Kammergericht:
Beschluss vom 12. Oktober 2015
Aktenzeichen: 22 W 74/15

(KG: Beschluss v. 12.10.2015, Az.: 22 W 74/15)

Der in einer GmbH-Gesellschafterversammlung bestimmte Versammlungsleiter kann die Befugnis zur Beschlussfeststellung haben mit der Folge, dass der Beschluss zunächst als wirksam gefasst anzusehen ist und die Wirksamkeit nur durch Klage beseitigt werden kann. Ein ad hoc bestellter Versammlungsleiter hat diese mit den genannten Wirkungen versehene Befugnis zur Beschlussfeststellung nur dann, wenn sie ihm ausdrücklich oder jedenfalls stillschweigend durch die Gesellschafter erteilt worden ist.

Tenor

Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) wird als unzulässig verworfen. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird zurückgewiesen.

Wegen der Entscheidung über die Beschwerde der Beteiligten zu 1) wird die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1) ist durch einen Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 9. Dezember 2013 zum 31. Dezember 2013 aufgelöst. An dem Stammkapital der Gesellschaft ist der Beteiligte zu 2) mit 51% und ein Herr G... mit 49% beteiligt. Am 2. April 2015 fand eine außerordentliche Gesellschafterversammlung statt. Gegenstand der Versammlung war die vorher bekannt gemachte Absicht, das Stammkapital der Gesellschaft um 200.000 EUR zu erhöhen, so dass der Beteiligte zu 2) neue Anteile mit einem Nennwert von 102.000 EUR und der Gesellschafter G... Anteile mit einem Nennwert von 98.000 EUR hätte übernehmen können. An der Versammlung nahmen jeweils Bevollmächtigte der Gesellschafter teil, wobei der Bevollmächtigte des Beteiligten zu 2) mit anwaltlichem Beistand erschienen war. Diese stimmten dem Vorschlag des Liquidators, die Versammlungsleitung zu übernehmen, zu. Hintergrund der beabsichtigten Kapitalerhöhung war dabei, dass der Liquidator und der Beteiligte zu 2) der Auffassung sind, dass die Erhöhung des Stammkapitals zur Beschaffung von Kapital zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft notwendig ist. Diese Auffassung wird von dem Gesellschafter G... bestritten, der darin lediglich eine Maßnahme sieht, weitere Streitigkeiten der Gesellschafter in anderem Zusammenhang zu beeinflussen. Im Rahmen der Abstimmung stimmte der Bevollmächtigte des Beteiligten zu 2) für die Kapitalerhöhung, der Bevollmächtigte des Gesellschafters G... dagegen. Auf einen Hinweis des anwaltlichen Beistands des Bevollmächtigten des Beteiligten zu 2), dass der Gesellschafter G... aufgrund einer Treuepflicht verpflichtet wäre, der Kapitalerhöhung zuzustimmen, stellte der Versammlungsleiter fest, dass die Stimmabgabe für den Gesellschafter G... unwirksam und die erforderliche Mehrheit für den Kapitalerhöhungsbeschluss erreicht sei. Gegen diese Feststellung erhob der Vertreter des Gesellschafters G... Widerspruch zu Protokoll. Der Kapitalerhöhungsbeschluss wurde in der Folge dahin geändert, dass hilfsweise der Beteiligte zu 2) auch den weiteren Anteil aus der Kapitalerhöhung von Herrn G... übernehmen könne. Auch im Rahmen dieser Abstimmung stimmte der Vertreter des Gesellschafters G... gegen die Erhöhung, der Liquidator stellte gleichwohl eine wirksame Beschlussfassung fest, wogegen wiederum Widerspruch erhoben wurde. Wegen der genauen Einzelheiten über den Ablauf wird auf das notarielle Protokoll der Gesellschafterversammlung vom 2. April 2015, Urk-Nr. ... des Notars Dr. M..., Bezug genommen.

