geltendmachung von Rechten oder Ansprüchen aus der Marke €M€ gegen die Beschwerdeführerin wegen der Verwendung des Zeichens €M€ für Knieschienen und Bandagen sowie für Pflaster und Verbandmaterial zu unterlassen.

Im Hinblick auf die Unterlassungsverpflichtungserklärung der Beteiligten zu 2. und 3. erklärte die Beschwerdeführerin den Rechtsstreit für teilweise erledigt und beantragte im übrigen, die Berufung zurückzuweisen. In ihrer Berufungserwiderung führte sie u.a. unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres Geschäftsführers vom 15. Mai 2001 aus, dass sie die von den Beteiligten zu 2. und 3. vorgetragenen berechtigten sachlichen Gründe für die Markenanmeldung für nur vorgeschoben halte. Das von ihnen herausgestellte Ersatzteilgeschäft existiere nicht, weswegen keine Notwendigkeit bestehe, dieses mit €M€ zu zeichnen. Die mit €M€ bezeichneten Implantate seien auf dem deutschen Markt in den letzten Jahren verschwunden. Soweit die Beteiligten den Eindruck zu erwecken versuchten, dass bei Reoperationen nur die verbrauchten oder verschlissenen Implantate gegen neue ausgetauscht würden, sei dies unzutreffend. Vielmehr würden bei Verschleißerscheinungen alle Implantate herausoperiert und durch ein vollständig neues System ersetzt.

Der 5. Senat des Kammergerichts änderte durch Urteil vom 18. Mai 2001 das landgerichtliche Urteil, indem es die einstweilige Verfügung aufhob und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückwies. Zur Begründung führte das Kammergericht aus: Der Antrag zu a) sei unbegründet. Es könne daher auch nicht festgestellt werden, dass er im Umfang der Unterlassungserklärung in der Hauptsache erledigt sei. Der Beschwerdeführerin stehe kein sicherbarer Unterlassungsanspruch aus § 1 UWG oder aus § 826 BGB zu. Die Anmeldung einer Marke sei nicht schon dann wettbewerbswidrig, wenn der Anmelder € wie hier die Beteiligten zu 2. und 3. € wüssten, dass ein anderer dieses Zeichen im Inland für gleiche oder ähnliche Waren benutze. Vielmehr müssten besondere Umstände hinzukommen. Das sei der Fall, wenn der Zeicheninhaber in Kenntnis eines schutzwürdigen Besitzstandes des Vorbenutzers ohne zureichenden sachlichen Grund für gleiche oder gleichartige Waren die gleiche Bezeichnung mit dem Ziel der Störung des Besitzstandes des Vorbenutzers oder in der Absicht, für diesen den Gebrauch der Bezeichnung zu sperren, als Marke habe eintragen lassen. Vorliegend erscheine es aber überwiegend wahrscheinlich, dass den Beteiligten zu 2. und 3. ein sachlicher Grund zur Anmeldung und Benutzung der Marke €M€ nicht abzusprechen sei. Es sei überwiegend wahrscheinlich, dass sie Aufwendungen getätigt hätten, um Ersatzstücke für €M€-Implantate fertigen und liefern zu können. Dies ergebe sich aus der eidesstattlichen Versicherung des Beteiligten zu 2. vom 22. März 2001. Dem stehe die eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin vom 15. Mai 2001 gar nicht einmal in vollem Umfang entgegen. Zu den geschäftlichen Aktivitäten der Beteiligten zu 3. könne der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin ohnehin nichts sagen. Selbst wenn man ihm darin folgte, dass das von dem Beteiligten zu 2. hervorgehobene €Ersatzteilgeschäft€ nicht existiere, so schlösse das nicht aus, dass die Beteiligten zu 2. und 3. € gegebenenfalls sogar in Verkennung der medizinischen Versorgungssituation und ohne Aussicht auf Geschäftserfolg € die behaupteten Investitionen dafür in Gang gesetzt hätten. Im Hinblick auf die unstreitige Tradition der Bezeichnung €M€ auch für Implantate entbehre die Vorgehensweise der Beteiligten zu 2. und 3. nicht eines sachlichen Grundes. Dies gelte auch in Anbetracht der weiteren, von der Beschwerdeführerin herausgestellten Umstände. Insbesondere sei es den Beteiligten zu 2. und 3. nicht als sittenwidrig vorzuhalten, dass sie Löschungsanträge hinsichtlich der Marken der Beschwerdeführerin gestellt hätten. Es wäre vielmehr Aufgabe der Beschwerdeführerin gewesen, ihr Interesse an den Marken durch eine sachgemäße Markenpflege deutlich zu machen. Auch der Umstand, dass der Beteiligte zu 2. früher Geschäftsführer der Beschwerdeführerin gewesen sei und Geschäftsanteile entgeltlich veräußert habe, lasse das Vorgehen der Beteiligten zu 2. und 3. nicht als sittenwidrig erscheinen. Denn ein Wettbewerbsverbot sei nicht vereinbart worden. Ein besonderer Umstand, der die Wettbewerbsaktivitäten des Beteiligten zu 2. gegen die Beschwerdeführerin als verwerflich erscheinen ließe, sei auch nicht darin zu sehen, dass er einen Mitarbeiter der Beteiligten zu 3. veranlasst haben dürfte, Löschungsanträge bezüglich der Marken der Beschwerdeführerin zu stellen. Aus den genannten Gründen könne die Beschwerdeführerin auch mit dem Antrag zu b) nicht durchdringen.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen das Berufungsurteil rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 15 Abs. 1 VvB der Verfassung von Berlin - VvB -, weil es sich bei dem Urteil des Kammergerichts um eine verfassungswidrige Überraschungsentscheidung handele.

