Kammergericht:
Urteil vom 26. Mai 2008
Aktenzeichen: 23 U 88/07

(KG: Urteil v. 26.05.2008, Az.: 23 U 88/07)

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26.4.2007 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Nur soweit der Kläger die Nichtigerklärung der beiden angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüsse zu Tagesordnungspunkt 4 begehrt, wird die Revision zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger, Aktionär der Beklagten, ficht mit der am 24.05.2007 eingegangenen und am 19.06.2007 zugestellten Klage Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 27.04.2006 zur Entlastung des Vorstandes und der Aufsichtsratsmitglieder im Jahr 2005 und zur Ermächtigung des Handels mit eigenen Aktien an.

Die Beklagte veröffentlichte im Dezember 2005 eine Erklärung, derzufolge sie den Empfehlungen der Regierungskommission D. C. G. K. (im Folgenden: K.) entspreche, und machte hierin für dessen Ziff. 5.5.3 keine Einschränkung. Das Mitglied P. im Aufsichtsrat der Beklagten war gleichzeitig Aufsichtsratsmitglied der P. -S. .... M. AG und Vorstandsvorsitzender der Investmentgruppe H. & F. LLC, die an der von der Beklagten zu kaufen erwogenen P. -S. .... M. AG beteiligt war.

Im März lud die Beklagte zur Hauptversammlung am 27.04.2006 ein; auf die darin dargestellten Teilnahmevoraussetzungen (Anlage K 2, Seite 9) wird Bezug genommen. Insbesondere heißt es darin, es €können Anträge zur Umschreibung des Aktienregisters, die zeitnah vor dem 21. April 2006 bei der Gesellschaft eingehen, im Hinblick auf die erforderliche Überprüfung der Voraussetzungen für die Erteilung der Zustimmung zum Erwerb gem. § 5 Abs. 3 der Satzung ggfls. nicht mehr zu einer rechtzeitigen Eintragung des Erwerbers in das Aktienregister führen, um eine Teilnahme an der Hauptversammlung zu ermöglichen.€. Gem. § 5 Abs. 3 der Satzung der Beklagten bedarf die Übertragung der Aktien der Zustimmung der Gesellschaft, die der Vorstand erteilt und über deren Erteilung der Aufsichtsrat beschließt. Der Aufsichtsrat hatte mit Beschluss vom 31.10.1986 (Anlage K 4), auf dessen Ziff. 1 Bezug genommen wird, diese Zustimmung mit Ausnahme einzelner Tatbestände, u.a. der Übertragung an Wettbewerber, vorab erteilt. Nach § 19 der Satzung der Beklagten sind im Aktienbuch eingetragene und rechtzeitig angemeldete Aktionäre zur Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechtes berechtigt, wobei die Anmeldung spätestens am 5. Tag vor der Hauptversammlung erfolgen muss. Die Beklagte lässt vor der Eintragung ins Aktienregister prüfen, ob Ausnahmetatbestände gem. dem vorgenannten Aufsichtsratsbeschluss von 1986 vorliegen, was zwischen 4 und 10 Tagen dauert.

Der Kläger nahm an der Hauptversammlung am 27.04.2006 teil, auf der die in seinem Klageantrag angegriffenen Beschlüsse gefasst wurden, und legte gegen diese Widerspruch ein. Hinsichtlich der von ihm gestellten Fragen und der Antworten durch die Beklagte hierauf sowie des dazu erfolgten Sachvortrages der Parteien wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 24.05.2006, Seiten 16 bis 24 (Bl. I/16-24), den Beklagtenschriftsatz vom 10.08.2006, Seiten 11 bis 20 (Bl. I/79-88) und die Anlagen B 3 bis B 18 sowie K 8 Bezug genommen.

Der Leiter der Hauptversammlung ließ über die Entlastung des Aufsichtsratsmitgliedes Frau S. gesondert von der Entlastung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder abstimmen. An der Abstimmung über die Entlastung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder beteiligte sich auch die Investmentgesellschaft H. & F. LLC.

Das Teilnehmerverzeichnis wies 28.935.653 Stimmen aus, während die protokollierten abgegebenen Stimmen 28.936.090 bei den einzelnen Abstimmungen (ohne die über die Entlastung von Frau S.) betragen; hinsichtlich der Abstimmungsergebnisse wird auf das Hauptverhandlungsprotokoll (Anlage B 14) Bezug genommen. Vor den Fragen des Klägers hatte die Beklagte nicht von sich aus darauf hingewiesen, dass ihr Aufsichtsratsmitglied P. an der Investmentgruppe H. & F. LLC beteiligt war.

