Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. Oktober 2000
Aktenzeichen: 8 W (pat) 28/99

(BPatG: Beschluss v. 17.10.2000, Az.: 8 W (pat) 28/99)

Tenor

Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse E 04 B des Patentamts vom 21. Januar 1999 aufgehoben und das Patent erteilt.

Bezeichnung: Dichtungsvorrichtung zum Abdichten von Betonierfugen Anmeldetag: 18. Januar 1995 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 bis 15, Beschreibung Seiten 1 bis 15, 11 Blatt Zeichnungen Figuren 1 bis 11, jeweils eingereicht in der mündlichen Verhandlung.

Gründe

I Die Patentanmeldung 19 501 384.0-25 mit der Bezeichnung "Dichtungsvorrichtung zum Abdichten von Betonfugen" ist am 18. Januar 1995 beim Patentamt eingegangen und von dessen Prüfungsstelle für Klasse E 04 B mit dem in der Anhörung vom 21. Januar 1999 verkündeten Beschluß zurückgewiesen worden, weil ihr Gegenstand angesichts des Standes der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Zum Stand der Technik waren die folgenden Druckschriften in Betracht gezogen worden:

DE 42 17 711 A 1 DE 39 24 497 A1 DE 92 02 319 U1 CH 600 070 EP 4 18 699 A1 TIS 11/84 - S 662 - 672.

Fachbuch: "Tiefbaufugen" (Klawa, Haack), 1990, Seiten 53 - 58.

Seitens des Anmelders war noch im Verfahren vor dem Patentamt das Zitat hinsichtlich der von ihm selbst bereits in den ursprünglichen Unterlagen genannten CH-PS 600 070 in 600 077 korrigiert worden.

Gegen den Zurückweisungsbeschluß hat der Anmelder Beschwerde eingelegt.

In seiner schriftlichen Beschwerdebegründung hat er noch auf die folgenden Druckschriften hingewiesen:

DE 40 25 599 A1 DE 41 33 055 A1 DE 93 20 143 U1.

Er hat in der mündlichen Verhandlung neugefaßte Unterlagen (Patentansprüche 1 bis 15, Beschreibung und Zeichnungen) eingereicht.

Patentanspruch 1 lautet:

"Dichtungsvorrichtung zum Abdichten einer zwischen zwei Betonierabschnitten (3, 4) ausgebildeten Betonierfuge (2), wobei die Dichtungsvorrichtung als Dichtungselement eine dünnwandige, streifenförmige Fugenlatte (1) aus einem Hartkunststoff aufweist, deren Material, Raumform und Wandstärke derart gewählt sind, daß die Fugenlatte (1) selbsttragend ist, wobei die Fugenlatte (1) senkrecht zu den sich an den Betonierabschnitten (3, 4) gegenüberliegend ausgebildeten Stoßflächen (5, 6) der Betonierfuge (2) in beide Betonierabschnitte eingegossen ist, und wobei die Fugenlatte (1) im Bereich ihrer Längsmitte einen Injektionskanal (16) mit zumindest einer Injektionsöffnung (22) aufweist, der Injektionskanal (16) zwischen den Betonierabschnitten (3, 4) im Bereich der Betonierfuge (2) angeordnet ist und die Injektionsöffnung (22) im Injektionskanal (16) in die Betonierfuge (2) weisend angeordnet ist."

Wegen des Wortlauts der Unteransprüche 2 bis 15 wird auf die Akten Bezug genommen.

Der Anmelder vertritt die Auffassung, es habe einer erfinderischen Tätigkeit bedurft, um zum Anmeldungsgegenstand nach dem Patentanspruch 1 zu gelangen. Er trägt vor, daß sich der Anmeldungsgegenstand auf das Fachgebiet des Spezialtiefbaues beziehe, bei dem Bauwerke wie z.B. Tunnels oder Tiefgaragen mit auf Stoß gegossenen aber mit durchgehender Bewehrung versehenen Betonwänden ausgestattet werden. Dabei entstünden zwar auch Fugen, jedoch keine Dehn- oder Bewegungsfugen, sondern Betonierfugen, die äußerst geringen Dehn- oder Scherbewegungen ausgesetzt seien. Gleichwohl seien derartige Fugen gegen drückendes Wasser zu schützen und abzudichten. Die hierfür anmeldungsgemäß vorgeschlagene Dichtungsvorrichtung biete als Fugenlatte aus einem Hartkunststoff Schutz vor Verletzungen der Anwender, sei gut verbindbar mit Beton und weise hohe Zugfestigkeit auf. Die Anordnung eines Injektionskanals an definierter Stelle mit Wirkung auf die Betonierfuge ermögliche zudem eine Steigerung der Abdichtwirkung unter Verwendung nur eines einzigen Abdichtsystems. Der entgegengehaltene Stand der Technik biete hierfür kein Vorbild.

