Landgericht Hamburg:
Urteil vom 13. Februar 2006
Aktenzeichen: 417 O 209/05

(LG Hamburg: Urteil v. 13.02.2006, Az.: 417 O 209/05)

Tenor

1. Alle in der Hauptversammlung der Beklagten vom 25.8.05 gefassten Beschlüsse sind nichtig.

2. Die Kosten des Rechtsstreits unter Einschluss der Kosten der Nebenintervenienten hat die Beklagte zu tragen.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1. Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung beklagten AG.

Die Beklagte ist eine bis 2003 an der Frankfurter Börse zugelassene AG mit Sitz in Hamburg. Sie beschäftigte sich mit der Entwicklung von Computersoftware, deren Verkauf und der Pflege der Produkte bei den Kunden. U. a. auf demselben Markt ist die Firma Open Text Corporation O., Waterloo, Kanada (im folgenden: Open Text O.) tätig. Diese entschloss sich im Jahre 2003, die Beklagte zu übernehmen.

Im September 2003 gründet sie die Fa. Ontario 2016090 Corporation O., Waterloo, Kanada (im folgenden: Ontario O.) als ihre 100%ige Tochter. Aufgrund eines öffentlichen Kaufangebots (Euro 1,06) gelang der Kauf von ca. 86% der Aktien. Am 4.11.03 schlossen die Beklagte und die Ontario O. einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag, wonach die Beklagte verpflichtet war, alle Gewinne an Ontario O. abzuführen und sich die Ontario O. verpflichtete, etwaige Verluste der Beklagten zu übernehmen. Die jährliche Ausgleichszahlung der Aktionäre (§ 304 I AktG) wurde auf Euro 0.- festgesetzt und dies damit begründet, dass die Beklagte wertlos sei. Den Aktionären wurde nach § 305 I AktG das Angebot unterbreitet, die Aktien zum Preis von Euro 1,06 an die Ontario O. zu veräußern. In der Hauptversammlung der Beklagten vom 23.12.03 wurde der Abschluss des Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrages mit der Stimmenmehrheit der Ontario O. beschlossen.

U. a. die jetzigen Klägerinnen zu 3. und 10. erhoben u. a. hiergegen Anfechtungsklage mit dem Antrag festzustellen, dass der Beschluss über die Genehmigung des Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrages nichtig sei. Nachdem in dieser Sache eine erste mündliche Verhandlung stattgefunden hatte, wurde der Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag auf Veranlassung des Vorstands der Beklagten am 6.5.04 in das Handelsregister eingetragen. Danach stellten einige Aktionäre Anträge auf gerichtliche Festsetzung einer angemessenen, höheren Ausgleichszahlung und eines höheren Barabfindungsangebots; das Verfahren ist vor einer anderen Kammer dieses Gerichts anhängig und noch nicht entschieden.

Andere Aktionäre dienten alle oder einige ihrer Aktien der Ontario O. zu dem festgelegten Abfindungsbetrag an.

Die Anfechtungsklage hatte durch Urteil dieser Kammer des Landgerichts Hamburg vom 4.4.05 (417 O 14/04) in vollem Umfang Erfolg. Das Gericht entschied, dass der Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag den Vorstand der Beklagten in einem Punkt zwinge, gesetzwidrig zu handeln, und außerdem der Ausgleichsbetrag mit Euro 0.- unrichtig festgesetzt worden sei. Schließlich sei gegen Informationspflichten verstoßen worden, weil die Ontario O. keinen eigenen Geschäftsbetrieb unterhalte, über kein Vermögen außer den Aktien verfüge und nur durch eine Patronatserklärung der Open Text überleben könne, die den Aktionäre aber nicht bekannt gemacht worden sei; die Patronatserklärung sei nicht offen gelegt worden.

Bevor über die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil verhandelt werden konnte, verglichen sich die damaligen Parteien dahin, dass die Ausgleichszahlung für alle Aktionäre auf Euro 0,05/jährlich pro Aktie festgesetzt, dass der Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag dahin geändert wurde, dass die Verpflichtung zum gesetzwidrigen Handeln der Beklagten entfiel und dass die Patronatserklärung zugunsten der Aktionäre erweitert wurde.