Der Kläger hat gemeint, die Beschlüsse seien bereits wegen fehlerhafter Einladung nichtig, da diese die Teilnahmevoraussetzungen bereits zu unbestimmt wiedergebe. Ferner verstoße das von der Beklagten praktizierte Umschreibeverfahren gegen Gesetz und Satzung, da im Ergebnis die Umschreibung an die Zustimmung der Gesellschaft geknüpft werde und in der Einladung unausgesprochen eine - unbestimmte - zusätzliche Frist für die Einreichung von Umschreibungsanträgen im Aktienregister wegen der zuvor notwendigen Prüfung der Zustimmung der Gesellschaft gesetzt werde.

Der Hauptversammlungsleiter habe nicht selbst eine gesonderte Abstimmung über die Entlastung von Frau S. anordnen dürfen. Der Kläger behauptet, ein Dritter habe mit den Stimmen von Frau S. sich an der Abstimmung über ihre Entlastung beteiligt. Der Kläger hat die Beteiligung der Firmengruppe H. & F. bei der Abstimmung über die Entlastung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder einschließlich von Herrn P. für unzulässig gehalten, erstmals mit Schriftsatz vom 19.01.2007.

Er hat die Erklärung der Beklagten vom Dezember 2005, sich an den Kodex zu halten, für falsch gehalten, weil die Hauptversammlung im April nicht auf den Interessenkonflikt von Herrn P. hingewiesen wurde. Jedenfalls hätte die Beklagte im Nachhinein vor der Hauptversammlung eine Abweichung von dem Kodex erklären müssen.

Die Beschlüsse seien auch schon wegen der Differenzen der abgegebenen Stimmen zum Teilnehmerverzeichnis für unwirksam zu erklären, jedenfalls aber die Abstimmung über die Entlastung von Frau S., da bei dem Abstimmungsergebnis hier über 19.000 Stimmen fehlten.

Hinsichtlich der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils des Landgerichts Berlin (93 O 86/06) vom 26.4.2007 Bezug genommen.

Die Beklagte hat das von ihr praktizierte Umschreibeverfahren sowie die dazu erfolgten Hinweise in der Einladung zur Hauptverhandlung, die im Übrigen nicht zu dessen Mindestinhalt zählten, für zulässig gehalten. Die versehentlich verletzte Pflicht zur Information der Hauptversammlung über den Interessenkonflikt von Herrn P. verletze weder Gesetz noch Satzung und stelle daher keinen Anfechtungsgrund dar. Die gesonderte Abstimmung über die Entlastung von Frau S. sei schon deshalb gerechtfertigt, weil diese nur hinsichtlich ihrer eigenen Entlastung einem Stimmverbot unterlegen habe. Die Beklagte hat behauptet, dass sich Frau S. an der Abstimmung über ihre Entlastung nicht beteiligt habe; dies ergebe sich bereits daraus, dass rund 19.381.000 Stimmen bei der Abstimmung über die Entlastung von Frau S. weniger als bei den übrigen Abstimmungen verzeichnet wurden.

Das Landgericht hat mit dem Kläger am 22.05.2007 zugestellten Urteil die Klage abgewiesen. In der Einberufung zur Hauptversammlung seien die gem. Gesetz und Satzung bestehenden Bedingungen zutreffend wiedergegeben; auch die Hinweise zur Umschreibung seien nicht zu beanstanden. Eine gesonderte Abstimmung über die Entlastung von Frau S. sei zulässig gewesen; die bei dieser Abstimmung im Protokoll fehlende Stimmenzahl zeige, dass sich Frau S. nicht an der Abstimmung beteiligt habe. Bei der Abstimmung über die Entlastung der übrigen Aufsichtsratsmitglieder habe für H. & F. kein Stimmrechtsverbot bestanden. Die entsprechende Erklärung der Beklagten zum Kodex treffe als Absichtserklärung zu. Die fehlende Offenlegung des Interessenkonfliktes auf der Hauptversammlung stelle weder einen Gesetzes- noch einen Satzungsverstoß dar. Eine Anfechtung wegen der Abweichung der Zahl der abgegebenen Stimmen vom Teilnehmerverzeichnis sei verfristet; auch liege bei der Beurkundung des Abstimmungsergebnisses kein Nichtigkeitsgrund vor. Die vom Kläger monierten Antworten auf seine Fragen in der Hauptversammlung verletzten sein Auskunftsrecht nicht, weil die Antworten entweder richtig und ausreichend seien (zu Frage 1., 7. und 20. bis 26.), der Kläger die Unrichtigkeit nicht ausreichend dargelegt habe (Frage 8.) oder die Antworten nicht erforderlich für die Beschlussfassung gewesen seien (Frage 11., 14. und 18.).