Die Beschwerdeführerin verweist in ihrer Verfassungsbeschwerdeschrift vom 7. September 2001 auf ein für sie von ihrem Verfahrensbevollmächtigten über die mündliche Verhandlung erstelltes Terminsprotokoll und trägt zum Gang der Verhandlung vor, der Vorsitzende habe eingehend einen Verfügungsanspruch in Gestalt der sittenwidrigen Markenanmeldung zu Behinderungszwecken (§ 1 UWG) bzw. der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung erörtert und ausgeführt, dass die von der Beschwerdeführerin reklamierten Anspruchsgrundlagen eindeutig erfüllt seien. Maßgeblich sei, dass der Beteilige zu 2. jahrelang der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin gewesen sei. Ferner habe der Vorsitzende hervorgehoben, dass jedenfalls der Einkauf in einer Klinik die Unterscheidung zwischen mit €M€ gezeichneten Knieschienen und Bandagen und mit €M€ gezeichneten Implantaten und sonstigen Geräten nicht treffen könne, was er € aus einer Arztfamilie stammend € selbst beurteilen könne. Im vorliegenden Fall seien die sich gegenüberstehenden Zeichen identisch und eine Warennähe zu bejahen, so dass der geltend gemachte Unterlassungsanspruch jedenfalls hinsichtlich der für die Beteiligten zu 2. und 3. eingetragenen Klassen und 5 und 10 begründet sei. Beiden Parteien sei anschließend Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden, die auch genutzt worden sei. Der Verfahrensbevollmächtigte der Beteiligten zu 2. und 3. sowie der Beteiligte zu 2. hätten versucht, das Kammergericht von seiner grundlegenden Einschätzung, dass der Tatbestand eines sittenwidrigen Behinderungswettbewerbs vorliege, abzubringen.