In der Zwischenzeit hatte sich die Ontario O. bemüht, über 95% der Aktien zu erlangen, um die gesetzlichen Voraussetzungen für den zwangsweisen Verkauf der restlichen Aktien an sich nach § 327 a AktG (im folgenden: Squeeze-Out) zu schaffen. Noch bevor ihr dies gelang, beantragte sie am 10.3.05 beim Landgericht Hamburg, einen sachverständigen Prüfer nach § 327 a AktG zu bestellen, was am 11.4.05 geschah.

Am 25.8.05, als die Ontario O. mehr als 95% der Aktien besaß, fand eine Hauptversammlung der Beklagten statt, zu der ca. 15 Aktionäre sowie als Vertreter der Ontario O. Herr Sheldon Polansky S. erschienen waren. Der Versammlungsleiter Herr Hübner H. (der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats der Beklagten) bestimmte, dass durch Handzeichen nach dem sog. Subtraktionsverfahren abgestimmt werden sollte; wer gegen einen Beschluss stimmen oder sich der Stimme enthalten wolle, müsse dies im Versammlungssaal tun, alle anderen Stimmen würden als Zustimmung gewertet. Den Präsenzbereich bestimmte er mit dem "Versammlungssaal" und dem "vorderen Gangbereich". Über die Anwesenheit wurde eine Anwesenheitsleiste geführt, in welcher u. a. Herr Polansky P. als Vertreter der Ontario O. eingetragen wurde. Jedenfalls während der zunächst stattfindenden Generaldebatte hielt sich Herr Polansky P. zeitweise in dem hinter dem Versammlungsraum befindlichen "back-office" auf. Die Versammlung wurde zunächst mit Bild und Ton, später auf den Protest einzelner Aktionäre nur mit Ton in das "back-office" übertragen. Nach Schluss der Generaldebatte wurde die Anwesenheitsliste aktualisiert und es begann die Abstimmung, in der zahlreiche Beschlüsse, u. a. die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrates und ein Squeeze-Out (mit einer Barabfindung von Euro 1,20/Aktie) gefasst wurden, die trotz Gegenstimmen als mit der Mehrheit der Hauptaktionärin beschlossen in das notarielle Protokoll aufgenommen wurden. Nach dem Schluss der Abstimmung fragte der Kläger zu 1., wo denn der Vertreter der Hauptaktionärin sich aufhalte. Daraufhin ging der Notar mit einigen Aktionären auf den Gang hinaus, wo sie Herrn Polansky P. antrafen; streitig ist, ob er sich während der Abstimmung im "back-office" aufgehalten hatte.

2. Die Kläger und die Nebenintervenienten begehren die Feststellung der Nichtigkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung, wobei sie teils alle, teils nur einige Beschlüsse angreifen. Sie bringen mit vielerlei verschiedenen Argumenten (teils alle Antragsteller, teils nur einige von ihnen) im wesentlichen folgendes vor:

Die Kläger seien sämtlich anfechtungsberechtigt, denn sie seien Aktionäre der Beklagten und hätten gegen die Beschlüsse in der Hauptversammlung Widerspruch eingelegt. Das am 1.11.05 in Kraft getretene Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG, BGBl. I, 2005, 2802 ff) sei nicht auf bereits laufende Verfahren anwendbar. Die Nebeninterventionen seien sämtlich ebenfalls zulässig, da auch alle Nebenintervenienten Aktionäre der Beklagten seien und ein rechtliches Interesse am Ausgang dieses Rechtsstreits hätten, weil sich die Frage der Nichtigkeit der Beschlüsse auch auf ihre Aktien auswirke.

