Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Oktober 2001
Aktenzeichen: 33 W (pat) 244/00

(BPatG: Beschluss v. 09.10.2001, Az.: 33 W (pat) 244/00)

Tenor

1. Der Beschwerdeführerin wird die Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist zur Zahlung der Beschwerdegebühr gewährt.

2. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Beim Deutschen Patentamt (seit dem 1. November 1998 "Deutsches Patent- und Markenamt") ist gegen die - am 5. Februar 1996 veröffentlichte - Eintragung der Marke 395 08 414 EUROFLEX für die Waren

"Kunststoffe im Rohzustand, insbesondere thermoplastische Elastomere in Form von Granulat"

vom 25. Oktober 1995 auf Grund der unter anderen für die Waren

"Kunststoffe als Halbfabrikate in Form von Folien, Platten, Profilen, Blöcken, Stäben und Rohren"

am 10. Oktober 1978 eingetragenen Marke 977 433 EUROPLEX Widerspruch erhoben worden.

Auf die Nichtbenutzungseinrede der Inhaberin der angegriffenen Marke hat die Widersprechende zur Glaubhaftmachung einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke für die Waren "Folien, Halbzeuge und Platten aus Kunststoff" die eidesstattliche Versicherung ihres Leiters des Bereichs "Technische Produkte", Herrn Dr. M...-K..., vom 24. März 1997, in der insbesondere Umsatz- zahlen für die Jahre 1994, 1995 und 1996 genannt werden, nebst anliegenden Rechnungen, Lieferprogrammen, Produktinformationen und Prospekten vorgelegt. Daraufhin ist von der Inhaberin der angegriffenen Marke die Benutzung der Widerspruchsmarke für die eingangs genannten Waren des Warenverzeichnisses ausdrücklich als nachgewiesen anerkannt worden.

Die Markenstelle für Klasse 1 hat die Löschung der angegriffenen Marke durch den von einem Mitglied des Patentamts erlassenen Beschluß vom 17. Mai 2000 wegen Verwechslungsgefahr mit der Widerspruchsmarke gemäß §§ 9 Abs 1 Nr 2, 42 Abs 2 Nr 1 MarkenG angeordnet. In den Gründen ist ausgeführt worden, die Waren, für die unstreitig die Widerspruchsmarke benutzt worden sei, und die Waren der angegriffenen Marke seien trotz unterschiedlicher Verarbeitungsstufen ähnlich, weil der technische Aufwand zur Überführung eines Kunststoffes im Rohzustand in ein Halbfabrikat häufig so gering sei, daß die Weiterverarbeitung beider Vorprodukte in der Regel auf Grund des vorhandenen erforderlichen Fachwissens auf dem Gebiet der Kunststoffverarbeitung in denselben Unternehmen erfolgen könne. Selbst bei Annahme eines unterdurchschnittlichen Schutzumfanges der Widerspruchsmarke und eines ausnahmslos aus Fachverkehr bestehenden Abnehmerkreises halte die jüngere Marke den danach erforderlichen Abstand nicht ein. In akustischer wie auch schriftbildlicher Hinsicht sei die Abweichung der Marken im Verhältnis zu ihrer Wortlänge zu gering, um eine sichere Unterscheidung zu ermöglichen.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat gegen diese ihr am 24. Mai 2000 zugestellte Entscheidung des Patentamts am 10. Juni 2000 Beschwerde eingelegt, die Beschwerdegebühr jedoch - nach dem telephonischen Hinweis des Patentamts auf das Fehlen der Gebührenzahlung am 18. September 2000 - erst am 19. Oktober 2000 gezahlt.

Hinsichtlich der verspäteten Zahlung der Beschwerdegebühr trägt sie vor, in der Kanzlei ihrer Vertreter obliege es Frau G..., das Fristenbuch zu führen, den Zahlungsverkehr abzuwickeln und die Post versandfertig zu machen. Ihre Aufgaben erledige Frau G... seit über einem Jahr selbständig und vollkommen zuver- lässig; regelmäßige Kontrollen hätten keine Fehler ergeben. Bei der Bearbeitung des Postausgangs an das Patentamt am 9. Juni 2000 habe Frau G... lediglich den Beschwerdeschriftsatz abgesandt, versehentlich aber nicht den vom Vertreter unterschriebenen Scheck über 345,00 DM zur Zahlung der Beschwerdegebühr, der nicht wieder aufgefunden worden sei. Da Frau G... der Meinung gewesen sei, alles Erforderliche sei erledigt, habe sie auch die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr gestrichen. Ein derartiges Versehen sei Frau G... noch nie passiert. Die Beschwerdeführerin hat hierzu die eidesstattliche Erklärung der Frau G... vom 15. November 2000 eingereicht.

