Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 10. Oktober 2001
Aktenzeichen: 1 BvR 1970/95

(BVerfG: Beschluss v. 10.10.2001, Az.: 1 BvR 1970/95)

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen Bestimmungen des Gesetzes über das Ausländerzentralregister.

I.

1. Das Ausländerzentralregister, das beim Bundesverwaltungsamt eingerichtet ist, dient der Speicherung der Daten aller Ausländer, die sich nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhalten oder aufgehalten haben. Der allgemeine Datenbestand des Registers enthält zurzeit rund 11,7 Mio. Datensätze (vgl. Streit/Srocke, ZAR 1999, S. 109). Mit der Speicherung und Übermittlung von Daten über Ausländer unterstützt das Register seit seiner Einrichtung im Jahre 1953 in erster Linie öffentliche Stellen, die mit der Durchführung ausländer- und asylrechtlicher Vorschriften betraut sind. Es handelt sich dabei vor allem um die Ausländerbehörden, die Grenzbehörden, die deutschen Auslandsvertretungen und das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Daneben dient das Register aber auch der Aufgabenerfüllung anderer Stellen, wie Polizeidienststellen, Sicherheitsbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte. Unter bestimmten Voraussetzungen können ferner nichtöffentliche Stellen bei der Wahrnehmung humanitärer oder sozialer Aufgaben oder im Rahmen von Aufenthaltsermittlungen sowie Behörden anderer Staaten und zwischenstaatliche Stellen Daten aus dem Register erfragen. Neben der Nutzung der personenbezogenen Daten hat das Register eine Statistikfunktion.

Bis zur gesetzlichen Neuregelung hatte das Register seine Rechtsgrundlage ausschließlich in § 6 des Gesetzes über die Errichtung des Bundesverwaltungsamtes. Mit dem am 1. Oktober 1994 in Kraft getretenen Gesetz über das Ausländerzentralregister (AZRG) vom 02. September 1994 (BGBl I S. 2265), der Durchführungsverordnung zum AZRG (AZRG-DV) vom 17. Mai 1995 sowie der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift (AZR-VV) vom 04. Juni 1996 hat das Ausländerzentralregister eine umfassende Rechtsgrundlage erhalten, die spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Volkszählungsgesetz (BVerfGE 65, 1) für notwendig erachtet worden war (vgl. Streit, DuD 1994, S. 559; Weichert, Kommentar zum AZRG, 1998, Einführung Rn. 4).

Das Ausländerzentralregistergesetz regelt die Verarbeitung von zwei unterschiedlichen Datenbeständen - dem allgemeinen Datenbestand (§§ 2 - 27) und der Visadatei (§§ 28 - 33) - in voneinander unabhängigen Kapiteln. Das Auskunftsrecht (§ 34) und die Vorschriften zur Berichtigung, Löschung, Sperrung und Unterrichtung (§§ 35 - 38) gelten für beide Datenbestände. Hinsichtlich des allgemeinen Datenbestandes sind Regelungen über Anlass und Inhalt der Speicherung (§§ 2 - 5), Datenübermittlung an die Registerbehörde, Verantwortlichkeit und Aufzeichungspflicht (§§ 6 - 9) sowie Datenübermittlung durch die Registerbehörde (§§ 10 - 27) getroffen worden.

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 3 GG sowie Verstöße gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Beschwerdeführer halten die § 2 Abs. 2, § 5 Abs. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 5 und 6, § 7, § 12 Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 16, § 20, § 22 Abs. 1 Nr. 4, 5 und 8, § 26 und § 34 AZRG für verfassungswidrig. Sie sind der Auffassung, durch die angegriffenen Vorschriften selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen zu sein.