Der Kläger verfolgt mit der am 13.06.2007 eingelegten und am 23.07.2007 begründeten Berufung seinen ursprünglichen Klageantrag weiter. Die Parteien vertiefen dabei ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26.04.2007 aufzuheben,

und stellt im Übrigen die erstinstanzlichen Klageanträge.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht die Klage als unbegründet angesehen, da für keine der angegriffenen Beschlüsse der Hauptversammlung ein Anfechtungsgrund (§ 243 Abs. 1 AktG) oder - ebenfalls zu prüfen (Hüffer, AktG § 246 RNr. 12) - ein Nichtigkeitsgrund (§ 249 Abs. 1, 241 AktG) vorliegt. Im Einzelnen:

Die Beschlüsse sind nicht wegen fehlerhafter Einberufung der Hauptversammlung nach §§ 241 Nr. 1, 121 Abs. 3 S. 2 AktG nichtig, weil die Bedingungen, von denen Teilnahme und Stimmrechtsausübung abhängen, nicht angegeben wurden. Der Kläger weist zu Recht daraufhin, daß diese Bedingungen sich allein aus Gesetz und Satzung ergeben. Das Landgericht hat zutreffend festgestellt, daß die entsprechenden Bestimmungen des § 19 der Satzung der Beklagten als Mindestinhalt richtig wiedergegeben wurden.

Die Beanstandung des Klägers, das von der Beklagten praktizierte Verfahren weiche von den gesetzlichen und Satzungsbestimmungen ab, rechtfertigt auch keine Anfechtung wegen fehlerhafter Durchführung der Hauptversammlung nach § 243 Abs. 1 AktG, § 19 Satzung, weil unrechtmäßige Hindernisse für die Teilnahme einzelner Gesellschafter errichtet worden seien. Der Senat hält auch in seiner derzeitigen Besetzung an der den beiden Parteien und ihren Prozeßbevollmächtigten bekannten Auffassung aus seinem gerichtlichen Hinweis vom 9.11.2006 und seinem Beschluß vom 11.12.2006 (jeweils zum Az. 23 U 49/06) fest, daß die Beklagte vor der Umschreibung im Aktienregister prüfen darf, ob der Gesellschafterwechsel von der vorab erteilten Zustimmung des Aufsichtsrates erfaßt ist oder einer der vorbehaltenen Ausnahmefälle vorliegt. Aus § 67 Abs. 3 AktG, dessen Verletzung der Kläger rügt, folgt nämlich nur, daß eine Umschreibung im Aktienregister zu erfolgen hat, wenn eine Namensaktie übergeht. Der Beklagten obliegt es, diese Voraussetzung zu prüfen (Hüffer, AktG, § 67 RNr. 18), nur nachgewiesene Übergänge sind einzutragen (Kölner Kommentar, AktG, § 68 RNr. 59), und zwar dann unverzüglich (Münchener Kommentar, AktG, § 67 RNr. 91). Die Prüfung der Voraussetzung, ob im konkreten Fall eine der von der allgemein erteilten Zustimmung nach § 5 Abs. 3 der Satzung nicht erfaßten Ausnahmen vorliegt, wird auch nicht etwa durch einen unabhängig von dieser Zustimmung nach § 24 Abs. 1 Depot erfolgten Übergang der Gesellschafterstellung obsolet; denn die Zustimmungsbedürftigkeit gilt auch im Rahmen des § 24 Abs. 1 Depot (Kümpel, WM 1983, Beilage 8, 3/9 m.w.N.), weil diese Auffangvorschrift nicht die mit der Rechtsnatur der übertragenen Wertpapiere - hier: vinkulierte Namensaktien - verbundenen Sondervorschriften außer Kraft setzen sollte. Im Gegensatz zur Ansicht des Klägers hat die Beklagte kein weiteres €Record Date€ als die in § 19 der Satzung ausgewiesene 5-Tage-Frist zur Umschreibung gesetzt; denn unstreitig nimmt sie auch noch weniger als 5 Tage vor der Hauptversammlung Umschreibungen aufgrund zuvor gestellter Anträge vor, wenn deren Prüfung bis zur Hauptversammlung abgeschlossen wurde. Daß sich die Prüfungsbefugnis der Beklagten faktisch wie ein €Record Date€ mit unbestimmten Fristanfang auswirken mag, liegt in der Natur der Sache, ohne sie deshalb unzulässig zu machen. Die von der Beklagten zur Überprüfung der Verbindung zu Wettbewerbern benötigte Zeit von bis zu 10 Tagen ist wegen der dafür ggf. nötigen Prüfung verschachtelter Beteiligungen noch nicht treuwidrig. Daß ein Gesellschafter an der Hauptversammlung am 27.4.2006 nicht teilnehmen konnte, weil seine rechtzeitige Anmeldung von der Beklagten zu lange (insbesondere länger als bei vergleichbar gelagerten Fällen üblich) geprüft wurde, hat der Kläger nicht vorgetragen.