Die Beschlüsse der Hauptversammlung seien sämtlich nichtig. Dies bereits deshalb, weil es an einer wirksamen Einladung gefehlt habe, die nur von einem statt von vier Vorstandsmitgliedern beschlossen worden sei. Die Hauptaktionärin Ontario O. gebe es in Wahrheit gar nicht, jedenfalls habe sie nicht mitstimmen dürfen, weil sie anzuzeigen versäumt habe, dass sie mehr als 25% der Aktien auf sich vereinigt habe. Sie habe auch nicht mitgestimmt, da ihr Vertreter Herr Polansky P. sich während der Abstimmung im "back-office" aufgehalten habe. Die Beschlussentwürfe seien deshalb in Wahrheit sämtlich abgelehnt worden. Auf eine - bestrittene - Bevollmächtigung anderer Personen könne es schon deshalb nicht ankommen, weil diese nicht in die Anwesenheitsliste eingetragen worden seien.

Im Hinblick auf alle Beschlüsse rügen einige Aktionäre weiter, ihnen seien Auskünfte nicht hinreichend erteilt worden, u. a. etwa zur Bonität der Ontario O.. Einige meinen auch, alle Beschlüsse seien nichtig, weil nach dem Urteil vom 14.4.05 der Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag nichtig sei.

Der Beschluss über die Gewinnthesaurierung (Tagesordnungspunkt 1; folgend: TPO) sei nichtig, weil hierzu nicht eingeladen worden sei.

Die "Entlastung des Vorstands" (TPO 2, 3) hätte nicht erfolgen dürfen, weil dieser die Eintragung des Gewinnabführungs- und Beherrschungsbeschlusses trotz des Urteils vom 14.4.05 veranlasst habe.

Der Beschluss über den "Squeeze-Out" (TOP 7) sei schon deshalb vollständig nichtig, weil § 327 a AktG gegen die das Grundgesetz verstoße. Außerdem sei er unzulässig, weil das Squeeze-Out bei noch bestehenden 1182 Aktienoptionen nicht zum Erfolg führen könne und weil er wegen der am 16.6.04 beschlossenen Kapitalherabsetzung unsinnig sei. Dass die Hauptaktionärin die Bestellung eines Abfindungsprüfers vor Erreichen des 95%-Quorums beantragt habe, dass das Gericht nur einen Vorschlag der Hauptaktionärin bestätigt und keine eigene Auswahl getroffen habe und dass die Prüfung parallel zur Erstellung des Unternehmensberichts und quasi zeitgleich mit einer vom Unternehmen beauftragten Prüfung erfolgt sei, habe ebenfalls die Nichtigkeit des Beschluss zur Folge. Der Prüfungsbericht sei inhaltslos und zeige, dass in Wahrheit keine eigenständige Prüfung erfolgt sei. Der Unternehmensbericht sei nur von Herrn Polansky P. unterzeichnet worden, der hierzu nicht allein berechtigt gewesen sei. Die beigebrachte Gewährleistungserklärung der Bank garantiere nicht die Abfindung in der vom Gericht festzusetzenden Höhe der Abfindung und enthalte nicht den erforderlichen Verzicht auf die Einwendungen aus § 334 BGB.

Der Beschluss, mit dem der Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag an den Vergleich angepasst werde (TPO 9), sei nichtig, weil - wie das Gericht bereits im Urteil vom 14.4.05 ausgesprochen habe - der gesamte Vertrag unheilbar nicht sei.

3. Die Kläger und die Nebenintervenienten beantragen deshalb, (teils nur hinsichtlich einzelner Beschlüsse)

die Beschlüsse der Hauptversammlung vom 25.8.05 für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

4. Die Beklagte hält einige der Klagen für unzulässig, weil es an einem Widerspruch in der Hauptversammlung fehle. Die Aktionärseigenschaft der bereits am Vorverfahren beteiligten gewesenen Kläger werde nicht bestritten; die übrigen Kläger aber seien nicht, wie das auch für dieses Verfahren geltende UMAG verlange, bereits zur Zeit der Bekanntmachung der Einladung zur Hauptversammlung Aktionäre gewesen. Die Nebeninterventionen seien aus denselben Gründen und schon deshalb unzulässig, weil die Nebenintervenienten weder Widerspruch eingelegt noch die Anfechtungsfrist eingehalten hätten.