Die Beschwerdeführer zu 1) bis 8) seien als nichtdeutsche Staatsangehörige, die auf Grund verschiedener Aufenthaltstitel nicht nur vorübergehend in der Bundesrepublik Deutschland lebten, selbst betroffen. Die Beschwerdeführerin zu 9), eine deutsche Staatsangehörige, sei als geschiedene Ehefrau eines in Deutschland lebenden nigerianischen Staatsangehörigen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 5 AZRG betroffen. Zwar würden im Ausländerzentralregister grundsätzlich nicht die personenbezogenen Daten deutscher Staatsangehöriger gespeichert (vgl. § 36 Abs. 2 AZRG). Gesetzeswortlaut und amtliche Begründung ließen jedoch nicht erkennen, ob sich auch § 3 Abs. 1 Nr. 5 AZRG an dieser Einschränkung orientiere.

Die Beschwerdeführer seien auch gegenwärtig betroffen, da das Gesetz seit seinem In-Kraft-Treten am 1. Oktober 1994 unmittelbare Rechtswirkungen entfalte.

Durch die angegriffenen Regelungen werde schließlich auch unmittelbar in die Grundrechte der Beschwerdeführer eingegriffen. Die Normbefehle des Ausländerzentralregistergesetzes bedürften keiner Umsetzung vermittels einer anderen Norm oder eines Einzelakts der vollziehenden Gewalt. Die in § 6 AZRG genannten Stellen seien ohne weitere Anordnung zur Übermittlung von Daten an das Ausländerzentralregister verpflichtet. Mit der Einstellung in das Register stünden diese dem Zugriff anderer Behörden im Wege des Direktabrufs oder auf deren Ersuchen offen, ohne dass die von solchen Informationseingriffen Betroffenen, von Ausnahmen wie etwa in § 4 Abs. 3 AZRG abgesehen, zuvor davon Kenntnis erhielten.

Das Recht auf Auskunft (§ 34) und die Möglichkeit, eine Übermittlungssperre einzustellen (§ 4) sowie Daten löschen (§ 36) oder sperren (§ 37) zu lassen, seien nicht geeignet, die nach dem Ausländerzentralregistergesetz möglichen Informationseingriffe rechtzeitig zu kontrollieren und zu unterbinden. Die Betroffenen könnten sich allenfalls nachträglich und nur unter weiteren Voraussetzungen gegen die Speicherung und mögliche Verarbeitungen ihrer Daten wehren. Nach dem vom Ausländerzentralregistergesetz vorgesehenen Geschehensablauf vollziehe sich die Speicherung und weitere Verarbeitung der Daten ohne Kenntnis der Betroffenen und sei jedenfalls nicht durch ihre Entscheidung abgedeckt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die - rechtzeitig erhobene - Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie unzulässig ist.

1. Hinsichtlich der Beschwerdeführerin zu 9) genügt der Vortrag bereits nicht den Anforderungen, die nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG an eine hinreichend substantiierte Begründung der Verfassungsbeschwerde zu stellen sind. Wird eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen gesetzliche Bestimmungen eingelegt, gelten die Darlegungsanforderungen insbesondere auch im Hinblick auf die Zulässigkeitserfordernisse der eigenen, gegenwärtigen und unmittelbaren Betroffenheit (vgl. BVerfGE 40, 141 <156>; 79, 1 <15>). Für die Beschwerdeführerin zu 9) als deutsche Staatsangehörige ist eine eigene und gegenwärtige Beschwer nicht dargetan. Personenbezogene Daten deutscher Staatsangehöriger werden grundsätzlich nicht im Ausländerzentralregister gespeichert (vgl. §§ 2, 36 Abs. 2 Satz 1 AZRG). Die Verfassungsbeschwerde sieht aber dennoch das Risiko eines Informationseingriffs, da Gesetzeswortlaut und amtliche Begründung nicht erkennen ließen, ob sich auch § 3 Abs. 1 Nr. 5 AZRG an dieser Einschränkung orientiere. Die Vorschrift erlaubt, gewisse Daten des Ehegatten eines ausländischen Staatsangehörigen zu speichern und nimmt in der Tat deutsche Staatsangehörige nicht ausdrücklich aus. Allein diese gesetzliche Möglichkeit einer Speicherung von Daten deutscher Staatsangehöriger reicht aber für die Darlegung einer eigenen und gegenwärtigen Betroffenheit der Beschwerdeführerin zu 9) nicht aus, zumal ihre Ehe mit einem nigerianischen Staatsangehörigen nach eigenem Vortrag seit 1988 nicht mehr besteht. Die Beschwerdeführerin zu 9) hätte gerade mit Blick auf diesen Umstand darlegen müssen, dass ihre Daten gleichwohl gespeichert seien. Insoweit wären zumindest Angaben dazu erforderlich gewesen, ob überhaupt Daten des geschiedenen ausländischen Ehegatten nach den Tatbeständen des Ausländerzentralregistergesetzes gespeichert sein könnten. Hierzu fehlen jedoch jegliche Ausführungen.