Auf die Einreichung der Anmeldung der Kapitalerhöhung vom 2. April 2015 mit den weiteren notwendigen Unterlagen in der gehörigen elektronischen Form hat das Amtsgericht mit Verfügungen vom 14. und 17. April 2015 die Rücknahme der Anmeldung angeregt, weil ein Kapitalerhöhungsbeschluss in der Liquidationsphase nur aus besonderen Gründen gefasst werden könne, die hier nicht ersichtlich seien. Darüber hinaus sei auch die notwendige Mehrheit nach § 53 Abs. 2 GmbHG nicht erreicht, weil die Stimmen des Gesellschafters G... zu Unrecht unberücksichtigt geblieben seien. Mit Beschluss vom 27. April 2015 hat das Registergericht sodann die Anmeldung unter Hinweis auf die beiden Zwischenverfügungen zurückgewiesen. Hiergegen richten sich die Beschwerden der Beteiligten zu 1) und 2) vom 6. und 7. Mai 2015, denen das Registergericht nicht abgeholfen und mit dem Nichtabhilfebeschluss vom 23. Juni 2015 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung der Beschwerde durch den Beteiligten zu 2) vom 9., 16. Juni und 21. September 2015 und den Inhalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 23. Juni 2015 Bezug genommen.

II.

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist nach § 58 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist mit dem Schreiben vom 6. Mai 2015 frist- und formgerecht eingelegt worden. Die Beschwerdebefugnis folgt aus § 59 Abs. 2 FamFG, weil die Eintragung der Kapitalerhöhung nur aufgrund einer Anmeldung erfolgt, die als Antrag im Sinne der Vorschrift anzusehen ist. Als Antragsteller ist bei auf konstitutive Eintragungen gerichteten Anmeldungen auch jeweils die Kapitalgesellschaft anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 1992, II ZB 17/91, Beschluss vom 24. Oktober 1988, II ZB 7/88, BGHZ 117, 323 = NJW 1992, 1824; BGHZ 105, 324 = NJW 1989, 295). Bei einer Kapitalerhöhung handelt es sich um eine Satzungsänderung der Regelung über das Stammkapital nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG, die erst mit der Eintragung wirksam wird (vgl. § 54 Abs. 3 GmbHG). Die notwendige Beschwer wird erreicht. Dass die Beschwerde nicht begründet worden ist, steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen, weil eine Begründung keine Wirksamkeitsvoraussetzung ist.

Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist demgegenüber unzulässig und daher nach § 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG zu verwerfen. Dem Beteiligten zu 2) fehlt als Gesellschafter der Beteiligten zu 1) die notwendige Beschwer. Er hat zwar durch den Kapitalerhöhungsbeschluss vom 2. April 2015, dessen Wirksamkeit im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels zu unterstellen ist (vgl. Bork/Müther, FamFG, 2. Aufl., § 59 Rdn. 12; Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 18. Aufl., § 59 Rdn. 20), ein Bezugsrecht erworben. Ob durch die Ablehnung der Eintragung dieses Recht im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG beeinträchtigt wird, kann aber dahinstehen. Denn in Antragsverfahren geht die Regelung des § 59 Abs. 2 FamFG der Regelung des § 59 Abs. 1 FamFG vor und schränkt die Beschwerdebefugnis ein (vgl. Bork/Müther, aaO, § 59 Rdn. 15; Keidel/Meyer-Holz, § 59 Rdn. 39; ausdrücklich zum Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft: Krafka/Kühn, Registerrecht, 9. Aufl., Rdn. 2457). Die Eintragung einer Kapitalerhöhung erfolgt aber nach § 57 Abs. 1 GmbHG nur auf Antrag.

2. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist erfolglos. Das Amtsgericht hat die Anmeldung vom 2. April 2015 zu Recht zurückgewiesen.

