Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 16. November 2011
Aktenzeichen: 6 W 205/11

(OLG Köln: Urteil v. 16.11.2011, Az.: 6 W 205/11)

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss der 20. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 7.9.2011 - 220 O 192/11 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt, gestützt auf Rechte an der Single „M“ des Künstlers „H“, die am 22.7.2011 veröffentlicht worden ist, den Erlass einer Anordnung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG bezüglich der in der Anlage ASt1 aufgeführten IP-Adressen, die Internetanschlüssen zugewiesen waren, von denen aus im Zeitraum vom 17.8.2011 bis 22.8.2011 nach den Ermittlungen der Antragstellerin die genannte Single im Internet zum Herunterladen angeboten worden ist. Zu diesem Zeitpunkt war die Single auf Platz 10 der Single-Charts gelistet mit einem P1-Faktor (= Verhältnis der absoluten Verkaufszahlen der Single zu den Verkaufszahlen der auf Platz 1 geführten Single) von 37,32.

Das Landgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie ihren Anordnungsantrag weiterverfolgt.

II.

Die sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg.

1. Nach dem Akteninhalt ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin Inhaberin der Rechte an dem genannten Musikwerk ist und dass die in der Anlage ASt1 genannten IP-Adressen Internetanschlüssen zugeordnet waren, von denen aus diese Werke ohne Einwilligung der Antragstellerin im Internet zum Herunterladen angeboten worden sind.

2. Die festgestellten Rechtsverletzungen weisen jedoch - wie das Landgericht zu Recht erkannt hat - kein gewerbliches Ausmaß im Sinne des § 101 Abs. 1 UrhG auf, was Voraussetzung auch für den gegen einen Dritten gerichteten Auskunftsanspruch gemäß § 101 Abs. 2 UrhG und damit für eine Anordnung gemäß § 101 Abs. 9 UrhG ist (vgl. Senat, GRUR-RR 2009, 9). Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen muss eine Rechtsverletzung, damit sie ein gewerbliches Ausmaß aufweist, von einigem Gewicht sein (vgl. BVerfGE 125, 260 [Rn. 261] - Vorratsdatenspeicherung), was sich entweder aus der Anzahl oder aus der Schwere des inkriminierten Verhaltens ergeben kann (§ 101 Abs. 1 S. 2 UrhG). Für das Zugänglichmachen einer geschützten Datei unter einer dynamischen IP-Adresse im Rahmen eines Filesharing-Netzwerks (einer sog. Internettausch­börse) hat der Senat ergänzende Kriterien entwickelt und im nachfolgend auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 27.12.2010 (GRUR-RR 2011, 85 [86] - Männersache) wie folgt zusammengefasst (zu einem Filmwerk):

„1. (…) Das Angebot eines einzelnen urheberrechtlich geschützten Werks im Internet in einer sog. Tauschbörse kann das geschützte Recht in einem gewerblichen Ausmaß verletzen. Denn der Rechtsverletzer hat es - auch wenn sich sein Angebot nur auf einen kurzen Zeitraum beschränkt haben mag - nicht mehr in der Hand, in welchem Umfang das Werk weiter vervielfältigt wird. Gerade in der weiteren Vervielfältigung liegt aber der Sinn und Zweck sog. Tauschbörsen im Internet (vgl. Senat, GRUR-RR 2009, 9 [11]; MMR 2009, 334). Der Gesetzgeber hat jedoch - wie sich aus der Gesetzesentstehung ergibt (vgl. die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/8783, S. 50) - bewusst nicht jede Rechtsverletzung für einen Auskunftsanspruch genügen lassen, sondern einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Urhebers verlangt. Damit ist sichergestellt, dass die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die verfassungsrechtlich geschützten Rechte des Dritten (Art. 10 GG) durch die Erteilung der Auskunft gewahrt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 26.7.2010 - 6 W 98/10).

Ein derart schwerer Eingriff kann sich zunächst daraus ergeben, dass ein Rechtsverletzer eine Vielzahl urheberrechtlich geschützter Werke öffentlich zugänglich macht. Dies lässt sich allerdings ohne die erst noch zu erteilende Auskunft des Internetproviders nicht feststellen, so dass hierauf ein Auskunftsanspruch praktisch nicht gestützt werden kann.

Eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß kann bei Vorliegen besonderer Umstände auch dann vorliegen, wenn ein einziges urheberrechtlich geschütztes Werk im Internet zum Herunterladen angeboten wird.

Ein gewerbliches Ausmaß kann sich zunächst aus dem hohen Wert des angebotenen Werks ergeben (vgl. Senat, Beschluss vom 3.11.2008 - 6 W 136/08, für ein Computerprogramm, dessen aktuelle Version 499 € kostet und für dessen frühere Versionen der Nutzungsberechtigte kostenlose Upgrades zur Verfügung stellt).

Die zweite Fallgruppe besteht darin, dass eine hinreichend umfangreiche Datei innerhalb ihrer relevanten Verwertungsphase öffentlich zugänglich gemacht wird (vgl. Senat, GRUR-RR 2009, 9 [11] - Ganz anders; Beschluss vom 21.7.2010 - 6 W 79/10; ebenso OLG Schleswig, GRUR-RR 2010, 239 [240]; für kurz nach der Erstveröffentlichung angebotene Dateien im Ergebnis ebenso OLG Frankfurt/Main, GRUR-RR 2009, 15 [16]; OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2009, 379 [381]; OLG Hamburg, NJOZ 2010, 1222 [1223]; anders für einmalige Download-Angebote OLG Zweibrücken, GRUR-RR 2009, 12 [13]; OLG Oldenburg, MMR 2009, 188 [189]).