Die Beschwerdeführerin macht in ihrer Verfassungsbeschwerdeschrift weiter geltend, es sei ihr nach dem Verlauf der mündlichen Verhandlung zwar klar gewesen, dass das landgerichtliche Urteil in einigen Teilen einer Abänderung unterliegen würde. Es habe aber für beide Parteien festgestanden, dass das Kammergericht das Vorliegen des sittenwidrigen Behinderungswettbewerbs dem Grund nach und damit den auf §§ 1 UWG, 826 BGB gestützten Verfügungsanspruch eindeutig bejaht habe. Auf eine Änderung seiner Rechtsansicht habe das Kammergericht die Parteien nicht hingewiesen. Um so überraschter sei die Beschwerdeführerin gewesen, dass das Kammergericht nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung einen vollständigen Richtungswechsel vollzogen habe. All das, was in den Entscheidungsgründen des Urteils dargelegt werde, sei vom Kammergericht in der mündlichen Verhandlung überhaupt nicht problematisiert worden. Der Inhalt der von beiden Parteien vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen sei nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Die Beschwerdeführerin sei nicht darauf hingewiesen worden, dass die vom Beteiligten zu 2. abgegebene eidesstattliche Versicherung durchaus einen sachlichen Grund für die Markenanmeldung abgeben könnte, während die eidesstattliche Versicherung des Geschäftsführers der Beschwerdeführerin nicht dagegen sprechen und das Vorhandensein des sachlichen Grundes nicht widerlegen könnte. Mit seiner entgegengesetzten Entscheidung habe das Kammergericht nicht nur widersprüchlich gehandelt, sondern in gravierender Weise das prozessuale Vertrauen der Beschwerdeführerin als gewissenhafte und kundige Prozessbeteiligte enttäuscht und zu einem bloßen Objekt des Verfahrens gemacht. In ihrem Schriftsatz vom 22. Februar 2001 betont sie darüber hinaus, dass ein Gericht, das von einer Partei präsentierten neuen Sachvortrag bzw. neue Glaubhaftmachungsmittel für erheblich halte, der Gegenseite Gelegenheit geben müsse, darauf einzugehen. Sie habe jedoch keine Gelegenheit gehabt, ihrerseits Ausführungen zu machen bzw. ergänzende eidesstattliche Versicherungen abzugeben. Von der Möglichkeit, die Sitzung zu unterbrechen, habe das Kammergericht € offenbar aus Zeitdruck € jedoch keinen Gebrauch gemacht.

Gemäß § 53 Abs. 1 und 2 VerfGHG ist den Beteiligen zu 2. und 3. sowie der Präsidentin des Kammergerichts Gelegenheit gegeben worden, sich zu der Verfassungsbeschwerde zu äußern.

Die Präsidentin des Kammergerichts hat auf eine Erklärung des stellvertretenden Vorsitzenden des 5. Senats des Kammergerichts verwiesen, in der dieser ausführt, dass die Beschwerdeführerin den Gang der mündlichen Verhandlung einschließlich der aufgrund der Vorberatung des Senats erteilten Hinweise grundsätzlich zutreffend wiedergegeben habe. Den Parteien sei allerdings eingangs mitgeteilt worden, dass die von ihm vorgetragenen Überlegungen auf einer vorläufigen Einschätzung beruhten. Nachdem die Beteiligten zu 2. und 3. daraufhin ihr Vorbringen ergänzt hätten, habe der Senat Fragen gestellt und auch der Beschwerdeführerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Den Parteien sei am Schluss der mündlichen Verhandlung gesagt worden, dass eine Entscheidung nach abschließender Beratung unter Berücksichtigung des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung ergehen werde. Entscheidend für das Urteil seien dann die vom Beteiligten zu 2. abgegebenen

€ teilweise inhaltlich neuen € Erklärungen gewesen, aufgrund derer es dem Senat in der Schlussberatung überwiegend wahrscheinlich erschienen sei, dass den Beteiligten zu 2. und 3. ein sachlicher Grund zur Anmeldung und Benutzung der Marke nicht abzusprechen sei.