2. Im Übrigen folgt die Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde für die Beschwerdeführer insgesamt daraus, dass es an einer Unmittelbarkeit der Beschwer fehlt. Über die von der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen, durchaus gewichtigen verfassungsrechtlichen Fragen kann daher nicht entschieden werden.

a) Das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit bedeutet, dass das Gesetz unmittelbar, also ohne einen weiteren vermittelnden Akt, in den Rechtskreis des Beschwerdeführers einwirken muss (vgl. BVerfGE 72, 39 <43> m.w.N.). Setzt die Durchführung der angegriffenen Vorschriften rechtsnotwendig oder auch nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis einen besonderen Vollzugsakt voraus, muss der Beschwerdeführer grundsätzlich zunächst diesen Akt angreifen und den gegen ihn eröffneten Rechtsweg erschöpfen, bevor er die Verfassungsbeschwerde erhebt (vgl. BVerfGE 1, 97 <102 f.>; 58, 81 <104 f.>; 68, 376 <379 f.>). Diese besonderen Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde beruhen auf dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden und dieser Vorschrift zu Grunde liegenden Gedanken der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 68, 376 <379>). Die damit bezweckte vorrangige Anrufung der Fachgerichte soll eine umfassende Vorprüfung des Beschwerdevorbringens gewährleisten (vgl. BVerfGE 4, 193 <198>; 16, 124 <127>; 51, 386 <396>). Dem Bundesverfassungsgericht soll vor seiner Entscheidung ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet und die Fallanschauung der Gerichte, insbesondere der obersten Bundesgerichte, vermittelt werden.

Diese Gesichtspunkte fallen vor allem dann ins Gewicht, wenn das Gesetz der Verwaltung einen Entscheidungsspielraum lässt, gelten grundsätzlich aber auch, wenn ein solcher Spielraum fehlt (vgl. BVerfGE 58, 81 <104>; insoweit teilweise abweichend die früheren Entscheidungen BVerfGE 43, 108 <117>; 45, 104 <117>). In beiden Fällen entspricht es dem Grundsatz der Subsidiarität, dass zunächst die für das jeweilige Rechtsgebiet zuständigen Fachgerichte eine Klärung insbesondere darüber herbeiführen, ob und in welchem Umfang der Bürger durch die beanstandete Regelung konkret in seinen Rechten betroffen und ob sie mit der Verfassung vereinbar ist; dabei ist nach Maßgabe der Voraussetzungen des Art. 100 Abs. 1 GG zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Vorschriften gegebenenfalls eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen (vgl. BVerfGE 1, 97 <103 f.>; 72, 39 <43 f.>; 74, 69 <72>; 79, 29 <34> stRspr).

aa) Eine unmittelbare Betroffenheit der Beschwerdeführer durch das Ausländerzentralregistergesetz liegt nicht vor, weil erst die zu seiner Durchführung erfolgenden behördlichen Maßnahmen in den Rechtskreis der Betroffenen eingreifen und ein fachgerichtlicher Rechtsschutz hiergegen in Anspruch genommen werden kann.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer bedürfen die angegriffenen gesetzlichen Regelungen des Ausländerzentralregistergesetzes einer Umsetzung durch Einzelakte der vollziehenden Gewalt, denn diese entfalten ihre Wirkung auf die Beschwerdeführer nicht von selbst. Zu ihrer Wirksamkeit bedarf es vielmehr behördlicher Maßnahmen unter Anwendung der gesetzlichen Regelungen im konkreten Einzelfall. Die jeweiligen Einzelakte der zur Mitwirkung am Ausländerzentralregister berufenen Behörden bestehen insbesondere in der Datenübermittlung an das Ausländerzentralregister (vgl. §§ 6, 7 AZRG), der Speicherung der Daten im Ausländerzentralregister (vgl. § 2 AZRG) und schließlich der Übermittlung von Daten durch die Registerbehörde an öffentliche und nichtöffentliche Stellen (vgl. §§ 10 ff. AZRG).

