Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Juli 2006
Aktenzeichen: 21 W (pat) 32/04

(BPatG: Beschluss v. 11.07.2006, Az.: 21 W (pat) 32/04)

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Anmeldung aufgrund eines neuen Hauptanspruchs 1 - vorgelegt in der mündlichen Verhandlung - an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

Die Beschwerdegebühr wird zurückbezahlt.

Gründe

I Die Patentanmeldung wurde am 20. Dezember 2002 unter der Bezeichnung "Temporärclip zum Verschließen zuführender Blutgefäße während eines chirurgischen Eingriffs" beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Die Offenlegung erfolgte am 14. Oktober 2004.

Auf den Erstbescheid vom 22. Juli 2003 hat der Anmelder nach Ablauf eines ersten Fristgesuchs (mit Fristgewährung bis 31. Januar 2004) mit Telefax vom 2. März 2004 ein weiteres Fristgesuch mit der Bitte einer Fristverlängerung bis zum 31. März 2004 eingereicht.

Die Prüfungsstelle für Klasse A 61 B hat mit Beschluss vom 3. März 2004 die Anmeldung unter Verweis auf den Bescheid vom 22. Juli 2003 zurückgewiesen, wonach der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht neu sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders.

Der Anmelder verfolgt seine Patentanmeldung auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung eingereichten Patentanspruchs 1 weiter.

Der Patentanspruch 1 lautet (mit Merkmalsgliederung):

M1 Vorrichtung zum Verschließen zuführender Blutgefäße während eines chirurgischen Eingriffs durch einen Temporärclip, M2 der mittels einer Stellvorrichtung von einer Offenstellung in eine Geschlossenstellung bringbar ist, M3 der Temporärclip (13, 13a, 13b, 40) ohne Kabelkontakt in situ liegt und M4 mittels einer außerhalb des Operationsfeldes (10) liegenden Steuereinrichtung (23) kontrollierbar ist, dadurch gekennzeichnet, M5 dass eine mit einem Rotmelder versehene Videoerkennungssoftware vorgesehen ist, die beim Auftreten einer durch Blutung bedingten Gefahrensituation einen Notschalter (22) schließt.

Im Prüfungsverfahren sind folgende Druckschriften in Betracht gezogen worden:

D1 US 5 454 826 D2 US 4 424 811 D3 SU 822815 A1 D4 US 3 730 186 D5 SU 1279620 A1 D6 JP 9-109585 A D7 G. Gori "A new remotecontrolled temporary clip", Acta Neurochirurgica 20 (1969), S. 9-13.

Der Anmelder stellt den Antrag,

- den angefochtenen Beschluss aufzuheben und - die Anmeldung aufgrund eines neuen Hauptanspruchs 1, vorgelegt in der mündlichen Verhandlung, an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen, sowie - die Beschwerdegebühr zurückzubezahlen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere ist sie statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt, § 73 Abs. 1, Abs. 2 PatG. Die Beschwerde hat auch insoweit Erfolg, als sie zur Aufhebung des Beschlusses und zur Zurückverweisung an das Patentamt, § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG, sowie zur Zurückzahlung der Beschwerdegebühr, § 80 Abs. 3 PatG, führt.

1. Patentfähigkeit Der Patentanspruch 1 ist zulässig, denn er ist in den am Anmeldetag eingereichten Unterlagen offenbart. Der neue Patentanspruch ist insbesondere in dem ursprünglichen Patentanspruch 1 und der ursprünglich eingereichten Beschreibung (siehe Offenlegungsschrift, Absatz [0024,0025]) offenbart.

Der Erfindung liegt die Aufgabe zugrunde, einen temporären Clip zu schaffen, der auf kleinstem Raum gesetzt werden kann, das Handling des Neurochirurgen nicht behindert und der in Gefahrensituationen von dem Operateur den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend betätigt werden kann (siehe Offenlegungsschrift, Absatz [0007]).

Fachmann ist ein mit der Entwicklung von entsprechenden Clips vertrauter Dipl.-Ing. der Fachrichtung Medizintechnik.

Gegenüber dem bisher in Betracht gezogenen Stand der Technik ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Aus der Druckschrift D1 (siehe insbesondere die Fig. 1 mit zugehöriger Beschreibung) ist ein Temporärclip 1 (clip body) mit Stellvorrichtung 3 (balloon) und Steuereinrichtung 50 (pressure controller) bekannt, der lediglich über einen Schlauch 4 (flexible tube) und somit ohne Kabelkontakt in situ liegt und mittels der außerhalb des Operationsfeldes liegenden Steuereinrichtung 50 kontrollierbar ist (siehe Spalte 2, Zeile 63 bis Spalte 3, Zeile 9). Die Druckschrift D1 offenbart somit die Merkmale der Merkmalsgruppen M1 bis M4. Die Schaltung eines Notschalters durch eine mit einem Rotmelder versehene Videosoftware ist aus der Druckschrift D1 nicht bekannt. Gemäß der Druckschrift D1 wird der Temporärclip lediglich über die Drucksteuerung 50 oder über eine Spritze 5 (siehe Fig. 2 bis 6) betätigt.