Die Beschlüsse sind ferner nicht nach §§ 241 Nr. 2, 130 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AktG wegen fehlender Beurkundung des Ergebnisses der Abstimmung nichtig (was, da § 249 Abs. 1 S. 1 AktG nicht auf die Anfechtungsfrist des § 246 Abs. 1 AktG verweist, auch vorliegend zu prüfen ist). Die Beurkundungsnotwendigkeit gilt nur für wesentliche Teile des Abstimmungsergebnisses, wozu die nicht entscheidungsrelevanten Enthaltungen nicht zählen (Hüffer, AktG, § 130 RNr. 19 m.w.N.). Deshalb würde ihre falsche Beurkundung, insbesondere auch bei dem Beschluß zur Entlastung von Frau S., keinen Nichtigkeitsgrund darstellen. Daß die Zahl der Ja- und Nein-Stimmen falsch wiedergegeben wurde, trägt der Kläger bereits nicht vor.

Die Entlastungsbeschlüsse sind, wie das Landgericht zutreffend feststellte, nicht anfechtbar, weil vor den Fragen des Klägers der Interessenkonflikt in der Person des Herrn P. auf der Hauptversammlung in Abweichung von Ziffer des 5.5.3 des C. G. K. nicht aufgedeckt wurde. Der Verstoß gegen den Kodex selbst macht Beschlüsse nicht anfechtbar, da dessen Normen weder Bestandteil eines Gesetzes noch der Satzung der Beklagten sind. Auch stellt die Erklärung der Beklagten vom Dezember 2005, dem Kodex entsprechen zu wollen, keinen Verstoß gegen § 161 S. 1 AktG dar, der die Entlastungsbeschlüsse anfechtbar machte; denn, wie das Landgericht zutreffend ausführt, wäre die in die Zukunft gerichtete Erklärung nur falsch, wenn die Beklagte bereits bei ihrer Abgabe entschlossen gewesen wäre, der Ziffer 5.5.3 des Kodex am 27.4.2006 nicht nachzukommen. Dies folgt nicht bereits daraus, daß die Antwort auf Frage 20 des Klägers auf der Hauptversammlung, die Hauptversammlung sei nicht informiert worden, weil sie nicht stattfinde, offenkundig nicht nachvollziehbar war. Dadurch kann nämlich ebenso eine vorsätzliche wie auch nur eine versehentliche Verletzung der Informationspflicht zu bemänteln versucht worden sein. Gegen Vorsatz spricht insofern zumindest, daß auf die klägerischen Vorhalte hin der Interessenkonflikt zugegeben und nicht zu vertuschen versucht wurde. Mangels vorgetragener Tatsachen für eine bewußte Abkehr der Beklagten von der Informationspflicht der Ziffer 5.5.3 des Kodex fehlt auch eine sich aus § 161 S. 2 AktG ergebende nachträgliche Informationspflicht, die die Beklagte verletzt hätte.