Die Einladung zur Hauptversammlung sei zulässigerweise von dem einzigen vorhandenen Vorstand ausgesprochen worden. Die Ontario O. sei in Kanada wirksam gegründet worden und werde von Herrn Polansky P. allein vertreten. Die Beschlüsse seien wirksam gefasst worden; Herr Polansky P. habe sich während der Abstimmung auf dem Gang aufgehalten. Im übrigen habe er vor der Versammlung dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten Dr. Terlau T. und dieser dem Mitarbeiter des Veranstalters Herrn May M. Vollmacht erteilt, im Namen der Ontario O. abzustimmen.

Alle verlangten Auskünfte seien in der Hauptversammlung erschöpfend erteilt worden. Der Beschluss über die Gewinnthesaurierung (TOP 1) sei wirksam; es reiche die Erwähnung der Gewinnfeststellung in der Einladung.

Der Beschluss über die den Squeeze-Out (TOP 7) sei wirksam. § 327 a AktG sei verfassungsmäßig, der Antrag auf Bestellung eines Abfindungsprüfers könne schon vor Erreichen der 95%-Grenze gestellt werden und die Prüfung sei unabhängig und sachgerecht erfolgt.

Der Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag (TOP 9) sei nicht nichtig, sondern nach dem Vergleich gerade als wirksam anzusehen und habe deshalb auch geändert werden können.

5. Wegen des übrigen Sachvortrags der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten sehr zahlreichen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.12.05 Bezug genommen. Das Gericht hat die Akten 417 O 37/05 (Bestellung des Abfindungsprüfers) und 417 O 14/04 (Anfechtungsklage betr. den Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag) zum Gegenstand der Verhandlung gemacht.

Gründe

I. Die Klage und die Nebeninterventionen sind zulässig.

1. Zur Anfechtung eines Beschlusses einer Hauptversammlung einer AG ist berechtigt, wer Aktionär ist und in der Hauptversammlung erschienen war und gegen den Beschluss Widerspruch zur Niederschrift erklärt hat, § 245 Nr. 1 AktG. Die Anfechtungsklage muss innerhalb eines Monats nach der Beschlussfassung erhoben werden, § 246 I AktG.

a. Dass alle Kläger Aktionäre der Beklagten sind, ist zwischen den Parteien nicht im Streit; die Kläger stehen auch sämtlich auf der von der Beklagten eingereichten Anwesenheitsliste (B 28), auf die sie ohne den Nachweis der Aktionärseigenschaft nicht gelangt wären.

b. Durch das am 1.11.05 in Kraft getretene UMAG (BGBl 2005, 2802, 2805) ist eine zusätzliche Voraussetzung dahin eingeführt worden ist, dass anfechtungsberechtigt nur ist, wer bereits zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Tagesordnung der Hauptversammlung Aktionär war. Diese Eigenschaft war in der mündlichen Verhandlung vom 12.12.05 nur hinsichtlich der Klägerin zu 10. unstreitig, im übrigen streitig; nach der mündlichen Verhandlung haben noch die Kläger zu 2., 5., 6., 7. und 8. durch Vorlage entsprechender Bescheinigungen ihre Aktionärseigenschaft auch für diesen Zeitpunkt nachgewiesen.

Die Frage, ob diese weitere prozessuale Voraussetzung rückwirkend Geltung beanspruchen kann und auch in bereits laufenden Verfahren zu berücksichtigen ist, ist streitig. Das Gesetz selbst verhält sich zu dieser Frage nicht ausdrücklich, sein Artikel 3 bestimmt lediglich das Inkrafttreten zum 1.11.05. Die Beklagte hält diese Neuregelung für einen Teil intertemporalen Zivilprozessrechts, das nach allgemeinen Grundsätzen rückwirkend anwendbar sei (BGH NJW 1953, 941; Zöller-Vollkommer, ZPO, 25. Auflage, § 300 Rdn. 3) und sogar dazu führen könne, dass eine ursprünglich begründete Klage unzulässig oder unbegründet werde (BGH NJW 1996, 2729, 2730 - Wegfall der Klagebefugnis -; BGH NJW 1995, 2170, 2171; BGH NJW-RR 2004, 687, 688 - Wegfall der Anspruchsgrundlage -); dies sei auch bereits für die Neuregelungen des UMAG entschieden (OLG Hamm, NZG 2005, 897 mit Anmerkungen Ihrig/Erwin, BB 2005, 1973; Leuering/Simon, NJW-Spezial 2005, 315).

