Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. März 2010
Aktenzeichen: 17 W (pat) 33/06

(BPatG: Beschluss v. 16.03.2010, Az.: 17 W (pat) 33/06)

Tenor

Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patentund Markenamts vom 20. Dezember 2005 aufgehoben. Die Sache wird unter Zugrundelegung der folgenden Unterlagen zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patentund Markenamt zurückverwiesen:

Patentansprüche 1 -19 eingeg. 12. Januar 2010, mit noch anzupassenden Unteransprüchen, noch anzupassende ursprüngliche Beschreibung und Zeichnungen.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I.

Die vorliegende Patentanmeldung wurde am 14. Januar 2005 beim Deutschen Patentund Markenamt eingereicht. Sie trägt die Bezeichnung:

"Schaltung und Verfahren zur sicheren Verarbeitung von Hardwareereignissen".

Die Anmeldung wurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patentund Markenamts vom 20. Dezember 2005 "aus den Gründen des Bescheides vom 13. Oktober 2005" zurückgewiesen. Dort war ausgeführt worden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 für den Fachmann durch sein Grundwissen nahegelegt und deshalb nicht gewährbar sei; entsprechendes gelte für den auf ein Verfahren gerichteten Anspruch 9 und die Unteransprüche. Zur näheren Begründung hatte die Prüfungsstelle ausschließlich auf das Wissen des Fachmanns über die Addition zweier Register und über das Verhalten eines zugeordneten Statusregisters verwiesen. Ein konkretes Dokument als "Stand der Technik" hatte sie nicht entgegengehalten.

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde der Anmelderin gerichtet.

Auf einen Zwischenbescheid des Berichterstatters hin hat sie mit Eingabe vom 11. Januar 2010, eingeg. am 12. Januar 2010, neue Patentansprüche 1 -19 eingereicht und beantragt sinngemäß (siehe dazu noch die Eingabe vom 22. Februar 2010):

den Zurückweisungsbeschluss des Deutschen Patentund Markenamts vom 20. Dezember 2005 aufzuheben, die Anmeldung auf der Grundlage der neuen Patentansprüche 1 bis 19 an das Deutsche Patentund Markenamt zurückzuverweisen, und die übliche Anpassung der Beschreibung zurückstellen zu dürfen, bis Einigkeit über ein gewährbares Patentbegehren erzielt worden ist.

Sie regt dazu an, dass die weitere Prüfung durch eine andere Prüfungsstelle des Deutschen Patentund Markenamts durchgeführt wird.

In ihrer Beschwerdebegründung vom 22. Februar 2006 hat sie ferner angeregt, die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten. Sie bemängelt das Fehlen eines amtsseitig recherchierten Standes der Technik. Offensichtlich sei die Prüfungsstelle der Auffassung, dass das Fachwissen bzw. das Grundwissen der zuständigen Prüfungsstelle sämtlichen Stand der Technik entbehrlich machen könne. Dies widerspräche jedoch den expliziten Verweisen auf den Stand der Technik im Patentgesetz und der Kommentarmeinung zum "allgemeinen Fachwissen" (unter Verweis auf Schulte, PatG, 7. Auflage (2005), § 3 Rdn. 13), und zudem auch den allgemeinen Prüfungsrichtlinien des DPMA.

Die nunmehr geltenden selbständigen Patentansprüche 1 und 8 lauten:

"1. Digitale Schaltung (10) zur sicheren Verarbeitung von Statusinformationen, mit:

a) einer Hardwareeinrichtung (11) zur Bereitstellung digitaler Daten und entsprechender Statusinformationen, b) einem Ereignisregister (19) zum Ablegen zumindest einer der Statusinformationen durch die Hardwareeinrichtung (11), c) einem kodierbaren Statusregister (21), welches über seine Kodierung dazu ausgelegt ist, zumindest zwei unterschiedliche Zustände (A -D) einer im Ereignisregister (19) abgelegten Statusinformation anzuzeigen, wobei die Kodierung des kodierbaren Statusregisters (21) derart ausgelegt ist, dass ein erster Zustand (B) des Statusregisters (21) anzeigt, dass aktuell eine noch nicht verarbeitete Statusinformation im Ereignisregister (19) anliegt, und ein zweiter Zustand (D) anzeigt, dass eine zwischenzeitlich im Ereignisregister (19) anliegende Statusinformation vor deren Verarbeitung gelöscht wurde, undd) einer programmgesteuerten Einrichtung (12) zum Verarbeiten der im Ereignisregister (19) abgelegten Statusinformationen abhängig von der Kodierung des Statusregisters (21).