bb) Der Bewertung dieser Umsetzungsmaßnahmen als vorrangig anzugreifende Vollzugsakte steht nicht entgegen, dass der Verwaltung insbesondere bei der Übermittlung nach § 6 AZRG kein Entscheidungsspielraum verbleibt, da es nach den vorbezeichneten Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hierauf nicht ankommt.

Auch der Umstand, dass es sich bei den hier relevanten Maßnahmen der Datenverarbeitung nach dem Ausländerzentralregistergesetz um tatsächliches Verwaltungshandeln und nicht um Verwaltungsakte handelt (vgl. Gola/Schomerus, Bundesdatenschutzgesetz, 6. Aufl. 1997, § 15 Anm. 1.2 für die Datenübermittlung nach dem BDSG; Weichert, Kommentar zum Ausländerzentralregistergesetz, 1998, § 35 Rn. 4 und § 36 Rn. 3), spricht nicht gegen die Heranziehung des Grundsatzes der Subsidiarität. Entscheidend ist, dass ein Vollzugsakt gerichtlich angreifbar ist. Dazu braucht er nicht Verwaltungsakt zu sein. Nicht die Rechtsnatur des Vollzugsakts, sondern allein sein Eingriffscharakter ist dafür von Bedeutung. Für die Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde ist maßgebend, dass die das Gesetz vollziehende Maßnahme im Rechtswege angreifbar ist, der Rechtsweg also auch in diesem Falle erschöpft werden kann.

cc) Diese Voraussetzungen sind im Hinblick auf die nach dem Ausländerzentralregistergesetz erfolgenden Datenverarbeitungsmaßnahmen gegeben. So können die Betroffenen die Rechtmäßigkeit der einzelnen Datenverarbeitungsmaßnahmen vor den Verwaltungsgerichten klären lassen, da mit ihnen Eingriffe in Rechte einhergehen können (vgl. BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJ 1993, S. 415 ff.). Das Ausländerzentralregistergesetz legt im Einzelnen den Rahmen fest, innerhalb dessen eine Datenübermittlung und -speicherung erlaubt ist. Soweit diese Maßnahmen keine Verwaltungsakte sind, scheiden Widerspruch und Anfechtungsklage aus. Damit entfällt jedoch nicht die Möglichkeit, verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. Die Verwaltungsgerichtsordnung stellt neben der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage die allgemeine Leistungsklage und die Feststellungsklage zur Verfügung (§§ 42, 43 VwGO). Insbesondere kommt eine allgemeine Leistungsklage auf Unterlassung einer Datenübermittlung an das Ausländerzentralregister und einer dortigen Speicherung der Daten in Betracht. Hat eine Datenspeicherung hingegen bereits stattgefunden, wäre zunächst ein Antrag auf Berichtigung oder Löschung der Daten gemäß §§ 35, 36 AZRG zu stellen. Kommt die Registerbehörde dem begründeten Verlangen des Betroffenen nicht nach, so kann er sein hierauf gerichtetes Begehren vor dem Verwaltungsgericht verfolgen. Entsprechender verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz besteht letztlich auch gegen Übermittlungen von Daten durch die Registerbehörde. Auch der Anspruch auf Auskunft nach § 34 AZRG ist verwaltungsgerichtlich durchsetzbar (Weichert, a.a.O., § 34 Rn. 12). Die jeweiligen Klagen können gegebenenfalls mit Eilanträgen verbunden werden, um bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache eine Sperrung der Daten zu erreichen und dadurch effektiv gegen etwaige unzulässige Datenverarbeitungen geschützt zu sein (vgl. § 4 Abs. 3 und § 37 AZRG).

