Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. Mai 2006
Aktenzeichen: 7 W (pat) 384/03

(BPatG: Beschluss v. 24.05.2006, Az.: 7 W (pat) 384/03)

Tenor

Das Patent wird beschränkt aufrechterhalten mit den jeweils am 24. Mai 2006 überreichten Patentansprüchen 1 bis 18 mit Beschreibung (Spalten 1 bis 7), und mit 3 Blatt Zeichnungen (Figuren 1 bis 4) gemäß Patentschrift.

Gründe

I.

Gegen die Erteilung des Patents 101 47 455 mit der Bezeichnung "Ventil mit mehrteiliger Ventildichtung", veröffentlicht am 17. April 2003, ist Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, dass der Gegenstand des Patents nicht patentfähig sei.

Zum Stand der Technik hat die Einsprechende von den im Prüfungsverfahren berücksichtigten und auf der Titelseite der Streitpatentschrift DE 101 47 455 C1 genannten Druckschriften die DE 298 18 551 U1 (kurz: E3), darüber hinaus die Patentpublikationen DE 88 13 258 U1 (kurz: D8) und WO 92/21900 A1 (D9) sowie Unterlagen verschiedener Firmen bzw. Hersteller von Dichtungen (D1 bis D3, D3.1, D4/D4.1 bis D4/D4.4, D5 bis D7/D7.1, D7/D7.2 - wegen diesbezüglicher Einzelheiten wird auf den Einspruchsschriftsatz vom 11. Juli 2003 verwiesen) dem Streitpatent entgegengehalten. Die Einsprechende hat zudem eine offenkundige Vorbenutzung durch einen in der Unterlage D2 gezeichneten Dichtring geltend gemacht. Dafür, dass vor dem Anmeldetag des Streitpatents derartige Dichtungen vorbehaltlos an die Einsprechende geliefert und die Druckschrift D4 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien, hat sie Zeugenbeweis angeboten.

In der mündlichen Verhandlung legt die Patentinhaberin neue Patentansprüche 1 bis 18 und eine neue Beschreibung vor. Sie vertritt die Auffassung, dass der Patentgegenstand in der geltenden Fassung der Patentansprüche gegenüber dem entgegengehaltenen Stand der Technik patentfähig sei.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

"1. Ventil, insbesondere Doppelsitz-Leckageventil, für die Lebensmittel-, Getränke- und die pharmazeutische Industrie, mit einem Gehäuse (7), das einen Sitz (6) aufweist, mit einem Schließkörper (5), der im Gehäuse (7) zwischen einer Schließstellung und einer Offenstellung verschiebbar angeordnet ist und zum Schließen des Ventils mit dem Sitz (6) zusammenarbeitet, und mit einem zwischen dem Schließkörper (5) und dem Sitz (6) wirkenden Dichtring (1), welcher in einer Ringnut (4) im Schließkörper (5) oder im Sitz (6) angeordnet ist, wobei der Dichtring (1), einen zur Ringnut (4) hin offenen U- oder C-förmigen Querschnitt mit zwei Schenkeln (1b) aufweist und von einem Stützring (3), der einen zum Dichtring (1) hin geöffneten U- oder C-förmigen Querschnitt mit zwei Schenkeln (3b) aufweist, gestützt wird und wobei zwischen dem Stützring (3) und dem Dichtring (1) ein auf Verformung mit einer Rückstellkraft antwortender Ring (2) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Dichtring (1) in der Ringnut (4) bereits dort, wo er die Seitenwand (4b) der Ringnut (4), von der Öffnung der Ringnut (4) aus gesehen, in der Offenstellung des Ventils erstmals berührt, und in einem daran anschließenden Bereich von dem Stützring (3) unterstützt wird, wobei der Dichtring (1) in dem vom Stützring (3) unterstützten Bereich im Querschnitt gesehen eine Taille aufweist, in welcher der Stützring (3) mit dem Dichtring (1) einen Formschluß eingeht, indem die Schenkel (3b) des Stützringes (3) in einem an den Dichtring (1) anliegenden Bereich konvex gerundet ausgeführt sind und der Dichtring (1) in dem vom Stützring (3) unterstützten Bereich konkav ausgebildet ist."

Weitere Ausgestaltungen des Gegenstandes nach Patentanspruch 1 sind in Patentansprüchen 2 bis 18 angegeben.

Dem Patentgegenstand liegt nach geltender Beschreibung (Sp. 1 Abs. 0005) die Aufgabe zugrunde, ein Ventil zur Verfügung zu stellen, welches den hohen Anforderungen an Zuverlässigkeit, Reinheit und Keimfreiheit in der Lebensmittel-, Getränke- und pharmazeutischen Industrie noch besser gerecht wird.

