Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 28. August 2009
Aktenzeichen: 1 AGH 28/09

(OLG Hamm: Beschluss v. 28.08.2009, Az.: 1 AGH 28/09)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Der Antragsteller, ein Rechtsanwalt, hat bei der Antragsgegnerin, der Rechtsanwaltskammer, beantragt, die Bezeichnung "Fachanwalt für Medizinrecht" führen zu dürfen. Die Antragsgegnerin hat den Antrag abgelehnt und daraufhin hat der Antragsteller gerichtliche Entscheidung beantragt. Das Gericht hat den Antrag des Antragstellers zurückgewiesen und die Kosten des Verfahrens dem Antragsteller auferlegt. Die sofortige Beschwerde wurde nicht zugelassen und der Gegenstandswert wurde auf 12.500,00 € festgesetzt.

In der Begründung wird ausgeführt, dass der Antragsteller nachweisen muss, dass er 60 Fälle bearbeitet hat, um den Titel "Fachanwalt für Medizinrecht" führen zu dürfen. Davon müssen 15 Fälle rechtsförmliche Verfahren betreffen, wovon 12 Gerichtsverfahren sein müssen. Die Fälle müssen sich auf mindestens 3 verschiedene Bereiche des Medizinrechts verteilen. Der Antragsteller hat Fälle aus verschiedenen Bereichen nachgewiesen, jedoch hat die Antragsgegnerin einige Fälle aufgrund von unterschiedlichen Gründen nicht anerkannt.

Grundsätzlich ist eine Abstufung der Gewichtung einzelner Fälle gemäß der Fachanwaltsordnung zulässig. Jedoch ist die Antragsgegnerin bei der Gewichtung einiger Fälle zu niedrig gegangen und hat Punktwerte von 0,5 und niedriger vergeben. Das Gericht stellt fest, dass eine Gewichtung von 0,25 bei routinemäßig zu bearbeitenden Fällen angemessen ist, bei denen keine umfangreiche Sach- und Rechtsprüfung stattfinden muss. Die Antragsgegnerin hat dies bei den Fällen der Geltendmachung ärztlicher Honoraransprüche nicht angemessen berücksichtigt. Das Gericht kommt zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller insgesamt nur 48,5 Punkte erreicht hat, was unterhalb der geforderten Fallzahl von 60 liegt.

Aus diesem Grund wird der Antrag des Antragstellers abgelehnt und er muss die Kosten des Verfahrens tragen. Die sofortige Beschwerde wird nicht zugelassen und der Gegenstandswert wird auf 12.500,00 € festgesetzt.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

OLG Hamm: Beschluss v. 28.08.2009, Az: 1 AGH 28/09


Tenor

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 30.04.2009 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin werden dem Antragsteller auferlegt.

Die sofortige Beschwerde wird nicht zugelassen.

Der Gegenstandswert wird auf 12.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller ist seit dem 15.09.1978 bei dem Amtsgericht Hamm und dem Landgericht Dortmund und seit 1999 zusätzlich noch bei dem Oberlandesgericht Hamm zugelassen. Er betreibt eine Einzelpraxis in Hamm.

Am 29.11.2007 beantragte er bei der Antragsgegnerin, ihm zu gestatten, die Bezeichnung "Fachanwalt für Medizinrecht" zu führen. Diesen Antrag wies die Antragsgegnerin mit Beschluss vom 28.03.2008 zurück. Am 06.05.2008 stellte der Antragsteller einen neuen Antrag, dem er eine 84 Fälle umfassende Fallliste beifügte. Am 16.09.2008 gab ihm die Antragsgegnerin durch den zuständigen Fachausschuss auf, die Handakten zu einzelnen in der Liste genannten Fälle vorzulegen. An die Übersendung wurde mit Schreiben vom 20.11.2008 unter Fristsetzung zum 26.11.2008 erinnert. Am 24.11.2008 stellte der Antragsteller die angeforderten Handakten zur Verfügung.

Mit Beschluss vom 01.04.2009 wies die Antragsgegnerin den Antrag zurück, mit folgender Begründung:

- Die Fälle 13 und 14 der Liste könnten nur mit 1,0 Punkten bewertet

werden. Es handele sich bei dem Fall Nr. 14 um das Berufungsver-

fahren des Falles Nr. 13; es seien keine "neuen Schwerpunkte

erkennbar" gewesen.