Der Anmelder beantragt, den Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse E 04 B des Patentamts vom 21. Januar 1999 aufzuheben und das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 bis 15, Bescheibung Seiten 1 bis 15 und 11 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 11 zu erteilen.

II Die frist- und formgereicht eingelegte Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch begründet.

Der Anmeldungsgegenstand stellt eine patentfähige Erfindung iSd PatG § 1 bis § 5 dar.

1. Gegenstand der Anmeldung ist nach Anspruch 1 eine Dichtungsvorrichtung für Betonierfugen, wobei das Dichtungselement eine dünnwandige, selbsttragende, streifenförmige Fugenlatte aus Hartkunststoff darstellt. Die Fugenlatte wird derart zwischen zwei Betonierabschnitten eingebaut, daß sie senkrecht zu den sich an den Betonierabschnitten gegenüberliegend ausgebildeten Stoßflächen der Betonierfuge in beide Betonierabschnitte eingegossen wird.

Die Fugenlatte weist im Bereich ihrer Längsmitte einen Injektionskanal auf, der sich in Einbaulage zwischen den Betonierabschnitten im Bereich der Betonierfuge befindet und dessen mindestens eine Injektionsöffnung in die Betonierfuge weisend angeordnet ist.

Mit diesen Merkmalen wird eine Dichtungsvorrichtung beschrieben, die aufgabengemäß (vgl. S. 6b, 1. Abs. der geltenden Beschreibung) auf der Baustelle einfach zu handhaben, zu bearbeiten, anzupassen und zu installieren ist und dennoch eine zuverlässige Abdichtung von Fugen zwischen Betonierabschnitten gewährleistet.

Die Abdichtung erfolgt dabei durch eine Kombination der Wirkung der streifenförmigen Fugenlatte selbst zusammen mit einem im Bereich der Betonierfuge angeordneten und mit seiner Injektionsöffnung in diese weisenden Injektionskanal, der integraler Bestandteil der Fugenlatte ist.

2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist in den ursprünglichen Unterlagen als zum Anmeldungsgegenstand gehörend offenbart.

Der neugefaßte Anspruch 1 beruht auf den ursprünglichen Ansprüchen 1, 7 und 8. Das Merkmal, das besagt, daß der Injektionskanal zwischen den Betonierabschnitten im Bereich der Betonierfuge angeordnet ist und die Injektionsöffnung im Injektionskanal in die Betonierfuge weisend angeordnet ist, ergibt sich aus der ursprünglichen Beschreibung, S.10, 2. und 4.Abs. bis S.11, 1.Abs. iVm der Zeichnung (Fig.1 bis 6).

3. Die Unteransprüche 2 bis 15 sind in den ursprünglichen Unterlagen offenbart und daher zulässig.

Die Ansprüche 2 bis 6 beruhen auf den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 6, während die Ansprüche 7 bis 11 auf die ursprünglichen Ansprüche 8 bis 12 zurückgehen. Die Merkmale des Anspruchs 12 finden ihre Stütze in den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 7 iVm der ursprünglichen Beschreibung Seite 10, 2.Abs. und die Merkmale des Anspruchs 13 in der ursprünglichen Beschreibung S.10, 2. und 4.Abs. bis S.11, 1.Abs.. Die Ansprüche 14 und 15 beruhen auf den ursprünglichen Ansprüchen 14 und 15.

4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 weist die erforderliche Neuheit auf.

Von der in der Druckschrift TIS 11/84 auf S.662 dargestellten Dichtungsvorrichung (Abb.1, "Einbettungsprinzip") unterscheidet sich der Anmeldungsgegenstand nach Anspruch 1 in seiner Materialwahl und Ausgestaltung (dünnwandige, streifenförmige Fugenlatte aus Hartkunststoff) sowie durch den integrierten Injektionskanal mit seiner in die Betonierfuge weisend angeordneten Injektionsöffnung.