Dieser Auffassung folgt das Gericht für das UMAG nicht. Das UMAG sieht eine ganze Reihe von Regelungen vor, die die Geltendmachung von Rechten der Aktionäre erschweren, wie etwa die Möglichkeit einer späteren Einladung und einer früheren Anmeldung zur Hauptversammlung (§ 123 AktG neu), neue, kürzere Fristen, ein völlig neues Verfahren bei der Bestellung von Sonderprüfern (§ 142 AktG neu) und die Beschränkung des Rederechts in der Hauptversammlung (§ 131 II AktG neu). Diese Regelungen können keine Rückwirkung entfalten. Wäre etwa in einer vor dem 1.11.05 abgehaltenen Hauptversammlung das Rederecht beschränkt worden, bliebe dies auch dann rechtswidrig, wenn eine solche Maßnahme nach neuem Recht zulässig wäre. Eine Hauptversammlung, die nach früherem Recht (rechtswidrig) erst 30 Tage vor dem Termin einberufen worden ist (§ 123 I AktG a. F.: 1 Monat), würde nicht dadurch wirksam, dass ab 1.11.05 diese Frist die gesetzliche Mindestfrist wurde (§ 123 I AktG neu). Die hier zu beurteilende Frist (früher: Aktienbesitz bei der Hauptversammlung bzw. der späteste Anmeldung- bzw. Hinterlegungstag, ab dem 1.11.05: die Bekanntmachung der Tagesordnung) ist gleich zu bewerten; auch hier kann die Entschlussfreiheit, wann man welche Aktien zur beabsichtigten Teilnahme an bevorstehenden Squeeze-Out-Maßnahmen erwirbt, nicht nachträglich beschränkt werden.

b. Alle Kläger haben auch Widerspruch gegen die von ihnen angegriffenen Beschlüsse erhoben. Dies ist bis auf die Kläger zu 10. und 11. unstreitig; deren Widerspruch ergibt sich aber ebenso aus S. 12 des notariellen Protokolls (B 3). Die Zulässigkeit der Erhebung des Widerspruchs noch vor der Abstimmung ist in diesem Verfahren nicht im Streit.

c. Alle Klage sind innerhalb eines Monats nach der Hauptversammlung vom 25.8.05, also bis zum 25.9.05 bzw. dem darauffolgenden Montag (26.9.05) zumindest mit Fax bei Gericht eingegangen.

2. Auch die Nebeninterventionen sind zulässig. Das nach § 66 ZPO erforderliche rechtlichen Interesse der Nebenintervenienten ergibt sich bereits daraus, dass sie von dem Ausgang der Anfechtungsklage wegen deren Rechtskrafterstreckung auf alle Aktien bzw. Aktionäre (§ 248 I AktG) unmittelbar betroffen sind.

II. Die Klagen sind auch begründet.

Nach § 243 I AktG können Beschlüsse der Hauptversammlung einer AG angefochten werden, wenn sie die Satzung oder das Gesetz verletzen; die Folge der wirksamen Anfechtung ist die Nichtigkeit der Beschlüsse (§ 241 Ziffer 5 AktG). So liegt es hier.

Alle Beschlüsse der Hauptversammlung vom 25.8.05 sind nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, weil das Abstimmungsergebnis unrichtig festgestellt worden ist; weil auch nicht festgestellt werden kann, wie das Abstimmungsergebnis richtig lautet, sind die Beschlüsse anfechtbar und für nichtig zu erklären.