Der Entlastungsbeschluß zu Frau S. verstößt weder wegen der Einzelabstimmung gegen § 120 Abs. 1 S. 2 AktG noch wegen Mitzählung der Stimmen von Frau S. gegen deren Stimmrechtsverbot nach § 136 Abs. 1 S. 1 AktG. Letzteres ist vom Landgericht zutreffend und in der Berufungsbegründung nicht mehr angegriffen abgelehnt worden. Die Anordnung der Einzelabstimmung über die Entlastung eines Vorstandsmitglieds wird durch § 120 Abs. 1 S. 2 AktG nicht verboten. Schon dem Wortlaut nach regelt diese Norm nur, wann eine Pflicht zur Einzelabstimmung vorliegt, ohne daß § 120 Abs. 1 S. 1 AktG für die anderen Fälle eine Pflicht zur Gesamtabstimmung ausdrücklich vorsieht. Im Gegenschluß kann dem Satz 2 daher nur entnommen werden, daß in den von ihm nicht erfaßten Fällen - wie der vorliegenden Anordnung der Einzelabstimmung durch den Versammlungsleiter - eine Einzelabstimmung nicht zwingend ist (Münchener Kommentar, AktG, § 120 RNr. 12; Hopt, Großkommentar AktG, § 120 RNr. 106; dafür im Ergebnis jetzt auch Münchener Handbuch zum Gesellschaftsrecht Bd. IV, § 34 RNr. 20, jeweils m.w.N.). Die dagegen ins Feld geführten Argumente greifen nicht durch: Die berechtigten Interessen der Organmitglieder (so Henn, Handbuch Aktienrecht, § 21 RNr. 750) können, wenn die Organmitglieder gleichzeitig Gesellschafter sind, gerade darauf gerichtet sein, an der Abstimmung über die Entlastung ihrer Kollegen nicht durch das Stimmrechtsverbot des § 136 Abs. 1 S. 1 AktG gehindert zu sein, was nur bei Einzelabstimmung der Fall ist. Dieser Grund ist entgegen der Ansicht des OLG München (AG 1995, 381/ 382) nicht sachwidrig; denn sonst wäre in § 136 Abs. 1 AktG ein Stimmrechtsverbot der Vorstandsmitglieder auch die Entlastung der Vorstandskollegen angeordnet worden.

Der Entlastungsbeschluß für Herrn P. (und die übrigen Mitglieder) ist wegen Verletzung des Stimmverbotes nach § 136 Abs. 1 AktG bereits deshalb vorliegend nicht anfechtbar, weil der Kläger diesen Verstoß erstmals mit Schriftsatz vom 19.1.2007 und damit erst nach Ablauf der Anfechtungsfrist von 1 Monat ab dem Hauptversammlungsbeschluß am 27.4.2006 (§ 246 Abs. 1 AktG) rügte.

Die Beschlüsse sind schließlich auch nicht wegen Verletzung des klägerischen Auskunftsrechts durch falsche oder fehlende Antworten auf Fragen des Klägers anfechtbar, die als wesentliche Voraussetzung für die Entscheidung über die Beschlüsse erforderlich waren (§§ 131 Abs. 1 S. 1, 243 Abs. 4 AktG):

Die Antwort auf Frage 1, auf die Dividende sei nicht verzichtet worden, war richtig. Die im Optionsvertrag vereinbarte Anrechnung wirkte sich nur für den Fall wie ein Dividendenverzicht aus, daß die Option wahrgenommen wurde und die bis dahin gezahlten Netto-Dividenden geringer als die Finanzierungskosten je Aktie abzügl. 1 Euro waren, und mußte daher nicht zwingend einem Dividendenverzicht gleichgestellt werden.

Bei Frage 7 nach dem Grund für Kaufpreis-Zusammenhänge wurde insbesondere auch ein Grund für den Zusammenhang zwischen den Kaufpreisen für den Vorstand und für die Beklagtenoption angegeben, nämlich die Finanzierung der Beschaffung der Vorstandsaktien durch H&F. Ebenso wurde ein Kaufpreiszusammenhang mit den übrigen Käufen ohne Einschränkung, also auch für den Kauf von Frau S., bestritten. Die vom Kläger zum Kauf von Aktien durch die Beklagte bemängelte Aussage, der Kaufpreis habe sich am Kurswert orientiert, ist richtig: Da die Antwort einer Frage galt, mit der die Handlung der Beklagten bewertet werden sollte, war ihre Antwort so zu verstehen, daß sich der angegebene Kurs auf den Zeitpunkt der Abgabe des Angebots durch die Beklagte bezog. Das Angebot wurde spätestens am 10.10.2003 abgegeben; der Kurs am 9.10.2003 betrug nach Klägervortrag genau den Betrag, der als Kaufpreis angeboten wurde.