- Die Fälle 17 und 22 befassten sich mit der Umwandlung der

radiologischen Gemeinschaftspraxis Dres. X u.a. Es könne nur

ein Fall anerkannt werden.

- Auch bei den Fällen 57 und 58 handele es sich nur um einen Fall

(außergerichtliche Auseinandersetzung der Praxis X/X2).

- Die Fälle 36, 37, 38, 40, 41, 42, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 56,

59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 73, 74, 75, 76, 77, 78,

79, 80 und 81 befassten sich mit der Geltendmachung von Vergütungs-

ansprüchen der radiologischen Gemeinschaftspraxis (später Medizi-

nisches Versorgungszentrum) Dres. X, X3. In keinem Fall

habe gegenüber dem Gericht zu Tatsachen oder Rechtsfragen Stellung

genommen werden müssen. Es seien, "wenn überhaupt, bei großzü-

giger Beurteilung" diese Fälle "mit dem Faktor 0,5 anzusetzen", so dass

sich "bei wohlwollender Auslegung 19 Fälle (von angemeldeten 38)"

ergäben.

- Die Fälle 24, 25, 26, 30, 32, 33, 34 und 35 (Teilnahme des Antrags-

stellers an Gesellschafterversammlungen der Gemeinschaftspraxis

X, des X4 X und der Teillaborgemeinschaft X) seien

im Wesentlichen nicht anzuerkennen. Teilweise lägen die Fälle außer-

halb des 3-Jahres-Zeitraumes der FAO, teilweise seien sie anderweitig

berücksichtigt worden, so dass keine eigenständige weitere Tätigkeit des

Antragsstellers vorläge. Die Gesellschafterversammlung am 13.09.2005

(Fall 33) betreffe keine rechtliche Beratungstätigkeit des Antragstellers.

Dasselbe gelte für die Teilnahme des Antragstellers an der Gesellschaf-

terversammlung vom 25.04.2007. Anzuerkennen sei danach nur die

Teilnahme an der Gesellschafterversammlung am 07.11.2007 (Erläu-

terung der Rechtsfolgen des Ausscheidens des Arztes Dr. Y).

- Der Fall 19 (Dres. X ./. Dr. Y; Beitrittsvertrag zur Gemein-

schaftspraxis) sei bereits am 24.04.2002 abgeschlossen gewesen und

könne deshalb nicht anerkannt werden.

- Der Fall 72 (Verfahren wegen erhöhter Honorarzahlungen) sei noch

nicht abgeschlossen. Eine eigenständige rechtliche Prüfung des Sach-

verhaltes fehle, es gebe auch kein anhängiges Verfahren. Der Fall sei

deshalb nur mit 0,5 Punkten zu bewerten.

Insgesamt hätten daher von den angemeldeten 84 Fällen 28,5 Fälle (bei richtiger Addition: 30,5 Fälle) nicht anerkannt werden können, so dass "lediglich 55,5 Fälle für die nachzuweisenden praktischen Erfahrungen" Berücksichtigung finden könnten.

Gegen diese Verfügung wendet sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, der vom 30.04.2009 datiert und am selben Tage beim Anwaltsgerichtshof eingegangen ist. Zur Begründung führt er aus, die "Herabstufung der Gewichtung einzelner Fälle" durch die Antragsgegnerin sei unzulässig, die Fachanwaltsordnung habe eine "Gewichtungsregelung nicht getroffen". Selbst wenn eine Gewichtung der Fälle, die sich auf die Verfolgung ärztlicher Honoraransprüche beziehen, zulässig sei, hätte ihm Gelegenheit gegeben werden müssen, Fälle nachzumelden. Tatsächlich habe er 12 weitere, von ihm nachgemeldete Fälle der Geltendmachung ärztlicher Honoraransprüche (sämtlich für das X4 Dres. X) im Zeitraum 01.01.2008 bis 06.05.2008 bearbeitet. Gewichte man diese (ebenfalls) mit 0,5 Punkten, seien die "notwendigen 60 Fallpunkte" erreicht. Mit der Streichung weiterer Fälle in der Beschlussbegründung vom 01.04.2209 befasst sich der Antragsteller nicht.

Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 22.05.2009, den Antrag zurückzuweisen. Eine Begründung dieses Antrages legte sie mit Schriftsatz vom 20.08.2009 vor. Sie verteidigt die Verfügung vom 01.04.2009 unter näherer Erläuterung der früheren Erwägungen.

Mit Verfügung vom 14.08.2009 wurde der Antragsteller gebeten, zum Gegenstand seiner Tätigkeit in den nachgemeldeten Fällen vorzutragen. Mit Schriftsatz vom 17.08.2009 nahm er Bezug auf die bereits in der ersten Fallliste enthaltenen Fälle der Geltendmachung ärztlicher Honoraransprüche. Die nachgemeldeten Fälle seien "nach Gegenstand und Schwierigkeit der Fallbearbeitung vergleichbar" mit den ursprünglich angemeldeten.

Die Antragsgegnerin vertiefte ihr Vorbringen mit Schriftsätzen vom 20.08.2009 und 25.08.2009 und wies insbesondere darauf hin, dass die Fälle der Geltendmachung ärztlicher Honorarforderungen durchaus niedriger als bisher erfolgt (etwa mit 0,2 Fallpunkten) bewertet werden könnten. Die nachgemeldeten Fälle seien, soweit dies beurteilt werden könnte, nicht mit 0,5 Punkten zu bewerten.

II.

1.

Der Antrag ist zulässig. Er ist fristgerecht beim Anwaltsgerichtshof eingegangen.

2.

Er ist nicht begründet.

a)

Außer Streit steht, dass der Antragsteller die theoretischen Kenntnisse durch Vorlage der Bescheinigungen der Deutschen Anwaltsakademie nachgewiesen hat.

b)

Die praktischen Erfahrungen müssen gem. §§ 5 S. 1 lit. i) und 14 lit. b) Nrn. 1 bis 8 FAO durch Bearbeitung von 60 Fällen belegt werden. Davon müssen 15 Fälle rechtsförmliche Verfahren betreffen. 12 der rechtsförmlichen Verfahren müssen Gerichtsverfahren sein. Die Fälle müssen sich auf mindestens 3 verschiedene Bereiche des § 14 lit. b) FAO Nrn. 1 bis 8 FAO verteilen. Aus den jeweils drei verschiedenen Bereichen müssen je 3 praktische Fälle nachgewiesen werden.

Außer Streit steht, dass der Antragssteller aus (mindestens) 3 verschiedenen Bereichen des § 15 lit. b Fälle nachgewiesen hat. Er hat 10 Fälle der zivilrechtlichen Arzthaftung (§ 14 b Nr. 1 a FAO) bearbeitet, davon 5 gerichtliche Verfahren. 5 Fälle betreffen § 14 lit. b Nr. 2 (Recht der privaten und gesetzlichen Krankenversicherung), darunter sind ein gerichtlicher und ein rechtsförmlicher Fall. Die Fälle 16 — 22 betreffen den Bereich des § 14 lit. b Nr. 3 a (Berufsrecht der Heilberufe, insbesondere ärztliches Berufsrecht), davon beziehen sich zwei Fälle auf rechtsförmliche Verfahren.

Die (im Wesentlichen umstrittenen) Fälle betreffen den Bereich des § 14 lit. b Nr. 5 FAO: Vergütungsrecht der Heilberufe. Sie beziehen sich auf Mahnverfahren (die als gerichtliche Verfahren im Sinne der FAO anzusehen sind).

Der Antragsteller stützt seinen Antrag auf die Annahme, die Mindergewichtung sei generell unzulässig. Gegen die Streichungen einzelner Fälle durch die Antragsgegnerin erhebt er keine Bedenken.

Bedenken bestehen auch (weitgehend) nicht:

Allerdings dürfte der Fall 14, in dem der Antragsteller im Berufungsverfahren tätig war, mit einem Fallwert von 0,5 anzuerkennen sein.

Keine Bedenken bestehen gegen die Annahme, dass die Fälle 17 und 22 bzw. 57 und 58 jeweils nur einen Fall betreffen.