Die Beteiligten zu 2. und 3. haben sich dahingehend geäußert, dass die Darstellung der Beschwerdeführerin, das Kammergericht habe sich bei den vom Vorsitzenden einführend gegebenen Hinweisen eindeutig festgelegt, fehlgehe. Es habe sich nur um die Darlegung vorläufiger Überlegungen aufgrund einer Vorberatung gehandelt. Das Kammergericht habe auch nicht den Anschein erweckt, dass es sich bei den Hinweisen um seine endgültige Beurteilung handele. Demgemäß habe sich eine stundenlange Verhandlung angeschlossen, in der die Parteien ausführlich ihre Standpunkte verfochten hätten. Nach der Verhandlung sei abzuwarten gewesen, welches Urteil sich das Kammergericht in abschließender Beratung bilden würde. Auch die Bemühungen des Kammergerichts um einen Vergleich verdeutlichten dies. Das Urteil enthalte schließlich nichts, was nicht in der mündlichen Verhandlung gründlich erörtert worden wäre. Abgesehen von Einzelheiten, die der zur Sachaufklärung persönlich geladenen Beteiligte zu 2. vorgetragen habe, seien die Argumente der Beteiligten zu 2. und 3. grundsätzlich in der Berufungsbegründung enthalten gewesen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Gemäß § 49 Abs. 1 VerfGHG kann jedermann Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung erheben, durch die öffentliche Gewalt des Landes Berlin in einem seiner in der Verfassung von Berlin enthaltenen subjektiven Rechte verletzt zu sein. Soweit, wie hier, Gegenstand der Verfassungsbeschwerde die Anwendung von Bundesrecht ist, besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs in den Grenzen der Art. 142, 31 GG allein hinsichtlich solcher Grundrechte der VvB, die inhaltlich mit den Grundrechten des Grundgesetzes übereinstimmen (Beschluss vom 2. Dezember 1993 - VerfGH 89/93 - LVerfGE 1, 169 <179 ff.>; st. Rspr.). Vor diesem Hintergrund kann sich die Beschwerdeführerin auf das Grundrecht auf rechtliches Gehör berufen, das in Art. 15 Abs. 1 VvB inhaltsgleich mit Art. 103 Abs. 1 GG garantiert wird.

Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht nicht entgegen, dass die Beschwerdeführerin noch das Verfahren in der Hauptsache betreiben kann und dass insoweit der Rechtsweg nicht erschöpft ist. Gegenüber Verfahren in der Hauptsache sind vorläufige Rechtsschutzverfahren, mithin auch das vorliegende Ausgangsverfahren der einstweiligen Verfügung, rechtlich selbständig (vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 42, 163 <167>; 59, 63 <82>; 75, 318 <325>). Für die Frage, ob der Rechtsweg im Sinne des § 49 Abs. 2 Satz 1 VerfGHG erschöpft ist, kommt es nicht darauf an, ob der Beschwerdeführerin im Verfahren der Hauptsache noch Rechtsbehelfe offen stehen. Maßgeblich ist insoweit nur das Verfahren der einstweiligen Verfügung. In diesem Verfahren ist der Rechtsweg mit der angegriffenen Entscheidung des Kammergerichts erschöpft. Die Beschwerdeführerin kann auch nicht im Hinblick auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde darauf verwiesen werden, sie müsse zunächst das Verfahren in der Hauptsache durchführen. Die Notwendigkeit, vorab ein Klageverfahren zu betreiben, fehlt nämlich, wenn dies für den Beschwerdeführer nicht zumutbar ist. Das ist der Fall, wenn die gerügte Rechtsverletzung durch die Eilentscheidung selbst geltend gemacht wird, wie etwa bei der Versagung rechtlichen Gehörs (BVerfGE 69, 233 <241>; 79, 275 <279>). Die Eilentscheidung enthält damit eine selbständige Beschwer, die sich nicht mit derjenigen deckt, die Gegenstand des Hauptsacheverfahrens ist (Beschluss vom 12. Juli 1994 € VerfGH 94/93 € LVerfGE 2, 19 <25>).

Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unzulässig, weil dem Darlegungserfordernis für eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht genügt ist (vgl. Beschlüsse vom 11. Januar 1995 € VerfGH 81/94 € LVerfGE 3, 3 <6> und vom 17. Dezember 1997 € VerfGH 112/96 € LVerfGE 7, 49 <53>). Die Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs durch eine sogenannte Überraschungsentscheidung kann nur dann Erfolg haben, wenn die Entscheidung auf dieser Verletzung beruht, d. h. wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine weitere Anhörung des Beschwerdeführers das Gericht zu einer anderen Beurteilung des Sachverhalts oder in einem wesentlichen Punkt zu einer anderen Würdigung veranlasst oder im Ganzen zu einer anderen, ihm günstigeren Entscheidung geführt hätte (vgl. Beschlüsse vom 26. Oktober 2000 € VerfGH 52/00 € und vom 21. Februar 2002 € VerfGH 74/98 €; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 28, 17 <20> m. w. N.; st. Rspr.). Die Verfassungsbeschwerde könnte unter diesem Gesichtspunkt nur Erfolg haben, wenn die Beschwerdeführerin innerhalb der in § 51 VerfGHG bestimmten Frist dargelegt hätte, was sie bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs vorgetragen hätte und warum die angegriffene Entscheidung auf dem behaupteten Verfassungsverstoß beruht.

Diesen Anforderungen wird der Vortrag der Beschwerdeführerin nicht gerecht. Die Beschwerdeführerin hat in ihrer Verfassungsbeschwerdeschrift vom 7. September 2001 nicht dargelegt, was sie im Falle eines Hinweises des Kammergerichts, dass entgegen seiner einführenden rechtlichen Hinweise doch von einem sachlichen Grund für die Markenanmeldung ausgegangen und damit eine sittenwidrige Markenanmeldung verneint werden könnte, über ihren bisherigen Vortrag im Rahmen der Berufungserwiderung und der eidesstattlichen Versicherung ihres Geschäftsführers vom 15. Mai 2001 hinaus weiter vorgetragen hätte. Ihr erst im Schriftsatz vom 22. Februar 2002 und damit ohnehin nach Ablauf der Frist des § 51 Abs. 1 VerfGHG erfolgtes Vorbringen, sie habe in der mündlichen Verhandlung keine Gelegenheit gehabt, ihrerseits Ausführungen zu machen und ggf. ergänzende eidesstattliche Versicherungen ihres anwesenden Geschäftsführers und ihrer anwesenden Produktverantwortlichen abzugeben, reicht nicht aus, da der Inhalt eines etwaigen weiteren Vorbringens bzw. weiterer eidesstattlicher Versicherungen nicht einmal ansatzweise angedeutet wird, es also an nachvollziehbaren Anhaltspunkten für die Annahme fehlt, die Entscheidung des Kammergerichts wäre ohne den geltend gemachten Verfassungsverstoß anders ausgefallen und hätte zu einem für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis geführt.

2. Unabhängig davon könnte die Verfassungsbeschwerde aber auch deshalb keinen Erfolg haben, weil der geltend gemachte Verfassungsverstoß nicht vorliegt. Der in Art. 15 Abs. 1 VvB verbürgte Anspruch auf rechtliches Gehör ist eine Folgerung aus dem Rechtsstaatsgedanken für das gerichtliche Verfahren. Der Einzelne soll nicht bloßes Objekt des Verfahrens sein, sondern er soll vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleistet daher jedem an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten grundsätzlich das Recht, sich vor einer gerichtlichen Entscheidung zu dem ihr zugrundeliegenden Sachverhalt sowie auch zur Rechtslage zu äußern. Daraus ergibt sich allerdings noch keine generelle Pflicht des Gerichts, schon vor der Entscheidung seine Rechtsauffassung mitzuteilen, und auch keine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen.