8. Verfahren zur Verarbeitung von durch eine Hardwareeinrichtung (11) bereitgestellten Statusinformationen, insbesondere in einer digitalen Schaltung (10) nach einem der vorstehenden Ansprüche, mit folgenden Schritten:

a) Ablegen zumindest einer Statusinformation in einem Ereignisregister (19), b) Kodieren eines kodierbaren Statusregisters (21), dessen Kodierung derart ausgelegt ist, zumindest zwei unterschiedliche Zustände (A -D) einer im Ereignisregister (19) abgelegten Statusinformation anzuzeigen, wobei die Kodierung des kodierbaren Statusregisters (21) derart ausgelegt ist, dass ein erster Zustand (B) des Statusregisters (21) anzeigt, dass aktuell eine noch nicht verarbeitete Statusinformation im Ereignisregister (19) anliegt, und ein zweiter Zustand (D) anzeigt, dass eine zwischenzeitlich im Ereignisregister (19) anliegende Statusinformation vor deren Verarbeitung gelöscht wurde, c) Auslesen des Statusregister (21) durch die programmgesteuerte Einrichtung (12), undd) Verarbeiten der im Ereignisregister (19) abgelegten Statusinformationen durch die programmgesteuerte Einrichtung (12) abhängig von der Kodierung des Statusregisters (21)."

Wegen der Unteransprüche 2 - 7 und 9 - 19 wird auf die Akte verwiesen.

Der Anmeldung soll die Aufgabe zugrundeliegen, eine möglichst sichere Verarbeitung von Hardwareereignissen in einer digitalen Schaltung anzugeben (siehe Offenlegungsschrift Absatz [0011]).

II.

Die rechtzeitig eingegangene und auch sonst zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patentund Markenamt gemäß § 79 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG.

1. Die Anmeldung betrifft nach dem geltenden Patentbegehren die Verarbeitung von Statusinformationen, die besondere "Ereignisse" wie insbesondere das Eintreten von Interrupts signalisieren, in einer digitalen Datenverarbeitungseinrichtung. Wenn ein bestimmter Interrupt (z. B.: Drucker fertig und bereit für weitere Daten) erfolgt, wird durch die Hardware ein entsprechendes Statusbit gesetzt; die Software sollte früher oder später reagieren ("Interrupt-Service-Routine" ISR) und nach Abschluss der vorgesehenen Arbeitsschritte (im Beispiel: Senden der nächsten Druckseite beendet) das Statusbit wieder zurücksetzen, um anzuzeigen, dass der Interrupt fertig bearbeitet ist.

In der Anmeldung ist genauer ausgeführt, dass auf die Statusinformation selbst einerseits von der Hardware zugegriffen wird (wenn das Ereignis eintritt und signalisiert werden soll), andererseits aber auch von der Software (wenn das Ereignis bearbeitet worden ist). Dabei kann es vorkommen, dass ein zweites Ereignis das erste überholt und, während die Software versucht, die Statusinformation zurückzusetzen, die Hardware gleichzeitig versucht, sie zur Signalisierung eines zweiten Ereignisses zu setzen (vgl. Offenlegungsschrift Absätze [0002] -[0007]).

Um in diesem Umfeld einen Informationsverlust zu verhindern, schlägt die Anmeldung nunmehr die digitale Schaltung nach Patentanspruch 1 und das Verfahren nach Patentanspruch 8 vor, welche sich wesentlich darauf stützen, dass das Statusregister durch Kodierung für die Anzeige des aktuellen Bearbeitungsstandes (eine noch nicht verarbeitete Statusinformation liegt an / eine anliegende Statusinformation wurde vor Verarbeitung gelöscht) ausgelegt ist.

