Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 18. Februar 2010
Aktenzeichen: L 8 B 13/09 R ER

(LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 18.02.2010, Az.: L 8 B 13/09 R ER)

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 17.6.2009 geändert. Der Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.3.2009 wird abgelehnt. Der Antragsteller trägt die Verfahrenskosten in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 640 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Herstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.3.2009, mit dem diese die Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen für die nach ihrer Auffassung bei dem Antragsteller abhängig beschäftigte Reinigungskraft G verlangt.

Frau G war seit dem 1.3.1993 aufgrund eines entsprechenden schriftlichen Arbeitsvertrages als Arbeitnehmerin des Antragstellers mit Reinigung und Pflege der Räume der vom Antragsteller in der T Str. 00 in M betriebenen Anwaltskanzlei beschäftigt. Der schriftliche Arbeitsvertrag sah u.a. vor, dass ihr die zur Erledigung der Reinigungs- und Pflegearbeiten erforderlichen Hilfsmittel (Leiter, Eimer, Lappen, Reinigungsmittel u.a.) zur Verfügung gestellt wurden. Die Reinigungsarbeiten sollten einmal wöchentlich außerhalb der üblichen Bürozeiten erledigt werden. Der genaue Wochen-Arbeitstag war zwischen den Vertragsparteien abzustimmen, wobei bis auf weiteres absprachegemäß am Samstagvormittag gearbeitet werden sollte. Hierfür erhielt Frau G einen monatlichen Arbeitslohn von brutto 231,00 DM.

Ausweislich eines nur unvollständig vorliegenden Schreibens des Antragstellers an Frau G vom 18.10.1999 wurde der Arbeitsvertrag aufgrund des Umzugs der Kanzlei in die unteren Etagen des Hauses "einvernehmlich aufgehoben". Die neuen Kanzleiräume im Keller- und Erdgeschoss soll Frau G seit Oktober 1999 "eigenverantwortlich und selbstständig auf Erfolgs- und Werkvertragsbasis" reinigen und pflegen und hierfür 110,00 DM pro Kanzleireinigung erhalten, wobei die "Reinigungsintervalle jeweils eine Woche betragen" sollen. Nach Angaben des Antragstellers erhielt Frau G in den Jahren 2004 und 2005 jeweils 1.690,00 EUR, in 2006 und 2007 jeweils 1.560,00 EUR und in 2008 1.248,00 EUR. Der "Putzwerklohn-Abrechnung für 2007" v. 14.7.2008 lässt sich entnehmen, dass die Abrechnung aufgrund eines "vereinbarten Werklohns" von 52 x 30,00 EUR erfolgte, der in zwölf Abschlägen von je 130,00 EUR ausgezahlt worden war. In der Abrechnung heißt es weiter, dass die Putzmittel "bereits gesondert verrechnet" worden seien.

Zum Inhalt ihrer Tätigkeit machte Frau G im vorliegenden Verwaltungsverfahren am 27.1.2009 folgen Angaben: Sie übe seit dem 10.10.1999 das Gewerbe "Raum- und Büropflege", derzeit nur für den Antragsteller, aus. Sie arbeite an dessen Betriebssitz und habe keine regelmäßigen Arbeits- oder Anwesenheitszeiten einzuhalten. Der Antragsteller könne ihr Einsatzgebiet nicht ohne ihre Zustimmung verändern. Die Einstellung von Vertretern oder Hilfskräften sei nicht von der Zustimmung des Antragstellers abhängig. Die Frage, ob ihr Weisungen hinsichtlich der Ausführung (Art und Weise) ihrer Tätigkeit erteilt würden, beantwortete Frau G nicht. Auf die Frage "Beschreiben Sie bitte Ihr unternehmerisches Handeln bezüglich eigenen Kapitaleinsatzes, eigener Kalkulation, Preisgestaltung, Werbung und Ablehnung von Aufträgen" beantwortete Frau G mit "./.". Im Rahmen eines Freitextes führte sie aus: Ihre frühere Tätigkeit für den Antragsteller habe ein anderes Objekt betroffen. Im Gegensatz zu heute seien ihr früher die zur Erledigung der Reinigungsarbeiten erforderlichen Hilfsmittel kostenfrei gestellt, Arbeitszeitpunkt und Arbeitsdauer fest vorgeschrieben worden. Sie habe einen festen Urlaubsanspruch gehabt, sei gegen Arbeitsunfälle gesetzlich unfallversichert gewesen und habe auch Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle gehabt. Die Stellung einer Vertretung sei nicht erlaubt gewesen, die Einnahmen habe sie im Wege der Lohnsteuer versteuern müssen. Im Rahmen ihrer heutigen Tätigkeit habe sie keinen Urlaubsanspruch, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle, das Vertragsverhältnis sei jederzeit kündbar gewesen, es gebe keine Schweigepflichterklärung, ihre Bezahlung sei zeitunabhängig, sie könne eine Vertretung für sich arbeiten lassen, Art, Zeitpunkt und Zeitdauer der Arbeitserledigung bestimme sie allein selbst. Sie sehe den Antragsteller häufig wochenlang nicht.