Für den Komplex "Teilnahme an Gesellschafterversammlungen" gilt: Die Streichungen (auch des Falles 26, vgl. den Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 25.08.2009) sind nicht zu beanstanden, nachdem die Gesellschafterversammlungen außerhalb des 3-Jahres-Zeitraums des § 3 FAO lagen. Soweit der Antragsteller den Gegenstand seiner Beratung in den Versammlungen bereits in anderen Fallnummern ausgewiesen hat, kann seine Tätigkeit nicht zur Anerkennung eines weiteren Falles führen. Wurde eine rechtsberatende Tätigkeit in der Gesellschafterversammlung nicht erbracht, hat sich der Antragsteller vielmehr darauf beschränkt, an der Versammlung teilzunehmen, ohne sich zu Wort zu melden oder ein rechtliches Anliegen seines Mandanten zu vertreten, liegt keine Fallbearbeitung im Sinne der FAO vor.

Keine Bedenken bestehen gegen die Streichung des Falles mit der Nr. 19 (die Fallbearbeitung war vor Beginn des 3-Jahres-Zeitraums des § 3 FAO abgeschlossen).

Schließlich hat die Antragsgegnerin zu Recht den Fall mit der Nr. 72 nur mit 0,5 bewertet; die Tätigkeit des Antragstellers ist nicht über die Zusendung eines Aktenvermerks zu einem Urteil, das für seinen Mandanten von Bedeutung sein kann, hinausgegangen. Korrespondenz mit der Gegenseite findet sich in der Akte nicht.

Grundsätzliche Bedenken gegen die Mindergewichtung einzelner Fälle gibt es nicht. Nach der seit dem 01.11.2006 geltenden Fassung des § 5 Abs. 3 FAO ist eine abweichende Gewichtung sowohl nach oben als auch nach unten zulässig (§ 5 S. 2 FAO a.F. hatte nur von einer "anderen Gewichtung" gesprochen; es war streitig, ob nur eine höhere oder auch eine niedrigere Gewichtung zulässig sei). Dies bedeutet, dass nicht jeder angemeldete Fall zwingend mit dem Faktor 1 zu bewerten ist. Kriterium für eine abweichende Gewichtung sind Bedeutung, Umfang und Schwierigkeit der Fälle (BGH AnwBl 2006, 413).

Nicht richtig sind die Erwägungen der Antragsgegnerin auf Blatt 2 der Verfügung vom 01.04.2009, die auf die "gängige Praxis des Fachanwaltsausschusses und der zuständigen Abteilung V des Vorstandes der Rechtsanwaltskammer" hinweisen, bei "gleichartiger Geltendmachung von Gebührenpositionen nach GOÄ im Mahnverfahren nur mit 0,5 zu gewichten". Bei einer bestimmten Art der Fallbearbeitung allgemein und losgelöst vom einzelnen Fall eine Mindergewichtung anzunehmen, ist nicht von § 5 Satz 3 FAO gedeckt (BGHZ 166, 292; BGH NJW 2005, 214; AGH Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 18.05.2007, Leitsatz, veröffentlicht in BRAK-Mitt. 2007, 224). Der Bundesgerichtshof hat für Steuererklärungen für ein und denselben Mandanten über mehrere Jahre hinweg klargestellt, dass eine niedrigere Gewichtung nicht allein damit begründet werden kann, es seien in unterschiedlichen Fällen wiederholt dieselben Rechtsfragen zu beantworten gewesen. Die niedrigere Bewertung muss mithin fallspezifisch begründet werden. Allerdings hat die Antragsgegnerin im Ergebnis nicht pauschal - unter Außerachtlassung des Einzelfalles - gewichtet: Die Fälle, die sich auf die Beitreibung ärztlicher Honorare beziehen, hat sie nach Akteneinsicht einzeln ausgewertet. In sämtlichen Fällen hat der Antragsteller keine Tatsachen erörtert oder Rechnungen nach der GOÄ beurteilt. Vor diesem Hintergrund bestehen keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Mindergewichtung.

