Oberlandesgericht Nürnberg:
Beschluss vom 27. Oktober 2011
Aktenzeichen: 2 Ws 456/11

(OLG Nürnberg: Beschluss v. 27.10.2011, Az.: 2 Ws 456/11)

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten A. F. wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 17. August 2011 aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens an die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Landgericht Schweinfurt verurteilte A. F. mit Urteil vom 28.7.2005, rechtskräftig seit 5.8.2005 (Az. 1 KLs 8 Js 12662/04), wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf sachlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und ordnete die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Der Verurteilung lagen sexuelle Missbrauchshandlungen zum Nachteil eines elf- bzw. zwölfjährigen Jungen zu Grunde.

Die Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Schweinfurt war bis 5.7.2011 vollständig verbüßt. Seit 6.7.2011 wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt S. vollzogen.

Am 21.10.2010 beantragte die Staatsanwaltschaft Schweinfurt die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anzuordnen Die Justizvollzugsanstalt S. nahm mit Bericht vom 20.10.2010 zur Sicherungsverwahrung Stellung und bejahte deren Erforderlichkeit. Mit Schriftsatz vom 24.11.2010 ließ der Verurteilte vortragen, die Erforderlichkeit der Unterbringung könne derzeit nicht begründet werden.

Mit Beschluss vom 23.12.2010 hat die auswärtige Strafvollstreckungskammer Regensburg in Straubing die Sachverständige Dr. B. gem. § 454 Abs. 2 StPO mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt, insbesondere zu der Frage, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr besteht, dass dessen durch die Taten zutage getreten Gefährlichkeit fortbestehe.

Mit Schriftsatz vom 24.3.2011 beantragte der Verteidiger Akteneinsicht auch in die Gefangenpersonalakten, sofern diese von der Sachverständigen für ihr Gutachten herangezogen würden.

In einer weiteren Stellungnahme vom 29.3.2011 bejahte die Justizvollzugsanstalt S. unter Hinweis auf den mangelnden Mitwirkungswillen des Verurteilten bei der Aufarbeitung seiner Straftaten die Notwendigkeit der Maßnahme.

Das forensisch-psychiatrische Gutachten der Sachverständigen Dr. B. vom 23.5.2011 gelangte am 25.5.2011 zu den Akten. Ausweislich der Einleitung, S. 3, stützt es sich unter anderem auch auf die Kenntnis der Gefangenenpersonalakten, Bd. I und II. Darin kommt die Sachverständige, auch in Zusammenhang mit ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 6.6.2011 zu dem Ergebnis, dass bei dem Verurteilten die durch die Anlasstaten zu Tage getretene Gefährlichkeit fortbestehe und mit hoher Wahrscheinlichkeit (bis zu 50 %) mit weiteren pädophilen Handlungen im Sinne des Indexdeliktes zu rechnen sei. Diagnostisch liege bei dem Verurteilten eine Pädophilie im Sinne einer Päderastie vor. Es fänden sich Merkmale einer dissozialen Persönlichkeit, die sich im Mangel an Empathie, einem mangelnden Schuldbewusstsein und der Unfähigkeit aus negativer Erfahrung zu lernen sowie der Neigung, die Schuld bei anderen zu sehen und vordergründige Rationalisierungen für eigene Fehlverhaltensweisen zu finden, begründen. Es könne keine günstige Sozial- und Legalprognose gestellt werden. Insbesondere der durch seine pädophilen Taten offenkundig gewordene Hang des Verurteilten zur Begehung erheblicher Straftaten bestehe nach wie vor, da diese Taten rationalisiert, bagatellisiert und externalisiert würden, er weder Unrechtsbewusstsein noch Opferempathie entwickle und keine eigenen Persönlichkeitsanteile und Coping-Strategien reflektieren könne, die ihn vor weiteren pädophilen Handlungen schützen könnten. Er fühle sich behandelt und sehe keine Notwendigkeit einer weiteren Auseinandersetzung für sich. Eine bedingte Entlassung könnte zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen werden. Erst wenn er bereit sei, sich mit seinen Straftaten und seiner Neigung wahrhaftig auseinander zu setzen, eigene Persönlichkeitsanteile zu akzeptieren und zu verändern, sowie tragfähige Coping-Strategien zu entwickeln, könne mit der Schaffung eines adäquaten Empfangsraums begonnen werden.