Die Beschwerdeführer können mithin die Rechtspositionen, die ihnen aus den als verletzt gerügten Grundrechten zustehen, im Rahmen der aufgezeigten verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten geltend machen. Die Verwaltungsgerichte hätten im Falle eines Rechtsstreits auch die Verfassungsmäßigkeit der jeweils im Einzelnen angegriffenen Datenverarbeitungsakte und ihrer gesetzlichen Grundlagen zu überprüfen, denn die zu erhebenden Klagen hätten Erfolg, wenn eine Verletzung der Grundrechte der Beschwerdeführer vorläge.

b) Es sind auch keine Umstände gegeben, die trotz der einfachgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten gegen die nach dem Ausländerzentralregistergesetz vorgesehenen Einzelakte eine Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Gesetz ausnahmsweise zu rechtfertigen vermögen.

aa) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist zwar anerkannt, dass die Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz erhoben werden kann, soweit die nach dem Gesetz erfolgenden Vollzugsakte aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht angefochten werden können. Dies ist etwa der Fall, wenn dem Betroffenen die Möglichkeit, sich gegen einen Vollzugsakt zu wenden, verwehrt ist, weil er von dem Eingriff in seine Rechte nichts erfährt (vgl. BVerfGE 30, 1 <16>; 67, 157 <169>; 100, 313 <355>).

So verhält es sich aber für die Beschwerdeführer in Hinblick auf die Maßnahmen nach dem Ausländerzentralregistergesetz nicht. Zwar weisen die Beschwerdeführer zutreffend darauf hin, dass eine Unterrichtung der Betroffenen über die Datenerhebung, -speicherung und -übermittlung, wie in Art. 10 und 11 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (nachfolgend: EG-Datenschutzrichtlinie) allgemein geregelt, nach dem Ausländerzentralregistergesetz bisher nicht vorgesehen ist. Die fehlende Unterrichtung hat indes nicht zur Folge, dass ein fachgerichtlicher Rechtsschutz wegen fehlender Kenntniserlangung von den Vollzugsakten ausgeschlossen wäre. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nur dann vom Grundsatz der Subsidiarität wegen fehlender Kenntnisnahme des Vollzugsakts abgesehen worden, wenn die behördlichen Maßnahmen nach den gesetzlichen Regelungen auch nach ihrer Beendigung in aller Regel den Betroffenen nicht mitgeteilt werden (vgl. BVerfGE 30, 1 <16>; 67, 157 <169>; 100, 313 <355>). Ist bereits die Möglichkeit der Kenntnisnahme - wie für Überwachungsmaßnahmen nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses in den vorstehenden Entscheidungen festgestellt - von vornherein ausgeschlossen oder zumindest unwahrscheinlich, kann ein fachgerichtlicher Rechtsschutz nicht effektiv in Anspruch genommen werden.

Um heimliche Maßnahmen in diesem Sinne handelt es sich vorliegend jedoch nicht. Aus § 2 in Verbindung mit § 6 AZRG ergibt sich, welche Daten von welchen Behörden an das Ausländerzentralregister übermittelt und dort gespeichert werden. Nach den klaren und detaillierten gesetzlichen Regelungen kann daher schon anhand des Gesetzes festgestellt werden, ob der jeweilige Ausländer von Datenverarbeitungsakten nach dem Ausländerzentralregistergesetz betroffen ist oder zukünftig betroffen sein wird. Die Maßnahmen stehen daher auf Grund des Gesetzes fest und liegen - worauf die Beschwerdeführer selbst hinweisen - nicht im Ermessen der Behörden. Allein diese nach dem Gesetzeswortlaut bestehende überwiegende Wahrscheinlichkeit von Datenverarbeitungsakten ist ausreichend, um gegen die nach dem Ausländerzentralregistergesetz stattfindenden oder unmittelbar bevorstehenden Maßnahmen vor den Verwaltungsgerichten vorgehen zu können.