Dafür, daß es entgegen der Antwort zu Frage 8 die bestrittene Vereinbarung zwischen H&F, Frau S. und dem Vorstandsvorsitzenden gegeben habe, hätte der Kläger über die in dem SZ-Artikel hinaus enthaltenen Angaben näher darlegen müssen, welche Personen genau für wen handelten, da dies der in Bezug genommene Artikel offenläßt (der Vorstandsvorsitzende oder welche Personen €um ihn herum€€), und welchen genauen Inhalt die Vereinbarung gehabt haben soll. Denn sonst ist eine Abgrenzung zu der von der Beklagten in ihrer Antwort zugestandenen Vereinbarung mit der AG über eine breitere Platzierung des H.-Aktienpaketes und damit die Klärung der Beweisbedürftigkeit der vom Kläger behaupteten Tatsachen nicht ausreichend möglich. Bereits das Landgericht hat im Urteil zutreffend darauf hingewiesen, daß die vom Kläger lediglich in Bezug genommenen Angaben des SZ-Artikels zu unklar sind.

Ausreichende Tatsachen dafür, daß die Antwort auf Frage 11 falsch sei, eine Übernahmeabsicht habe 2001 noch nicht bestanden, trägt der Kläger nicht vor. Daß nach seinem Vortrag der Vorstandsvorsitzende am 4.8.2005 Gegenteiliges behauptet hat, zeigte nur, daß er widersprechende Angaben machte, sagt aber nichts über die Unwahrheit gerade der Angabe in der Hauptversammlung aus.

Der Kläger zieht die Antwort auf seine Frage 14 zum Grund für die fehlende Information über den Interessenkonflikt von Herrn P. in der Klageschrift (S. 40 ff.) nur als Beleg für einen (wie er meint: vorsätzlichen) Verstoß gegen Ziffer 5.5.3 des Kodex heran. Aus den o.g. Gründen hat der Kläger auch nicht dargelegt, daß die Beklagte in einer wahrheitsgemäßen Antwort auf den vorsätzlichen Willen des Aufsichtsrates, die Hauptversammlung nicht zu informieren, hätte hinweisen müssen. Innerhalb der Anfechtungsfrist machte er keine sonstige fehlende oder unwahre Angabe hierzu geltend.

Die (unstreitig fehlerhafte) Antwort auf Frage 18 zum Grund, warum nicht die Beklagte statt Frau S. die Aktien an Herrn L. verkaufte, ist nicht zur sachgemäßen Beurteilung der angegriffenen Beschlüsse für einen objektiv urteilenden Aktionär als wesentliche Voraussetzung erforderlich. Der Grund, warum von einer Ermächtigung zum Verkauf eigener Aktien in der Vergangenheit kein Gebrauch gemacht wurde, ist objektiv kein Grund, die Ermächtigung für die Zukunft (TOP 6) nicht zu erteilen; denn dabei geht es um die Frage, ob abstrakt Situationen auftreten können, in denen ein solcher Verkauf sinnvoll sein mag und ob man dem Vorstand und Aufsichtsrat soweit vertraut, die Verkaufsbedingungen selbst festzusetzen. Nur umgekehrt (bei einem kritikwürdigen Gebrauch der Ermächtigung) kann der Beweggrund für vergangene Tätigkeit objektiv relevant sein für eine Entscheidung der Aktionäre, die Befugnis erneut zu erteilen. Auch zu einer sachgemäßen Beurteilung der Entlastungsbeschlüsse für das Jahr 2005 war die Frage nicht relevant: Bei objektiver Betrachtung würde ein Aktionär die Entlastung nicht von der Tatsache abhängig machen, ob der Vorstand einer Aktiengesellschaft versuchte, selbst statt eines Aktionärs eigene Aktien an einen erwerbswilligen Dritten zu verkaufen.

Daß die Antwort zu Frage 20 (Zweck der Ermächtigung an Dritte, Aktien für Rechnung der Beklagten zu erwerben oder zu veräußern) unzutreffend sei, trägt der Kläger nicht vor. Daß er den angegebenen Grund für nicht tragfähig hält, um der Ermächtigung zuzustimmen, ist kein Anfechtungsgrund.

Daß eine Antwort auf die Fragen 21 bis 26 unrichtig sei oder verweigert wurde, macht der Kläger nicht geltend; er trägt diese Antworten vielmehr als Tatsachen für das oben angesprochene Verfahren der Beklagten bei der Umschreibung im Aktienregister vor.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Wegen der Abweichung vom OLG München bei der Frage, ob über die Entlastung einzelner Vorstandsmitglieder wegen eines Stimmrechtsverbotes in einem Einzelfall getrennt abgestimmt werden kann, wird gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO die Revision zu den betroffenen Entlastungsbeschlüssen zugelassen. Für die Zulassung der Revision darüber hinaus besteht kein Grund.






KG:
Urteil v. 26.05.2008
Az: 23 U 88/07


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