Die anmeldungsgemäße Dichtungsvorrichtung ist auch - anders als die Dichtungsvorrichtung nach der EP 04 18 699 A1 - als dünnwandige streifenförmige Fugenlatte ausgebildet, die senkrecht zu den sich an den Betonierabschnitten gegenüberliegend ausgebildeten Stoßflächen der Betonierfuge in beide Betonierabschnitte eingegossen ist, während das u- oder tunnelförmige Profil nach der EP 04 18 699 A1 lediglich in einen der beiden Betonierabschnitte eingegossen wird.

Die Hartkunststoff-Fugenlatte nach der DE 40 25 599 A1 sowie das Hartkunststoff-Profil zur Fugenabdichtung nach der DE 41 33 055 A1 weisen keinen Injektionskanal auf, so daß sich der Anmeldungsgegenstand von diesem Stand der Technik bereits in seinen, den Injektionskanal betreffenden Merkmalen unterscheidet.

Die injizierbare Fugenschiene nach dem DE 93 20 134 U1 weist zwar einen integrierten Injektionskanal auf. Jedoch wird diese Fugenlatte aus Hartkunststoff nicht - wie beim Anmeldungsgegenstand - senkrecht zu den an den Betonierabschnitten gegenüberliegend ausgebildeten Stoßflächen der Betonierfuge, sondern in der Betonierfuge verlaufend, d.h. flächenparallel zu den Stoßflächen eingegossen. Somit kann auch die Injektionsöffnung des Injektionskanals in Einbaulage nicht in die Fuge weisend im Sinne des Anmeldungsgegenstandes angeordnet sein, so daß sich der Anmeldungsgegenstand in Einbaulage der Fugenlatte und Wirkrichtung der Injektionsöffnung von der entgegengehaltenen Dichtungsvorrichtung unterscheidet.

Auf die übrigen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen ist in der mündlichen Verhandlung nicht mehr weiter eingegangen worden, da sie vom Anmeldungsgegenstand weiter ab liegen und dessen Neuheit nicht in Frage stellen können. Es handelt sich hierbei um Fugenbänder aus anderen Materialien oder Materialzusammensetzungen wie beim Anmeldungsgegenstand, die jedenfalls keine Injektionskanäle aufweisen (DE 92 02 319U1, DE 39 24 497A1) bzw. anstatt integrierter Injektionskanäle an Halterungen von Fugenbändern aufgeklipste Injektionsschläuche (CH 600 077, DE 42 17 711A1) bzw. separat zu Fugenbändern verlegte Injektionsschläuche (Fachbuch: Tiefbaufugen) zeigen. Die CH 600 070 betrifft einen anderen Gegenstand, der zu dem hier in Rede stehenden Fachgebiet keinerlei Bezug aufweist.

5. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit nicht in Zweifel steht, beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Ausgehend von dem Artikel "Abdichtung von Bauwerksfugen mit Fugenbändern" aus TIS 11/84 S.662ff vermag der Fachmann, ein Bauingenieur mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet des Tiefbaus, zwar insbesondere hinsichtlich des Einbettungsprinzips (vgl. Abb.1) - diese Einbaulage entspricht der der anmeldungsgemäßen Dichtungsvorrichtung - die Vorteile von relativ starren Fugenbändern aus Stahlblech, nämlich ihre Steifigkeit beim Einbau zu erkennen (vgl. S.662, re.Spalte 2a), 1. und 2. Abs.). Diese Dichtungsmaßnahme findet bei "Arbeitsfugen mit durchlaufender Bewehrung..., in denen keine Bewegungen zu erwarten sind...." (S.662, re Sp., 2a) 1.Abs.) statt, so daß hier der auch für den Anmeldungsgegenstand ins Auge gefaßte Anwendungsfall vorliegt. Im Zuge des allgemeinen technischen Bestrebens, schwere und für den Anwender verletzungsfördernde Metallbauteile durch leichtere Materialien wie Kunststoffe zu ersetzen, ist es dem Fachmann zumutbar, die bekannte Fugenlatte aus Stahlblech durch Kunststoffprodukte zu ersetzen. Dabei wird der Fachmann zu Hartkunststoffen gelangen, da diese hinsichtlich ihrer Steifigkeit ähnliche Eigenschaften aufweisen wie die entsprechenden Stahlblechteile. Die genannte Entgegenhaltung vermag dem Fachmann jedoch auch unter Hinzunahme seines allgemeinen Fachwissens nicht die anmeldungsgemäße Dichtungsvorrichtung mit einer Fugenlatte, die im Bereich ihrer Längsmitte einen integrierten Injektionskanal aufweist, nahezulegen.