Am 9.4.2008 führte die Antragsgegnerin beim Antragsteller eine Betriebsprüfung durch, über die sie mit Datum vom selben Tag einen Bescheid erteilte. Da der Antragsteller vorbereitend zu der Prüfung Frau G nicht als Mitarbeiterin angegeben hatte und die Tätigkeit von Frau G auch sonst im Rahmen der Betriebsprüfung nicht thematisiert worden war, traf der Bescheid sie betreffend keine Regelung.

Mit Schreiben vom 5.9.2008 übermittelte das Finanzamt E der Antragsgegnerin als Kontrollmitteilung u.a. die Abrechnung von Frau G für das Jahr 2007 und stellte anheim, den Sachverhalt aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht zu prüfen. Mit Schreiben vom 6.10.2008 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, Abrechnungen über erbrachte Arbeitsleistungen von Frau G in der Zeit vom 1.12.2003 bis 30.9.2008 zur Prüfung einzureichen. Am 4.11.2008 meldete Frau G ihr seit dem 10.10.1999 bestehendes Gewerbe an. Am 15.1.2009 führten die Antragsgegnerin und der Antragsteller einen Termin zur "Erörterung der Sach- und Rechtslage" durch. Mit Bescheid v. 20.3.2009 setzte die Antragsgegnerin eine Nachforderung in Höhe von 2.563,02 EUR incl. Säumniszuschlägen von 547,00 EUR ab 1.1.2004 fest. Mit seinem Widerspruch beantragte der Antragsteller zugleich Aussetzung der Vollziehung. Er vertrat die Auffassung, Frau G sei selbstständig für ihn tätig. Im Übrigen sei eine etwaige Beitragsforderung jedenfalls für das Jahr 2004 verjährt. Säumniszuschläge seien nicht zu erheben, weil ihn kein Verschulden treffe. Aufgrund des Ergebnisses der Betriebsprüfung vom 9.4.2008 dürfe zudem kein weiterer Bescheid erlassen werden. Die Antragsgegnerin lehnte die Aussetzung der Vollziehung ab (Schreiben vom 24.4.2009).

Mit seinem Antrag an das Sozialgericht (SG) Detmold auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung hat der Antragsteller unter Darlegung der einzelnen Umstände vorgetragen, es sprächen mindestens ebenso viele gewichtige Gesichtspunkte für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit von Frau G wie für eine abhängige Beschäftigung. Er hat die Richtigkeit sämtlicher Angaben an Eides Statt versichert. Auf ausdrückliche Fragen des SG hat er mitgeteilt: Frau G habe sich in der Tat mehrmals durch Dritte vertreten lassen. Wann und wie häufig dies der Fall gewesen sei, könne er nicht sagen. Er sei regelmäßig während der Dienstverrichtung/Raumpflegeleistungen überhaupt nicht anwesend gewesen. Er sei ihm gleichsam egal, wer, wann und in welcher Art und Weise für den "Raumglanz" der Kanzlei sorge, wenn es nur "Tipp-Topp" aussehe. Frau G müsse (anders als von 1993 bis 1999) die liquiden Reinigungsprodukte selbst bezahlen. Eimer und Staubsauger seien in der Kanzlei laufend präsent ebenso wie Reinigungswasser und Reinigungsstrom. Auch das Büropersonal müsse gelegentlich darauf zurückgreifen, um "Akutschmutz" sofort zu beseitigen. Er habe sich vor Vertragsschluss um vergleichende Angebote anderer Dienstleister bemüht. Einzelheiten wisse er nicht mehr, nur noch, dass er sich auch bei Personal-Leasing-Firmen erkundigt habe, die jedoch vergleichsweise teuer gewesen seien.