Als Fachmann für Verbesserungen im Bereich der Bearbeitung von anliegenden Statusinformationen sieht der Senat einen Entwicklungsingenieur für Mikroprozessorschaltungen mit Hochschuloder Fachhochschulabschluss und mehrjähriger Berufserfahrung an.

2.

Die geltenden nebengeordneten Patentansprüche 1 und 8 sind zulässig. Sie entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 1 und 9, ergänzt um die Merkmale ihres jeweils ersten Unteranspruchs 2 bzw. 10. Dabei wurde der Begriff "Hardwareereignisse" zur Klarstellung entsprechend Absatz 2 Satz 1 der Beschreibung durch "Statusinformationen" ersetzt; wegen der Einschränkung, dass die Statusinformationen von einer Hardwareeinrichtung bereitgestellt werden, bleibt die Anmeldung, so wie es ursprünglich durch den Begriff "Hardwareereignisse" zum Ausdruck kam, beschränkt auf durch Hardware ausgelöste Ereignisse.

Die beanspruchte Lehre ist i. W. verständlich beschrieben und für den Fachmann jedenfalls bei Heranziehung der Figuren nacharbeitbar.

3.

Die geltende Fassung der Patentansprüche ist im Deutschen Patentund Markenamt bisher nicht geprüft worden.

Der Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle betrifft die ursprüngliche Anspruchsfassung. Er stützt sich allein auf die Feststellung im ersten Prüfungsbescheid vom 13. Oktober 2005, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 für den Fachmann durch sein Grundwissen nahegelegt und deshalb nicht gewährbar sei. Dabei werden einzelne Teilmerkmale aufgezählt und jeweils behauptet, diese seien dem Fachmann hinlänglich bekannt, ergäben sich von selbst oder ließen keine besondere technische Bedeutung erkennen.

Wenn auch eine solche pauschale Argumentation ohne Bezug auf einen konkreten Stand der Technik nicht zulässig ist (vgl. Schulte, PatG, 8. Auflage (2008), § 3 Rdn. 12 m. w. N.; Busse, PatG, 6. Auflage (2003), § 45 Rdn. 36), so konnte der Senat nach eigener Prüfung dennoch feststellen, dass die Argumentation der Prüfungsstelle inhaltlich berechtigt war. Zum Beleg wurde in einem Zwischenbescheid verwiesen auf:

D1 Messmer, Hans-Peter: PC-Hardwarebuch, 4. Auflage, Bonn;

Paris [u. a.]: Addison-Wesley-Longman, 1997, insb. S. 184 Dort sind Aufbau und Funktionsweise des mathematischen Coprozessor i387 beschrieben, der mit dem Prozessor i386 als einer "programmgesteuerten Einrichtung" im Sinne des Patentbegehrens zusammenarbeitet. Dabei erzeugt der Coprozessor Statusinformationen, die i. W. nach der Lehre des ursprünglichen Anspruchs 1 bearbeitet werden. Allerdings betrifft der aus D1 entnehmbare Gegenstand nicht das Problem, dass ein zweiter Interrupt bzw. ein zweites Ereignis das erste "überholen" könnte, bevor dieses vollständig abgearbeitet ist. Der ursprüngliche Hauptanspruch war aber so allgemein gefasst, dass auch allgemein übliche Arten der Verarbeitung von Statusinformationen darunter fallen konnten.

In den geltenden selbständigen Patentansprüchen 1 und 8 kommt nunmehr deutlich zum Ausdruck, dass die Kodierung des Statusregisters nicht unterschiedliche Zustände des auslösenden Ereignisses beschreibt, sondern den Bearbeitungszustand eines Ereignisses in Bezug auf ein vorzeitiges Löschen der Statusinformation. Ein solcher Sachverhalt ergibt sich nicht aus D1. Er war auch ersichtlich nicht Gegenstand des Prüfungsverfahrens.

Demnach hat das Deutsche Patentund Markenamt für die geltende Fassung der Patentansprüche bisher nicht geprüft, ob die Voraussetzungen für die Erteilung eines Patents erfüllt sind. Weil es damit noch nicht in der Sache selbst entschieden hat, war die Anmeldung - auch um der Anmelderin keine Tatsacheninstanz zu nehmen - zurückzuverweisen.