In der Sache hat die Beschwerdeführerin erklärt, das Warenverzeichnis der angegriffenen Marke im Wege der Teillöschung auf folgende Waren zu beschränken:

"Kunststoffe im Rohzustand, nämlich thermoplastische Elastomere in Form von Granulat, ausschließlich zur Herstellung von Halbzeug und flexiblen Fertigartikeln".

Sie vertritt die Ansicht, die angegriffene Marke halte zur Widerspruchsmarke in Anbetracht der Verschiedenheit der jeweiligen Waren einen genügenden Abstand ein, so daß keine rechtserhebliche Gefahr von Verwechslungen bestehe. Die sich gegenüberstehenden Waren "Halbzeuge aus Kunststoff" einerseits und "Kunststoffe im Rohzustand" andererseits wendeten sich an vollkommen verschiedene Abnehmerkreise und seien folglich so verschieden, daß bestenfalls eine sehr entfernte Warenähnlichkeit angenommen werden könne. Bei den beteiligten Verkehrskreisen handele es sich ausschließlich um Fachleute aus dem Bereich der kunststoffverarbeitenden Industrie. Solche Fachleute erkennen mühelos nicht nur den Unterschied zwischen Kunststoff im Rohzustand und Halbzeug aus Kunststoff, sondern achteten bei den jeweils verwendeten Bezeichnungen und Marken stets sehr genau auf kleinste Unterschiede. Der beiden Marken gemeinsame Bestandteil "EURO" entbehre jeglicher Kennzeichnungskraft. Von einer starken Ähnlichkeit der Wortbestandteile "FLEX" und "PLEX" könne nicht ausgegangen werden, weil sich der weiche Reibelaut "F" markant von dem harten Sprenglaut "P" unterscheide und dem Bestandteil "FLEX" ein ohne weiteres erkennbarer Sinngehalt ("flexibel") zugeordnet werde.

Die Beschwerdeführerin und Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt, sie in die Frist zur Zahlung der Beschwerdegebühr wiedereinzusetzen, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und den Widerspruch zurückzuweisen.

Die Widersprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie trägt vor, bei den beiden Marken handele es sich in ihrem maßgeblichen Gesamtwortlaut schriftbildlich und vor allem auch klanglich um nahezu identische Zeichen. Da sich sowohl aus Granulat als auch aus Halbzeug Kunststoffendprodukte herstellen ließen, liege es auch bei den beteiligten Fachkreisen der kunststoffverarbeitenden Industrie nahe, daß es zu unerwünschten Verwechslungen der betroffenen Marken komme.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf ihre Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist zulässig, aber unbegründet.

Dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in die Beschwerdefrist zur Zahlung der Beschwerdegebühr (§ 66 Abs 5 iVm Abs 1 und 2 MarkenG) wird gemäß § 91 MarkenG stattgegeben. Denn die Beschwerdeführerin hat zur Überzeugung des Senats glaubhaft gemacht, daß sie ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerdegebühr rechtzeitig zu zahlen. Die Übersendung des vorbereiteten und unterschriebenen Schecks zusammen mit dem Beschwerdeschriftsatz unterblieb trotz ordnungsgemäßer Büroorganisation wegen eines Versehens einer mit ihren Aufgaben vertrauten und zuverlässigen Angestellten der Bevollmächtigten, das diese nicht zu vertreten haben. Die Beschwerdeführerin hat auch die Zweimonatsfrist gemäß § 91 Abs 2 und 4 MarkenG für den Wiedereinsetzungsantrag und die nachgeholte Zahlung der Beschwerdegebühr eingehalten.

Der Senat hält eine Verwechslungsgefahr gemäß § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG iVm § 43 Abs 1 Satz 3 MarkenG zwischen der angegriffenen Marke 395 08 414 "EUROFLEX" - unter Berücksichtigung der Einschränkung ihres Warenverzeichnisses (teilweiser Verzicht) - und der Widerspruchsmarke "EUROPLEX" (977 433) für gegeben. Die Markenstelle des Patentamts hat die Löschung der angegriffenen Marke somit im Ergebnis zu Recht gemäß § 43 Abs 2 Satz 1 MarkenG angeordnet.

Die sich gegenüberstehenden Wortmarken "EUROFLEX" und "EUROPLEX" sind sowohl klanglich als auch schriftbildlich offensichtlich nahezu identisch. Die beiden Markenwörter weichen unauffällig in der Wortmitte nur in einem einzigen von acht Buchstaben voneinander ab. Diese Buchstaben "F" und "P" wirken schriftbildlich in ihren üblichen Drucktypen sowie klanglich als gleichermaßen stimmlose Labiale zudem noch sehr ähnlich. Der Begriffsinhalt des Bestandteils "FLEX" im Sinne von "flexibel" vermag - entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin - eine hinlängliche Unterscheidbarkeit der beiden Marken in keiner Weise zu gewährleisten, weil einerseits wie "-FLEX" auch "-PLEX" als eine aus dem Lateinischen stammende Endung sprachlich allgemein geläufig ist (vgl beispielsweise "Reflex", "Zirkumflex", "Komplex", "multiplex", "duplex", "triplex", "perplex") und andererseits ein Verlesen oder Verhören naheliegt, zumal die Eigenschaft "flexibel" ebenso auf die Kunststoff-Waren der Widerspruchsmarke zutreffen kann.