Der Antragsteller hat beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 14.4.2009 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.3.2009 bis zum Ablauf eines Monats nach Erlass und Zustellung eines Widerspruchsbescheides der Antragsgegnerin anzuordnen.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat die Auffassung vertreten, die Eingliederung von Frau G habe über Oktober 1999 hinaus unverändert fortbestanden. Frau G habe keinerlei nennenswertes eigenes Kapital einzusetzen gehabt und auch keinen Einfluss auf ihren eigenen Gewinn gehabt. Darüber hinaus habe sie immer der Kontrollmöglichkeit durch den Antragsteller unterlegen.

Das SG hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 14.4.2009 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin v. 20.3.2009 angeordnet (Beschluss v. 17.6.2009, Bl. 50 GA) und den Streitwert auf 854,34 EUR festgesetzt (1/3 des Wertes der Hauptforderung; Beschluss v. 23.6.2009). Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides v. 20.3.2009. Nach den Angaben des Antragstellers, die durch die schriftliche Befragung von Frau G bestätigt worden seien, spreche deutlich mehr für als gegen eine selbstständige Tätigkeit. Es bestünden keine Zeitvorgaben und keine Verpflichtung, die Büropflege persönlich zu erbringen. Frau G würde auch nicht überwacht. Sie habe ihre selbstständige Tätigkeit gegenüber dem Finanzamt "gelebt", ein Gewerbe angemeldet und eigenes Kapital eingesetzt. Für ihre Vermutung, die vormalige abhängige Beschäftigung werde im Wesentlichen unverändert fortgesetzt, habe die Antragsgegnerin keine Beweise gesammelt bzw. sammeln können. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Inhalt des Beschlusses Bezug genommen.

Dagegen richtet sich die fristgerechte Beschwerde der Antragsgegnerin, die vorträgt: Frau G sei ausschließlich für den Antragsteller tätig gewesen, abgesehen von der Zeit vom 1.9.2007 bis zum 31.12.2008, in der sie auf der Grundlage des Haushaltsscheckverfahrens in einem Privathaushalt als abhängig Beschäftigte gearbeitet habe. Es frage sich, warum sie nicht auch dort aufgrund ihres Gewerbes tätig geworden sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) werde ihre Abhängigkeit vom Antragsteller im Übrigen auch nicht dadurch aufgehoben, dass sie einzelne Aufgaben, bei denen es auf eine höchstpersönliche Ausführung nicht ankomme, auf andere Personen übertragen könne. Es erscheine allerdings wenig glaubhaft, dass der Antragsteller eine völlig unbekannte Person in seinen Kanzleiräumen arbeiten lasse. Die Gewerbeanmeldung sei erst nach Ankündigung der Betriebsprüfung erfolgt. Zum Einsatz von Betriebsmitteln weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass Frau G lediglich die Reinigungsmittel - wenn überhaupt - besorgt habe, während alle anderen Utensilien der Antragsteller gestellt habe. Frau G habe auch kein Risiko getragen, ihre Arbeitskraft vergeblich einzusetzen, da sie unabhängig vom Arbeitsergebnis nach festen Sätzen bezahlt worden sei.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 17.6.2009 aufzuheben und den Anordnungsantrag vom 28.4.2009 zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er hält den Beschluss des SG für zutreffend. Zusätzlich vertritt er nunmehr die Auffassung, die Antragsgegnerin sei zum Erlass des angefochtenen Bescheides nicht zuständig gewesen. Sie habe nicht im Rahmen ihrer Kompetenz als Betriebsprüfungsstelle gehandelt, sondern stattdessen Aufgaben der Einzugsstelle (im Falle von Frau G der Beigeladenen) wahrgenommen. Diesem Argument hält die Antragsgegnerin entgegen, sie habe sich im Rahmen ihrer Ermächtigung zur Durchführung von Betriebsprüfungen gehalten und eine sog. "Sonderprüfung" aufgrund der Benachrichtigung durch das Finanzamt vorgenommen.