Die Einsprechende, die auch den Patentgegenstand in der nunmehr geltenden beschränkten Fassung für nicht schutzwürdig gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik ansieht, stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten mit den jeweils am 24. Mai 2006 überreichten Patentansprüchen 1 bis 18 mit 7 Spalten Beschreibung, Zeichnungen gemäß Patentschrift.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Ziff. 1 PatG, eingeführt durch das Gesetz zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des Geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001 (Art. 7), durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.

2. Der frist- und formgerecht erhobene Einspruch ist zulässig. Er ist insoweit erfolgreich als er zu einer Beschränkung des Schutzbereichs des angefochtenen Patents führt.

3. Der Gegenstand des angefochtenen Patents in der Fassung der Patentansprüche vom 24. Mai 2006 stellt eine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG §§ 1 bis 5 dar.

3.1 Die geltenden Patentansprüche sind zulässig. Patentanspruch 1 ist aus den erteilten Patentansprüchen 1, 6 und 7 i. V. m. Spalte 3 Zeilen 46 bis 50 der Patentschrift hervorgegangen. Die übrigen Patentansprüche 2 bis 18 entsprechen sachlich den erteilten Patentansprüchen 2 bis 5 und 8 bis 20.

3.2 Der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1, dessen Neuheit und gewerbliche Anwendbarkeit nicht bestritten sind, beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als hier maßgeblicher Fachmann ist ein Maschinenbauingenieur anzusehen, der mit der Gestaltung von Dichtungen an Ventilen, insbesondere für die Lebensmittel-, Getränke- und pharmazeutischen Industrie, befasst ist.

Die vorliegende Erfindung betrifft die Gestaltung der Dichtung zwischen Schließglied und Sitz eines Ventils, die aus einem Dichtring, einem Stützring und einem zwischen beiden angeordneten, eine Rückstellkraft auf eine Anpresskraft erzeugenden Ring besteht und in einer Ringnut angeordnet ist.

Aus der DE 298 18 551 U1 (E3) ist unstreitig ein Ventil mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 bekannt (Fig. 1 mit Detail A und zugehörigen Beschreibungsteilen). Ein zwischen Schließglied und Sitz des Ventils wirkender Dichtring 1 ist dort gemeinsam mit einem Stützring 3 und einem Ring 2, im weiteren als Rückstellring bezeichnet, in einer Ringnut 4 des Schließgliedes oder Sitzes angeordnet (Fig. 1 Detail A). Dichtring und Stützring weisen U- oder C-förmige Querschnitte auf, wobei die Schenkel des Stützringes zwischen die Schenkel des Dichtringes greifen. Der Stützring liegt mit seinem Rücken am Nutengrund und mit seinen, ein Übermaß gegenüber dem Inneren des Dichtringes aufweisenden Schenkeln (S. 3) federnd an den Innenseiten der beiden Schenkel des zur offenen Nutseite geschlossenen Dichtringes an, wodurch im in die Nut eingesetzten Zustand der Dichtung ein genügend großer Anpressdruck in axialer Ventilrichtung zwischen Dichtring und den seitlichen Begrenzungswänden der Ringnut gewährleistet sein soll, selbst bei Fließen des Materials des Dichtringes (S. 2 le. Satz bis S. 3 Z. 9). Der radial auf den Dichtring ausgeübte Anpressdruck bzw. die Dichtungskraft wird vom Rückstellring, der in einem vom Dichtring und Stützring gebildeten und umschlossenen Hohlraum angeordnet ist, elastisch aufgenommen (S. 3 Z. 9 bis 15, 18 bis 20).

Dass entsprechend dem ersten kennzeichnenden Merkmal des Anspruchs 1 der Dichtring bereits dort, wo er die Seitenwand der Ringnut, von der Öffnung der Ringnut aus gesehen, in der Offenstellung des Ventils erstmals berührt, vom Stützring unterstützt wird, kann der Gebrauchsmusterschrift nicht entnommen werden, da der Dichtring dort mit Übermaß gegenüber der Ringnut gefertigt ist (S. 3 Z. 1 u. 2) und somit bei Offenstellung des Ventils eine Berührung von Dichtring und Nutwand auch in einem Bereich anzunehmen ist, der außerhalb der Erstreckung der Schenkel des Stützringes liegt. Die Patentschrift (Abs. 0003) zitiert einleitend jedoch bereits einen Stand der Technik (US 2 911 184), der dieses Merkmal aufzeigt. Diese Maßnahme liegt für den Fachmann auch beim bekannten Ventil nahe, da dort die Abdichtung im Wesentlichen nur durch die Anpressung der Stützringschenkel bewirkt werden soll und durch ggf. weitere Dichtungsanlagen geschaffene Toträume bekanntermaßen bei Ventilen für die Lebensmittelindustrie schädlich und daher zu vermeiden sind.