Das tunnelförmige Kunststoffprofil nach der EP 04 18 699 A1 weist zwar einen in seiner Querschnittsfläche verlaufenden Injektionskanal auf (vgl Fig.1, Ziff.6), der auch zu den Seiten hin Öffnungen aufweisen kann, wie z.B. aus Fig 6a (bei Ziff 10a, 47) ersichtlich ist. Diese Dichtungsvorrichtung wird jedoch nur in einen der beiden aufeinandertreffenden Betonierabschnitte eingegossen (vgl. 2.B Fig.1, 2, 2a, 2b, 6a, 10, 20, 21). Die Injektion eines Dichtungsmediums dient hier daher nicht wie beim Anmeldungsgegenstand dazu, eine zusätzliche Dichtungsmaßnahme vorzunehmen, sondern sie dient der Abdichtung der Verbindung zwischen dem tunnelförmigen Kunststoffprofil und dem der Dichtungsvorrichtung gegenüberliegenden Betonabschnitt, d.h. der Herstellung der eigentlichen Dichtungswirkung (Sp.14, Z.16-29). Schon aus diesem Grunde war der Fachmann nicht veranlaßt, den Injektionskanal aus der Vorrichtung nach der EP 04 18 699 A1 auf eine beidseitig eingegossene Fugenlatte z.B. nach TIS 11/84 zu übertragen, denn eine beidseitige eingegossene Fugenlatte dichtet bereits den Grenzbereich zwischen den Betonierabschnitten (Betonierfuge) ohne weitere Maßnahmen ab.

Die injizierbare Fugenschiene nach dem DE 93 20 134 U1 weist zwar einen integrierten Injektionskanal (25) auf (Fig.3). Angesichts ihrer Einbaulage, die nicht wie beim Anmeldungsgegenstand senkrecht zu den Stoßflächen der Betonierabschnitte, sondern wie aus Fig.4 der Entgegenhaltung erkennbar parallel zu den Stoßflächen verläuft, kommt auch der Injektion von Dichtmedium eine ähnliche Funktion zu, wie sie beim Gegenstand nach der EP 04 18 699 A1 bereits beschrieben ist. Die Fugenschiene nach dem DE 93 20 134 U1 wird nämlich als Sollrißfugenschiene (z.B. S.8, 4.Abs; S.9, 2.Abs.) verwendet, so daß das injizierte Dichtungsmittel beim Auftreten des gewollten Risses in der Grenzfläche zwischen den beiden Betonierabschnitten die dichtende Verbindung zwischen der Schiene und den Betonflächen herstellen bzw. mindestens unterstützen muß. Somit hat der Fachmann keinen Anlaß, die bekannte Fugenlatte gemäß TIS 11/84 mit einem Injektionskanal nach dem Vorbild der Fugenschiene nach dem DE 93 20 134 U1 auszustatten.

Die Dichtungsgarnitur aus Hartkunststoff nach der DE 40 25 599 A1 sowie das Hartkunststoff-Profil zur Fugenabdichtung nach der DE 41 33 055 A1 vermögen dem Fachmann einen integrierten Injektionskanal nicht nahezulegen und liegen daher weiter ab.

Auch die übrigen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen liegen - wie bereits aus dem Neuheitsvergleich ersichtlich - vom Anmeldungsgegenstand weiter ab, so daß sich aus diesen der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht in naheliegender Weise ergibt.

Nach alledem ist der Gegenstand nach Anspruch 1 patentfähig und der Anspruch 1 somit gewährbar.

Mit diesem zusammen sind auch die Unteransprüche 2 bis 15 gewährbar, die auf vorteilhafte Ausgestaltungen einer Dichtungsvorrichtung nach Anspruch 1 gerichtet sind.

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BPatG:
Beschluss v. 17.10.2000
Az: 8 W (pat) 28/99


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