Die Beigeladene schließt sich der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin an, ohne einen eigenen Antrag zu stellen. Sie hält es insbesondere für untypisch, dass eine angeblich im Reinigungsgewerbe selbstständig Tätige weitestgehend für einen Auftraggeber tätig wird.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 20.3.2009 zu Unrecht angeordnet.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen einschließlich der darauf entfallenden Nebenkosten. Die Entscheidung, ob sie ausnahmsweise dennoch durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Aufschubinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 Satz 2 SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Da § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Aufschubinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs (Widerspruch oder Klage) zumindest überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung im Eilverfahren mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (zu diesem Prüfungsmaßstab vgl. bereits Senat, Beschluss v. 24.6.2009, L 8 B 4/09 R ER; Beschluss v. 27.7.2009, L 8 B 5/09 R ER; jeweils juris und sozialgerichtsbarkeit.de).

1. Entgegen der Auffassung des SG spricht nicht mehr dafür als dagegen, dass Frau G bei der Reinigung der Kanzleiräume des Antragstellers als Selbstständige tätig wird.

Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Danach ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Dieses bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen, zu denen die rechtlich relevanten Umstände gehören, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus der abhängigen Beschäftigung erlauben (BSG, Urteil v. 11.3.2009, B 12 KR 21/07 R, USK 2009-25; Urteil v. 24.1.2007, B 12 KR 31/06 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 7; Urteil v. 18.12.2001, B 12 KR 10/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 20; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung BVerfG, Kammerbeschluss v. 20.5.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11).

a) Ausgehend hiervon sprechen zunächst die überwiegenden Gesichtspunkte dafür, dass Frau G in die Kanzlei des Antragstellers eingegliedert ist und hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung seinem Weisungsrecht unterliegt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine tatsächlich bestehende Eingliederung in den Betrieb des Dienstherrn nicht deshalb in ihrer Bedeutung zurücktritt, weil sie (auch) in der Eigenart der zu erbringenden Leistung begründet ist.

aa) Keiner näheren Darlegung bedarf in diesem Zusammenhang, dass der Ort der Tätigkeit in Gestalt der Kanzleiräume des Antragstellers vorgegeben ist (was zugleich dazu führt, dass Frau G nicht über die eine selbstständige Tätigkeit kennzeichnende eigene Betriebsstätte verfügt). Ebenso hat Frau G ein bestimmtes, vom Antragsteller in den Worten "Raumglanz" und "Tipp Topp" beschriebenes Arbeitsergebnis zu erzielen. Dass der Antragsteller ihr dabei nicht im Einzelnen Anweisungen zur Reinigungstechnik gibt, steht dieser Beurteilung nicht entgegen, zumal auch der Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1993 insoweit lediglich allgemeine Vorgaben enthielt ("regelmäßig zu reinigen und alle damit typischerweise zusammenhängenden Arbeiten zu erledigen"). Anhaltspunkte dafür, dass seinerzeit ein stärkeres Weisungsrecht ausgeübt worden wäre als gegenwärtig, sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass Frau G die Frage, ob ihr Einzelweisungen erteilt würden, im Fragebogen vom 29.1.2009 nicht beantwortet hat.