Die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften, die in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr aufgegriffen wurden, gehen über diesen Stand der Technik nicht hinaus, da sie insbesondere keinen Rotmelder mit Videoerkennungssoftware aufweisen.

Somit sind aus keiner der Druckschriften die Merkmale des Kennzeichnungsteils (Merkmalsgruppe M5) des Anspruchs 1 bekannt, wonach eine mit einem Rotmelder versehene Videoerkennungssoftware vorgesehen ist, die beim Auftreten einer durch Blutung bedingten Gefahrensituation einen Notschalter schließt. Der Hinweis in der Beschreibung bei der Schilderung des Standes der Technik (siehe Absatz [0004]) auf eine bekannte Videoerkennungssoftware bei einem Temporärclip ist unbeachtlich, da die öffentliche Zugänglichkeit dieser Lehre nicht belegt ist; vgl. BGH GRUR 1973, 263 - Rotterdam-Geräte.

Aus dem bisher in Betracht gezogenen Stand der Technik ergeben sich somit für den Fachmann keine Hinweise auf eine Ausgestaltung eines Temporärclips gemäß Anspruch 1 mit einer Videoerkennungssoftware gemäß der Merkmalsgruppe M5.

Somit lässt sich mit dem bisher in Betracht gezogenen Stand der Technik eine Zurückweisung der Anmeldung nicht begründen.

Das Verfahren ist jedoch noch nicht zur Entscheidung reif und die Anmeldung mit dem geltenden Anspruch 1 zur weiteren Prüfung an das Patentamt zurückzuverweisen. § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG bestimmt, dass das Patentgericht die angefochtene Entscheidung aufheben kann, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Gründe, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen, beseitigt werden und eine neue Sachprüfung erforderlich ist. Danach kann die Anmeldung an das Patentamt zurückverwiesen werden, wenn die Patentfähigkeit noch nicht oder nicht ausreichend Gegenstand der Prüfung war (vgl. Busse PatG, 6. Aufl. § 79 Rdn. 64 und 65; Schulte PatG, 7. Aufl. § 79 Rdn. 19 bis 21 - jeweils mit weiteren Hinweisen). Dies ist vorliegend offensichtlich der Fall, da die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in den nunmehr geltenden Patentanspruch 1 aufgenommenen zusätzlichen Merkmale ersichtlich im bisherigen Prüfungsverfahren noch keine Rolle gespielt haben und dementsprechend auch nicht recherchiert wurden. Da die Recherche insoweit lediglich als vorläufig anzusehen ist, ist nicht auszuschließen, dass bei einer somit erforderlichen Nachrecherche bezüglich der Merkmale im Kennzeichnungsteil des Anspruchs 1 noch entscheidungserheblicher Stand der Technik ermittelt wird.

Angesichts der Notwendigkeit einer weiteren Prüfung auf Patentfähigkeit hat der Senat von einer Überarbeitung der übrigen Unterlagen, insbesondere einer Neufassung eventueller Unteransprüche, abgesehen.

2. Rückzahlung der Beschwerdegebühr Eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr ist immer dann billig, wenn bei ordnungsgemäßer und angemessener Sachbehandlung der Erlass eines Zurückweisungsbeschlusses nicht in Betracht gekommen wäre und damit die Erhebung der Beschwerde sowie die Einzahlung der Beschwerdegebühr hätte vermieden werden können.

Mit dem Eingang des Telefaxes vom 2. März 2004 ist das Fristgesuch in den Geschäftskreis des Deutschen Patent- und Markenamtes gelangt und wirksam, auch wenn es dem zuständigen Prüfer erst später vorgelegt wurde. Der Beschluss vom 3. März 2004 ging am 4. März 2004 zum Dokumentenversand (Postabfertigungsstelle) und war somit auch erst ab dem 4. März 2004 für das DPMA bindend. Das Fristgesuch hätte somit bis zum Zeitpunkt der Abgabe des Beschlusses an die Postabfertigungsstelle noch berücksichtigt werden können.

Da somit bei ordnungsgemäßer und angemessener Sachbehandlung der Erlass eines Zurückweisungsbeschlusses entweder gar nicht in Betracht gekommen wäre oder aber es einer Begründung der Ablehnung des Fristgesuchs bedurft hätte, gleichgültig ob sie gesondert oder mit der Sachentscheidung ergangen wäre, war die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anzuordnen (siehe BPatG 33, 111 bis 113).






BPatG:
Beschluss v. 11.07.2006
Az: 21 W (pat) 32/04


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/e6596e8097d2/BPatG_Beschluss_vom_11-Juli-2006_Az_21-W-pat-32-04




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share