a) Der Beschluss vom 2. April 2015 ist allerdings nicht nichtig im Sinne des § 241 AktG, was vom Registergericht ohne weiteres zu beachten wäre (Krafka/Kühn, aaO, Rdn. 162). Die Vorschrift findet im Recht der GmbH allerdings grundsätzlich entsprechende Anwendung (vgl. BGH, Urt. vom 17. Februar 1992, II ZR 41/96, BGHZ 134, 364 = GmbHR 1997, 655; Baumbach/Hueck/Zöllner, GmbHG, 20. Aufl., Anhang zu § 47 Rdn. 44). Es fehlt aber an den Voraussetzungen. Der Tatbestand des § 241 Abs. 1 Nr. 3 AktG ist nicht gegeben. Der Beschluss widerspricht weder dem Wesen der GmbH noch verletzt sein Inhalt Vorschriften, die ausschließlich oder überwiegend im Interesse der Gläubiger oder sonst im öffentlichen Interesse erlassen sind. Die Zuführung weiteren Kapitals dient vielmehr gerade den Interessen der Gläubiger. Dass ein Gesellschafter grundsätzlich nicht zu einem Nachschuss verpflichtet ist (vgl. § 707 BGB) und deshalb die Annahme einer Treuepflichtverletzung im Falle der Ablehnung eines Erhöhungsbeschlusses nicht naheliegt, spielt insoweit keine Rolle. Auch die Anforderungen des § 241 Abs. 1 Nr. 4 AktG sind nicht erfüllt. Denn danach kommt es auf den Inhalt des gefassten Beschlusses an. Eine Kapitalerhöhung ist aber sittlich neutral, so dass kein Verstoß gegen die guten Sitten gegeben sein kann.

b) Entgegen der Auffassung des Registergerichts kann die Anmeldung auch nicht deswegen zurückgewiesen werden, weil die Gesellschaft sich in Liquidation befindet. Mit der Auflösung der Gesellschaft ist diese zwar auf Abwicklung gerichtet (vgl. § 70 GmbHG). Dementsprechend finden die Vorschriften des zweiten und dritten Abschnitts auch nur dann Anwendung, soweit sich aus dem Zweck der Liquidation nichts anderes ergibt, vgl. § 69 Abs. 1 GmbHG. Satzungsänderungen können daher beanstandungswürdig sein, wenn sie dazu führen, dass die Gesellschaft sich ihren gegenüber Dritten, insbesondere den Gläubigern, bestehenden Verpflichtungen entziehen würde und/oder die Durchsetzung erschweren könnte, wie dies etwa bei Firmenänderungen oder Sitzverlegungen naheliegt (vgl. dazu etwa OLG Jena, Beschluss vom 8. November 2005, 6 W 206/05, GmbHR 2006, 765 = ZInsO 2006, 1277). Wird aber die Notwendigkeit gesehen, das Kapital der Gesellschaft für die Liquidation zu erhöhen, gilt dies gerade nicht. Darüber hinaus ist es dem Registergericht nicht mit dem notwendigen Aufwand möglich, die regelmäßig kaufmännische Frage, ob weiteres Kapital benötigt wird, ordnungsgemäß zu überprüfen. Dann aber muss es ausreichend sein, dass, wie hier, die Notwendigkeit einer weiteren Kapitalbeschaffung als Erhöhungsgrund für die Kapitalerhöhung angegeben wird, auch wenn diese zwischen den Gesellschaftern streitig ist. Dies gilt jedenfalls, solange nicht offensichtlich ist, dass die Kapitalerhöhung anderen Zwecken dient, die der Abwicklung entgegen stehen könnten, oder von vornherein - wie eine beabsichtigte Fortsetzung - ausgeschlossen sind.

c) Das Amtsgericht hat die Anmeldung aber zu Recht zurückgewiesen, weil der Kapitalerhöhungsbeschluss nicht mit der nach § 53 Abs. 2 Satz 1 GmbHG erforderlichen Mehrheit von ¾ der abgegebenen Stimmen gefasst worden ist. Die Feststellung des mit Zustimmung der Gesellschafter ad hoc zum Versammlungsleiter bestellten Liquidators, der Beschluss sei einstimmig gefasst, weil die Gegenstimmen des Gesellschafters G... wegen einer Pflicht zur Zustimmung nicht wirksam seien, steht dem nicht entgegen.