Gleichwohl kann es in besonderen Fällen verfassungsrechtlich geboten sein, einen Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will. Es kommt nämlich im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Sach- und Rechtslage gleich, wenn ein Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen Tatsachenvortrag oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (Beschlüsse vom 17. Dezember 1997 € VerfGH 112/96 € LVerfGE 7, 49 <58>, vom 24. Juni 1999 € VerfGH 48/98 € LVerfGE 10, 72 <78> und vom 25. Januar 2001 € VerfGH 148 A/00, 148/00; vgl. zum Bundesrecht: BVerfGE 84, 188 <190>; 86, 133 <144 f.>). Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich als Überraschungsurteil und damit als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (Beschluss vom 20. August 1997 € VerfGH 46/97 € LVerfGE 7, 19 <22>). Überraschungsentscheidungen sind Fälle enttäuschten prozessualen Vertrauens. Ob eine Überraschungsentscheidung anzunehmen ist, richtet sich folglich danach, was den Beteiligten in einer konkreten prozessualen Situation billigerweise an Vorausschau zugemutet werden konnte (Schmidt-Aßmann in Maunz-Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art. 103 Abs. 1 [1988] Rn. 141).

Bei Anlegung dieser Maßstäbe rechtfertigt der von der Beschwerdeführerin geschilderte Terminsablauf nicht die Annahme, dass es sich bei der angefochtenen Entscheidung des Kammergerichts um eine verfassungsrechtlich unzulässige Überraschungsentscheidung handelt. Wenn ein Gericht in der mündlichen Verhandlung seine aufgrund einer Vorberatung gewonnenen Sichtweisen zum weiteren Gang des Verfahrens und zum voraussichtlichen Ergebnis äußert und anschließend den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gibt, so muss jede Partei damit rechnen, dass es der anderen Partei durch ihren Vortrag gelingt, das Gericht zu einer Änderung seiner Meinung zu veranlassen. Gerade dies ist der Sinn der mündlichen Verhandlung. Sie wäre nicht sachgerecht durchführbar, wenn das Gericht vor der abschließenden Beratung in Zwischenberatungen jeweils seine Eingangsauffassung überprüfen und den Parteien neue Hinweise geben müsste. Dies gilt um so mehr, wenn das Gericht sogar deutlich gemacht hatte, dass seine Hinweise auf einer vorläufigen Einschätzung beruhten, die Entscheidung am Schluss der Sitzung hingegen nach abschließender Beratung unter Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien in der mündlichen Verhandlung erfolgen werde.

Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gericht einen rechtlichen Hinweis zu einer entscheidungserheblichen Frage erteilt und im Urteil entgegengesetzt entscheidet, ohne dass die Verfahrensbeteiligten die Änderung der rechtlichen Beurteilung vorhersehen und hierzu Stellung nehmen konnten (vgl. zum Bundesrecht: BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 15. August 1996 € 2 BvR 2600/95 € NJW 1996, 3202). Denn auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter muss nicht damit rechnen, dass ein Gericht unter Aufgabe seiner bisherigen Einschätzung der Sach- und Rechtslage, auf die es den Prozessbeteiligten selbst hingewiesen hat, den Antrag aus Gründen abweist, zu denen sich zu äußern der Prozessbeteiligte wegen der ihm bekannt gegebenen Auffassung des Gerichts keine zwingende Veranlassung hatte (vgl. zum Bundesrecht: BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 31. Mai 1995 € 2 BvR 736/95 € NVwZ-Beilage 1995, 66 <67>).