Beim bekannten Ventil ist auch das die Taillierung des Dichtrings betreffende kennzeichnende Merkmal des Patentanspruchs 1 vorhanden. Die Taillierung bzw. Engstelle des Dichtringes ergibt sich infolge des Anlagedruckes der Schenkel des Stützringes. Sie ist dort durch ebene Flächen der Schenkel von Dichtring und Stützring bewirkt.

Gegenüber diesem Stand der Technik verbleibt als erfindungswesentliche Lehre des Patentsanspruchs 1, die Kraftübertragung vom Stützring auf den Dichtring zu verbessern und das Wandern des Dichtringes entlang der Seitenwand der Ringnut zu verhindern, indem die Anlagefläche des Stützringes im Bereich der Engstelle konvex und die Gegenfläche des Dichtringes konkav gerundet ausgeführt sind (geltender Patentanspruch 1 i. V. m. Patentschrift Sp. 6 Z. 22 bis 38). Anregungen hierzu findet der Fachmann weder in der Gebrauchsmusterschrift DE 298 18 551 U1 noch in den übrigen Entgegenhaltungen, die einen weiter vom Patentgegenstand abliegenden Stand der Technik darstellen.

Soweit dort überhaupt mehrteilige Dichtungen aus Dichtring, Stützring und Rückstellring beschrieben sind, ist der Stützring schon nicht U- oder C-förmig ausgebildet (D1, li. mittleres Bild der Bauartbeispiele).

Bei den Dichtungen nach D2, D4.1-D4.4 und D6 liegt eine Bauform vor, die von einer vom Patentgegenstand grundsätzlich abweichenden Belastungsvorstellung ausgeht. Die Dichtungskräfte werden hier über einen Schenkel eines U-förmigen Dichtringes aus PTFE quer zur Schenkelerstreckung auf das abzudichtende Bauteil, eine Stange oder einen Kolben, aufgebracht, wobei die Reaktionskraft auf eine Nutwand über den anderen Schenkel übertragen wird. Die Dichtungskraft wird zwar durch eine in den U-förmigen Dichtring eingelegten Federring mit U- bzw. V-förmigem Querschnitt unterstützt, wobei bei den Dichtungen D4 und D6 die offenen U- bzw. V-Seiten von Federring und Dichtring jedoch gleichgerichtet sind und dem Mediumdruck ausgesetzt sein können, offensichtlich um das Spreizen der Schenkel und damit die Abdichtwirkung zu unterstützen. Bei der angeblich vorbenutzten Dichtung nach D2 steht die offene Seite der V-Feder der geschlossenen Seite des Dichtrings gegenüber und der zwischen ihnen bestehende Raum ist mit Silikon ausgefüllt, so dass die Möglichkeit der Unterstützung der Dichtkraft durch einen Mediumdruck hier entfällt. Die Problematik des Wanderns des Dichtringes entlang der Nut stellt sich bei allen diesen Dichtungen aber offensichtlich nicht, weshalb auch kein Bedürfnis bestand, eine Engstelle bzw. Taillierung des Dichtringes im Bereich seiner Anlagefläche am Schenkel des Federringes gemäß der Lehre des Patentanspruchs 1 vorzusehen.

Da die Gegenstände der D2 und der D4 die Lehre des Patentanspruchs 1 nicht nahe legen, ist nicht mehr von entscheidungserheblicher Bedeutung, ob D4 als vorveröffentlicht zu betrachten ist und ob die geltend gemachte offenkundige Vorbenutzung tatsächlich vorgelegen hat oder nicht. Auf weitere Nachforschungen diesbezüglich konnte daher verzichtet werden.

3.3 Die geltenden Patentansprüche 2 bis 18 beinhalten vorteilhafte Weiterbildungen des Ventils nach Patentanspruch 1. Ihre Patentfähigkeit wird von der des Anspruchs 1 mitgetragen.






BPatG:
Beschluss v. 24.05.2006
Az: 7 W (pat) 384/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/e219c5fa2f1b/BPatG_Beschluss_vom_24-Mai-2006_Az_7-W-pat-384-03




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share