Allerdings wird teilweise ohne nähere Differenzierung angenommen, die von einem Versammlungsleiter festgestellten Beschlüsse seien auch in der GmbH zunächst wirksam und diese Wirksamkeit könnte erst durch Klage beseitigt werden (vgl. dazu Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl., § 43 Rdn. 33). Das Gesetz sieht für die GmbH allerdings anders als für die AG (§ 130 AktG) keine Versammlungsleitung vor. Eine entsprechende Anwendung des § 130 AktG kommt nicht in Betracht, weil es an einer Lücke fehlt. Der Gesetzgeber hat die Ausgestaltung der Durchführung der Gesellschafterversammlung den Gesellschaftern überlassen, was auf der häufig personalistischen Ausrichtung der GmbH beruht. Die Satzung der Beteiligten enthält insoweit keine Bestimmungen zur Gesellschafterversammlung. Dem Versammlungsleiter können damit nur die Zuständigkeiten und Funktionen zukommen, die ihm von der Gesellschafterversammlung zugewiesen worden sind (vgl. OLG Köln, Urt. vom 16. Mai 2003, 18 U 31/02, NZG 2003, 40; Scholz/Seibt, GmbHG, 11. Aufl., § 48 Rdn. 32). Die Zuweisung muss dabei nicht unbedingt ausdrücklich, sondern kann nach allgemeinen Regeln auch stillschweigend erfolgen. Wegen der damit verbundenen Wirkungen setzt dies aber gerade in Bezug auf die Wirkungen einer Beschlussfeststellung durch den Versammlungsleiter ein entsprechendes Bewusstsein der Gesellschafter voraus. Davon kann weder generell noch im vorliegenden Fall mit der für das Registerverfahren notwendigen Sicherheit ausgegangen werden (ebenso Baumbach/Hueck/Zöllner, aaO, § 48 Rdn. 17; Michalski/Römermann, GmbHG, 2. Aufl., § 47 Rdn. 589; Zöllner/Noack, NZG 1989, 528; a.A. Böttcher/Grewe, NZG 2002, 1086; BeckOK/Schindler, GmbHG, 15. Juni 2015, § 48 Rdn. 44; Scholz/Seibt, aaO, § 48 Rdn. 53). Dass nach der Beschlussfassung durch die Gesellschafter über die Frage einer Anfechtungsklage diskutiert worden ist, bedeutet nicht, dass den Beteiligten von vornherein klar war, dass die Befugnisse des Versammlungsleiters auch eine Feststellung des Beschlussergebnisses mit vorläufiger Wirkung umfassen sollten. Entsprechendes wird von der Beteiligten zu 1) auch nicht behauptet, die allein allgemein auf die mit Zustimmung aller Gesellschafter erfolgte Bestellung des Versammlungsleiters abstellt. Soweit geltend gemacht wird, die Rechtssicherheit verlange, dass generell von entsprechenden Befugnissen des Versammlungsleiters ausgegangen wird, mag dies für die Aktiengesellschaft gelten, die auch entsprechende Regelungen vorsieht. Für die Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist dies nicht gerechtfertigt. Dies führt auch nicht zu einem unerträglichen Rechtsverlust. Es besteht die Möglichkeit positive Beschlussfeststellungsklage zu erheben (vgl. dazu BGH, Urt. vom 28. Januar 1980, II ZR 84/70, BGHZ 76, 154 = NJW 1980, 1527; Urt. vom 1. März 1999, II ZR 205/98, NJW 1999, 2298).

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Die Verpflichtung zur Tragung der Gerichtskosten ergibt sich aus dem Gesetz. Eine Kostenerstattung kommt insoweit nicht in Betracht.

4. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FamFG zuzulassen. Die Frage, welche Befugnisse dem ad hoc bestellten Versammlungsleiter in der Gesellschafterversammlung einer GmbH hinsichtlich der Feststellung einer wirksamen Stimmabgabe zukommen, ist - wie ausgeführt - umstritten. Höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt insoweit. Die in der Literatur insoweit als Beleg in Bezug genommenen BGH-Entscheidungen (BGH, Urteil vom 21. März 1988, II ZR 308/87, BGHZ 104, 66 = NJW 1988, 1844; Urteil vom 20. Januar 1986, II ZR 73/85, BGHZ 97, 28 = NJW 1986, 2051) tragen zu der Frage nichts bei. In der Entscheidung vom 20. Januar 1986 spielt die Frage der Befugnis des Versammlungsleiters keine Rolle. In der Entscheidung vom 21. März 1988 sind in der Satzung der Gesellschaft Regelungen über die Versammlungsleitung, die jedenfalls im Wege der Auslegung festlegen, dass der Versammlungsleiter das Beschlussergebnis verbindlich festlegen kann.






KG:
Beschluss v. 12.10.2015
Az: 22 W 74/15


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