Eine hinreichend umfangreiche Datei liegt jedenfalls dann vor, wenn ein gesamtes Musikalbum oder ein Film angeboten wird. Dabei ist es unerheblich, ob der Verletzte Rechte an dem gesamten Musikalbum innehat oder nur an einem einzelnen Titel. Denn es genügt, dass eine Rechtsverletzung gewerblichen Ausmaßes vorliegt; nicht erforderlich ist es, dass der Antragsteller selbst in diesem Ausmaß in seinen Rechten verletzt ist (vgl. Senat, GRUR-RR 2009, 9 [11]).“

Insoweit hat sich der Senat der Auslegung des Begriffs durch den Gesetzgeber angeschlossen; nach der Gesetzesbegründung liegt eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß vor, wenn eine besonders umfangreiche Datei, wie ein vollständiger Kinofilm oder ein Musikalbum oder Hörbuch, vor oder unmittelbar nach ihrer Veröffentlichung in Deutschland widerrechtlich im Internet öffentlich zugänglich gemacht wird (BT-Drucks. 16/8783, S. 50).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat auch in Kenntnis der Auffassung des Oberlandesgerichts München (Beschluss vom 26.07.2011 - 29 W 1268/11) und des Landgerichts München (Beschluss vom 12.7.2011 - 7 O 1310/11) fest, wonach das öffentliche Zugänglichmachen einer geschützten Datei in einer sogenannten Internettauschbörse ihrer Art nach stets eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß darstellt, ohne dass es weiterer erschwerender Umstände bedarf. Dabei berücksichtigt das Landgericht München nach Auffassung des Senats nicht hinreichend, dass der Auskunftsanspruch (nach der insoweit übereinstimmenden Rechtsprechung) nicht voraussetzt, dass der Inhaber des Internetanschlusses selbst für das Angebot verantwortlich ist. Selbst wenn - was der Senat nicht feststellen kann - im Regelfall der Anschlussinhaber als Störer haften sollte, so muss bei der gebotenen Abwägung der betroffenen Grundrechte doch sein fehlendes Verschulden berücksichtigt werden. Weitgehend unberücksichtigt bleibt auch, dass die Kenntnis der Zuordnung einer IP-Adresse zu einem bestimmten Internetanschluss weitergehende Erkenntnisse über das Nutzungsverhalten dieser Person ermöglicht und erhebliche Missbrauchsgefahren in sich birgt. Es kann daher keine Rede davon sein, dass in jedem Fall dem Interesse der Rechteinhaber an der Auskunft Vorrang gegenüber den Belangen des Anschlussinhabers einzuräumen ist.

Der Senat verkennt nicht, dass in der Konsequenz der Beschränkung des Auskunftsanspruchs eine Verfolgung der Rechte der Anschlussinhaber in vielen Fällen einer Rechtsverletzung nicht möglich ist. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin verlangt es die Verfassung aber nicht, dass der Staat dem Inhaber von Eigentumsrechten Mittel an die Hand geben muss, sämtliche sich daraus ergebenden Ansprüche gegen Dritte durchsetzen zu können. Die Rechte der Urheber werden durch den Auskunftsanspruch bereits erheblich ausgeweitet; von einer Entrechtung kann daher - auch nach der Auslegung des § 101 Abs. 1 UrhG durch den Senat - keine Rede sein. Die Rechte der Urheber sind allerdings - wie ausgeführt - ihrerseits nicht schrankenlos.

Auf dieser Grundlage rechtfertigt das Angebot der verfahrensgegenständlichen Single nicht die Annahme einer Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß im Sinne des § 101 Abs. 1 UrhG. Die Antragstellerin weist zwar zu Recht darauf hin, dass die Möglichkeit der Verwertung einer einzelnen Single durch das gleichzeitige Angebot in einer sog. Tauschbörse erheblich beeinträchtigt wird. Andererseits ist aber nicht zu verkennen, dass die Rechtsverletzung beim Angebot einer Datei geringen Umfangs und von geringerem Wert weniger schwer wiegt. So werden Singles bereits zum Zeitpunkt der Veröffentlichung zu Preisen angeboten, die für ein komplettes Musikalbum nur noch Ausverkaufspreise wären (was nach der Rechtsprechung des Senats eine Beendigung der relevanten Verwertungsphase indiziert mit der Folge, dass eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß nicht vorliegt). Die Rechtsverletzung wiegt daher nicht so schwer, dass das Interesse des Rechtsinhabers an ihrer Aufklärung das Interesse des Inhabers des Anschlusses, von dem aus diese Single angeboten worden ist, am Schutz seiner Daten überwöge.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG, § 84 FamFG.

4. Die Rechtsbeschwerde war im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Auslegung des Begriffs „gewerbliches Ausmaß“ und die wohl auch insoweit abweichende Rechtsprechung des OLG München zuzulassen.






OLG Köln:
Urteil v. 16.11.2011
Az: 6 W 205/11


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/e5cde1265207/OLG-Koeln_Urteil_vom_16-November-2011_Az_6-W-205-11




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share