bb) Ohne weitergehende, bislang nicht erkennbare, Anhaltspunkte ist aber auch davon auszugehen, dass ein Zeit und Dauer der Tätigkeit umfassendes Weisungsrecht besteht. Der mit dem Schreiben des Antragstellers vom 18.10.1999 bestätigte "Werkvertrag" kann zur Beurteilung dieser Frage nur eingeschränkt herangezogen werden, weil der Antragsteller - trotz entsprechenden Hinweises der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 15.6.2009 - dieses Schreiben bislang nicht vollständig vorgelegt hat. Immerhin deutet die Fassung des letzten Satzes auf der ersten Seite des Schreibens "Reinigungszeiten sowie Art und Weise der Raumpflege werden Ihnen eigenverantwortlich überlassen, wobei " auf eine mögliche Einschränkung hin. Darauf kommt es letztlich jedoch nicht an. Zum einen ist vertraglich vereinbart, dass die Reinigungsintervalle eine Woche betragen sollen. Zum anderen ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass Frau G sich bei der Auswahl des Reinigungstages und des Zeitpunkts ihrer Reinigungsarbeiten nicht dienend in den Arbeitsprozess der Kanzlei einzufinden hätte. So erscheint es dem Senat ohne weiteren Vortrag des Antragstellers lebensfremd anzunehmen, dass dieser sich z.B. mit der Vereinbarung seiner Besprechungstermine danach richtet, wann Frau G gerne die Besprechungsräume reinigen möchte.

b) Für eine Selbstständigkeit von Frau G spricht auch nicht, dass diese vertraglich das Recht hat, ihre Leistung durch andere erbringen zu lassen. Die vertragliche Einräumung einer Delegationsbefugnis allein ist kein entscheidendes Kriterium für eine selbstständige Tätigkeit, weil sie nichts darüber aussagt, inwieweit von ihr Gebrauch gemacht wird bzw. realistischerweise überhaupt Gebrauch gemacht werden könnte und sie damit die Tätigkeit tatsächlich prägt. Vertragsklauseln, die faktisch von untergeordneter Bedeutung sind, können zwar in die vorzunehmende Gesamtwürdigung einbezogen werden, aber nicht von vorneherein als prägend angesehen werden. Insoweit fehlt bislang jeglicher konkrete Vortrag, der geeignet sein könnte, die Delegation der von Frau G geschuldeten Leistung auf Dritte nach Zahl und Person dieser Dritten als prägend für eine selbstständige Tätigkeit anzusehen. Nicht nachvollziehen kann der Senat in diesem Zusammenhang die Darstellung des Antragstellers, es sei ihm gleichsam gleichgültig, welche Personen die Reinigung der Kanzleiräume vornähmen. Der Antragsteller hat als Rechtsanwalt im Rahmen der in § 2 Abs. 1 der Berufsordnung (BORA) geregelten Verschwiegenheitspflicht dafür zu sorgen, dass Unbefugte keinen Einblick in Mandantenunterlagen und Mandanten betreffende Unterlagen erhalten (vgl. § 9 Abs. 6 der Satzung über die Rechte und Pflichten bei der Ausübung der Berufe der Steuerberater und der Steuerbevollmächtigten, wo diese Selbstverständlichkeit ausdrücklich geregelt ist). Damit erscheint es kaum vereinbar, beliebigen Dritten zu ihnen genehmen Zeiten, also auch außerhalb der Anwesenheit des Antragstellers bzw. des von ihm zur Verschwiegenheit angehaltenen Kanzleipersonals, unbeaufsichtigten Zutritt zu den Kanzleiräumen zu gewähren.

c) Zwar ist das SG im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Einsatz eigener Betriebsmittel und die Übernahme eines unternehmerischen Risikos für die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit sprechen können.

aa) Eine Verkürzung von Arbeitnehmerschutzrechten begründet indessen in diesem Sinne noch kein unternehmerisches Risiko. Dass Frau G meint, keine Ansprüche auf Urlaub oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu haben, spricht daher noch nicht für eine selbstständige Tätigkeit, weil sie bei Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung entsprechende Rechte geltend machen und durchsetzen könnte.