Hinzu kommt, dass die von Maßnahmen nach dem Ausländerzentralregistergesetz betroffenen Personen eine Datenauskunft nach § 34 AZRG beantragen und auf diese Weise feststellen können, ob und in welchem Umfang Daten gespeichert sind. Es entspricht deshalb nicht den tatsächlichen Gegebenheiten, wenn die Beschwerdeführer vortragen, dass sich die Speicherung und weitere Verarbeitung von Daten nach dem Ausländerzentralregistergesetz notwendig ohne Kenntnis der Betroffenen vollziehe. Eine fehlende Unterrichtung ist nicht gleichbedeutend mit einer fehlenden Kenntnisnahmemöglichkeit. Eine Kenntnisnahme ist hier aber - und nur darauf kommt es in diesem Zusammenhang an - hinreichend gewährleistet (dazu vgl. auch BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, DVBl 2001, S. 1057 ff.).

Der fachgerichtliche Rechtsschutz muss sich entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer auch nicht auf eine nachträgliche Kontrolle bereits vollzogener Datenverarbeitungen beschränken. Denn es besteht die Möglichkeit effektiven vorläufigen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO. Für die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes dürfte es in der Regel ausreichend sein, Tatsachen vorzutragen, die einen gesetzlichen Tatbestand nach dem Ausländerzentralregistergesetz erfüllen. Der zusätzlichen Vorlage einer Auskunft nach § 34 AZRG wird es hierzu überwiegend nicht bedürfen.

bb) Die vorherige Anrufung der Fachgerichte ist vorliegend auch nicht vor dem Hintergrund entbehrlich, dass das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit einer unmittelbar gegen das Gesetz gerichteten Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise vor Erlass des Vollzugsakts bejaht, wenn der mit dem Grundsatz der Subsidiarität verfolgte Zweck, eine fachgerichtliche Klärung der Sach- und Rechtsfragen herbeizuführen, nicht erreichbar ist (vgl. BVerfGE 65, 1 <38>). Eine dem Volkszählungsurteil (vgl. BVerfG, a.a.O.) vergleichbare Fallkonstellation liegt hier nicht vor.

Bezüglich der behördlichen Maßnahmen nach dem Ausländerzentralregistergesetz ist es möglich und sinnvoll, die aufgeworfenen Rechtsfragen vorab fachgerichtlich klären zu lassen.

Reichweite und Umfang des Datenschutzes im Ausländerrecht sind in erster Linie, wie in anderen Rechtsgebieten auch, eine Frage des einfachen Rechts. Für die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der einzelnen Datenverarbeitungsakte nach dem Ausländerzentralregistergesetz ist die Beantwortung einer Vielzahl von Einzelfragen bedeutsam. Klärungsbedürftig ist zunächst, aus welchen konkreten Anlässen und in welchem Umfang Daten gespeichert und welchen Behörden die gespeicherten Daten aus welchen Anlässen zur Verfügung gestellt werden. Die Zulässigkeit der auf den hier als verfassungswidrig gerügten Normen des Ausländerzentralregistergesetzes beruhenden Maßnahmen der Übermittlung, Speicherung, Abfrage und Veränderung von Daten kann nicht unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Datenverarbeitung beurteilt werden. Für die Zulässigkeit einer Datenverarbeitung kommt es nicht allein auf die Art der Daten an. Entscheidend sind vielmehr ihre Nutzbarkeit und Verwendungsmöglichkeiten. Erst wenn Klarheit darüber besteht, zu welchem Zweck Daten erhoben werden und welche Verknüpfungs- und Verwendungsmöglichkeiten jeweils bestehen, lässt sich beantworten, ob die Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung als zulässig anzusehen ist (vgl. BVerfGE 65, 1 <39 ff.>). Deshalb kann nicht außer Acht bleiben, wie die Registerbehörde mit den fraglichen Daten nach ihrer Übermittlung in Auslegung und Anwendung des angegriffenen Gesetzes umgeht und welche Schutzvorkehrungen sie getroffen hat.