Der Senat geht von einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke "EUROPLEX" nach ihrem Gesamteindruck aus, die ihr bereits von Hause aus zukommt, da die Wortkombination trotz bekannter Wortbestandteile keinen erkennbar vernünftigen Sinn ergibt und somit unternehmenskennzeichnend eigenartig erscheint. Umstände, die für eine durch intensive Benutzung und Verkehrsbekanntheit erlangte erhöhte Kennzeichnungskraft sprechen könnten, sind von der Widersprechenden nicht vorgetragen worden und lassen sich auch nicht aus den Benutzungsunterlagen entnehmen.

Angesichts der an eine Markenidentität eng heranreichenden, außerordentlich großen Markenähnlichkeit muß unter Berücksichtigung der normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke an die Prüfung der Verwechslungsgefahr ein strenger Maßstab angelegt werden. Denn die alle Besonderheiten des Einzelfalls umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr hat auch die Wechselbeziehung der in Betracht kommenden Faktoren - hier vor allem der Markenähnlichkeit und der Warenähnlichkeit - zu beachten, so daß ein geringer Ähnlichkeitsgrad der Waren durch einen höheren Ähnlichkeitsgrad der Marken ausgeglichen werden kann (vgl EuGH GRUR 1998, 922, 923 Ez 16, 17, 19 - Canon; EuGH GRUR Int 1999, 734, 736 Ez 18, 19 - Lloyd; BGH GRUR 1999, 995, 997 - HONKA; BGH GRUR 1999, 241, 242f - PATRIC LION). Im vorliegenden Fall genügte für die Annahme der Verwechslungsgefahr demnach bereits eine verhältnismäßig geringe Warenähnlichkeit.

Die Waren "Kunststoffe als Halbfabrikate in Form von Folien, Platten, Stäben und Rohren" der Widerspruchsmarke, für die jedenfalls die Inhaberin der angegriffenen Marke die Benutzung als rechtserhaltend anerkannt hat (§ 43 Abs 1 Satz 3 MarkenG), und die Waren der jüngeren Marke "Kunststoffe im Rohzustand, nämlich thermoplastische Elastomere in Form von Granuluat, ausschließlich zur Herstellung von Halbzeug und flexiblen Fertigartikeln" bewertet der Senat jedoch zumindest als im mittleren Grade ähnlich. Bei der Warenähnlichkeitsbeurteilung sind alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren kennzeichnen; dazu gehören insbesondere deren Art, Verwendungszweck und Nutzungen sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren (vgl EuGH aaO Ez 23 - Canon). Bei den beiderseitigen Waren des vorliegenden Falles handelt es sich gleichermaßen um Kunststoff-Vorprodukte, die ihrem stofflichen Material nach identisch sein können und aus denen von - teilweise denselben - kunststoffverarbeitenden Unternehmen unmittelbar - möglicherweise gleiche - Kunststoff-Endprodukte hergestellt werden. Da die Kunststoff-Halbfabrikate nicht unbedingt notwendige Zwischenprodukte darstellen, sondern Kunststoff-Fertigartikel auch direkt aus Kunststoff-Granulat produziert werden, richten sich die beiderseitigen Waren trotz unterschiedlicher Verarbeitungsstufen letztlich in erheblichem Umfang an dieselben Abnehmerkreise der Kunststoff-Endprodukte herstellenden Unternehmen. Aus der Sicht dieser beteiligten Verkehrskreise konkurrieren somit "Kunststoffe im Rohzustand in Form von Granulat" sowie "Kunststoff-Halbfabrikate" bei der Produktion von Kunststoff-Fertigwaren, so daß nicht nur die materielle Kunststoffart, sondern auch die Verwendungszwecke und Nutzungen der beiderseitigen Waren die gleichen sein können.

Obwohl mit den beiderseitigen Waren ausschließlich aufmerksamere gewerbliche und industrielle Fachkreise angesprochen werden, muß im Ergebnis der Gesamtwürdigung eine beachtliche Verwechslungsgefahr der sich gegenüberstehenden Marken festgestellt werden.

III.

Die Beteiligten tragen die ihnen erwachsenen Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils selbst (§ 71 Abs 1 Satz 2 MarkenG).

Winkler Schwarz-Angelev. Zglinitzki Hu






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Az: 33 W (pat) 244/00


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