1. Es kann noch dahinstehen, ob das vom Versammlungsleiter angeordnete Abstimmungsverfahren (sog. Subtraktionsmethode) generell oder nur im vorliegenden Fall unzulässig ist. Grundsätzlich haben Abstimmungen innerhalb demokratisch organisierter Versammlungen bei gleichzeitiger Anwesenheit und durch klare Meinungsäußerung aller Teilnehmer zu erfolgen, wobei es unerheblich ist, ob offen oder geheim abgestimmt und ausgezählt wird (vgl. hierzu MüKoAktG-Volhard, § 134 Rdn. 82). Jede Abweichung von einem solchen Verfahren bedarf eines gewichtigen und tragfähigen Grundes. Dieser kann bei Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften, die von vielen Aktionären besucht werden, sicher dann gefunden werden, wenn allein der zeitliche Aufwand der Feststellung des Abstimmungsergebnisses sonst den Rahmen der Versammlung sprengen würde (vgl. die Nachweise bei MüKoAktG-Volhard, § 133 Rdn. 25). Im vorliegenden Fall waren aber zu der Hauptversammlung ausweislich der Anwesenheitsliste (B28) nur ca. 15 Personen erschienen und die Zahl der von ihnen vertretenen Aktien war bei den meisten von ihnen sehr überschaubar. Über 95% aller Stimmen wurden nur von einer einzigen Person vertreten. Irgendein sachlicher Grund dafür, die Ja-Stimmen nicht konkret festzustellen, ist hier nicht erkennbar. Die Umstände legen vielmehr nahe, dass die Wahl dieses Abstimmungsverfahrens nur von sachfremden Gesichtspunkten bestimmt wurde. Der Beklagten war aus dem Vorverfahren bekannt, dass die Aktionäre mit nachvollziehbaren Gründen schon die Existenz der Ontario O. bezweifelt hatten, von der unstreitig war und ist, dass sie weder eigenes Personal noch einen eigenen Geschäftsbetrieb unterhält und über eigenes Vermögen (außer dem Aktienbesitz an der Beklagten) nicht verfügt. Die Originale der Gründungsurkunden sind erst in diesem Verfahren vorgelegt worden. Die Ontario O. hatte sich stets durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten vertreten lassen, deren einer Sozius, Herr Rechtsanwalt Hübner H., zugleich Aufsichtsrat der Beklagten war und den Vorsitz der Hauptversammlung führte. Die Kläger fühlten sich daher zu Recht von einer völlig anonymen Bedrohung ihres Aktienbesitzes ausgesetzt. Die Wahl des Substraktionsverfahrens, das diesen Zustand der Anonymität perpetuiert, erscheint unter diesen Umständen sachfremd.

2. Das Abstimmungsergebnis ist nicht rechtlich einwandfrei festgestellt worden, weil die Anwesenheitsliste nicht richtig geführt wurde.

Die Präsenzliste weist sowohl in ihrer ersten Fassung als auch - nämlich durch Nichtveränderung - in den beiden Nachträgen (B28) den Vertreter der Hauptaktionärin Ontario O. mit Herrn P P. aus. Die erste Fassung der Präsenzliste war ausweislich des notariellen Protokolls bereits vor der Debatte ausgelegt worden (B3 S. 8). Herr Polansky P. war aber, wie zwischen den Parteien unstreitig ist, jedenfalls während der Debatten nicht anwesend. Anwesend im Sinne des Aktienrechts ist nur jemand, der sich im Präsenzbereich aufhält, den der Versammlungsleiter zu Beginn der Versammlung festgelegt hat. Ausweislich des notariellen Protokolls hatte der Versammlungsleiter den Präsenzbereich mit "dem Versammlungsraum" und dem "vorderen Gangbereich" festgelegt (B3 S. 7 oben). Herr Polansky P. soll sich im "back-office" aufgehalten haben. Dieser Raum und der davon abgehende Raum sind, wie aus der Skizze Anlage B6 hervorgeht und unstreitig ist, durch eine Tür von dem Gang getrennt. Die Kläger haben auch vorgetragen, dass sich an der Tür ein Schild "Zutritt verboten" befunden habe. Da die Beklagte diesem Vortrag nicht entgegen getreten ist, ist er als zugestanden und damit als unstreitig zu behandeln, § 138 ZPO. Wenn aber der Zutritt zum "back-office" verboten war, die Aktionäre sich also dort nicht aufhalten durften, gehörte das "back-office" auch nicht zum Präsenzbereich. Wenn sich Herr Polansky P. dort aufhielt, hatte er den Präsenzbereich verlassen und die Präsenzliste ist unstreitig unrichtig geworden.

