Bundesgerichtshof:
Urteil vom 11. Januar 2000
Aktenzeichen: X ZR 20/98

(BGH: Urteil v. 11.01.2000, Az.: X ZR 20/98)

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 21. August 1997 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 4. März 1989 unter Inanspruchnahme der Priorität einer Voranmeldung in der Bundesrepublik Deutschland vom 20. Januar 1989 angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 378 737 (Streitpatents), das eine Lastverstelleinrichtung betrifft und 16 Patentansprüche umfaßt. Die Patentansprüche 1, 6 und 9 lauten in der Verfahrenssprache Deutsch wie folgt:

"1. Lastverstelleinrichtung mit einem Steuerelement (8a, 8b), das -auf ein die Leistung einer Brennkraftmaschine bestimmendes Stellglied (9) einwirkt,

-mit einem mit dem Fahrpedal (1) gekoppelten Mitnehmer (4) zusammenwirkt und -zusätzlich durch einen mit einer elektronischen Regeleinrichtung

(17) zusammenwirkenden Stellantrieb (14) ansteuerbar ist, wobei -der Stellweg des Mitnehmers (4) in Leerlaufrichtung durch einen Leerlaufanschlag (LL) begrenzt ist,

-das Steuerelement (8a, 8b) in seinem Leerlaufregelbereich relativ zum Mitnehmer (4) mittels des elektrischen Stellantriebs (14) bewegbar ist, wenn der Mitnehmer (4) am Leerlaufanschlag (LL) anliegt,

-ein Ansatz (11) am Mitnehmer (4), an dem das Steuerelement (8a, 8b) bei minimaler Leerlaufstellung (LLmin) zur Anlage kommt, das Steuerelement (8a, 8b) hintergreift und wobei -eine das Steuerelement (8a, 8b) in Leerlaufrichtung vorspannende erste Feder (12, 12a) vorgesehen ist, dadur ch ge kenn zei chnet , daß

-das Steuerelement (8a, 8b) mittels einer in Vollastrichtung wirkenden zweiten Feder (20), deren Federkraft mindestens so groß ist wie die Federkraft der ersten Feder (12, 12a) bis in eine Leerlaufnotstellung (LLnot) vorspannbar ist.

6. Lastverstelleinrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadur ch ge kenn zei chnet , daß das Steuerelement (8a, 8b) zweiteilig ausgebildet ist, mit einem ersten Steuerelementteil (8a), das mit dem Mitnehmer (4) zusammenwirkt und auf das Stellglied (9) einwirkt, sowie einem zweiten Steuerelementteil (8b), das mittels des elektrischen Stellantriebes

(14) ansteuerbar ist, wobei das erste Steuerelementteil (8a) auf derder maximalen Leerlaufstellung (LLmax) zugeordneten Seite des zweiten Steuerelementteils (8b) in dessen Stellweg ragt.

9. Lastverstelleinrichtung nach Anspruch 4, 6, 7 oder 8, dadur ch ge kenn zei chnet , daß die weitere Feder (20) mit dem zweiten Steuerelementteil (8b) zusammenwirkt."

Wegen der weiteren, unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Patentschrift verwiesen.

Die Klägerin hat geltend gemacht, daß der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik, wie ihn die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 208 222, die deutsche Offenlegungsschrift 36 31 283, die deutschen Patentschriften 30 22 999 und 31 22 120, die deutsche Auslegeschrift 19 34 200 sowie ein Prospekt ... "Motor-Elektronik" aus dem Juli 1983 bildeten, nicht patentfähig sei.

Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Hilfsweise verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit einem Patentanspruch 1, der unter Zusammenfassung der Merkmale der Patentansprüche 1, 6 und 9 des erteilten Patents gebildet ist und an den sich die Patentansprüche 2 bis 5, 7, 8 sowie 10 bis 16 unter entsprechender Anpassung ihrer Rückbeziehungen anschließen sollen; wegen des genauen Wortlauts wird auf die in der mündlichen Verhandlung übergebene Anspruchsfassung verwiesen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel insgesamt und auch insoweit entgegen, als die Beklagte das Streitpatent hilfsweise in eingeschränktem Umfang verteidigt.

