Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. Juli 2002
Aktenzeichen: 8 W (pat) 38/01

(BPatG: Beschluss v. 04.07.2002, Az.: 8 W (pat) 38/01)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse F 16 H des Patentamts vom 12. Juni 2001 aufgehoben und das nachgesuchte Patent erteilt.

Bezeichnung: Stufenloses Getriebe vom Halbringtyp Anmeldetag: 16. November 1998.

Die Priorität der Anmeldung in Japan vom 17. November 1997 ist in Anspruch genommen. Aktenzeichen der Erstanmeldung JP 9-315276.

Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 und 2, Beschreibung Seiten 1, 2, 2a, 2b, 3, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibung Seiten 4 bis 11, eingegangen am 16. November 1998, 3 Blatt Zeichnungen, Figuren 1A, 1B, 2 bis 4, wie Offenlegungsschrift.

Gründe

I Die Patentanmeldung P 198 52 875.2-12 mit der Bezeichnung "Stufenloses Getriebe vom Halbringtyp" ist am 16. November 1998 unter Inanspruchnahme einer Priorität in Japan (JP 9 - 315276) vom 17. November 1997 beim Patentamt eingegangen und von dessen Prüfungsstelle für Klasse F16H mit Beschluss vom 12. Juni 2001 zurückgewiesen worden. Zum Stand der Technik sind die 1. DE 44 31 007 C2 2. DE 196 29 731 C2 3. DE 197 17 382 A1 4. EP 0 771 970 A2 5. DE 44 31 007 A1 in Betracht gezogen worden.

Von der Anmelderin ist noch die 6. US 5 372 555 (entsprechend der DE 43 21 588 C2)

genannt worden.

Gegen den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F16H hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt.

Die Anmelderin hat in der mündlichen Verhandlung neugefasste Unterlagen Patentansprüche 1 und 2 und Beschreibung Seiten 1, 2, 2a, 2b, 3 überreicht.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

Stufenloses Getriebe vom Halbringtyp, das folgendes aufweist:

eine Antriebswelle (1), die durch eine Antriebsquelle (E) drehbar ist;

eine Eingangsscheibe (21), die auf der Antriebswelle (1) abgestützt ist;

eine Ausgangsscheibe (31), die auf der Antriebswelle (1) abgestützt ist und der Eingangsscheibe (21) gegenübersteht; undeine Antriebsrolle (10), die zwischen der Eingangs- und der Ausgangsscheibe (21, 31) zur Ausführung einer Schwingbewegung und in Wälzkontakt mit beiden Scheiben (21, 31) vorgesehen ist;

wobei jede von der Eingangs- und der Ausgangsscheibe (21, 31) eine Antriebsoberfläche (22) hat, die mit der Antriebsrolle (10) in Kontakt ist, dadurch gekennzeichnet, dassdie Scheiben (21, 31) so geformt sind, dass (R * d) / (D * t) gegeben ist durchmit R = der Krümmungsradius jeder Antriebsfläche (22), D = Distanz zwischen den jeweiligen Krümmungsmittelpunkten der Antriebsoberflächen (22) der Scheiben (21, 31), d = Innendurchmesser jeder Scheibe (21, 31) und t = die Dicke jeder Scheibe (21, 31).

Dem Anmeldungsgegenstand liegt gemäß Seite 2b, zweiter Absatz der in der mündlichen Verhandlung überreichten Beschreibung die Aufgabe zugrunde, ein stufenloses Getriebe vom Halbringtyp zur Verfügung zu stellen, das die Standzeit von Eingangs- und Ausgangsscheiben in Abhängigkeit von der geometrischen Abmessungen der Scheiben verbessert.

Wegen des Wortlauts des Patentanspruchs 2 wird auf die Akten Bezug genommen.

Die Anmelderin trägt vor, dass der im Verfahren befindliche Stand der Technik nach der DE 44 31 007 A1 sich mit der Oberflächenbehandlung der Antriebsflächen von Eingangs- und Ausgangsscheibe befasse. Mit der entsprechenden Beeinflussung der Werkstoffeigenschaften soll die Belastbarkeit der Scheiben unter dem auftretenden Kontaktdruck verbessert werden. Der Stand der Technik gebe jedoch keinen Hinweis auf das Optimieren der Geometrie der Eingangs- und Ausgangsscheiben unter der Berücksichtigung der Hertz«schen Gleichungen. Somit sei der Ansatzpunkt zur Lösung der Problematik, nämlich die Erhöhung der Standzeiten für die beiden Scheiben, unterschiedlich. Sie trägt ferner vor, dass das Ausmessen von zeichnerischen Darstellungen in Druckschriften als expost Betrachtung anzusehen sei, da dieses Vorgehen unter Kenntnis der erfindungsgemäßen Beziehung erfolge. Sie ist daher der Ansicht, dass der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 neu sei und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Die Anmelderin stellt den Antrag, den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse F16H des Patentamts vom 12. Juni 2001 aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

- Patentansprüche 1 und 2,

- Beschreibung Seiten 1, 2, 2a, 2b, 3, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung,

- Beschreibung Seiten 4 bis 11, eingegangen am 16. November 1998,

- 3 Blatt Zeichnungen, Figuren 1A, 1B, 2 bis 4, wie Offenlegungsschrift.

II Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Der Gegenstand der Anmeldung stellt eine patentfähige Erfindung iSd §§ 1 bis 5 PatG dar.

1. Die geltenden Patentansprüche 1 und 2 sind zulässig.

Patentanspruch 1 entspricht dem am Anmeldetag eingereichten Patentanspruch 1. Die Merkmale des Patentanspruchs 2 finden ihre Stütze auf Seite 10, Zeile 17 und 18 der ursprünglichen Beschreibung.

2. Die Erfindung ist so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.

Im Patentanspruch 1 fehlt wohl jeglicher Hinweis auf spezielle Angaben zu den Werkstoffeigenschaften der Eingangs- bzw. Ausgangsscheibe. Der Durchschnittsfachmann, dies ist ein auf dem Gebiet der Getriebetechnik erfahrener Ingenieur (FH), wird jedoch nur die Werkstoffe in Betracht ziehen, die einem entsprechenden Kontaktdruck beim Wälzkontakt der Scheiben und der Antriebsrolle standhalten. Es ist danach bei einem bekannten toroidförmigen Getriebe die Antriebs- und Abtriebsscheibe so zu gestalten, dass die Standzeit nochmals verbessert wird, nämlich auf 200 h (Seite 10, Zeile 11 gegenüber 100 h nach der DE 44 31 007 A1). Mittels der dimensionslosen Beziehung soll die Spannung an den Berührungspunkten der Antriebsrolle mit den Scheiben herabgesetzt werden. Somit ist darüber eine Aussage getroffen, wie der Fachmann, ausgehend von einem bekannten Werkstoff, vorgehen soll um dieses Ziel zu erreichen.

Die Zuordnung der einzelnen geometrischen Größen der Scheiben ist in den Zeichnungsfiguren, welche zur Auslegung des Patentanspruchs 1 heranzuziehen sind, eindeutig definiert. Dies gilt auch für die Querschnittsdicke t der Scheibe. In Figur 3 kann der Fachmann eindeutig erkennen, dass mit dieser Angabe der geringste Querschnitt der Scheibe gemeint ist.

3. Das aufgrund seiner Zweckbestimmung ohne Zweifel gewerblich anwendbare Getriebe vom Halbringtyp nach dem Patentanspruch 1 hat gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik als neu zu gelten, denn in keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften wird auf den Einfluss der Hertz«schen Gleichungen auf die Geometrie der Eingangs- bzw. Ausgangsscheiben eingegangen.

Einzig die DE 44 31 007 C2 bzw. A1 befasst sich mit den Auswirkungen des Kontaktdruckes der Antriebsrollen auf die Oberfläche der Eingangs- bzw. Ausgangsscheibe. Zur Lösung des Problems des Abplatzens der Oberflächen der Scheiben werden die Werkstoffeigenschaften der Scheiben modifiziert. Die DE 196 29 731 C2, die DE 197 17 382 A1, die EP 0 771 970 A2 und die DE 43 21 588 C2 (entsprechend der US 5 372 555) befassen sich mit der Belastung der Getriebeteile vor oder nach den Scheiben, jedoch nicht mit den Auswirkungen des Kontaktdruckes auf die Eingangs- bzw. Ausgangsscheibe des Getriebes.

4. Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Beim Anmeldungsgegenstand geht es um die geometrische Form der Antriebs- und der Abtriebsscheibe (21, 31), wobei der Krümmungsradius der Kontaktfläche, die Distanz zwischen den jeweiligen Krümmungsmittelpunkten der Antriebsoberflächen, der Durchmesser der Bohrung und die Dicke der Scheibe in einer bestimmten mathematischen Beziehung zueinander stehen (she. Fig. 1b). Die Art des verwendeten Werkstoffs hat bei der Lösung der Aufgabe keine Relevanz, denn es soll ein bestehendes Getriebe, für das der Werkstoff bereits optimiert ist (she. z.B. DE 44 31 007 A1), verbessert werden. Ausgehend von der Hertz«schen Theorie der Kontaktbeanspruchung ist nämlich festgestellt worden, dass für die Haltbarkeit (Standzeit) der Eingangs- und Ausgangsscheibe (21, 31) die dimensionslose Beziehung (R * d)/(D * t) eine wichtige Kenngröße darstellt. Dabei geht es um die Reduzierung des Kontaktdruckes zwischen Scheiben und Antriebsrollen. Für diese Maßnahme vermittelt der aufgezeigte Stand der Technik dem Durchschnittsfachmann keine Anregungen. Es ist dabei unerheblich, ob im aufgezeigten Stand der Technik die beanspruchte Bedingung von den Getrieben vom Halbringtyp ebenfalls erfüllt wird. Das Nachmessen von Einzelheiten in Zeichnungen entgegengehaltener Druckschriften allein führt nicht zur anmeldungsgemäßen Lehre, da sich hieraus kein Hinweis ergibt, bestimmte geometrische Größen der Scheibe in den beanspruchten mathematischen Zusammenhang zu bringen.