So liegt der Fall hier aber nicht. Zum einen darf nicht übersehen werden, dass die vom Kammergericht gegebenen rechtlichen Hinweise zu Beginn der mündlichen Verhandlung allein auf Grund der Vorberatung der Richter und damit zunächst nur vorbehaltlich des Ablaufs der mündlichen Verhandlung erfolgen konnten. Zum anderen trägt die Beschwerdeführerin selbst vor, dass anschließend die Beteiligten zu 2. und 3. € z. T. €vehement€ € versuchten, das Kammergericht von seiner rechtlichen Einschätzung abzubringen und dass in diesem Zusammenhang auch die Beschwerdeführerin Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt hatte. Der Beschwerdeführerin war es daher nicht verwehrt, der entgegengesetzten Rechtsauffassung, die das Kammergericht nach dem Vorbringen der Beteiligten letztlich seinem Urteil zugrunde gelegt hat, entgegenzutreten und ihr prozessuales Verhalten hierauf einzurichten.

Auch aus der € durch die Äußerung des stellvertretenden Vorsitzenden des 5. Senats gestützten € Behauptung der Beschwerdeführerin, die Beteiligten zu 2. und 3. hätten in der mündlichen Verhandlung inhaltlich neue Erklärungen abgegeben, ergibt sich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Kammergericht. Insoweit fehlt es bereits an Darlegungen, um welchen über das bekannte Vorbringen in der Berufungsschrift einschließlich der eidesstattlichen Versicherung des Beteiligten zu 2. vom 22. März 2001 hinaus gehenden neuen Vortrag es sich handelte. Ebensowenig führt die Beschwerdeführerin im einzelnen aus, weshalb sie zu diesem neuen Vortrag in der mündlichen Verhandlung nicht hätte Stellung nehmen können. Solche wechselseitigen Stellungnahmen sind ja gerade der Sinn der mündlichen Verhandlung. Sieht eine Partei sich dazu außerstande, kann sie Vertagung beantragen oder die Gewährung einer Nachfrist für eine Erklärung auf das neue Vorbringen.

Angesichts der in der Verfassungsbeschwerde ausgebliebenen Darlegung, welchen Inhalt die Erklärungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung hatten, ist es auch nicht nachvollziehbar, wenn die Beschwerdeführerin in ihrer Verfassungsbeschwerde behauptet, die eidesstattlichen Versicherungen seien nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen, so dass sie sich aufgrund der vom Kammergericht zu Beginn der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweise nicht veranlasst gesehen habe, zu dem Vortrag der Beteiligten zu 2. und 3. und deren eidesstattlicher Versicherung sowie auch zur eigenen eidesstattlichen Versicherung Stellung zu nehmen. Vielmehr spricht alles dafür, dass auf Grund des Gangs der mündlichen Verhandlung von der Beschwerdeführerin als gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter zu erwarten war, dass sie die Bedeutung der eidesstattlichen Versicherungen erkennen würde, auch wenn das Kammergericht in seinen anfänglichen Rechtshinweisen nicht darauf abgestellt hat. Im Hinblick auf das Vorbringen der Gegenseite in der mündlichen Verhandlung hätte die Beschwerdeführerin auch ohne einen entsprechenden rechtlichen Hinweis von sich aus in Betracht ziehen müssen, dass sich das Kammergericht mit den eidesstattlichen Versicherungen auseinandersetzen und das Verfahren dadurch eine Wende nehmen könnte. Dies gilt um so mehr, als das Kammergericht € wie die Beschwerdeführerin selbst vorträgt € den Parteien einen Vergleichsvorschlag unterbreitet hatte. Da die Beschwerdeführerin auch den Inhalt des Vergleichsvorschlags nicht in ihrer Verfassungsbeschwerde substantiiert darlegt, ist für den Verfassungsgerichtshof ohnehin nicht erkennbar, wie die Beschwerdeführerin dennoch davon ausgehen konnte, dass das Kammergericht seine anfangs geäußerte Rechtsauffassung in jedem Fall beibehalten werde.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.






VerfGH des Landes Berlin:
Beschluss v. 16.05.2002
Az: 122/01


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