Als gerichtlicher Sachverständiger hat Professor Dr.-Ing. H. R.,

..., ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Gründe

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist, wie das Bundespatentgericht zutreffend erkannt hat, nicht patentfähig, weil sein Gegenstand nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG i.V.m. Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 52, 56 EPÜ). Das gilt auch für den in zulässiger Weise hilfsweise verteidigten, dem Patentanspruch 9 des Streitpatents in dessen erteilter Fassung in Rückbeziehung auf Patentanspruch 6, dieser wiederum in Rückbeziehung auf Patentanspruch 1, sachlich entsprechenden Patentanspruch 1. Die weiteren auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche, für die ein selbständiger erfinderischer Gehalt nicht geltend gemacht und auch nicht erkennbar ist, fallen mit ihm.

I. Das Streitpatent betrifft eine Lastverstelleinrichtung mit einem Steuerelement, wie sie zur Regelung von Brennkraftmaschinen mit Vergasern oder Einspritzpumpen, insbesondere bei Kraftfahrzeugen, zur Anwendung kommt.

1.

Das Streitpatent schildert eine solche Einrichtung als aus der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 208 222 bekannt. Bei dieser Einrichtung wirke das Steuerelement auf ein Stellglied ein, das die Leistung der Brennkraftmaschine bestimme, wobei das Steuerglied mit einem Mitnehmer zusammenwirke, der mit dem Fahrpedal gekoppelt sei. Das Steuerelement sei zusätzlich durch einen Stellantrieb ansteuerbar, der mit einer elektronischen Regeleinrichtung zusammenwirke. Dabei werde der Stellweg des Mitnehmers in Leerlaufrichtung durch einen Leerlaufanschlag begrenzt. Das Steuerelement sei in seinem Leerlaufregelbereich relativ zum Mitnehmer mittels des elektrischen Stellantriebs bewegbar, wenn der Mitnehmer am Leerlaufanschlag anliege. Ein Ansatz am Mitnehmer, an dem das Leerlaufelement bei minimaler Leerlaufstellung zur Anlage komme, hintergreife das Steuerelement. Dabei sei eine erste Feder vorgesehen, die das Steuerelement in Leerlaufstellung vorspanne.

Die Beschreibung des Streitpatents führt weiter aus, an derartigen Lastverstelleinrichtungen sei eine optimale Regelung der Brennkraftmaschine über den gesamten Lastbereich zu fordern. Hierzu bedürfe es eines komplizierten Aufbaus bzw. einer komplizierten Steuerung der Einrichtung. Von besonderer Bedeutung sei die Beherrschung des Lastzustands des Leerlaufs, bei dem von der Brennkraftmaschine nur eine minimale Leistung abgegeben werde, dieser aber gerade bei Kraftfahrzeugen Verbraucher gegenüberstehen könnten, die eine große Leistung erforderten, wie Gebläse, Heckscheibenheizung oder Klimaanlage. Um solchen Leistungsanforderungen Rechnung zu tragen, sei eine Regelung der Lastverstelleinrichtung zwischen einer maximalen und einer minimalen Leerlaufstellung erforderlich.

2.

Das Streitpatent bezeichnet es als Aufgabe der Erfindung, eine Lastverstelleinrichtung zu schaffen, die bei Ausfall der Regelung einen Notbetrieb der Brennkraftmaschine ermöglicht. Weiter hat der gerichtliche Sachverständige, gestützt auf die Angaben in der Beschreibung des Streitpatents, darauf hingewiesen, daß ein entsprechendes Bedürfnis bei Ausfall der elektrischelektronischen Leerlaufdrehzahlregelung, verursacht durch einen Defekt an Teilen des Regelungssystems oder durch den Ausfall der Stromversorgung des Fahrzeugs, auftreten kann. Bei Ausfall der Leerlaufdrehzahlregelung werde die Drosselklappe beim Ottomotor bzw. die Einspritzpumpe beim Dieselmotor eine Stellung einnehmen, die in etwa der bei geringster Belastung des Verbrennungsmotors angemessen sei. Wenn der Fall sehr geringer Belastung nicht gegeben sei, könne der Verbrennungsmotor zusätzliche Lasten nicht mehr antreiben, laufe unruhig oder bleibe stehen.