bb) Soweit der Antragsteller es als Indiz für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit gewertet wissen will, dass Frau G als Ausdruck ihres unternehmerischen Risikos die Verbrauchsmaterialien für ihre Reinigungsarbeiten auf eigene Kosten beschafft, ist dieses Merkmal im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung in den Kontext der vertraglichen Beziehung und ihrer tatsächlichen Durchführung einzuordnen (vgl. BSG, Urteil v. 19.8.2003, B 2 U 38/02 R, SozR 4-2700 § 2 Nr. 1). Ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit ist die Übernahme eines Unternehmerrisikos danach nur dann, wenn damit auch tatsächlich Chancen und nicht nur Risiken bei der Einkommenserzielung verbunden sind, hier also durch den eigenen Kapitaleinsatz eine Erweiterung unternehmerischer Möglichkeiten von Frau G verbunden ist. Inwiefern der Einkauf von Putzmitteln - alle weiteren Utensilien werden vom Antragsteller gestellt - für die Reinigungstätigkeit in einem einzigen Objekt (Anwaltskanzlei) diese Voraussetzung erfüllen könnte, ist weder erkennbar noch vorgetragen. Lediglich ergänzend weist der Senat darauf hin, dass der Antragsteller im Rahmen der weiteren Sachaufklärung ggf. noch erläutern könnte, welche Bedeutung der in der "Putzwerklohn-Abrechnung für 2007" enthaltenen Formulierung zukommt, wonach die Putzmittel "gesondert verrechnet" worden sind.

cc) Eine Erweiterung der unternehmerischen Chancen von Frau G durch die Begründung einer selbstständigen Tätigkeit ist ebenfalls weder ersichtlich noch dargelegt. Frau G selbst hat im Fragebogen der Antragsgegnerin die Frage nach ihrem unternehmerischen Handeln bezüglich eigenen Kapitaleinsatzes, eigener Kakulation, eigener Preisgestaltung etc. vollständig, nämlich mit "./.", verneint. Auf fehlende Preisgestaltungsmöglichkeiten weist auch die Entwicklung ihrer Vergütung hin. Ausgehend von dem 1993 vereinbarten Arbeitslohn von 231,00 DM brutto und einem Bruttoumsatz im Jahr 2007 von 1.560,00 EUR hat sich ihr Bruttoentgelt innerhalb von 14 Jahren bei gleichzeitiger (angeblicher) Übernahme von Betriebskosten um weniger als 10 % gesteigert, während der aus der Entwicklung der Bezugsgröße (§ 18 SGB IV) ersichtliche Bruttodurchschnittsverdienst aller abhängig Beschäftigten im selben Zeitraum um etwa 30 % gestiegen ist. Bei alledem ist nicht erkennbar, dass die "Vereinbarung" vom 18.10.1999 insoweit in der Praxis umgesetzt worden ist bzw. wird. Während dort ein Betrag von 110,00 DM pro Reinigung bei Reinigungsintervallen von einer Woche vereinbart worden ist, sind 2007 offenbar lediglich 30,00 EUR pro Reinigung gezahlt worden. Welche Überlegungen dem zugrunde gelegen haben und ob Frau G in diesem Rahmen überhaupt die Möglichkeit zu unternehmerischer Preisgestaltung hatte, ist nicht dargelegt worden.

2. Die übrigen Einwände des Antragstellers gegen den Bescheid v. 20.3.2009 rechtfertigen ebenfalls nicht die Annahme, der Bescheid werde sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen.