Jedoch ist eine Gewichtung dieser Fälle mit 0,5 nicht angemessen. Die Antragsgegnerin selbst spricht von einer ursprünglich "großzügigen" Beurteilung. Bei der Mindergewichtung ist der Umfang eines Falles, der zeitliche Aufwand der Bearbeitung (Studium der relevanten Unterlagen, der einschlägigen Literatur und Rechtsprechung sowie eine etwaige Besprechung mit dem Mandanten und anderen Beteiligten) zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt ferner der Schwierigkeit der Fallbearbeitung zu (Klose BRAK-Mitt. 2008, 152). Abzugrenzen sind schwierige Sachverhalte von solchen, die gleichsam routinemäßig ohne weitere Sachprüfung bearbeitet werden können.

Die obergerichtliche Rechtsprechung zur Abstufung der Gewichtung ist nicht einheitlich. Der AGH Bremen geht in seinem Beschluss vom 07.12.2003 davon aus, dass selbst sehr einfache Sachverhalte jedenfalls mit einer Fallzahl von 0,5 zu gewichten seien (FamRZ 2004, 1645). Der AGH Thüringen hat sich dieser Auffassung angeschlossen (BRAK-Mitt. 2005, 134). In der Literatur wird es (wohl durchgängig) als zulässig angesehen, Fälle mit einem geringeren Wert als 0,5 zu bewerten (Hartung/Scharner, Anwaltliche Berufsordnung, 4. Auflage, § 5 FAO

Rdnr. 315; Feuerich/Weyland/Vossebürger, BRAO, 7. Auflage, § 5 Rdnr. 27). Es soll bei Fällen minderer Bedeutung und nicht schwieriger, nicht umfangreicher Fall-

bearbeitung eine Herabsetzung bis auf einen Faktor von 0,1 zulässig sein. Zwar seien starke Herabsetzungen grundsätzlich zu vermeiden, da sie nicht nur zu einer starken Erhöhung der erforderlichen Zahl von Einzelfällen führten, sondern auch die Gefahr einer aufgesplitterten Fallzahl begründeten. Deshalb sei eine Herabstufung auf 0,5 als "Regelfall" — bei einfacher Fallgestaltung — anzunehmen (Vossebürger, a.a.O.). Dies ändere aber nichts an der grundsätzlichen Möglichkeit, bei einem Fall, dessen geringer Umfang und geringe Schwierigkeit nahe läge, unter einen Wert von 0,5 zu gehen. Es sei "immer noch besser", diesen Fall mit einem "geringeren Faktor als überhaupt nicht zu berücksichtigen" (Vossebürger, a.a.O.; vgl. auch OffermannBurckhart, Fachanwalt werden und bleiben, Rdnr. 337; dies. in Kilian/vom Stein, Praxishandbuch für Anwaltskanzleien und Notariat, § 16 Rdnr. 144 ff.).

Danach ist bei einer routinemäßig zu bearbeitenden, sich häufig wiederholenden Ausgangslage, die sich auf das Ausfüllen eines Mahnbescheides ohne Sachprüfung und Erläuterungen beschränkt, ein Punktwert von höchstens 0,25 angemessen, es sei denn, dass sich ausnahmsweise besondere Schwierigkeiten stellten. Dem entspricht es, dass der Bundesgerichtshof bei "Fällen mit gleichgelagerter Problematik" eine Mindergewichtung unter dem Stichwort "Wiederholungsfälle" ausdrücklich als zulässig angesehen hat (Beschluss vom 20.04.2009; AnwZ (B) 48/08). Der Bundesgerichtshof hat in einem Fall, in dem es um die Anerkennung als Fachanwalt für Erbrecht ging, bei der wiederholten Einrede nach § 1990 BGB gegenüber verschiedenen Forderungen zweier Nachlassgläubiger zwar jeweils einen Fall im Sinne der FAO angenommen, im Hinblick auf die "gleichgelagerte Problematik" aber den Fällen "so geringes Gewicht beigemessen", dass er nur ein Punktwert von ("höchstens") 0,2 anerkannt hat. In der vorgenannten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof das Nichterreichen der notwendigen Fallzahl abweichend vom Anwaltsgerichtshof begründet und damit bestätigt, dass die "Neugewichtung" im Rechtsmittelverfahren zulässig ist (so auch AGH Berlin BRAK-Mitt. 2009, 81).