Ausgehend hiervon besteht das durch das Streitpatent objektiv gelöste Problem darin, eine Lastverstelleinrichtung zur Verfügung zu stellen, die auch bei Ausfall ihrer elektrisch-elektronischen Leerlaufdrehzahlregelung zu einem sicheren Leerlaufbetrieb des Verbrennungsmotors führt.

3. Zur Lösung dieses technischen Problems lehrt das Streitpatent in seinem Patentanspruch 1 eine Lastverstelleinrichtung 1. mit einem Mitnehmer (4), 1.1 der mit einem Steuerelement (8a, 8b) zusammenwirkt, 1.2 mit dem Fahrpedal (1) gekoppelt ist, 1.3 dessen Stellweg in Leerlaufrichtung durch einen Leerlaufanschlag (LL) begrenzt ist, 1.4 mit einem Ansatz (11), 1.4.1 an dem das Steuerelement bei minimaler Leerlaufstellung (LLmin) zur Anlage kommt und 1.4.2 der das Steuerelement hintergreift, 2.

mit einem Steuerelement (8a, 8b), 2.1 das auf ein die Leistung einer Brennkraftmaschine bestimmendes Stellglied (9) einwirkt, 2.2 das zusätzlich durch einen elektrischen Stellantrieb (14) ansteuerbar ist, 2.2.1 der mit einer elektronischen Regeleinrichtung (17) zusammenwirkt, 2.3 und das in seinem Leerlaufregelbereich relativ zum Mitnehmer mittels des Stellantriebs bewegbar ist, wenn der Mitnehmer am Leerlaufanschlag (LL) anliegt, 3.

einer das Steuerelement in Leerlaufrichtung vorspannenden ersten Feder (12, 12a) und 4.

einer das Steuerelement in Vollastrichtung bis in eine Leerlaufnotstellung (LLnot) vorspannenden zweiten Feder (20), 4.1 deren Federkraft mindestens so groß ist wie die Federkraft der ersten Feder.

4. Ein Blockschaltbild einer Ausführungsform zeigt die nachstehend wiedergegebene Figur 1 der Zeichnungen des Streitpatents:

Nach diesem Ausführungsbeispiel kann der Notfallbetrieb dadurch aufrecht erhalten werden, daß dann, wenn die elektronische Regeleinrichtung 17 oder der Elektromotor 14 spannungslos werden, eine in Richtung der maximalen Leerlaufstellung vorgespannte Feder 20 die Überführung des zweiten Steuerelementteils 8b in die Leerlaufnotstellung ermöglicht. Dafür muß die Kraft dieser Feder so groß sein, daß sie nicht nur die Kraft der Feder 12, sondern darüber hinaus auch die auf die (in Patentanspruch 1 nicht genannte) Drosselklappe in Schließrichtung einwirkenden Unterdruckkräfte in Saugrichtung überwindet. Die (ebenfalls in Patentanspruch 1 nicht genannte) Wegbegrenzung der zweiten Feder kann beispielsweise durch einen in einer stationären Hülse 21 gegen einen Anschlag 22 verschiebbaren, durch die zweite Feder belasteten Stößel 23 erfolgen.

II. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig.

1.

Die Vorrichtung nach Patentanspruch 1 des Streitpatents ist allerdings neu im Sinne des Art. 54 EPÜ. Dies wird auch von der Nichtigkeitsklägerin nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Die allenfalls insoweit in Betracht zu ziehende deutsche Auslegeschrift 19 34 200, die im Berufungsverfahren keine Rolle gespielt hat, weist zumindest die Merkmale 1.4.2, 2.2 und 2.2.1 nicht auf.

2.