a) Das gilt zunächst für die vom Antragsteller namentlich im Beschwerdeverfahren aufgeworfene Frage, ob § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV als Ermächtigungsgrundlage auch den vorliegenden Bescheid deckt oder ob für den Erlass eines solchen Bescheides nicht allein die Einzugsstelle (im vorliegenden Fall gemäß § 28i Satz 5 SGB IV die Beigeladene) zuständig ist. Zwar entscheidet nach § 28h Abs. 2 Satz 1 SGB IV grundsätzlich die Einzugsstelle über Versicherungspflicht und Beitragshöhe. Andererseits erlaubt § 28p Abs. 1 Satz 3 SGB IV auch außerhalb der turnusmäßigen Betriebsprüfungen sog. Adhoc-Prüfungen, soweit eine alsbaldige Prüfung beim Arbeitgeber erforderlich ist. Eine solche kommt nach Ziff. 1.1.2 des Gemeinsamen Rundschreibens der Spitzenverbände v. 30.10.2003 "in erster Linie" u.a. bei Hinweisen der Arbeitsämter, Behörden der Zollverwaltung, Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft oder des Versicherten in Betracht. Schon seinem Wortlaut nach ist dieser Katalog indessen nicht abschließend, sodass auch Hinweise anderer Stellen (z.B. der Finanzbehörden gemäß § 31a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a) Abgabenordnung) eine Adhoc-Prüfung auslösen können (vgl. Roßbach in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Kommentar zum Sozialgericht, 2009, § 28p SGB IV Rdnr. 8; Schafhausen in Plagemann, Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht, 3. Aufl. 2009, § 11 Rdnr. 10). Ob demgegenüber mit dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht (Urteil v. 25.4.2007, L 5 KR 7/06, juris) § 28p Abs. 1 SGB IV einschränkend dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Vorschrift nicht die Überprüfung einzelner Versicherungsverhältnisse deckt, ist eine offene Rechtsfrage, die im Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz nicht abschließend geklärt werden kann, nach Auffassung des erkennenden Senates aber jedenfalls nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne des Antragstellers zu beantworten ist.

b) Aus dem Ergebnis der vorangegangenen Betriebsprüfung (Bescheid v. 9.4.2008), bei der die Behandlung von Frau G nicht thematisiert und daher auch nicht beanstandet worden ist, kann der Antragsteller keinen Vertrauensschutz herleiten. Die Prüfbehörden sind bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV selbst in kleinen Betrieben zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller Versicherten nicht verpflichtet. Eine über eine Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den Betriebsprüfungen nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen oder ihm "Entlastung" zu erteilen (BSG, Urteil v. 14.7.2004, B 12 KR 10/02 R, SozR 4-5375 § 2 Nr. 1).

c) Es sprechen auch keine überwiegenden Gesichtspunkte für die Annahme, die Beitragsforderung der Antragsgegnerin sei für das Jahr 2004 bereits verjährt. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Für die Dauer einer Prüfung beim Arbeitgeber ist die Verjährung gehemmt (§ 25 Abs. 2 Satz 2 SGB IV). Da eine Prüfung auch mit der Aufforderung beginnen kann, die erforderlichen Unterlagen vorzulegen (vgl. § 98 Abs. 1 Satz 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch), bestehen keine durchgreifenden Bedenken anzunehmen, dass die Verjährung bereits mit dem Zugang des Schreibens der Antragsgegnerin vom 6.10.2008 beim Antragsteller gehemmt worden ist.

d) Schließlich ist ein Erfolg des Widerspruchs hinsichtlich der Säumniszuschläge nicht überwiegend wahrscheinlich. Nach § 24 Abs. 1 SGB IV fallen grundsätzlich Säumniszuschläge auf rückständige Beitragsforderungen an. Sollte die Beitragsforderung der Antragsgegnerin sich als rechtmäßig erweisen, müsste der Antragsteller glaubhaft machen, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV). Abhängig von den noch zu treffenden Feststellungen müsste er in diesem Fall allerdings näher darlegen, aus welchen Gründen er bei der Umstellung einer abhängigen Beschäftigung auf eine selbstständige Tätigkeit unter - ggf. - kaum veränderten Bedingungen nicht die Möglichkeit genutzt hat, eine Entscheidung der Einzugsstelle gemäß § 28h Abs. 2 SGB IV herbeizuführen. Dass ihm in diesem Rahmen der Nachweis unverschuldeter Unkenntnis gelingen wird, lässt sich gegenwärtig noch nicht absehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der ständigen Senatspraxis, im einstweiligen Rechtsschutz von einem Viertel des Hauptsachestreitwerts (Senat, Beschluss v. 27.7.2009, L 8 B 5/09 R ER, a.a.O.) einschließlich der Säumniszuschläge (Senat, Beschlüsse v. 31.8.2009, L 8 B 11/09 R, und 3.9.2009, L 8 B, 12/09 R, juris und sozialgerichtsbarkeit.de) auszugehen.






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Az: L 8 B 13/09 R ER


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