Einer fachgerichtlichen Klärung bedarf ferner die Auslegung des angegriffenen Gesetzes in Ansehung der europarechtlichen Vorgaben. Kontroversen bestehen etwa über die Frage, inwieweit die generelle Speicherung der Daten von EU-Ausländern, die sich im Bundesgebiet aufhalten, mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 6 des EG-Vertrags und den Vorschriften über die Unionsbürgerschaft (Art. 8 ff. EG-Vertrag) vereinbar ist (vgl. hierzu Streit/Srocke, ZAR 1999, S. 109 <110 ff.>; Weichert, a.a.O., Einführung Rn. 47 ff.). Weitere Rechtsprobleme dürften sich mit Blick auf die EG-Datenschutzrichtlinie stellen, da sie die Zulässigkeit der Datenverarbeitung in den Mitgliedsstaaten umfassend geregelt hat. Für den Bereich des Bundesdatenschutzgesetzes ist eine Umsetzung dieser Richtlinie durch das Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes vom 18. Mai 2001 (BGBl I S. 904) erfolgt. Eine Anpassung des Ausländerzentralregistergesetzes soll beabsichtigt sein, hat aber bisher nicht stattgefunden (vgl. Streit/Srocke, a.a.O., S. 113). Von Belang ist in diesem Zusammenhang daher auch die umstrittene und von den Fachgerichten gegebenenfalls durch Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zu klärenden Frage, ob hier nach Ablauf der Umsetzungsfrist eine unmittelbare Anwendung der EG-Datenschutzrichtlinie oder zumindest eine richtlinienkonforme Interpretation der Vorschriften des Ausländerzentralregistergesetzes in Betracht kommt (vgl. Haslach, DuD 1998, S. 693 ff.; Frankenberg, Datenschutz und Staatsangehörigkeit, in: Simon/Weiss (Hrsg.), Zur Autonomie des Individuums, 2000, S. 99 ff., m.w.N.). Gerade wegen der in Art. 10 und 11 der EG-Datenschutzrichtlinie festgelegten umfangreichen Unterrichtungspflichten und der hohen Anforderungen, die an die Verarbeitung bei besonderen Kategorien personenbezogener Daten durch Art. 8 der EG-Datenschutzrichtlinie gestellt werden (vgl. Frankenberg, a.a.O., S. 115 ff. zum Differenzierungsmerkmal der Staatsangehörigkeit), wird die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit die EG-Datenschutzrichtlinie in Bezug auf die Maßnahmen nach dem Ausländerzentralregistergesetz zu berücksichtigen ist.

Die Rechtsanwendung bedarf dementsprechend umfangreicher Ermittlungen, Einschätzungen und Wertungen. Hierzu sind in erster Linie die Fachgerichte wegen ihrer besonderen Sachnähe, ihrer umfassenden Erfahrung und der ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zur Erhebung von Beweisen berufen. Hält das angerufene Gericht danach die von den Beschwerdeführern vorgebrachten, auch in der Literatur erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken für begründet (vgl. Frankenberg, a.a.O., Weichert, a.a.O., Einführung Rn. 13 ff.; derselbe, InfAuslR 1989, S. 1 ff.; Schriever-Steinberg, ZAR 1990, S. 62 ff.; Bäumler, NVwZ 1995, S. 239 ff.) und kommt es zu dem Ergebnis, dass Normen des Ausländerzentralregistergesetzes nicht verfassungskonform ausgelegt werden können, sondern verfassungswidrig sind, hat es gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

cc) Die Vorrangigkeit des fachgerichtlichen Rechtsschutzes entfällt hier schließlich auch nicht deshalb, weil die angegriffenen Regelungen die Beschwerdeführer zu Dispositionen zwingen, die später nicht mehr korrigiert werden könnten (vgl. BVerfGE 43, 291 <387>; 60, 360 <372>), oder weil die Anrufung der Fachgerichte den Beschwerdeführern nicht zuzumuten ist, weil dies offensichtlich aussichtslos wäre (vgl. BVerfGE 55, 154 <157>). Dem Vortrag der Beschwerdeführer lassen sich hierzu keine Anhaltspunkte entnehmen. Es ist insbesondere nicht dargetan, dass die maßgeblichen Fragen bereits von den Fachgerichten entschieden worden wären.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.






BVerfG:
Beschluss v. 10.10.2001
Az: 1 BvR 1970/95


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