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ergab sich für den Fachmann, einen auf einer Hochschule ausgebildeten, auf dem Gebiet der Verbrennungskraftmaschinen erfahrenen Ingenieur mit zusätzlichen Kenntnissen auf dem Gebiet der Meß- und Regelungstechnik, im Sinn des Art. 56 EPÜ in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

a) Die vom Senat als nächstkommender Stand der Technik angesehene vorveröffentlichte europäische Patentanmeldung 208 222 beschreibt, wie das Europäische Patentamt im Erteilungsverfahren, das Bundespatentgericht und der gerichtliche Sachverständige übereinstimmend angegeben haben und was auch die Beklagte nicht in Abrede stellt, jedenfalls im wesentlichen die Merkmalsgruppen und Merkmale 1 bis 3 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents. Sie offenbart nämlich eine Lastverstelleinrichtung mit einem auf ein die Leistung einer Brennkraftmaschine bestimmenden Stellglied (Bezugszeichen 2 der Figur 1) einwirkenden Steuerelement (9) -Merkmale 2, 2.1 -, das mit einem mit einem Fahrpedal (7) gekoppelten Mitnehmer (5) zusammenwirkt -Merkmale 1, 1.1 und 1.2 -, wobei der Stellweg des Mitnehmers in Leerlaufrichtung durch einen Leerlaufanschlag (12) begrenzt ist -Merkmal 1.3 -und wobei bei Anlage des Mitnehmers am Leerlaufanschlag das Steuerelement in seinem Leerlaufregelbereich relativ zum Mitnehmer mittels des elektrischen Stellantriebs (16) über die verschiebbare Achse (27) und den beweglichen Leerlaufanschlag (14) am Arm (13) sowie, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, die der Leerlaufregelung dienende Feder (15), bewegbar ist -Merkmal 2.3, vgl. Beschreibung S. 4 Z. 17-23 sowie S. 7, 8 -, woraus zugleich folgt, daß das Steuerelement durch den Stellantrieb ansteuerbar -Merkmal 2.2 - ist. Der Stellantrieb wirkt wiederum mit einer elektronischen Regeleinrichtung zusammen, was sich aus der Beschreibung S. 4 Z. 23-27 ergibt -Merkmal 2.2.1 -. Ein Ansatz (Drehanschlag 10) am Steuerelement -und nicht am Mitnehmer - wirkt hier mit einem weiteren Drehanschlag (11) an einem Arm (13) des Steuerelements zusammen. Dies entspricht von der Funktion, allerdings nicht von der gegenständlichen Ausbildung den Merkmalen 1.4 und 1.4.2. Dabei kommt bei einer minimalen Leerlaufstellung (entsprechend 12) der Ansatz (10) mit dem Mitnehmer zur Anlage, was wiederum von der Funktion, aber nicht von der gegenständlichen Ausbildung Merkmal 1.4.1 entspricht. Die zwischen dem Mitnehmer und dem Steuerelement angeordnete Feder (15) sowie eine weitere (Rückhol-) Feder (8) spannen den Arm (13) des Steuerelements in Leerlaufrichtung über den gesamten Leerlaufregelbereich vor (Beschreibung S. 7 Z. 24-27), wobei, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend erläutert hat, die Feder (8) unabhängig von der Leerlaufregelung wirkt und die Feder (15) speziell der Leerlaufregelung dient; dies entspricht Merkmal 3. Abhängig von der von einem selbsthemmenden Stellantrieb (16) beaufschlagten Stellung der beweglichen Achse (27) kann der bewegliche Leerlaufanschlag damit im Bereich der minimalen Leerlaufstellung liegen.

Die Merkmale 4 und 4.1 sind -was von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen wird -, bei dieser Entgegenhaltung nicht verwirklicht.

b) Die ebenfalls vorveröffentlichte deutsche Offenlegungsschrift 36 31 283 beschreibt eine Einrichtung zur gesteuerten Zumessung von Verbrennungsluft in eine Brennkraftmaschine. Diese Entgegenhaltung offenbart die Regelung der Verbrennungsluftzufuhr über eine steuerbare Drosselklappe. Daraus ergibt sich kein relevanter Unterschied zum Gegenstand des Streitpatents, weil, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, die Regelung der Luftzufuhr bei Verbrennungsmotoren in der Praxis in gleicher Weise erfolgt wie die Regelung der Zufuhr des Luft-Brennstoff-Gemischs. Jedenfalls beschreibt diese Entgegenhaltung nicht die Merkmalsgruppe 1; es handelt sich nach den insoweit übereinstimmenden Angaben der Parteien um eine Einrichtung, die in der Fachwelt als "elektronisches Fahrpedal" oder "drive-by-wire" bezeichnet wird und bei der Fahrpedal und Öffnungs- und Schließbewegung der Drosselklappe mechanisch vollständig entkoppelt sind.