4.

Der Senat nimmt es in diesem Stadium des Verfahrens hin, dass die Unteransprüche noch Mängel aufweisen. (Insbesondere wurde dort der Begriff "Hardwareereignisse" noch nicht durchgängig ersetzt; die Formulierung in Anspruch 4 erscheint unvollständig oder fehlerhaft; im Anspruch 12 ist statt "das Kodieren" wohl "die Kodierung" gemeint; in Anspruch 17 entsteht der Eindruck, die Statusinformation könne auch etwas anderes als ein Hardwareereignis sein, was der ursprünglichen Offenbarung widersprechen würde; und zu "insbesondere" in den Unteransprüchen 7 und 17 siehe Schulte, a. a. O., § 34 Rdn. 135.)

Nachdem das Schicksal der Anmeldung insgesamt mangels vollständiger Ermittlung des Standes der Technik noch offen ist, kann die Anpassung der Unteransprüche ebenso wie die Anpassung der Beschreibung zurückgestellt werden.

5.

Eine Zurückverweisung an eine bestimmte oder an "eine andere" Prüfungsstelle durch das Bundespatentgericht sieht das Patentgesetz nicht vor. Der Senat kann hier lediglich darauf hinweisen, dass bei neu formulierten Patentansprüchen die Klassifizierung der Anmeldung nach der Internationalen Patentklassifikation, welche die Zuständigkeit der Prüfungsstellen begründet, neu zu überprüfen ist.

III.

Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr war gemäß § 80 Abs. 3 PatG anzuordnen, weil dies im vorliegenden Fall der Billigkeit entspricht. Maßgebend dafür sind alle Umstände des Falles. Die Billigkeit der Rückzahlung kann sich danach aus einem Verfahrensverstoß durch das Deutsche Patentund Markenamt ergeben (vgl. Benkard, PatG, 10. Auflage (2006), § 80 Rdn. 21; Schulte, a. a. O., § 80 Rdn. 110 ff. / § 73 Rdn. 128 ff.).

Als einen solchen Verfahrensverstoß sieht der Senat - in Übereinstimmung mit früheren Patentgerichtsentscheidungen (34 W (pat) 110/87; 9 W (pat) 27/02) und den Kommentaren, vgl. Schulte, a. a. O, § 79 Rdn. 24 Nr. 12; Benkard, a. a. O., § 80 Rdn. 26 - hier an, dass die Prüfungsstelle den in Betracht gezogenen Stand der Technik nicht in nachprüfbarer Weise benannt hat.

Dieser Verfahrensverstoß war auch ursächlich für die Beschwerdeerhebung, da erst die Auseinandersetzung mit konkret nachprüfbarem Stand der Technik der Anmelderin die Möglichkeit liefert, die Unterschiede des Anmeldungsgegenstandes herauszuarbeiten, und eine faire Chance zur Abwägung bietet, wie weit gehende Einschränkungen zur Verteidigung des Patentbegehrens erforderlich sind.

Im Übrigen teilt der Senat das Befremden der Anmelderin (siehe Beschwerdebegründung vom 22. Februar 2006 zu den Abschnitten 4.1 und 4.2 des Prüfungsbescheids) über formelhafte Anforderungen der Prüfungsstelle, die den Gegebenheiten des Einzelfalls nicht gerecht werden (hier etwa den Vorschlag, "eine gegenüber dem Stand der Technik abgegrenzte kurze Darstellung ..." einzureichen, oder den im Prüfungsverfahren ermittelten Stand der Technik in der Beschreibungseinleitung zu berücksichtigen -obwohl kein druckschriftlicher Stand der Technik benannt wurde).

Demnach war die Sachbehandlung der Anmeldung durch die Prüfungsstelle mängelbehaftet und ursächlich für die Beschwerdeerhebung, so dass eine Einbehaltung der Beschwerdegebühr unbillig erschiene.

Dr. Fritsch Eder Baumgardt Wickborn Fa






BPatG:
Beschluss v. 16.03.2010
Az: 17 W (pat) 33/06


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