Hieran ändert auch nichts das Vorbringen der Beklagten, sie habe doch ihren Prozessbevollmächtigten Dr. Terlau T. beauftragt, für eine Vertretung des Herrn Polansky P. zu sorgen und dieser habe in Ausführung dieses Auftrags Herrn May M. mit der Vertretung des Hauptaktionärs beauftragt, der dann auch während des gesamten Abstimmungsvorgangs im Versammlungssaal anwesend gewesen sei. Für die Frage der richtigen Auswertung des Abstimmungsergebnisses kommt allein auf die Frage an, wer in der Präsenzliste als Vertreter des Aktionärs eingetragen ist (MükoAktG-Volhard, § 134, 85; MüKoAktG-Kubis, § 129 Rdn. 19, 20 mwN). Dort war nur Herr Polansky P. vermerkt.

Wenn aber die Präsenzliste unstreitig unrichtig ist, hat die Beklagte zu beweisen, dass die Beschlüsse die erforderliche Mehrheit gefunden haben, mithin, dass sich Herr Polansky P. während der Abstimmung wieder im Präsenzbereich aufgehalten hat. Dies haben alle Kläger bestritten. Sie haben hierzu dargestellt, der Aktionär Trippel T. habe nach der Abstimmung nach Herrn Polansky P. gefragt, worauf sich ein Tumult erhoben und der Notar auf den Gang gegangen sei, wo man Herr Polansky P. aus dem "back-office" kommend angetroffen habe. Dies ist angesichts des Umstandes, dass unstreitig der Verlauf der Hauptversammlung durch Audioübertragung zeitgleich im "back-office" verfolgt werden konnte, auch außerordentlich plausibel und die Kläger haben sich hierzu sogar auf das Zeugnis des Herrn Polansky P. selbst bezogen. Die Beklagte hat diesen Umstand schriftsätzlich zunächst gar nicht kommentiert. In der Verhandlung vom 12.12.05 hat sie zu Protokoll gegeben, Herr Polansky P. habe sich während der Abstimmung auf dem Gang aufgehalten, aber sich weder zum Zeitpunkt seines Erscheinens dort noch zur Frage geäußert, warum er nicht bei Auftreten der Differenzen über seine Anwesenheit sogleich durch Betreten des Saales für Klarheit sorgte. Die Beklagte hat sich auch nicht auf sein Zeugnis bezogen. Sie hat statt dessen durch ihre insistierenden Ausflüchte zu der angeblichen Vollmachtserteilung und durch die (noch in der mündlichen Verhandlung vom damaligen Versammlungsleiter Herrn Hübner H.) vertretene Ansicht, das "back-office" zähle zum Präsenzbereich, vielmehr den Eindruck vermittelt, die Darstellungen der Kläger seien in Wahrheit durchaus richtig. Deshalb geht das Gericht davon aus, dass Herr Polansky P. und damit die Hauptaktionärin und damit über 95% der Aktien nicht an den Abstimmungen beteiligt waren.

Da nicht protokolliert ist, wie die Abstimmungen ansonsten verlaufen sind, sind die Abstimmungen sämtlich als nichtig anzusehen.

3. Ob einzelne oder alle Beschlüsse noch aus anderen Gründen anfechtbar und nichtig sind, kann offen bleiben.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 101 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.






LG Hamburg:
Urteil v. 13.02.2006
Az: 417 O 209/05


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