Daß die deutsche Offenlegungsschrift 36 31 283 ein anderes Regelungssystem ("drive-by-wire") bei Brennkraftmaschinen als das Streitpatent betrifft, konnte den Fachmann schon deshalb nicht davon abhalten, dort gefundene Lösungen in seine Überlegungen mit einzubeziehen, weil es sich um das gleiche Fachgebiet der Regelung von derartigen Maschinen handelt. Auch Unterschiede in der der jeweiligen Lösung zugrundeliegenden Problemstellung sind entgegen der Auffassung der Beklagten für sich nicht geeignet, den Fachmann davon abzuhalten, andere bekannte Lösungen heranzuziehen. Einen Rechtsgrundsatz, daß bei der Prüfung der erfinderischen Tätigkeit nur solche Lösungen berücksichtigt werden können, die im Suchgebiet oder Suchfeld des Fachmanns liegen, kennt das EPÜ und mit ihm das entsprechend harmonisierte deutsche Recht entgegen der Auffassung der Beklagten (und der zum Patentrecht der ehem. DDR entwickelten Praxis; vgl. hierzu DPA, Spruchstelle für Nichtigerklärung, Mitt. 1992, 142) nicht.

Der Senat vermag auch dem Vorbringen der Beklagten nicht zu folgen, daß der Fachmann dieser Entgegenhaltung nur eine Vorrichtung entnehme, die die Luftzufuhr ausschließlich im Lastbereich und nicht auch im Leerlaufbereich regle und bei der in zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents in der Fachwelt bekannter Weise die Leerlaufregelung in Form einer "bypass"-Lösung erfolge. Der gerichtliche Sachverständige hat angegeben, daß der Fachmann die Lehre der Entgegenhaltung dahin verstehe, daß mittels der Drosselklappe über den gesamten Regelungsbereich geregelt werde. Hiergegen spricht auch nicht der Hinweis in der Entgegenhaltung, daß eine Gefahr des Festfrierens der Drosselklappe drohe. Dies kann, wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend angegeben hat, auch im Leerlaufbetrieb eintreten, wenn die Drosselklappe nur um einen kleinen Öffnungswinkel geöffnet ist. Daraus, daß in der Figur 2 der Entgegenhaltung und in deren Beschreibung (Spalte 4) völlig geschlossene Stellungen der Drosselklappe dargestellt oder beschrieben sind, entnimmt der Fachmann, wie der gerichtliche Sachverständige angegeben hat, auch nicht, daß es Ziel der Lehre der Entgegenhaltung wäre, die Drosselklappe völlig zu schließen und deshalb eine andere Regelung für den Leerlaufbereich vorzusehen. Zudem hat der gerichtliche Sachverständige auf Befragen angegeben, daß der Fachmann auch dann diese Entgegenhaltung in seine Überlegungen einbeziehen würde, wenn man zugunsten der Beklagten unterstellen wollte, daß der Fachmann ihr nur einen Einsatz der dort beschriebenen Vorrichtung bei einer "bypass"-Lösung entnimmt; die in der Entgegenhaltung beschriebene technische Lehre hat nämlich mit der "bypass"-Lösung an sich nichts zu tun. Der Senat tritt den auch insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen bei.