Mit Schriftsatz vom 29.6.2011 wiederholte der Verteidiger sein Gesuch auf Einsicht in die Gefangenenpersonalakten, da diese auch von der Sachverständigen zur Kenntnis genommen worden seien. Am 6.7.2011 wurde ihm in den Räumen der Justizvollzugsanstalt Einsicht in Band II der Personalakten gewährt.

Am 7.7.2011 fand die mündliche Anhörung der Sachverständigen im Beisein des Verteidigers statt. Der Verurteilte nahm hieran nicht teil.

Mit Schriftsätzen vom 12.7.2011 und 29.7.2011 rügte der Verteidiger die Unvollständigkeit der gewährten Akteneinsicht. Mangels Kenntnis des Bands I der Personalakten könne die Verteidigung auch deren Inhalt nicht feststellen, insofern keine sachdienlichen Fragen stellen und sei in ihren Rechten beschränkt. Eine hinreichende Vorbereitung auf den Anhörungstermin habe nicht erfolgen können. Es werde daher erneut die Gewährung vollständiger Akteneinsicht sowie die Anberaumung eines neuen Anhörungstermins beantragt.

Mit Beschluss vom 17.8.2011 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing festgestellt, dass der Zweck der mit Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 28.7.2005 (Az. 1 KLs 8 Js 12662/04) angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung den Vollzug der Maßregel noch erfordere und hat die Unterbringung nicht zur Bewährung ausgesetzt. Zur Begründung führte die Strafvollstreckungskammer im Wesentlichen aus, der Zweck der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erfordere deren Vollzug. Der im Erkenntnisverfahren festgestellte Hang zu erheblichen Straftaten bestehe noch fort, was sich aus den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt S. und der Sachverständigen Dr. B. ergebe. Das Gutachten sowie die Ausführungen der Justizvollzugsanstalt stellten eine ausreichende Grundlage für die zu treffende Entscheidung dar. Eine Überprüfung an Hand der Personalakten sei nicht erforderlich. Ebenso wenig eine erneute Anhörung der Sachverständigen, da die Verteidigung bei der Anhörung am 7.7.2011 hinreichend Gelegenheit zur Befragung gehabt habe.

Gegen diesen, ihm am 19.8.2011 zugestellten, Beschluss hat der Beschwerdeführer mit am 25.8.2011 eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers sofortige Beschwerde eingelegt. In der Begründung vom 21.9.2011 trägt er vor, entgegen der Annahme der Kammer sei ein Hang nicht aufgrund der Stellungnahmen der Justizvollzugsanstalt festzustellen. Auch reiche eine Rückfallgefahr von bis zu 50% nicht aus, um eine für die Unterbringung erforderliche hohe Gefahr zu begründen. Weiter habe das Landgericht eine Verhältnismäßigkeitsprüfung gem. § 62 StGB unterlassen. Schließlich rügt er einen Verstoß gegen das faire Verfahren, da der Verteidigung nicht Einsicht in die vollständigen Gefangenenpersonalakten gewährt worden sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg hat beantragt, die sofortige Beschwerde kostenfällig als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig (§§ 454 Abs. 3 Satz 1, 463 Abs, 3 Satz 1, 304, 311 StPO) und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg.

15Zu Recht rügt die Verteidigung die Nichtgewährung vollständiger Einsicht in die Gefangenenpersonalakten. Hierdurch ist das Recht des Verurteilten auf ein faires Verfahren verletzt.

Nach Art. 208, 203 BayStVollzG, § 185 StVollzG steht dem Gefangenen selbst nach Maßgabe des Art. 10 BayDSG bzw. § 19 BDSG ein Auskunfts- und Einsichtsrecht in die Akten der Vollzugsbehörde, insbesondere in die Gefangenenpersonalakte, zu. Die Regelung trägt dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung (vgl. BVerfG 65, 1, 45) des Gefangenen im Strafvollzug Rechnung. Dieses unabdingbare Recht kann durch einen Verteidiger ausgeübt werden. Nach § 147 Abs. 1 StPO steht im gerichtlichen Verfahren dem Verteidiger sogar ein eigenes Recht zu, die Gerichtsakten einzusehen (BVerfG StV 2002, 272), das dann auch evtl. beigezogene Gefangenenpersonalakten umfasst (Arloth, StVollzG 3. Aufl. § 185 Rdn. 5a m.w.N).