Für die ursprünglich angemeldeten "Beitreibungsfälle" hat eine Aktenauswertung ergeben, dass der Antragsteller keine nennenswerte Sach- und Rechtsprüfüng vomehmen musste. Wie sich aus dem Schriftsatz des Antragstellers vom 17.08.2009 ergibt, sind die nachgemeldeten Fälle durchgängig nicht anders zu beurteilen. Danach ist ein Faktor von höchstens 0,25 für die "Beitreibungsfälle" angemessen.

c)

Auf die Möglichkeit, im Rahmen des Verfahrens vor der Antragsgegnerin Fälle nachzumelden, war der Antragsteller nicht hingewiesen worden. Der Ausschuss hätte im Hinblick auf die von ihm vorgenommene Mindergewichtung den Antragsteller über seine Rechtsauffassung unterrichten, ihm eine nachvollziehbare, gerichtlich überprüfbare Begründung geben und die Gelegenheit einräumen müssen, seine Fallliste zu ergänzen, § 24 Abs. 4 FAO. Dem Schreiben vom 16.09.2008, mit dem Handakten beim Antragsteller angefordert wurden, ist die Rechtsauffassung des Ausschusses nicht zu entnehmen. Bedenken werden erstmals im Antrag zurückwei-

senden Beschluss vom 01.04.2009 erörtert. Allerdings hatte der Antragsteller Ge-

legenheit, in Kenntnis der Auffassung der Antragsgegnerin Fälle im gerichtlichen Verfahren nachzumelden. Der Senat hat die nachgemeldeten Fälle berücksichtigt (der Senat geht grundsätzlich von der Möglichkeit der Nachmeldung im gerichtlichen Verfahren aus, vgl. den Beschluss vom 18.09.2009 in der Sache - 1 ZU 75/07 -).

d)

Danach ergibt sich unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin zu den übrigen Fällen der Liste, die der Antragsteller, wie ausgeführt, im wesentlichen nicht angreift, Folgendes:

Die Fallliste vom 06.05.2008 enthält 84 Falle; 12 nachgemeldete Fälle der

Geltendmachung ärztlicher Honoraransprüche nach GOÄ ergeben 96 Fälle

Abzuziehen sind

- Ein Punktwert von 0,5 bei Fall 14 (schon bei Nr. 13 berücksichtigt, aber

Tätigkeit im Berufungsverfahren)

- Fall 17 und 22 sind identisch (abzuziehen 1,0)

- Fall 19 ist zu streichen (außerhalb der 3-Jahreszeitraumes); Abzug 1,0

- Aus den Fällen Nrn. 36, 37, 38, 40, 41, 42, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52,

56, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 73, 74, 75, 76, 77, 78,

79, 80 und 81 sind bei einer Mindergewichtung auf 0,25 28,5 Fälle zu

streichen.

- Die Fälle 24, 25, 96, 30, 32, 33, 34 und 35 betreffen Gesellschafterversamm-

lungen, an denen der Antragsteller für die Gemeinschaftspraxis, das X4

bzw. die Laborgemeinschaft Dres. X teilnahm. Auf die obigen Erläu-

terungen kann Bezug genommen werden, es sind 6 Fälle zu streichen.

- Fall 58 (schon bei Nr. 57 berücksichtigt), Abzug 1,0

- Nicht zu beanstanden ist die Auffassung der Antragsgegnerin, dass der

Fall 72 aus den oben erläuterten Gründen nur mit einem Punktwert 0,5

angesetzt werden kann, Abzug 0,5.

Zu streichen sind damit insgesamt Fälle mit einem Punktwert von 47,5. Bei angemeldeten 96 Fällen ergäbe sich danach ein Punktwert von 48,5. Dieser liegt unter der geforderten Fallzahl von 60. Der Antrag war danach zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 201 BRAO.

Die sofortige Beschwerde war nicht zuzulassen, da Gründe nach § 223 Abs. 3 BRAO hierfür nicht vorliegen.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats zu §§ 202 Abs. 2 BRAO, 30 Abs. 2 KostO in Zulassungssachen.






OLG Hamm:
Beschluss v. 28.08.2009
Az: 1 AGH 28/09


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