Die in der deutschen Offenlegungsschrift 36 31 283 beschriebene Vorrichtung weist eine ein Steuerelement -Merkmal 2 -bildende Stellwelle (12) auf, die eine ein Stellglied -Merkmal 2.1 - bildende Drosselklappe (11) trägt. In Übereinstimmung mit dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist sie, wenngleich allein und nicht zusätzlich, durch einen elektromotorischen Steller (13) antreibbar oder positionierbar, der Stellsignale über Anschlußleitungen (14) erhält; dies setzt eine Signalerzeugung und damit eine elektronische Regeleinrichtung voraus -entsprechend Merkmalen 2.2, 2.2.1 -. Anders als beim Streitpatent erfolgt die Regelung nicht nur im Leerlaufregelbereich, sondern im gesamten Betriebsbereich und somit unabhängig davon, ob ein Mitnehmer an einem Leerlaufanschlag anliegt; Merkmal 2.3 ist damit nicht verwirklicht. Die Stellwelle trägt ihrerseits einen Mitnehmer (18), der als bewegliches Widerlager für ein erstes Ende (17) einer Rückführfeder (15) dient, deren zweites Ende raumfest befestigt ist (Beschreibung Sp. 3 Z. 62-66). Dadurch wird die Drosselklappe -entsprechend Merkmal 3 - über die Stellwelle in Richtung der geschlossenen Stellung zurückgestellt, ist also insoweit vorgespannt. Die Stellwelle trägt ferner einen weiteren Mitnehmer (19), der in entgegengesetzter Richtung von einer zweiten Gegenstellfeder (21) beaufschlagt wird und über diese ein vollständiges Schließen der Drosselklappe verhindert; dieses ist mithin nur über eine -gegenläufige -Betätigung des Stellers zu erreichen (vgl. Beschreibung Sp. 4 Z. 17-23). Hierzu muß die Gegenstellfeder hinsichtlich ihrer Federkraft entsprechend ausgelegt sein (vgl. Beschreibung Sp. 4 Z. 26 f.).

c) aa) Der Fachmann mußte einer Zusammenschau der unter a) und b) erörterten Entgegenhaltungen entnehmen, daß grundsätzlich eine Lösung des der Lehre des Streitpatents zugrunde liegenden technischen Problems dadurch zu erreichen war, daß er das aus der europäischen Patentanmeldung 208 022 bekannte und auch bei der deutschen Offenlegungsschrift 36 31 283 verwirklichte Steuerelement zusätzlich mit einer zweiten Feder in Lastrichtung versah, und diese Feder entsprechend auslegte. Damit ergab sich das der Lösung des Streitpatents zugrunde liegende Lösungsprinzip für ihn in naheliegender Weise aus dem vorbekannten Stand der Technik. Zu einer solchen Lösung hatte der Fachmann, der sich aus der Praxis mit dem Problem der nicht ausreichenden Leerlaufeinstellung bei Ausfall der elektrisch-elektronischen Steuerung konfrontiert sah, auch Anlaß, da er nur hierdurch eine Leerlaufeinstellung erreichen konnte, die den im Betrieb zu erwartenden und infolge der erweiterten Verwendung zusätzlicher elektrischer Verbraucher (z.B. Betrieb von Gebläse oder Heckscheibenheizung oder Klimaanlage) gestiegenen Anforderungen an die für einen sicheren Leerlaufbetrieb erforderliche Motorleistung gerecht werden konnte.

bb) Diese als solche naheliegende Erkenntnis führte den Fachmann allerdings nicht ohne weiteres zu einer funktionsfähigen Vorrichtung, wie sie das Streitpatent beschreibt und unter Schutz stellt. Wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, überstiegen die erforderlichen Anpassungen jedoch ebenfalls und auch in Zusammenschau mit dem Auffinden des grundsätzlichen Lösungswegs nicht das Fachkönnen des hier verhältnismäßig hoch qualifizierten Fachmanns und erreichen noch nicht die Ebene erfinderischer Tätigkeit.

(1)

Dies gilt zunächst für die geringfügigen Abweichungen bei der Merkmalsgruppe 1.4, hinsichtlich derer sich auch die Beklagte nicht auf eine erfinderische Leistung beruft.