Dem Wortlaut der Vorschriften ist allerdings eindeutig zu entnehmen, dass das Akteneinsichtsrecht nicht unbeschränkt und ohne Angabe von Gründen gewährt werden soll. Vielmehr erfordert die Wahrnehmung eines solchen Rechts die Darlegung, dass eine Auskunft für die Wahrung der rechtlichen Interessen des Betroffenen nicht ausreicht und er hierzu auf Akteneinsicht angewiesen ist (vgl. KG Beschluss vom 5.9.2007, Az.: 2/5 Ws 700/06 zitiert nach juris m.w.N). Dass es der Darlegung eines rechtlichen Interesses bedarf, folgt auch aus dem Hinweis auf § 19 BDSG bzw. Art. 10 BayDSG. Denn danach wird dem Betroffenen sogar ein Anspruch auf Auskunft nur nach Maßgabe dieser Vorschriften gewährt, nach denen er in seinem Antrag die Art der personenbezogenen Daten, über die Auskunft erteilt werden soll, näher bezeichnen muss (§ 19 Abs. 1 Satz 2 BSDG). Sind diese Angaben in den Akten enthalten, besteht der Anspruch auf Auskunft nur dann, wenn der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem von dem Betroffenen geltend gemachten Informationsinteresse steht (§ 19 Abs. 1 Satz 3 BSDG). Eine solche Abwägung ist jedoch nur dann möglich, wenn der Betroffene ein auf konkrete Inhalte bezogenes und begründetes Informationsinteresse geltend macht.

18Solche genauen Angaben, sind der Verteidigung hier mangels Kenntnis des Inhalts von Band I der Personalakten nicht möglich. Es besteht jedoch ein berechtigtes Interesse an der Kenntnis und Einsichtnahme, da die Personalakten in vielfältiger Weise Auswirkungen auf den Vollzugsalltag haben und über das Verhalten des Verurteilten im Vollzug Auskunft geben. Dies kann von Bedeutung für die Entscheidung der Aussetzung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung sein. Die Gefangenenpersonalakten enthalten nicht ausschließbar wesentliche Erkenntnisse für die Beurteilung der Gefährlichkeit eines Verurteilten und werden deshalb in der Regel, wie auch vorliegend, von den Sachverständigen in ihr Gutachten einbezogen. Ohne Kenntnis derselben ist der Verteidigung jedoch eine Überprüfung der Feststellungen der Sachverständigen nicht möglich. Die Verteidigung ist nicht gehalten grundsätzlich, wie die Kammer, von der Richtigkeit der Ausführungen auch der Justizvollzugsanstalt auszugehen. Die Nichtbeachtung des Akteneinsichtsantrags des Verteidigers in die Gefangenenpersonalakte verletzt deshalb das Recht des Verurteilten auf ein faires Verfahren (OLG Nürnberg, NStZ-RR 2004, 318f).

Es ist ebenfalls nicht auszuschließen, dass der Verteidiger bei vollständiger Akteneinsicht aufgrund der aus Band I gewonnenen Erkenntnisse bei Anhörung der Sachverständigen an diese weitere sachdienliche Fragen hätte stellen können. Die Strafvollstreckungskammer wird daher, nachdem der Verteidiger die Personalakten eingesehen hat, gegebenenfalls die Anhörung zu wiederholen haben. Dies gilt auch deshalb, weil die Entscheidung gemäß § 67c Abs. 1 StGB zu den Vollstreckungsentscheidungen gehört, die wegen der Dauer ihrer Fortwirkung für den Verurteilten von besonderer Bedeutung sind und zudem hier einen Straftäter betreffen, bei dem der prognostischen Beurteilung besondere Bedeutung zukommt.

Diese Anhörung durch die erkennenden Richter der Strafvollstreckungskammer kann durch das Beschwerdegericht nicht nachgeholt oder ersetzt werden und zwingt deshalb zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer (Meyer-Goßner, StPO 56. Aufl. § 309 Rdn. 8). Diese wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.






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Az: 2 Ws 456/11


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