In der DE 44 31 007 C2 bzw. A1 ist ein stufenloses Getriebe nach dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 beschrieben, wobei die Eingangs- und die Ausgangsscheibe wie beim Anmeldungsgegenstand eine toroidförmige Gestalt aufweisen in der sich die Antriebsrollen abwälzen. An den Berührungspunkten zwischen Scheibe und Rollkörper treten hohe Kontaktspannungen auf, sodass eine maximale Kontaktspannung um die 4 GPa erreicht wird (S. 2, Z. 48 ff). Infolge des hohen Kontaktdruckes platzen die Oberflächen ab. Um nun diesen Ermüdungserscheinungen entgegenzuwirken und um gleichzeitig die Rollkontaktdauer zu erhöhen, werden Antriebsscheibe und Abtriebsscheibe aus einem Werkstoff hergestellt, der entweder einen Aufkohlungs- und Schleifvorgang oder einen Karbonier- und Schleifvorgang durchläuft, wobei die wirksam aufgekohlte Schicht für die Scheiben und die Übertragungsrollkörper auf einen Bereich zwischen 2,0 und 4,0 mm beschränkt ist (S. 3, Z. 7 ff, Hinweise zu den Werkstoffen: S. 4, Z. 8 - 45). Ferner wird darauf hingewiesen (S.4, Z.65), dass die Reinheit des Stahls (Werkstoffs) entscheidend ist für die Verbesserung der Rotationsbiegefestigkeit und der Lebensdauer gegenüber Rollkontaktermüdung (she. a. Tab. 5, S. 9, Z. 66 - S. 10, Z. 5). Somit weist die Lehre dieser Druckschrift in eine andere Richtung, denn es soll der Werkstoff selbst beeinflusst werden und nicht die Geometrie der Scheiben. Die Form der Eingangs- bzw. Ausgangsscheibe ist auch hier toroidförmig, aber ob und inwieweit die geometrischen Verhältnisse der Eingangs- bzw. Ausgangsscheibe einen Einfluss auf den Kontaktdruck zwischen Scheiben und Rollkörper haben, ist dieser Druckschrift nicht zu entnehmen.

In der DE 196 29 731 C2, der DE 197 17 382 A1, der EP 0 771 970 A2 und der DE 43 21 588 C2 (entsprechend der US 5 372 555) sind weder Angaben zu den Oberflächeneigenschaften der Eingangs- bzw. Ausgangsscheibe noch zu Maßnahmen zur Herbsetzung des Kontaktdruckes zwischen Scheiben und Rollkörper enthalten.

So befasst sich die DE 196 29 731 C2 mit Maßnahmen um die Lagerstruktur für das Abtriebszahnrad zu erhöhen. Es soll eine Beeinträchtigung der verschiedenen Bauelemente des Getriebes durch die Verformung der Antriebselemente (Sp. 3, Z. 39 ff) vermieden werden. Beim Getriebe nach der DE 197 17 382 A1 ist zwischen der Antriebsscheibe und einem Nockenflansch ein Belastungsnocken angeordnet. Dieser Belastungsnocken drückt bei einem Schaltvorgang gegen die Antriebsscheibe und zwar durch Drehung des Nockenflansches und der Antriebsscheibe gegeneinander. Es geht somit um die Gestaltung des Belastungsnockens und die Möglichkeit der Schmierung. Beim Toroidgetriebe nach der EP 0 771 970 A2 ist die Abtriebswelle mit einem Planetengetriebe versehen. Darauf folgt ein Differential als Ausgang zur Antriebsachse eines Kraftfahrzeugs. Beansprucht werden die Andruckmittel mit denen die Druckkraft zum Anpressen der Scheiben gegen das Übertragungsmittel aufgebracht wird. Das in der DE 43 21 588 C2 (entsprechend der US 5 372 555) beschriebene Getriebe weist ein Abtriebszahnrad auf, das dem stufenlosen Reibrollengetriebe folgt. Dieses Zahnrad (55) rotiert zusammen mit den Abtriebsscheiben des Toroidgetriebes. Das Abtriebszahnrad (55) weist dabei einen derartigen Schrägungswinkel auf, dass eine zweite Kraft erzeugt wird aufgrund der die Abtriebsscheibe (34) in Richtung der Antriebsscheibe (32) gedrückt wird. Um dies zu erreichen, ist das Zahnrad (55) mit einer Schrägverzahnung versehen.

Der Inhalt dieser Druckschriften liegt somit weiter ab, so dass auch sie keinen Hinweis auf die anmeldungsgemäße Lehre geben können.

Mithin ist der Patentanspruch 1 gewährbar.

Mit diesem zusammen ist auch der auf Patentanspruch 1 rückbezogene Unteranspruch 2 gewährbar, da er auf eine Ausgestaltung des Getriebes nach Anspruch 1 gerichtet ist.

Kowalski Viereck Dr. Huber Kuhn Cl






BPatG:
Beschluss v. 04.07.2002
Az: 8 W (pat) 38/01


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