(2)

Einer Leerlaufregelung auf einen für Notfälle bei Ausfall der elektrisch-elektronischen Steuerung ausreichenden Wert mittels Beaufschlagung der Stellung der Drosselklappe durch eine entgegen der Schließrichtung wirkende Feder stand zunächst entgegen, daß der Stellantrieb bei der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 208 022 selbsthemmend ausgebildet ist und daß deshalb eine Regelung gegen diesen Stellantrieb nur dann möglich ist, wenn auf die Selbsthemmung verzichtet wird. Dies festzustellen bereitete dem Fachmann jedoch keine Schwierigkeiten; er konnte den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen zufolge ohne weiteres erkennen, daß für seine Zwecke lediglich ein Antrieb geeignet ist, der in stromlosem Zustand nicht zu einem definierten Anschlag führt. Solche Antriebe standen ihm zur Verfügung. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung wurde er von ihrem Einsatz auch nicht dadurch abgehalten, daß beim elektrisch-elektronischen Betrieb der Regelungseinrichtung bei nicht selbsthemmender Ausbildung anders als bei einem selbsthemmenden Antrieb ständig ein Spannungszustand aufrecht erhalten werden mußte. Der gerichtliche Sachverständige hat hierzu angegeben, der Fachmann sehe, daß ein selbsthemmender Stellmotor unzweckmäßig sei, weil er stromlos seine Stellung beibehalte. Der Fachmann erkenne weiter, daß er einen Antrieb einsetzen müsse, der in stromlosem Zustand keinen definierten Anschlag bilde. Der Senat folgt dem und sieht mit dem gerichtlichen Sachverständigen hierin eine Maßnahme, die im Rahmen der konstruktiven Fähigkeiten des Fachmanns liegt.

Vom Einsatz eines geeigneten, entsprechend ausgebildeten Antriebs konnte der Fachmann auch nicht die Überlegung abhalten, daß diese Maßnahme zu einem höheren Energieeinsatz führen mußte. Ein entsprechender Einwand der Beklagten hat den gerichtlichen Sachverständigen nicht veranlassen können, von seiner Einschätzung abzurücken. Diese bleibt für den Senat auch angesichts des Einwands überzeugend, denn es liegt auf der Hand, daß bei einem unter Einsatz elektrischer Energie betriebenen Regelungssystem Verbesserungen in der Sicherheit und Genauigkeit des Systems zu höherem Energieeinsatz führen können. Dies kann den Fachmann nicht dazu bewegen, Lösungen, die einen höheren Energieeinsatz erfordern, von vornherein unberücksichtigt zu lassen.

(3) Eine weitere Schwierigkeit lag für den Fachmann, worauf die Beklagte an sich zutreffend hingewiesen hat, in der Positionierung der zweiten Feder. Diese unmittelbar am Arm (13) der Vorrichtung nach der Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 208 022 anzuordnen, verbot sich schon deshalb, weil dadurch die Bewegung des Steuerelements (9) im Lastbereich außerhalb des Leerlaufbereichs behindert, wenn nicht unmöglich gemacht worden wäre. Dies hat auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt. Es bedurfte daher konstruktiver Überlegungen, wo der Federangriff der zweiten Feder zweckmäßigerweise und funktionsgerecht angeordnet werden konnte. Das Auffinden einer entsprechenden Lösung erforderte indessen ebenfalls noch kein erfinderisches Zutun. Für den Fachmann lag es, wie der gerichtliche Sachverständige auf Grund eingehender Erörterung in der mündlichen Verhandlung überzeugend angegeben hat, auf der Hand, daß der Angriff der Federkraft, sollte die Vorrichtung die gewünschte Funktion erfüllen, zu einer Öffnung der Drosselklappe über die bei minimaler Leerlaufstellung einzunehmende Stellung hinaus führen muß. Die minimale Leerlaufstellung ihrerseits ist bei der vorbekannten Vorrichtung durch den Leerlaufanschlag (12) definiert. Die durch die Federkraft auszulösende Drehbewegung des Arms (13) mußte daher nach der Figur 1 der europäischen Patentanmeldung 208 022 hinaus im Uhrzeigersinn erfolgen. Um dies zu ermöglichen, mußte der bewegliche Leerlaufanschlag (14) entsprechend wegbewegt werden. Daraus folgte notwendig, daß die zweite Feder so angreifen mußte, daß der Anschlag infolge der Federkraft eine entsprechende Bewegung ausführen mußte. Wie dies beispielsweise geschehen kann, hat die Klägerin mit der im Berufungsverfahren vorgelegten Zeichnung Anlage K 13 (Bl. 50 der Akten des Berufungsverfahrens), auf die Bezug genommen wird, aufgezeigt; die Beklagte hat nicht in Abrede stellen können, daß dies zu einer sinnvollen und praktikablen Lösung führt. Danach müssen die veschiebbare Achse (27) bei Ausfall der Stromversorgung frei beweglich ausgebildet und die zweite Feder an dem dem beweglichen Leerlaufanschlag (14) entgegengesetzten Ende dieser Achse derart angeordnet werden, daß die Feder in diesem Betriebszustand die Achse von dem beweglichen Leerlaufanschlag (14) bis in die gewünschte Stellung weg bewegt. Der gerichtliche Sachverständige hat auch auf Befragung hin angegeben, daß eine solche Lösung die konstruktiven Fähigkeiten des Fachmanns nicht übersteigt. Der Senat folgt ihm hierin und kann in der Anordnung der Feder auch in Zusammenschau mit den weiter erforderlichen gedanklichen Schritten eine erfinderische Leistung nicht erkennen.

III. 1. Die hilfsweise verteidigte Fassung des Patentanspruchs 1 des Streitpatents weist folgende zusätzliche Merkmale auf:

2.4 das Steuerelement ist zweiteilig ausgebildet mit 2.4.1 einem ersten Steuerelementteil (8a), 2.4.1.1 das mit dem Mitnehmer zusammenwirkt 2.4.1.2 und auf das Stellglied einwirkt, sowie 2.4.2 einem zweiten Steuerelementteil (8b), 2.4.2.1 das mittels des elektrischen Stellantriebs ansteuerbar ist, 2.4.3 wobei das erste Steuerelementteil (8a) in den Stellweg des zweiten Steuerelementteils ragt 2.4.3.1 auf der der maximalen Leerlaufstellung (LLmax) zugeordneten Seite des zweiten Steuerelementteils;

4.2 die zweite Feder wirkt mit dem zweiten Steuerelementteil zusammen.

2. Die zusätzlichen Merkmale sind nicht geeignet, die Beurteilung, daß der Gegenstand des Streitpatents nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht, im Ergebnis zu beeinflussen. Sie finden sich nämlich nahezu vollständig auch bei dem durch die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 208 022 offenbarten Gegenstand. Bei diesem kann die verschiebbare Achse (27) von ihrer technischen Funktion wie von ihrer gegenständlichen Ausbildung her ohne weiteres als zweites Steuerelementteil verstanden werden. Daran ändert es entgegen der Auffassung der Beklagten auch nichts, daß diese Achse in Verbindung mit dem elektrischen Stellantrieb (16) steht; eine solche Verbindung steht einer Einordnung (zugleich) als zweites Steuerelementteil nicht entgegen. Diese Achse ist von dem Stellantrieb ansteuerbar. Das erste Steuerelementteil ist in Form des Steuerelements (9) mit dem Arm (13) verwirklicht; es wirkt auch mit dem Mitnehmer zusammen und auf das Stellglied ein. Dabei ragt dieses erste Steuerelementteil bei dem beweglichen Anschlag (14) in den Stellweg der beweglichen Achse als des zweiten Steuerelementteils hinein. Abweichend von Merkmal 2.4.3.1 geschieht dies allerdings nicht auf der der maximalen Leerlaufstellung zugeordneten Seite des zweiten Steuerelements, sondern auf der der minimalen Leerlaufstellung zugeordneten Seite. Hierbei handelt es sich jedoch ersichtlich nur um ein konstruktives Detail nach Art einer kinematischen Umkehr, das der Fachmann ohne erfinderisches Zutun nach den jeweiligen Erfordernissen auszugestalten in der Lage ist und ausgestalten wird. Die zweite Feder hier angreifen zu lassen, ist -wie bereits ausgeführt -ebenfalls naheliegend. Auch die Zusammenschau der zusätzlichen Merkmale mit den übrigen rechtfertigt keine andere Beurteilung.

IV. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus dem nach Art. 29 2. PatGÄndG übergangsweise weiterhin anzuwendenden § 110 Abs. 3 PatG i.d.F. der Bekanntmachung vom 16. Dezember 1980 (BGBl. 1981 I S. 1) i.V.m. §§ 91, 97 ZPO.






BGH:
Urteil v. 11.01.2000
Az: X ZR 20/98


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